Was für eine Geschichte! Zum Weinen schön! Fast so rührend wie das Tellerwäscher-Märchen: Ein kleiner, dörflicher Kommunalpolitiker aus Ahnatal, diesem kleinen Weiler hinterm Wald, am Nordwestrand des Oberzentrums Kassel, wird zum Chef-Lobbyisten der Bayer AG, die just in 2018 Monsanto incl. Glyphosat-Geschäft geschluckt und sich damit zum größten Agro-Chemie-Konzern der Welt aufgeschwungen hat. Einfach phantastisch! Ob Matthias Berninger (MB) früher vielleicht tatsächlich mal grün angehaucht war, spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Nun wird sich also MB zukünftig statt um das zuckersüße Geschäft von Mars Incorporated um das des Chemiegiganten Bayer kümmern. Er wird also den EU Abgeordneten – auch den dortigen Grünen – auf die Pelle rücken und ihnen einreden wollen, wie gesund und gut Glyphosat für die Umwelt und die Bayer-Bilanz ist. Was er dann dort machen wird, hat also gar nichts mit Bayer Leverkusen und dem Fußball zu tun, er wird auch Rudi Völler nicht unter die Arme greifen, nein, er wird vielmehr und ausschließlich versuchen, den Aktionären des Chemiegiganten Bayer Glücksgefühle mit steigenden Aktienkursen zu verschaffen. Dafür brauchen solche großen Unternehmen heute tüchtige Lobbyisten. Das wissen wir alle nur zu gut. Das Insektensterben und die vielen bei der Anwendung von Glyphosat, Round up etc. inzwischen Erkrankten werden MB nicht aufhalten: So jemand wie MB lässt sich von gar nichts auf seinem Weg nach oben aufhalten.
Und so wie er 2006 bei seinem Ausstieg aus der hiesigen Politik als kleiner, grüner Überflieger – gefördert und protegiert von Joschka, dem Fischer – bei seinem Wechsel aus der bundesdeutschen Politik zu Mars Incorporated der HNA gegenüber meinte, „…meine Biografie ist glaubwürdig…“, genau so wird er auch jetzt wieder, das ist nur ein Frage der Zeit, verlautbaren lassen: „…auch mein Wechsel zur Bayer AG ist glaubwürdig und passt wunderbar zu meiner Biografie…“! Wir finden das auch, allerdings aus durchaus anderen Gründen!
Aber zuerst wollen wir uns noch mal den Sidestep vom Bundestagsabgeordneten und Staatssekretär für Verbraucherschutz in der Schröderregierung (unter der grünen Agrarministerin Künast) genauer ansehen. Für ihn, als grünem Realo, war (und ist) es kein Schatten auf der Biografie, wenn er quasi vom Verbraucherschützer zum Mars-Verkäufer in gehobener Position mutiert. Dass da eigentlich was faul ist und etwas eher nicht zu einer grünen Biografie passt, wird erst verständlich, wenn man erkennt, dass MB damit vom Verbraucherschützer zum Lobbyisten eines der größten Feinde guter Ernährung geworden ist: der Zuckerindustrie nämlich. Denn spätestens seit den frühen 60iger Jahren ist klar, dass man es bei und mit der US-Zuckerindustrie – die Zuckerindustrien in den anderen Teilen der Welt sind auch nicht besser – im Prinzip mit Verbrechern zu tun hat. Es soll hier nur daran erinnert werden, dass es die Sugar Research Foundation war, eine Vorläuferin des heutigen Industrie¬verbands der US-Zuckerindustrie, die wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse in den 1960iger Jahren über ernährungsbedingte Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im New England Journal of Medicine verdreht und regelrecht gefälscht hat. Sie hat damit erfolgreich von den Risiken des Zuckerkonsums abgelenkt. Das versucht sie bis heute.
