Arndtstraße wird in Arndtstraße umbenannt

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Mit dem folgenden Schreiben hat sich das Bündnis gegen Antisemitismus heute, am 16. November 2020, an die Ortsbeiratsvorsitzende des Ortsbeirats Unterneustadt, Frau Linne, gewandt …

Sehr geehrte Frau Linne,

mit Freude haben wir den Artikel am 10. November 2020 in der HNA gelesen, wo von einer wichtigen Straßenumbenennung in der Unterneustadt die Rede war: Die Ernst Moritz Arndt Straße soll in Ilse Arndtstraße umbenannt werden. Der eine – neben anderem – ein glühender Juden- und Franzosenhasser, die andere jüdische Zeitzeugin und Auschwitz-Überlebende. Größer könnten die Unterschiede kaum sein…

Wie die Dinge nun mal sind, werden eine ganze Reihe von Leuten hier in Kassel der Meinung sein, dass diese Umwidmung nicht in Ordnung ist, handelt es sich doch bei E. M. Arndt (1769/1860) um einen anerkannten Lyriker der sog. Befreiungskriege, einen nationalen Demokraten und Historiker. Andere – wie z.B. unser Bündnis gegen Antisemitismus – sind mit dieser veränderten Namensgebung nicht nur einverstanden, sondern vielmehr der Meinung, dass sie längst überfällig war. E. M. Arndt hat sich mit seinem ausgeprägten Hass auf die Franzosen und seinem ungehemmten Judenhass, heute würde man es als Antisemitismus bezeichnen, eher zum Vorbild für die neue deutsche Rechte gemacht, denn zu einer historischen Person, die es bis heute – z.B. mit der Benennung einer Straße – zu ehren gilt. Auch mit seinem gelobten Eintreten für die Demokratie ist es nicht allzu weit her, vielmehr ist es eher als Plädoyer für eine Art der konstitutionellen Monarchie einzustufen. Dass der Ortsbeirat die Initiative der Stadt Kassel positiv eingeschätzt und entsprechend unterstützt hat, ist sehr zu begrüßen.

Unser Bündnis hat, der Zeit insofern voraus, aber genau genommen auch zu spät, schon 2015 weitergehende Vorschläge für Straßenumbenennungen in der Unterneustadt unterbreitet. In Zusammenhang mit den Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung haben wir uns mit einem Flugblatt an die Bürgerinnen und Bürger der Unterneustadt gewandt, um zu problematisieren, dass die in der Unterneustadt geehrten Vertreter des deutschen Vormärzes alles andere als „unbescholten“ oder „ehrenwert“ sind. Sie sind, so haben wir uns in besagtem Flugblatt ausgedrückt, „…alle … Akteure des sogenannten Vormärzes, der im deutschen Geschichtsbewusstsein als eine Art Vorläuferbewegung der deutschen Nation und Demokratie gilt. Jahn und Arndt formulierten einen extremen Judenhass und einen aggressiven Nationalismus und Körner ist ein völkisch denkender und gewaltverherrlichender nationalistischer Barde der Volksgemeinschaft. Ihre Ablehnung der Aufklärung, ihr Antisemitismus und die germanophilen Konstrukte waren integraler Bestandteil ihres Werkes und Wirkens…“. Zitiert aus unserem Flugblatt vom November 2015 für besagte symbolische Umbenennungsaktion und für eine Einladung zu einer Diskussion mit Dr. Martin Blumentritt im Café Kurbad Jungborn. Beides hat am 3. Dezember 2015 stattgefunden.

