Grüner OB in Kassel und alles wird gut? Vermutlich ein naiver Irrtum!
Bei der Wahl von Barack Obama, als alle Welt dachte, alles werde gut, kam es dann in vielerlei Hinsicht ganz anders. Nicht einmal die nach 9/11 in Guantanamo auf Cuba eingesperrten Gefangenen kamen frei oder zumindest vor ein ordentliches Gericht, wie er es hoch und heilig versprochen hatte. Auch wenn er, das muss man ihm zugutehalten, eine ganze Menge von Initiativen ergriff, um sein Versprechen doch noch einzulösen …
Ähnlich groß war die Freude in weiten Teilen Kassels, als 2023, nach langen Jahren der Demütigung der Grünen unter diversen SPD-OB’s, mit Sven Schoeller endlich ein grüner Oberbürgermeister im Rathaus einziehen konnte. Hat das aber wirklich zum erhofften qualitativen Sprung in der ökologischen Stadtentwicklungs- und Mobilitätspolitik geführt? Ist seitdem wirklich Entscheidendes passiert und auf den Weg gebracht worden? Denn auch wenn Schoeller z.B. das Debakel mit den Antisemitismusexzessen auf der d15 recht gut ausgleichen konnte und er sich von der Quadriga der Ex-SPD-OB’s nicht ins Boxhorn jagen ließ, so gibt es doch gerade im ökologischen Kerngeschäft einiges zu kritisieren. Das möchte ich hier an einem exemplarischen, aber vielsagenden Beispiel belegen.
Während in Valencia noch nicht alle dem Regen und dem Hochwasser zum Opfer Gefallenen gefunden sind (am Ende werden es wohl über 300 sein!), wird in Kassel – als wäre nichts gewesen – weiter in Talauen hinein gebaut! Vor einem solch aktuellen Hintergrund, so könnte man meinen, wird in einer grün regierten Stadt – mit grünem OB und grüner Stadtklimarätin – bestimmt die kleine Flussaue im Ortskern von Harleshausen nicht unnötig eingeengt und wichtiger Retentionsraum vernichtet. Aber genau das möchte nun die Stadt Kassel mit Unterstützung des ZRK tun. Gegen alle guten und wohlbekannten Argumente …
Warum ich darüber schreibe und mich auch ärgere? Weil am 13. November 2024 die wenig beachtete und doch so bedeutende Vollversammlung des Zweckverbandes Raum Kassel * wieder mal tagte. Mit auf der Tagesordnung stand die Absicht der Stadt Kassel, in der Geilebachaue, in der Nähe des alten Zentrums von Harleshausen, ein Hospizgebäude** zu errichten. Der ZRK musste dafür aber erst für eine Flächennutzungsplan-Änderung stimmen, weil sonst die Stadt das Projekt nicht realisieren könnte.
Ich habe mich, nicht zum ersten Mal, mit allen mir zu Gebote stehenden Argumenten gegen diesen grundfalschen Beschluss des ZRK gewehrt. Hätte ich meine KollegInnen in besagter Versammlung gewinnen können, gegen eine derartige Änderung zu stimmen, hätten die rechtlichen Voraussetzungen für eine Projektrealisierung gefehlt. Aber sie stimmten mehr oder weniger unisono für das Hospiz am Geilebach!
An die 10 Minuten lauschten mir meine parlamentarischen KollegInnen in besagter Versammlung. Aber alle meine Hinweise auf die zahlreichen ökologischen Argumente, u.a. die des BUND, die gegen das geplante Bauwerk an besagter Stelle sprechen, interessierten sie genauso wenig wie die pointiert vorgetragenen Positionen der aktiven Harleshäuser Bürgerinitiative.
• Dass das Gebäude, überflüssig wie ein Kropf und unnötig Fläche verbrauchend, nur eingeschossig konzipiert ist, obwohl doch der Aufzug schon lange erfunden ist – juckt keinen.
• Dass die Vorgaben nach den aktuellen Wassergesetzen nicht eingehalten werden – juckt keinen.
• Dass die Bebauung gefährlich nahe an die „heilige“ HQ100 Linie heranrückt (damit ist die Linie gemeint, die potentiell bei einem hundertjährlichen Hochwasser erreicht wird) – juckt keinen.
• Dass die hehren Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie ignoriert werden – juckt keinen.
• Dass mit der Bebauung dort die Entstehung von Kaltluft beeinträchtigt und der Abfluss solcher Luftmassen eingeengt wird – juckt keinen.
• Dass ein jahrzehntealter Gehölzstreifen abgesäbelt wird mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Vogelwelt – juckt keinen und
• Dass die Forderungen des Kasseler Klimaschutzrates nach einem Stopp der Flächenversiegelung ignoriert werden – juckt auch keinen.
