Schlagwortarchiv für: 08. November 2015

Nach der Wiedereröffnung der Altmarktkreuzung erscheint Ende September in der HNA ein entlarvender Artikel. Unter dem Hinweis auf die hohen Kosten (4,2 Mio. Euro) checkt die HNA die Wartezeiten an den Ampeln für die PKW’s und vergleicht akribisch, wie die Wartezeiten an den Ampeln für die verschiedenen Geradeausbeziehungen bzw. die Links- und Rechtsabbieger nach dem Umbau genau aussehen: vor dem Umbau, in der Prognose und nach dem Umbau. Unterm Strich: die vermuteten Verschlechterungen für die Autofahrer sind nicht eingetreten. Es gibt im Gegenteil teils deutliche Verbesserungen, so z.B. für die Linksabbieger von der Weserstraße zur Fuldabrücke und von der Fuldabrücke in die Brüderstraße. Die Tatsache, dass nun – nach dem dringend erforderlichen und längst überfälligen Umbau – behinderte Menschen ungehindert das Finanzamt erreichen können, dass sich Radfahrer und Fußgänger den Gang über die Treppen schenken können und dass nun allen Nutzern des öffentlichen Verkehrs verbesserte Angebote zu Verfügung stehen: Für all das hat die HNA nur wenige Zeilen, nur einige Buchstaben übrig. Eine plumpere Parteinahme für die Mobilitätsform, die den Städten und ihren BewohnerInnen die Luft zum Atmen nimmt, Verkehrstote und –verletzte in rauen Mengen produziert und Kommunen wegen der Aufwendungen fürs Auto an den Rand des Ruins bringt, kann man sich nicht vorstellen! Aber die HNA, wie sollte es auch anders sein, geht mit der Zeit! Diese Form ungeschminkter Interessenvertretung für das Auto ist dennoch peinlich. Aber in Zeiten, wo das Kartell aus Autokonzernen, Lobbyisten und Politik ob des VW AbgasSkandals nur noch in Unterhosen dasteht, passt die Parteinahme der HNA gut ins Bild. Gut passt aber auch das alte Zitat von Karl Marx im „Kapital, Bd. 1“, wo er einen englischen Gewerkschaftsführer zitiert: „….mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es
wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens….“

Und wie Recht er hat: Statt in Abgastechnologie zu investieren, werden mit Rückdeckung der Politik und geballter Macht der Lobbyisten Autokonzernbilanzen optimiert. Wenn’s brennt, schlägt die Kanzlerin höchstpersönlich in Brüssel auf und unterbindet schärfere Abgasgesetze. Und niemand traut sich, ihr zu widersprechen! Aber genau dafür sind sie ja da, die Damen und Herren in Berlin, Wiesbaden und anderswo. Dass es nun gerade und ausgerechnet US- amerikanische Behörden waren, die die VW-Schweinerein aufgedeckt haben (und weiter aufdecken), muss weh tun. Wo doch keine Gelegenheit ausgelassen wird, die USA umweltpolitisch an den Pranger zu stellen. Das wird den deutschen Saubermännern in Industrie, Wirtschaft und Politik richtig weh tun!? Hoffentlich.

Was haben wir nicht alles zu lesen bekommen und gehört, über den Wunderinvestor, die BHB Bauwert Holding aus Süddeutschland, mit ihren 500 zauberhaften, hochpreisigen Wohnungen mitten in Bettenhausen? Salzmann für immer und ewig gerettet, war noch das Bescheidenste. Und nun? Schweigen im Wald, Kopf im Sand! Und wie sieht es mit den Perspektiven aus: Fehlanzeige! So ist es leider allzu oft: vorschnelles konzeptionsloses Handeln endet in Schweigen oder Schuldzuweisungen. Selbstkritik: ebenfalls Fehlanzeige. Bevor wir durchstarten und die Finger in alte Wunden legen, bevor wir nochmal wiederholen, was am hochgelobten letzten Konzept von Stadt und BHB unzureichend war und was die Stadt jetzt unter allen Umständen sofort umsetzten muss: erst mal ein kurzer Blick zurück. Gänzlich Bodenkontakt verlierend, steuert Hilgen – unter dem Motto, dass große Projekte grundsätzlich Chefsache sind – bei Salzmann auf eine Multifunktionshalle zu. Natürlich verstehen wir in gewisser Weise, wenn jemand mit hochfliegenden Plänen für eine Multifunktionshalle auf den Giesewiesen grandios gescheitert ist (weil er sich über den Tisch hat ziehen lassen), dass er neue Pläne schmiedet und sich andernorts damit Erfolg verspricht!

