Schlagwortarchiv für: 07. Juli 2014

Was auffällt bei den im Vorfeld lautgewordenen Debatten um den Verkehrsentwickungsplan (VEP) ist ausgesprochen kasselspezifisch. Kaum werden erste vorsichtige Ziele bekannt, überbieten sich SPD und CDU schon in Verhinderungspolitik und Denkverboten. Die einen, weil sie das Trauma ihres politischen Absturzes von 1993 bis heute nicht verkraftet haben, die anderen, weil sie sich anscheinend einer ewig gestrigen, allein dem Auto zugewandten Mobilitätspolitik verpflichtet fühlen. So aber wird es nichts werden mit Schritten in die richtige Richtung, mit einem Aufbruch zu einem wirklichen Wandel in Sachen Verkehrspolitik. Nimmt man den VEP zur Hand und kämpft sich durch die ganzen Zahlen und Pläne, fällt auf: Es fehlt so was wie ein Oberziel, eine Vision: „Kassel – eine lebens- und liebenswerte Stadt mit umweltfreundlicher Mobilität“ oder so etwas. Aber warum sollen wir uns hier in Kassel nicht an Städten wie Kopenhagen oder Münster orientieren, die Wege beschreiten, die hier in Kassel bislang noch wie von einem anderen Planeten erscheinen? Der Bestandserhebung ist wenig hinzuzufügen. Das Zahlenwerk bestätigt, dass Kassel im Verhältnis zu vielen anderen Städten hinterherhinkt, und das nicht nur im Vergleich mit den Top Ten der fahrrad- und umweltfreundlichsten Städte Europas. In Kassel liegt der Anteil des Autoverkehrs bei 43,4 %, der erst 2030 unter 38 % betragen soll. Das ein Wert, der weit über dem vieler anderer deutscher und europäischer Städte liegt. Die Vergleichszahlen für Münster und Kopenhagen liegen heute schon bei 36,3 % bzw. 29 %. Bis dahin hat Kassel wahrlich noch einen weiten Weg vor sich. Schon diese wenigen Zahlen machen klar, wo die Ursachen für die vielen Missstände in Kassel liegen: In der Dominanz und Schwerpunktsetzung auf das Auto. Und so darf es nicht verwundern, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Lärm- und Luftschadstoffe in Kassel andauernd und immer wieder überschritten werden. Die Folge davon sind höhere Krankheits- und Sterberaten, insbesondere bei den Menschen, die an den stark autobelasteten Hauptverkehrsstraßen wohnen.

Die gesetzlichen Vorgaben und Möglichkeiten – wirksame Luftreinhaltepläne zu beschließen und umzusetzen – werden nicht beachtet und genutzt. Es wird nichts oder kaum etwas dafür getan, dass attraktive Jobticket-Lösungen angewendet, geschweige denn zum verbindlichen Maßstab für die ganze Stadt gemacht werden. Es gibt in Kassel viele Straßen, Kreuzungen, Kreisel und andere Verkehrssituationen, die für RadfahrerInnen und Fußgänger, zumindest aber für ungeübte oder ängstliche, schwer zu überwindende Barrieren darstellen. Die Voraussetzungen und die grundlegende Infrastruktur für einen verbesserten Fuß- und Radverkehr fehlen weitgehend bzw. sind ungenügend. Insgesamt sind Tendenzen zu einer dauerhaft hohen Belastung beim Mikroklima zu erkennen, die durch den überregionalen bzw. globalen Klimawandel noch verschärft werden. Zieht man dann noch die vom Zweckverband Raum Kassel (ZRK) prognostizierten zunehmenden Flächenversiegelungen für Wohn- und Gewerbeflächen in Betracht, wird sich die Klimasituation und die damit in Verbindung stehenden Belastungen noch verschärfen. An vielen Punkten der Kasseler Verkehrs- und Stadtentwicklungsplanung zeichnen sich falsche Tendenzen ab, die mit dem Thema VEP direkt oder indirekt zu tun haben und negative Trends noch verstärken: So werden immer wieder Neubauprojekte durchgewunken, die Tiefgaragenplätzen an vom ÖPNV optimal erschlossenen Standorten (Hallenbad Mitte, Wintershall Königstor, Studiwohnheim Reitstall etc.) enthalten. Autokreuzungen werden ausgebaut und in ihrer Leistungskapazität gesteigert, obwohl die Regiotram parallel dazu mit hohem finanziellem Aufwand neu ausgebaut worden ist. Und wie die aktuelle Debatte um die Brücke über den großen Kreisel zeigt, ist die Denkweise hier in Kassel immer noch die alte: Optimierung des Individualverkehrs, Vorrang und Privilegien für die Autofahrer – koste es was es wolle. Auch die Genehmigung weiterer neuer Einzelhandelsstandorte und Kapazitätserweiterungen in städtebaulich nicht integrierten Lagen (sogar mit Rechtsbeugung wie beim DEZ), Netto Endstation Holländische Straße, Netto Waldau, Edeka Rothenditmold, Reitermarkt Lohfeldener Rüssel etc. zeigen, dass es noch längst nicht begonnen hat mit dieser Entwicklung, die der neue VEP wohl gerne anstoßen möchte. Aber auch die fast blindwütige Konzentration auf den Bau von flächenfressenden Einfamilien- und Reihenhäusern, statt auf Konversion, Baulückenschließung – also Innenentwicklung – zu setzen, trägt mit zur Verschärfung der zugespitzten Situation bei.

