Weil politische Debakel – auf welcher politischen Ebene auch immer – oft und gleich personalisiert werden, reden jetzt viele über einen „untreuen“ Liberalen, der das Dreier-Bündnis aus SPD, Grünen und diesem einen freischwebenden Liberalen hat über die Klinge springen lassen. Was darüber so alles kolportiert und berichtet wird: Das meiste davon ist Unsinn, Kaffeesatzleserei und/oder überflüssig. Denn solche fruchtlosen Debatten über ein bestimmtes Abstimmungsverhalten führen weg vom eigentlichen Problem: Warum hat dieser Abgeordnete die Koalition verlassen und damit gegen zwei wichtige rot/grüne Projekte gestimmt bzw. eine Abstimmung darüber verhindert?
Der Grund, kurz zusammengefasst, ist der, dass bei diesen beiden bedeutenden städtebaulichen Projekten – Markthalle und documenta Institut auf dem Karlsplatz – wieder einmal weder professionelles Projektmanagement stattfand noch eine ausreichende, kohärente und transparente Kommunikation. Letzteres gilt für den parlamentarischen Bereich, d.h. die rechtzeitige und umfassende Information und Einbindung aller Fraktionen, wie auch für die jeweils betroffenen bzw. fach-interessierten Gruppierungen der Kasseler Bürgerschaft. Vieles bei diesen beiden bedeutenden Projekten erinnert sehr an die dilettantischen Versuche, in Kassel eine Multifunktionshalle (zuerst auf den Giesewiesen und dann bei Salzmann) zu bauen bzw. das Technische Rathaus aus dem Zentrum der Stadt weit ab davon in den Kasseler Osten zu verlagern. Beide Projekte sind, wie sich alle Interessierten bestimmt noch gut erinnern, kläglich gescheitert…
Wer nach dem schon früh und zu Recht in die Kritik geratenen Standort an der Universität, am verkehrsumtosten Holländischen Platz, nur noch einspurig und verengt auf den Karlplatz setzt und diesen dann mehr oder weniger gut begründet zum „Non Plus Ultra – Standort“ erklärt, ohne auf die fundierte Kritik z.B. vom AK Denkmalschutz und Stadtgestalt (Dr. C. Presche) einzugehen, verspielt vielleicht mal wieder Chancen, von denen man als Stadt nicht allzu viele geboten bekommt. Denn dass das documenta Institut eine Großchance ist, die zu nutzen für Kassel selbstverständlich und notwendig sein sollte, bestreitet niemand. Damit aber aus der Chance auch ein Plus für Kassel wird, muss der Standort in jeder Hinsicht geeignet sein und entsprechende Voraussetzungen besitzen. Und die hat der Karlsplatz für ein Gebäude der Dimension, die das documenta Institut haben muss, genau nicht. Denn wenn man über den Karlsplatz als potentiellen Standort spricht, gehört die Würdigung des kulturellen Erbes der hugenottischen Oberneustadt, also der kritische und sensible Umgang mit Stadtgeschichte, zwingend dazu. Sonst würde dieses Erbe, nachdem schon der Filmpalast für die Situation dort und vor allem die Karlskirche zu groß und nachgerade erdrückend geraten ist, erneut mit Füßen getreten. Wer die für das Institut in Rede stehenden 6500 Quadratmeter Bruttogeschossfläche mit dem vorhandenen Raumangebot auf dem Karlsplatz in Beziehung setzt, wird schnell feststellen: Das Gebäude erschlägt den kleinen Platz! Großzügige Förderung von Bund und Land machen ein gründliches Nachdenken über die Eignung eines Standorts nicht überflüssig. Und die wie so oft ins Feld geführte Zeitknappheit ist kein inhaltliches Argument…