Statt mit ehrenden Straßenbenennungen den aus unserer Sicht „Falschen“ zu gedenken, wollten wir zweierlei an diesem kühlen Herbst-Abend erreichen: Zum einen wollten wir mit dieser Aktion statt der oben erwähnten Herrschaften „… mit Moses Hess, Saul Ascher, Rudolf Hallo und Israel Jacobsohn vier Vertreter des kosmopolitischen Denkens in Erinnerung rufen, die im weitesten Sinne der hier problematisierten Tradition entgegenstehen. Saul Ashers Schriften wurden von den Anhängern Jahns auf dem Wartburgfest dem Feuer übergeben. Alle vier setzten sich für die Emanzipation der Juden ein, agitierten gegen Antisemitismus und Deutschtümelei und kämpften für die Teilhabe der Juden an der deutschen Gesellschaft…“. Auch das ist wieder ein Zitat aus dem Flugblatt vom November 2015. Zum anderen wollten wir in die zu diesem Zeitpunkt virulente Debatte um eine Umbenennung der Karl Branner Brücke eingreifen und auch dafür einen gut begründeten Vorschlag unterbreiten.

Während die Veranstaltung am Abend des 3. Dezember im Café Jungborn erfolgreich und recht gut besucht war, haben wir mit der symbolischen Straßen-Umbenennung eher eine Bauchlandung hingelegt. Sie war ja vielleicht geistreich, aber auf jeden Fall nicht gut genug vorbereitet. Zwar gut begründet, aber dilettantisch insofern, als wir vergaßen, die Aktion beim zuständigen Amt der Stadt Kassel korrekt anzumelden.

Wie die beigefügten, die „glorreiche“ Aktion dokumentierenden Fotos belegen, haben wir durchaus den einen oder anderen Straßennamen resp. das entsprechende Schild erfolgreich mit den von uns kreativ angefertigten provisorischen „neuen“ Straßennamen überhängt – dann jedoch machten zwei freundliche Polizisten der Aktion ein Ende. Herbeigerufen offensichtlich von irritierten BewohnerInnen der Unterneustadt ob des seltsamen Treibens im Blücherviertel… Und bevor wir unser Werk vollenden konnten, waren wir auch schon wieder auf dem Rückweg, d.h. die schon überhängten Straßenschilder mussten wir gleich wieder von den neuen, wohlklingenden Namen befreien!

Die Kollegen von der Polizei, sicher auch weil wir uns einsichtig und zurückhaltend zeigten, sahen von einer Anzeige ab.

Nun hat sich unsere Aktion zwar nicht in die Annalen der Unterneustadt eingegraben, aber es hat sich dennoch etwas bewegt: Die neue Unterneustadtbrücke verliert den Namen des nationalsozialistisch belasteten (dennoch sehr beliebten) ehemaligen Oberbürgermeisters, Karl Branner, auch wenn der Anlass das Gegenteil von erfreulich ist und – wie oben schon beschrieben – die Arndtstraße wird zur Arndtstraße. Klingt als Überschrift in der Zeitung und als Betreff in diesem Brief irritierend, ist aber erfreulich und überaus begrüßenswert.

Ich möchte zum Schluss noch auf zwei Artikel resp. Links in unserem Blog zum Thema Vormärz verweisen, die das Thema etwas gründlicher behandeln. Ich habe daraus ja schon zitiert. Dazu die beiden Links am Ende des Briefes. Außerdem einen weiteren Link zu unserem damaligen Flugblatt. Sowie abschließend das eine oder andere Foto zur Dokumentation.

Ansonsten möchten wir Sie alle, die für diese bedeutsame Umbenennung gestimmt haben, darin bekräftigen, dieses Ansinnen, die Namen berühmter Antisemiten durch verdiente Jüdinnen und Juden zu ersetzen, konsequent weiter zu verfolgen. Vielleicht ist es Ihnen ja möglich, mein Schreiben an die anderen Mitglieder des Unterneustädter Ortsbeirats weiter zu geben?

Vielen Dank dafür im Voraus.

Es bleibt noch viel zu tun in Sachen Straßenumbenennungen in Kassel…

E. Jochum
Für das Bündnis gegen Antisemitismus

Die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge – Oder die unvollständige Debatte um Straßennamen in Kassel
Antisemiten als Namensgeber Kasseler Straßen
https://bgakasselblog.files.wordpress.com/2014/06/an-die-bewohnerinnen-des-blc3bccherviertels-okt-15-c3a4nd-12.pdf