Bevor es in die politische Grundsatz-, Detail – und Fachdebatte geht, hier vorab einige unserer Kernforderungen an die Planung und den Diskussions- und Abstimmungsprozess: Die Luft- und Abgasbelastung darf durch keine der geplanten Maßnahmen weiter gesteigert werden! Jedes Jahr muss mindestens eine der großen Kreuzungen fahrrad- und fußgängerfreundlich umgebaut werden! Jedes Jahr müssen mindestens 100 neue (zusätzliche) Straßenbäume gepflanzt und abgängige ersetzt werden. Jedes 3. Jahr muss der Autoanteil am Gesamtverkehr um 2 % gesenkt werden. Die Holländische Straße muss Tempo 30 Zone werden. Außerdem muss sie zur Allee umgebaut werden! Direkte Anbindung des ÖPNV an die Hochschule innerhalb der nächsten 5 Jahre! Es darf keine weitere Nettoversieglung erfolgen, die Durchlüftung – insbesondere der Innenstadt und der anderen hochverdichteten Bereiche – muss durch die gezielte Reduzierung von Hemmnissen verbessert werden. Das Gleiche gilt für die Überwärmungssituation, die mit geeigneten Maß nahmen wie z.B. Entsiegelung (Innenhöfe und Stadtplätze….), Dach- und Fassadenbegrünung, bekämpft werden muss. Zum Schluss noch ein grundsätzlicher Hinweis zum Planwerk: Damit der Plan nicht, wie viele seiner Vorgänger (der direkte Vorgänger hieß GVP und hat schon bald nach seiner Veröffentlichung niemanden mehr interessiert) in der Schublade verschwindet, fordern wir die Auflistung überprüfbarer Teilziele, die in bestimmten Zeitabständen zu erreichen sind und eine grobe Kosten-Nutzen-Analyse wesentlicher Einzelmaßnahmen. Bei Nichterreichung solcher Ziele muss verpflichtend nachgesteuert werden.

Geschrieben zusammen mit Jann Hellmuth

Am 22. Mai ist in der HNA zu lesen, dass das Grundstück des ehemaligen Stadtbades Mitte an einen Investor verkauft worden ist, der schnell ein Gebäude mit Büros für das Regierungspräsidium (RP) hochziehen will. Wo es über Jahrzehnte Schwimmsport und Schwimmspaß für alle gab, wird uns jetzt ein schlichter Bürobau vor die Nase gesetzt, so jedenfalls die HNA. In ihm soll es neben Bußgeld- und Beihilfestelle für den RP vielleicht auch noch ein bisschen Gastronomie geben und weit über hundert neue Tiefgaragenplätze, die dort mit Sicherheit nicht gebraucht werden. Um zu begreifen, was für eine Riesenchance hier vertan wird, muss man sich ein bisschen mit der jüngeren Stadtbaugeschichte befassen. Es muss daran erinnert werden, dass mit dieser Maßnahme ein von Dr. Barthel und der SPD lang geplanter Rückbau wichtiger kommunaler Einrichtungen – hier der Schwimmbäder – seinen vorläufigen Schlusspunkt findet. Das Ziel des Magistrats war und ist es bis heute, die Bäder (Stadtbad Mitte, Hallenbad Ost und die Freibäder) zuerst kaputt zu sparen, um sie dann zu schließen, abzureißen und die Grundstücke zu verkaufen. Was für eine Vernichtung kommunalen Vermögens! Mit dieser Politik steht der Magistrat voll im neoliberalen Trend. Dass ihm die Bürgerinitiativen – mit Unterstützung unserer kleinen, aber schlagkräftigen Fraktion – bei den Freibädern in Wilhelmshöhe und Harleshausen erst mal einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, wird ihn schmerzen. Ob es allerdings tatsächlich gelingt, die beiden Freibäder wirklich zu erhalten und langfristig zu retten, steht auf einem anderen Blatt. Unsere Kritik bleibt bestehen: Mit dem Stadtbad Mitte ist ein Hallenbad für alle – für Kinder, Schüler, Rentner, Berufstätige und alle anderen – von der richtigen Stelle im Zentrum der Stadt an einen Platz verlegt worden ist, der ökologisch bedenklich und verkehrlich alles andere als günstig ist. Die Zukunft wird uns vermutlich recht geben und zeigen, was diese Fehlentscheidung noch für Folgen hat. Zurück zum Artikel in der HNA: Dort wird berichtet, dass für den Investor nun eine Fläche zur Verfügung steht, die aus dem ehemaligen Areal des eigentlichen Hallenbades, dem dazugehörigen Parkplatz und dem anschließenden Grundstück der Ev. Diakonie besteht. Alles in allem ein hochattraktives Areal, ein absolutes Sahnestück!