Viel schlauer wäre es gewesen, für die Standortwahl einen komplexen und tiefgehenden nutzwertanalytischen Ansatz anzustoßen und parallel dazu eine transparente, öffentliche Debatte mit den Fraktionen im Parlament und interessierten Kreisen der Stadtgesellschaft zu führen, die entsprechende Interessen und Kenntnisse mitbringen. Als da sind: Stadtplaner und ihre Organisationen, der Bund Deutscher Architekten (BDA), der Fachbereich 06 der Universität (Architektur, Landschafts- und Stadtplanung) und andere mehr. Wäre dieser Dialog, entsprechend breit angelegt und mit der dafür notwendigen Zeit klug auf die Schiene gesetzt worden, wäre der Zug für die Realisierung des documenta Instituts auch nicht auf dem Abstellgleis gelandet – wo er sich nun ja gerade befindet. Und dann wäre man gar nicht auf dem Karlsplatz gelandet, der einen ganz anderen Gebäudetyp braucht: Einen mit Bezug auf den alten Grundriss der Oberneustadt, mit einer stimmigen, den Ort belebenden Nutzung und einer u.a. für die Karlskirche verträglichen Dimension… Für das documenta Institut stehen im Besitz des Landes oder der Stadt besser geeignete Standorte zur Verfügung: Zum einen im Bereich vom Ottoneum oder den RP-Parkplätze bzw. an der Torwache an der Wilhelmshöher Allee… Und nicht zuletzt gäbe es durchaus auch Umbau-Alternativen, also die Nutzung vorhandener Gebäude – wie z.B. das Polizeipräsidium im Königstor, das leer steht und ggf. geeignet sein könnte.
Im Übrigen und nur ganz am Rande: Das ewige und subtanzlose Argument der Ladenbetreiber, die Parkplätze seien zum ökonomischen Überleben unerlässlich, darf bei einer zukünftig mehr als wünschenswerten Bebauung des Karlsplatzes, keine Rolle spielen. Denn zum einen ist dieses Argument wissenschaftlich längst widerlegt (vom einen oder anderen Behindertenplatz mal abgesehen), zum anderen existieren diese Parkplätze nach einem immer noch gültigen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung aus den 80iger Jahren gar nicht mehr: Zu dieser Zeit ist mehrheitlich beschlossen worden, dass nach Vollendung des 2. Abschnitts der Tiefgarage unter dem Friedrichplatz die oberirdischen Stellplätze auf den Plätzen der Stadt abzubauen sind! Und dieser Abbau steht bis heute aus!
Beim Projekt Markthalle sieht es nicht viel besser aus: Ein für die Stadtgesellschaft derart prominentes, bedeutendes Projekt muss von der Vorbereitung der Ausschreibung bis hin zu den Kriterien für die Vergabe transparent und ergebnisoffen geführt werden. Dass da nur in 2 städtischen Gremien (Grundstücksausschuss und Grundstückskommission), ganz ohne fachliche Beratung, ohne Einbeziehung der heutigen Nutzer (der Marktbeschicker) und ohne Einbindung der Fraktionen ein Konzept mit derart weitgreifenden Veränderungen über Erbpacht für Jahrzehnte an eine Investorengruppe gehen soll, stößt bei vielen Menschen in Kassel auf Unverständnis und Kritik.
Fazit: Dass der Kasseler Magistrat ohne Mehrheit dasteht, ist nicht das Problem (*); das kann sich vielmehr bis zur Neuwahl 2021 durchaus noch als Vorteil erweisen. Das Problem vielmehr ist, dass es die sozialdemokratisch geführte Stadt mal wieder an Professionalität einerseits und Transparenz seiner Bürgerschaft gegenüber andererseits hat fehlen lassen. Die Fraktion der Kasseler Linken fordert deshalb zu Recht eine Transparenz-Wende!
* Keine Mehrheit zu haben, ist in parlamentarischen Demokratien kein Problem. Das müssen aktuell auch die Sozialdemokraten in Spanien neu lernen, die nun zusammen mit Podemos koalieren, aber eben ohne eine Mehrheit zu haben. Und gute Beispiele, wo das Regieren ohne bzw. mit immer neu zu schmiedenden Mehrheiten zu guten Ergebnissen führen kann, gibt es genug. Z.B. in Skandinavien. Ob das in Kassel klappt und vielleicht sogar zu positiven Ergebnissen führt, wird man bald sehen.