So weit die „grüne Rolle vorwärts“ in der Stadtentwicklung auch noch entfernt scheint, so nötig ist sie!
Alle reden vom Klimawandel, weil er für die Städte und seine Bewohnerinnen enorme Belastungen mit sich bringen wird. Und natürlich wird viel darüber gesprochen, wie man dem begegnen kann. Die meisten Fachleute und Stadtplaner wissen längst, was angesagt ist: Eine massive Nach-Begrünung in den Stadtzentren! Aber alle reden auch und gleichzeitig von Innenentwicklung und Nachverdichtung, weil nur so der Flächenraubbau an den Rändern der Städte gebremst werden kann. Da beide Ziele grundsätzlich richtig sind – auch wenn es den Artikel sprengte, hier zu sehr ins Detail zu gehen – so gibt es jedoch, wenn bei der Realisierung beider Zielkomplexe nicht klug, gekonnt und rasch gehandelt wird, relevante negative Überschneidungspotentiale mit möglicherweise unerwünschten Nebenwirkungen…
Die massive (Nach-)Begrünung der Stadt mit Baumpflanzungen, mit der Erhaltung und Ausweitung von Grünanlagen, mit massiver Begrünung von Fassaden und Dächern möglichst vieler Häuser und Nebengebäude, mit Entsiegelungen, mit der Rückhaltung von Regenwasser und der Integration von offenen Wasserflächen in die privaten und öffentlichen Freiräume… Damit wird verstärkt Verdunstungskälte produziert, Staub und Schadstoffe gebunden, die Luftqualität verbessert und vor allem: Die Temperatur effektiv gesenkt. Nichts von diesen Maßnahmen ist irgendwie geheimnisvoll, nichts davon ist technisch besonders kompliziert oder gar unlösbar. Positive Erfahrungen liegen zur Genüge vor, weltweit. Was bisher, auch wenn der Klimawandel und innerstätische Temperaturbelastungen nicht ganz so neu sind, wie dauernd getan wird, sträflich unterlassen wurde – sei es aus Ignoranz, Geldknappheit oder falscher Schwerpunktsetzung – muss nun rasch und ernsthaft auf- und nachgeholt werden. Ich bezeichne das, was sich da als gigantische Herausforderung vor den Städten unserer Klimazone regelrecht auftürmt, als eine „große, grüne Rolle vorwärts“ in der Stadtentwicklung. Ohne diese „Rolle vorwärts“ wird es ungemütlich werden in den Städten. Darüber dürfen die als meistens positiv empfundenen Trends des Südens – langes und gemütliches im Freien Sitzen bis in die Nacht und den Spätherbst hinein, das Feiern und Genießen an Straßen und auf Plätzen – nicht hinwegtäuschen.
So wie es keine Kunst ist, bewaldete Häuser zu bauen, so sind auch alle die anderen oben skizzierten Begrünungsaufgaben relativ leicht umzusetzen. Was die Maßnahmen im öffentlichen Bereich angeht, haben die Kommunen freie Hand und könnten längst optimierend in diese Richtung handeln. Die Maßnahmen jedoch an und um die privaten Häuser herum sind planungsrechtlich komplizierter, weil Eigentum heilig ist und kein Kommunalpolitiker gern zu Zwangsmaßnahmen greift. Ein weites, nicht unkompliziertes Feld, das aber beackert werden muss. Denn ohne begrünend in den Bestand der Gebäude einzugreifen und zwar massiv, wird das genannte und anzustrebende Ziel zur Verbesserung des Stadt-, des urbanen Mikroklimas nicht zu haben sein. Und natürlich auch nicht ohne massive Förderung durch EU, Bund und Land… Vor allem aber müssen die jetzt schon vorhandenen planungsrechtlichen Instrumente des Baugesetzbuches geschärft und kreativ eingesetzt werden. Bei Neubau und im vorhandenen Bestand gleichermaßen. Zu den Erfolgsaussichten: Wo der Wille sich mit Kreativität, gestützt durch positive Beispiele, vereinen, werden die notwendigen Veränderungen auch durchzusetzen und zu realisieren sein.
Auch wenn das Haus nicht in der hochverdichteten urbanen Problemzone steht, also
eigentlich nicht so richtig passt: So ist es doch schon seit bald 30 Jahren rundherum
grün. Und grüne Dächer plus solare Stromproduktion sind kein Widerspruch!