Die Behauptung des Magistrats, hier sei nicht genug Platz für ein modernes Hallenbad, war immer eine glatte Lüge, ein plumper Täuschungsversuch. Denn aufgrund der guten Kontakte zur Ev. Diakonie wussten alle Beteiligten genau, dass es durchaus Bereitschaft zur Aufgabe des besagten Gebäudes zugunsten eines neuen Hallenbades geben würde. Es war die Stadt, die SPD, die das nicht wollte. Auch neue Parkplätze wären für den Betrieb eines größeren Bades an dieser Stelle der Stadt nicht nötig gewesen, weil es hier genügend Kapazitäten gab und gibt und eine geradezu ideale Anbindung an den öffentlichen Verkehr existiert. Zu dieser Serie kommunalpolitischer Fehler, kommt mit einem langweiligen Büroklotz nun noch die Schwächung eines ohnehin nicht unbedingt florierenden Teils der Innenstadt hinzu. Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Und das alles – man traut seinen Ohren nicht – aus Zeitnot! Was für ein lächerliches, blamables Argument. Die HNA zitiert das Ganze so, als hätte „das schnelle Interesse des RP an einem Einzug in das Gebäude“ das Planungsamt unter Zeitdruck gesetzt. Aber genau dieses Amt hat selbst den Auftrag für ein Gutachten zu einer Bebauung eben dieses Areals vergeben! Und dieses Gutachten enthält, das macht die Sache noch pikanter, ausgesprochen interessante Details. Vor allem weist es darauf hin, dass auf dem Areal des Stadtbades Mitte nur ein gelungener Mix aus verschiedenen Nutzungen, also eine Mischung aus Büros, Dienstleistungen, Geschäften und – vor allem – Wohnen in Frage kommt. Das Gutachten stammt, man höre und staune, vom Januar 2011! Und jetzt, 3 ½ Jahre später, springt urplötzlich der RP aus dem Gebüsch des Lutherplatzes, so dass angeblich keine Zeit mehr bleibt, etwas „Ordentliches“ aus der Wiederbebauung an dieser bedeutsamen Stelle der Stadt zu machen! Ein Witz, aber ein schlechter. So läuft das leider schon seit Jahren. Hochkarätige Chancen werden aus vermeintlicher, vorgeschobener oder selbstverschuldeter Zeitnot verspielt, verjuxt, vertan. Statt „Zeitnot“ kann man auch das Adjektiv „alternativlos“ einsetzen. Nachdem der Abriss des Stadtbades Mitte ja schon als alternativlos gehandelt wurde, ist es jetzt anscheinend der hektische Verkauf an einen Investor. Alles alternativlos natürlich.