Die ökologischen Argumente gegen das Projekt an dieser Stelle sind sicher noch unvollständig, aber für hier soll es genügen …
Mein eigenes Plädoyer gegen den Eingriff in die Geilebachaue hat sich mit 3 Aspekten noch näher befasst:
1. Obwohl die Stadt Kassel eine Fläche von rund 106 qkm hat, davon sind rund 35 Prozent Wohn- und Gewerbegebiete plus Grünflächen, soll für ein Hospiz nirgendwo anders Platz sein? Das kann nur eine Lüge, ein Vorwand oder eine üble Täuschung sein. Wenn Parlamentarier so etwas mit sich machen lassen, sich so hinters Licht führen lassen, haben sie es nicht anders verdient. Mit einer KollegIn aus dem Planungsamt und der Unterstützung eines weiteren Kollegen aus dem Liegenschaftsamt fände ich binnen eines Monats ganz sicher ausreichend geeignete Grundstücke im Stadtgebiet. Vielleicht privat, aber geeignet. Vielleicht teurer als die Stadt am Geilebach den städtischen Grund und Boden verkauft, aber geeignet. Wer ein so wichtiges Projekt umsetzen will, der findet ein geeignetes Grundstück.
2. PlanerstudentInnen lernen im 1. Semester, dass der erste und wichtigste Schritt bei der Verwirklichung von Projekten die Standortwahl ist. Dass es sich die Stadt Kassel erlaubt, um quasi den Beweis zu führen, dass besagtes Hospiz nur und ausschließlich dort am Geilebach errichtet werden kann, Grundstücke an der Holländischen Straße z.B. als Vergleich mit heranzuziehen: Das ist niveaulos und tendenziell unanständig. Für wie blöd hält man offensichtlich auch unter grüner Regie die ParlamentarierInnen in der StaVo in Kassel und im ZRK? Keiner schämt sich offensichtlich, so ungeniert mit der Vokabel „alternativlos“ zu operieren. **
3. Das Thema Wasser ist nicht nur deshalb von so herausragender Bedeutung, weil Valencia gerade die größte europäische Überschwemmung seit langem erlebt hat und die Betroffenen bis heute sehr zu leiden haben. Denn auch in unserer Region hat es zahlreiche Ereignisse mit Hochwasser gegeben. In Kassel, Trendelburg, Kaufungen etc. Diejenigen, die es getroffen hat, werden sich noch gut erinnern. Auch das Unwetter im vergangenen Sommer in Kassel, am 22. Juni 2024, nach einem kurzen, heftigen Hagelschauer, hat man noch auf dem Schirm. Man stelle sich nur für einen Moment vor, das Ereignis hätte statt der wenigen Minuten mehrere Stunden gedauert: Vermutlich wäre dann die Verengung am Geilebach heute kein Thema, so brutal wären die Auswirkungen und Schäden der Flut gewesen … Richtig gelernt wird aber erst, wenn das Wasser bis zum Halse steht. Das gilt natürlich nicht nur für Kassel. Und es hat leider auch wenig mit der politischen Einfärbung von Rathäusern zu tun.
Um zur Frage der Überschrift zurückzukommen: Es wird, das ist sicher, mit einem grünen OB nicht alles besser in Kassel und seinem Speckgürtel. Und rasch schon gar nicht. Vielmehr werden weiterhin ganz elementare Fehlentscheidungen getroffen, mit kühler Geschäftigkeit, immer gepaart mit wohlmeinenden Bezügen zum Klimawandel und wie dringend der doch zu bekämpfen sei. Es ist auch schwer angesagt (und gut und richtig), einen Klimaschutzrat zu haben. So wie es angesagt ist, dessen Vorgaben kühl links liegen zu lassen.
Enttäuscht ist aber nur, wer glaubt, dass es nun, mit einem grünen OB, alles besser werden würde. Der jedoch ist auf zwei andere Parteien angewiesen und muss ständig Kompromisse suchen und machen. Und so bleiben eben schnell Vernunft, ökologisches Handeln und Rücksicht auf eine kleine Talaue auf der Strecke. Was mich jedoch wundert: Nicht einmal die Qualität der Argumente ist besser geworden.
Aber das merkt im ganzen ZRK so gut wie niemand. Lediglich eine Zuhörerin hat mich nach der Sitzung vom 13. November für meinen Beitrag gelobt. Eine Enthaltung hat es auch noch gegeben. Und ein wenig Beifall von einem CDU-Kollegen. Aber das wars dann auch.
*Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Institution und Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden,
Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifenden Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehörte z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden gewesen, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung (VV) der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen …
** Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Mein Votum gegen den Standort des Projekts in der Geilebachaue hat natürlich nichts mit der Notwendigkeit des Baus eines weiteren Hospizes in der Stadt Kassel zu tun. Gar nichts. Viel mehr wird, da verlasse ich mich ganz auf die Kompetenz der zuständigen Stellen des Rathauses und wie auch der Expertise der Investoren, der Bedarf vorhanden sein. Das Gebäude kann aber gut woanders errichtet werden.
*** Ich konnte es mir in meiner Rede beim ZRK wie auch hier in der kleinen Retrospektive nicht verkneifen, auf eins der schönsten Beispiele von Alternativlosigkeit resp. unprofessionelle Standortwahl hinzuweisen: Erinnern Sie sich noch, wie einst Hilgen, zusammen mit seinem damaligen Männerfreund und Eigentümer des Salzmann Areals, der Stadtgesellschaft allen Ernstes weismachen wollte, dass eben dort und nur dort, in Bettenhausen(!), das Technische Rathaus der Stadt realisiert werden muss? Was für eine grandiose stadtplanerische Idee, wie grandios auch der Abgleich mit der Eignung anderer Standorte! Nichts davon fand damals statt. Und so kam es, wie es kommen musste: Der unausgegorene Traum platzte, wie einige andere von Hilgen zur Chefsache erklärten Projekte auch.
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