Aber Salzmann war genau so wenig für eine Multifunktionshalle geeignet wie die Giesewiesen. Aber statt dann Nachdenken auf die Agenda zu setzen und zu analysieren, was zuletzt alles schief lief bei und mit dem Multifunktionshallen-Traum, kam sofort der nächste Hüftschuss: Das Technische Rathaus sollte in den Osten zu Salzmann, statt ins Zentrum. Aber auch das scheiterte kläglich, wie alle mitbekamen. Wir wollen die Gründe, warum das im Ansatz schon Unsinn war, hier nicht aufwärmen. Aber einen leicht triumphierenden Unterton können wir uns nicht verkneifen: Warum hat man nicht auf unsere klugen Ratschläge gehört? Dank für den Rufer in der Wüste haben wir ohnehin nicht erwartet. Nun geben wir uns mit der Freude darüber zufrieden, dass aus der Schnapsidee nichts geworden ist. Weil mit einer solchen Serie von Fehlern und Scheitern keiner gern in anstehende Kommunalwahlen ziehen will, musste unbedingt was passieren. Und wie beim Losglück oder im griechischen Theater, taucht in letzter Sekunde noch ein kompetenter Investor auf, der bereit ist, Rossing das Salzmann-Areal abzukaufen unter der Maßgabe, dass ihm die Stadt Planungsrecht schafft für „schlappe“ 500 teure Wohnungen für Betuchte. Alle Kritik, von einer solchen monostrukturierten Wohnsiedlung für Gutverdienende abzusehen und für eine bessere Durchmischung mit geförderten Sozialwohnungen und mehr Gewerbe zu sorgen, verhallt ungehört. Am Ende – warum auch immer – springt der Investor ab. Völlig egal, welche der kolportierten Gründe am Ende stimmen: Kassel steht in Bezug auf sein bedeutendes Industriedenkmal mal wieder mit leeren Händen da und der Verfall schreitet unaufhaltsam voran! Hauptgrund: fortwährender Dilettantismus und Inkompetenz des Oberbürgermeisters. Was nun dringend nötig ist, sind sofortige Maßnahmen zur baulichen (Winter-) Sicherung des SalzmannGebäudes.

Gesetzliche Grundlagen dafür sind ausreichend vorhanden. Zum einen im Baugesetzbuch (BauGB), genauer in § 177. Dieser Paragraf regelt mit einer ganzen Fülle von Möglichkeiten das Eingreifen von Kommunen, um eine Modernisierung oder Instandsetzung auch gegen den Willen des Eigentümers durchzusetzen. Der Paragraf heißt nicht umsonst „Modernisierungsund Instandsetzungsgebot“! Zum anderen lassen sich in Fällen wie bei Salzmann Eingriffe von Kommunen auch nach § 12 Hessisches Denkmalschutzgesetz aus dem Jahr 1986 recht fertigen. Der Absatz 1 dieses Paragrafen lautet unmissverständlich: „Kommen Eigentümer, Besitzer oder sonstige Unterhaltungspflichtige ihren Verpflichtungen nach § 11 nicht nach und tritt hierdurch eine Gefährdung des Kulturdenkmals ein, können sie von den Denkmalschutzbehörden verpflichtet werden, erforderliche Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen.“ In Absatz 2 wird darüber hinaus deutlich drauf hingewiesen, dass Eigentümer solche Maßnahmen zu dulden haben und sich außerdem an den Kosten beteiligen müssen. Wie teuer es auch immer werden mag, um den weiteren Verfall des Gebäudes aufzuhalten und um langfristig zumindest die Option auf eine positive Lösung offen zu halten: Diese Kosten müssen jetzt von der Stadt Kassel aufgebracht werden. Später kann man sie dann vom Eigentümer wieder eintreiben; im letzten Schritt durch eine Zwangsversteigerung. Dann hätte Herr Rossing das Areal endlich los und die Stadt die erneute Chance, was draus zu machen. Anträge im obigen Sinne hat die Fraktion Kasseler Linke schon mehrfach gestellt und damit die parlamentarische Initiative ergriffen. Bislang jedoch ohne jeden Erfolg.

Jetzt allerdings, nachdem sich die BHB und Herr Birk recht unelegant vom Projekt zurückgezogen haben, besteht unmittelbarer Handlungsbedarf. Der Begriff von „5 vor 12“, auch wenn er abgenutzt klingt: Hier passt er. Wenn die Stadtoberen jetzt nicht sofort handeln, machen sie sich schuldig daran, dass das prägende, bedeutendste Kasseler Industriedenkmal verlorengeht. Aber Maßnahmen zum Erhalt und zum Schutz vor weiterem Verfall sind nur das eine: das andere ist, dass jetzt endlich ein schlüssiges Konzept von Seiten der Stadt für eine realistische Zukunft von Salzmann entwickelt werden muss. In die Arbeit daran sind u.a. die ehemaligen Kunst- und Kulturschaffenden der Salzmann-Initiative zu integrieren. Denn die Zukunft von Salzmann darf nun nicht mehr von Rossing und dessen Allüren (immer wieder neuen) abhängen oder davon, ob vielleicht gerade ein Investor beim OB an der Tür klopft. Es kommt vielmehr darauf, die vorhandenen Potentiale zu erkennen und ein tragfähiges Konzept darauf abzustimmen.

Herr Nolda: Ihr Part, Sie sind gefordert! Nehmen Sie das Projekt endlich in die Hand geben Sie die Richtung vor, in die die (städtebauliche und planerische) Reise in Sachen Salzmann nun gehen soll!