Diese damals verlorene Schlacht – auf der einen Seite verantwortungsvolle und engagierte Wissenschaftler, auf der anderen eben diese überaus mächtige Zuckerindustrie – ist aber bis auf den heutigen Tag noch nicht endgültig entschieden. Aber nicht, weil es wissenschaftliche Unsicherheiten gäbe. Vielmehr ist ganz unstrittig, dass das, was die Überzuckerung vieler Lebensmittel anrichtet, nach wie vor ein gigantisches Problem der Welternährung darstellt. Weiter drauf einzugehen, sprengt hier aber den Rahmen. Dass die Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit Zucker in Nahrungsmitteln, mit den vielen Folgewirkungen wie stark zunehmender Adipositas, Herz-Kreislauferkrankungen etc. vor allem in den entwickelten Ländern noch voll am Laufen ist – mit Siegen und Niederlagen – sieht man an den aktuellen politischen Auseinandersetzungen, z.B. in Großbritannien, aber auch bei uns in Deutschland. In Großbritannien sind neue Gesetzte gegen den Zuckerkonsum und übersüßte Softdrinks verabschiedet worden, die zu Steuererhöhungen und Werbeverboten geführt haben. Das hat, ganz nebenbei, auch etwas mit dem positiven Einfluss des genialen britischen Spitzenkochs, Jamie Oliver, zu tun. Und bei uns läuft seit Langem eine Auseinandersetzung um Kennzeichnungspflichten bei Lebensmitteln, die auch mit der Zuckerproblematik zu tun haben und deshalb von der Zuckerindustrie massiv bekämpft werden. Im Moment sieht es nicht so aus, als wäre das CSU-geführte Ministerium bereit, der Zuckerindustrie das Fürchten beizubringen. Dort – wie auch im Verkehrsministerium des smarten Herrn Scheuer (da weiß man nie so genau, ob dessen Name vielleicht sogar von der Vokabel beSCHEUERt abgeleitet ist?) – haben es die Lobbyisten im Moment offenbar besonders leicht, wie die Dieseldebatte so überaus deutlich zeigt. Denn so wie einst Kanzler Schröder sich als Freund der Autobosse aufführte, so ist es heute Scheuer, der den Beschützer eben dieser Bosse mit so großer Überzeugungskraft gibt!
Zurück zum Zucker: Zucker ist und bleibt einer der „Hauptübeltäter“ in unserer Nahrung: Schädlich, dick und süchtig machend und am Ende die Gesundheitssysteme stark belastend! Und das Zwischenfazit: Wohl dem, der bei der Mars AG Chef-Lobbyist sein darf, einer der größten Monster-Zucker-Küchen des Planeten mit einer Produktpalette, die von den Zuckerbomben Amicelli, Balisto, Banjo, Bounty, Celebrations, Dove, M&M’s bis hin zu Maltesers, Mars, Milky Way, Snickers, Twix reicht. Wohl dem auch, der keinen Widerspruch empfindet beim Schritt vom Verbraucherschützer zu einem der machtvollsten Zucker- und Süßwarenverkäufer. Hochbezahlt natürlich und völlig mit sich im Reinen.
Nun aber kommt MB’s entscheidender Schritt: der von Mars zu Bayer. Hat MB vorher noch dazu beigetragen, dass Millionen von Kindern auf der ganzen Welt beim Essen und Naschen von Mars-Produkten wenigstens noch die zuckrige Schokolade wohlschmeckend auf der Zunge zergangen ist (die Folgen kommen ja meist erst viel später in Form von schlechten Zähnen, Gewichtszunahme und diversen Krankheiten), so zahlen die Käufer, Anwender und Lebensmittel-Konsumenten auf der ganzen Welt für den Einsatz bestimmter Bayer-Produkte (Glyphosat ist ja nur eins der Flaggschiffe) mehr oder weniger sofort: Mit einem inzwischen globalen Insektensterben, mit einer rasanten Abnahme der Artenvielfalt und der gleichzeitigen Zunahme vieler Krankheiten beim Menschen – bis hin zu Krebs. Natürlich gibt es Untersuchungen, die direkt von Monsanto und heute von Bayer beeinflusst sind und die immer noch das Gegenteil behaupten. Unabhängige Gutachter hingegen kommen sowohl in Bezug auf das Insektensterben als auch auf die Auslösung schwerer Krankheiten zu gänzlich anderen Ergebnissen. Dass wir es einem Agrarminister von der CSU zu verdanken haben, dass der Glyphosat-Einsatz in der EU 2018 noch einmal für 5 Jahre verlängert wurde (weil er sich nicht an den im Merkel’schen Kabinett verabredeten Abstimmungsmodus gehalten hat), sei hier nur nebenbei angemerkt. Ganz unabhängig davon laufen in den USA tausende Klagen und Prozesse gegen Monsanto resp. die Bayer AG, die dem Konzern noch teuer zu stehen kommen können. VW wird sich an die 25 Milliarden noch gut erinnern, die die Betrügereien dort gekostet haben. Auch bei Bayer könnte die US-Justiz noch große Löcher in die Bilanzen reißen.