Wer die Bilder bewaldeter Gebäude in verschiedenen, experimentierfreudigen Städten betrachtet – z.B. in Mailand, Paris oder Singapur – sieht, was geht. Dass sich ein technisch hochentwickeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland demgegenüber erlaubt, Jahr für Jahr viele weitere Hundertausend Quadratmeter an eingeschossiger Gewerbebauten in Stadt und Land zu genehmigen, fragt sich, warum dem niemand Einhalt gebietet. Derartige monotone, nutzlose, sich im Sommer bis auf 80 Grad aufheizende Flächen müssen verboten, d.h. dürfen nicht weiter genehmigt werden. Sie müssen wie die schon vorhandenen Flachdachgebäude – gewerblich und privat – nachträglich begrünt und zusätzlich mit Solarpanelen belegt werden; womit wir aber bei einem ganz anderen Thema wären…
Das Flachdachdebakel ist nur ein Beispiel dafür, wie trotz aller Klarheit in Bezug auf den Klimatrend und den damit einhergehenden Problemen für die Zukunft der Städte vollkommen falsch gehandelt wird bzw. wie erforderliche Gegenmaßnahmen unterbleiben. Begrünte Dächer sind schon lange vor der Zeitenwende erfolgreich realisiert worden, wie die sagenhaften Gärten der Semiramis belegen.
Und wer schon einmal im Lafayette, mitten in Paris, von den dort an den Fassaden angebauten Erdbeeren gegessen hat – im Moment jedoch noch mit einem gewissen Aufpreis – weiß oder ahnt, ganz im Sinne des Werbespruchs von Toyota, was in Bezug auf eine urbane Begrünungsoffensive alles möglich sein könnte…
Bevor aber der Jubel über die leicht schaffbare, grüne Stadt ausbricht, müssen wir noch mal zurück zum Ausgangspunkt. Denn: Wir brauchen diese kreativ und ideenreich nachbegrünte Stadt zeitlich und räumlich zeitgleich und zusammen mit einer baulichen Großoffensive zur Innenentwicklung und Nachverdichtung unserer Städte, um die unkontrollierte, weitere Ausdehnung der Städte an ihren Rändern angesichts des weiteren Zuzugs von immer mehr Menschen vom Land in die Stadt erfolgreich bewältigen zu können. Vor allem aber auch deshalb, weil der ärmere Teil unserer Gesellschaft drastisch unterversorgt ist mit günstigem, qualitätsvollem Wohnraum. Da man demographische Prozesse recht präzise prognostizieren kann, braucht über den Tatbestand des Zuzugs und damit des weiteren Wachstums der Städte (trotz der Abnahme der Gesamtbevölkerung) nicht streiten. Dieser Trend ist allseitig anerkannt. Wir haben es also mit einer doppelten urbanen Herausforderung zu tun: Einem zunehmenden Klima- und Temperaturstress bei zeitgleicher Zunahme der Bevölkerung, was einen mehr oder weniger starken Bauboom nach sich ziehen wird. Wie er im Übrigen überdeutlich und teils dramatisch in den Großstädten der Bundesrepublik bereits seit einigen Jahren stattfindet.
Genau deshalb wird, seit Jahren, landauf, landab die Innenentwicklung gepredigt (wie auch von mir), weil Innenentwicklung und Nachverdichtung die beste Lösung dafür ist, den Zuwachs an Wohnungen und Infrastruktureinrichtungen in den Städten ökologisch und nachhaltig zu bewältigen. Diese Erkenntnisse haben sich in Gesetzen, Förderungsmodalitäten etc. längst niedergeschlagen. Sie sind und bleiben, aus vielerlei Gründen, gut und sinnvoll. Das Ausufern der Städte an den Rändern, das Versiegeln wertvoller landwirtschaftlicher Nutzfläche ist – wie hier bei uns gerade das aktuelle Negativ-Beispiel Vellmar Nord zeigt – eine Sackgasse. Das Gegenteil von einer Lösung.
Ganz so leicht wie die Begrünungsoffensive wird sich eine konsequente Innenentwicklung und Nachverdichtung allerdings nicht verwirklichen lassen. Neben den schon erkannten Potentialen für Wohnungsbau über Einkaufsmärkten aller Art muss auch über die Aufstockung und den Bau deutlich höherer Gebäude nachgedacht werden. Nur so wird sich die Quadratur des Kreises – Intensivierung der Begrünung in Fläche und Vertikale und Platz für weiteren notwendigen Wohnungsbau erreichen lassen.
Kassel ist schon heute eine relativ grüne Stadt. Sie ist gesegnet mit einem waldreichen Umland und zwei überaus bedeutsamen Parkanlagen: dem Bergpark Wilhelmshöhe und der Karls- und der Fuldaaue. Sie hat darüber hinaus einen grünen Stadtbaurat und eine aufgeweckte und interessierte Bürgerschaft. Eine Wende, eine Offensive, eine „grüne Rolle vorwärts“ wie beschrieben scheint also durchaus möglich. Mit Klimakarten allein, die zeigen wie warm es demnächst in Kassel werden wird, lassen sich jedoch keine Erfolge erzielen. Da müssten Sie schon, Herr Stadtbaurat Nolda, noch eine Schippe drauflegen. Und vor allem: Sie müssten die Initiative ergreifen und für diesen Prozess die Richtung vorgeben. Die Impulse zu dem, war ihre ureigenste Aufgabe wäre, werden vermutlich nicht von der SPD kommen, die ja noch nicht einmal den Anflug von einer Wende zu einem fahrradfreundlichem Kassel hinbekommt.