So ähnlich lief es auch beim „Steuerbzw. Finanzamt-Bunker“ am Altmarkt, wo ebenfalls das Land Hessen der Partner der Stadt war. Und das, obwohl es seitens des Landes bzw. des damals zuständigen Ministers im Vorfeld durchaus Versprechungen und Zusagen gab, auf die Stadtgeschichte Rücksicht zu nehmen, einen Architektenwettbewerb durchzuführen und vor allem auf die Mischung der Nutzungen zu achten! Nichts davon hat das Land – am Ende dann auch auf das dämliche Zeitargument pochend – eingehalten und realisiert. Ein holländischer Baukonzern hat schließlich den hurtig durchgeführten Investorenwettbewerb gewonnen (da ging‘s in erster Linie um die Höhe der Miete!!), das Grundstück gekauft und es für 30 Jahre an das Finanzministerium – kostensparend, versteht sich – vermietet. Sichere und langfristige Einnahmen für den Konzern sind gewährleistet. Die Stadtspitze jedoch, die mit dem Bebauungsplan, der funktioniert wie ein kommunales Gesetz und ohne den das Land an dieser Stelle gar nicht so hätte bauen können, macht gute Miene zum bösen Spiel und verzichtet gänzlich darauf, eigene qualitative, städtische Interessen einzubringen. Ob aus Inkompetenz, Interesselosigkeit oder Verhandlungsschwäche: jedenfalls wird der Hebel des Baurechts nicht genutzt und die Stadt dringt nicht auf die Einhaltung der Zusagen der Landesregierung. Stattdessen wird der Bebauungsplan brav und im Eilverfahren durchgepaukt. Und so wurde am Altmarkt – wie vielleicht bald am Lutherplatz – mal wieder eine Großchance vertan. Nun steht der Klotz ab 17 Uhr dunkel, leer und abweisend am Fuldaufer, weil alle Bediensteten, von den Reinigungskräften abgesehen, das Weite gesucht haben. Alle Fachleute und alle klugen Kommunalpolitiker, die mit Städtebau zu tun haben, wissen, dass solche Gebäude, derartige monofunktional genutzten Bürokomplexe, von gestern sind. Wir fragen den Magistrat ganz ernsthaft:

• Wie kommt’s, dass nun am Lutherplatz, an dieser im Vergleich mit dem Altmarkt vielleicht sogar noch sensibleren Stelle im Stadtgefüge, die Fehler vom Altmarkt wiederholt werden?
• Wie kommt‘s, dass hier die Schlichtheit in der äußeren Form und die Phantasielosigkeit in Bezug auf den Nutzungsmix derart triumphieren können?

Zwei komplizierte Fragen, eine klare Antwort: Dafür trägt allein der Magistrat die Verantwortung. Denn seit Jahren überlässt er wichtige Bereiche des Städtebaus und der Stadtentwicklung einem dilettierenden Laien, dessen Horizont das Spardiktat, das Kaputtsparen ist. Und das geht zu Lasten der Lebensqualität in der Stadt. Am 11. Juni hat dann die Bau- und Planungskommission in einer eilig anberaumten Sondersitzung beschlossen, das Grundstück des ehemaligen Stadtbades Mitte für den Bau dieses „schlichten“ Bürokomplexes hastig zu verscherbeln. Für einen Mehrpreis von – wie da und dort gemunkelt wird – einer Million Euro, ging das Sahnestückchen an den meistbietenden Investor über den Tisch. Wenn sich die Profis der für solche Fragen zuständigen Bau- und Planungskommission vom Magistrat ins Bockshorn jagen lassen und auf das an dieser Stelle im Stadtgefüge unabdingbar Notwendige – nämlich Qualität, Nutzungsmischung und Spitzenarchitektur – ganz ohne Zeitnot verzichten, sind auch sie mitverantwortlich dafür, dass falsche Rechnungen aufgemacht werden. Und dann muss man sich nicht wundern, wenn wieder nur Schlichtes, Unprofessionelles zum Zuge kommt. Mehr ist offensichtlich nicht drin, mehr lässt dieser Magistrat nicht zu. Es erinnert sich anscheinend auch niemand mehr an den von der SPD geholten (und von der CDU unter Lewandowski verjagten) Ex-Stadtbaurat Hellweg, der immer wieder erklärte: „Guter Städtebau“ rechnet sich“! Womit er recht hat. Aber um das zu begreifen, muss man halt mehr können als die Kasseneinnahmen am Jahresende zusammen zu zählen. Für städtebauliche Berechnungen müssen hochkomplexe Zusammenhänge, langfristige soziale Auswirkungen und weit in die Zukunft reichende Potentiale erkannt, berechnet und einkalkuliert werden. Dafür – mit Verlaub – braucht es mehr als stadtbuchhalterisches Können und Wissen.

Wenn der Magistrat – mit seinen beiden Vorturnern an der Spitze – am Ende dieser Posse glaubt, dass er mit dieser Million Mehreinnahmen (wenn es denn überhaupt stimmt) einen Sieg errungen hat und großartig was erreicht hat: dann er irrt er sich. Wer den Bock zum Gärtner bzw. den Kämmerer zum Stadtentwicklungsplaner macht, wird sich am Ende weder über blühende Gärten noch über eine sich finanziell tragende und prosperierende Stadt freuen können!