All das wird den Ex-Grünen MB aber nicht beeindrucken, denn er wird sich nun das ganze Szenario durch die Bayer-AG-Brille anschauen. Und mit diesem völlig veränderten Blick wird er seinen erneuten Seitenwechsel damit rechtfertigen, dass es eben nicht um den einen oder anderen Erkrankten und Toten gehen könne und auch nicht um das (Aus-)Sterben bestimmter Tierarten, vielmehr um die Ernährung der steigenden Weltbevölkerung und deren Gesunderhaltung. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau dafür braucht es eben all das, was die wunderbare Produktpalette von Bayer so hergibt: Pharmazeutische Produkte für Mensch und Tier, genetisch modifizierte Saatgutproduktion (die vor allem in den Entwicklungsländern für große Probleme sorgt), Pflanzenschutz und Kundenservice für die globale Agrarwirtschaft. Der so geweitete, in Wirklichkeit jedoch verengte Blickwinkel, wird MB die Argumentationsbasis für die erneute Kompatibilität mit seiner einst grün eingefärbten Biografie liefern. Wer ihm und seinen Karrierebedürfnissen also gerecht werden will, muss ihm argumentativ folgen und ebenfalls den Planeten und die ganze Menschheit in den Blick nehmen. Vieles aber spricht dafür, dass Bayer und seine Aktionäre, zusammen mit vielen anderen Giganten einer entfesselten Marktwirtschaft, nicht die Probleme der Menschheit lösen wird, vielmehr Teil des Problems ist. Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sieht es so aus, dass Bayer und Co. die Hauptverantwortlichen dafür sind, dass der Planet in möglicherweise überschaubaren Zeithorizonten für uns unbewohnbar gemacht wird.
Die wohlklingenden Werbeslogans von Bayer „…die wachsende und zunehmend älter werdende Weltbevölkerung verlangt nach einer immer besseren medizinischen Versorgung und einer ausreichenden Ernährung. Bayer erhöht die Lebensqualität von Menschen durch die Vorbeugung, Linderung und Heilung von Krankheiten….“, die genau so klingen wie die verlogenen Werbeslogans von VW „…Unser Diesel ist clean…“ oder die seltsam ehrlichen von BMW „Gebaut, um den Atem zu rauben“, zeigen deutlich, dass Anspruch und Werbung dieser Konzerne mit den Folgewirkungen nichts zu tun haben. Bei Bayer ist das am Signifikantesten: Sie geben vor, im Dienste der Menschheit tätig zu sein, tragen aber in Wirklichkeit wesentlich mit dazu bei, dass deren Chancen auf dem Planeten Erde zu überleben, systematisch untergraben werden…
Wer das nicht sieht und statt dessen nur auf den eigenen Einfluss, die Karrierebeschleunigung und weiter steigende Bezüge achtet, muss sich überhaupt nicht darauf berufen, irgendwann mal vielleicht einen grünen Gedanken gehabt zu haben. Der Aufstieg vom Ahnataler Kommunalpolitiker zum Cheflobbyisten bei Bayer ist das konsequente Nutzen aller Möglichkeiten, die sich MB geboten haben. Eindeutig: Er hat keine sich ihm bietende Chance verpasst, schnell voran zu kommen…
Möglicherweise hat MB schon früh gewusst, dass er nicht in Nordhessen bleiben will. Allein die Wahl der Partei ist für seinen späteren Lebensweg schon positiv gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, in einer der beiden damals noch großen Parteien SPD oder CDU so schnell aufzusteigen, wäre nicht gegeben gewesen. Bei den Grünen und der FDP ist das Verhältnis von Parteimitgliedern zu verfügbaren und aussichtsreichen Posten einfach günstiger. Und sich im Windschatten von Fischer nach oben auf den Weg zu machen, war auch klug. So früh und so jung schon einen Spitzenposten in einer Bundesregierung zu haben und für Mars liegen zu lassen: Das spricht Bände! Ebenso wie der Wechsel zu Bayer. Das alles hat mit Karriereplanung und was weiß ich zu tun, aber nichts damit, dass vielleicht noch etwas von grünen Denkresten im Kopf von MB übrig geblieben ist. Und ob er noch Mitgliedsbeitrag bei den Grünen bezahlt, wonach sich die HNA neulich noch so interessiert und neugierig erkundigte, ist einfach wurscht.
MB ist mit einem angegrünten Ticket in den frühen 90igern in Nordhessen gestartet und jetzt dort angekommen, wo er hin wollte und hin gehört. Ganz weit oben. Den Autor erinnert sein Werdegang ein wenig an ein Lied von F. J. Degenhardt. Der singt 1977 über einen befreundeten sozialdemokratischen Karrieristen, den er ‚Wildledermantelmann‘ nennt. Am Schluss des Liedes fragt er ihn: “…und wie ist das Gefühl, wenn man so langsam, langsam, langsam driftet nach rechts…“? MB könnte man fragen, ganz ohne Gesang: Und wie ist das Gefühl, wenn man jedes grüne Denken aufgibt und verrät, allein für die private Karriere und das Verkaufen von Glyphosat?
Damit stimmt möglicherweise auch der schlichte Satz, den die Bayer Pressestelle in Bezug auf die Karriere von MB kürzlich twitterte, wie man der HNA entnehmen konnte: Er sei eben „der richtige Mann zu richtigen Zeit am richtigen Ort“. Genau so ist es.