Schlagwortarchiv für: 21. August 2019

Mehrfach habe ich mich hier schon darüber ausgelassen, warum es so unerfreulich ist, dass sich der Landkreis Kassel bei der Neubebauung im Norden von Vellmar nicht mit Ruhm bekleckert hat in Bezug auf die Schonung von Flächen- und Bodenressourcen. Den Nordrand von Vellmar mit weiteren Einfamilien- und Reihenhäusern zuzupflastern, steht nicht nur im Widerspruch zu den entsprechenden Erklärungen der aktuellen schwarz-grünen Koalitionsvereinbarung, es entspricht auch nicht den Planvorgaben, die sich der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) selbst gegeben hat. Vor allem aber wird er nicht dem gerecht, was endlich in Sachen Ökologie bei der Beanspruchung von Bauland anders gemacht werden müsste.

Das alles soll hier nicht noch einmal wiederholt werden. Das wäre langweilig. Interessant ist es aber schon, dass es nicht allen so wurscht ist wie den politisch für das Debakel in Vellmar Verantwortlichen, wenn jetzt ohne Not erneut 17 ha wertvollen Ackerlandes für diejenigen in Bauland umgewandelt werden, die es gar nicht brauchen. Das genau hat der Naturschutzbeirat des Landkreises Kassel erkannt und in seiner jüngsten Erklärung vom 27. Juni 2019, anlässlich seiner letzten Sitzung in Lohfelden, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Diplomatisch im Ton, deutlich in der Sache.

Die Erklärung schließt sich an diese wenigen Zeilen an.

Vorsitzende des Naturschutzbeirates des Landkreises Kassel
Dr. rer. nat. Anna Kuntzsch • Kaufungen, den 27.06.2019

Einstimmige Beschlussfassung zur Presseerklärung des Naturschutzbeirates des Landkreises Kassel

Vellmar Nord soll kommen: Gute Gründe sprechen jedoch dagegen!

Am 12. Juni 2019 hat die Verbandsversammlung des Zweckverbandes Raum Kassel nach einer erneut intensiven, emotionalen und immer wieder kontroversen Debatte den Weg für die Ergänzungsbebauung am nordöstlichen Rand von Vellmar freigemacht, indem sie die erforderliche Änderung des Flächennutzungsplanes beschlossen hat. Damit wird – ganz ohne Not – die Entwicklungsmöglichkeit von drei bereits planungsrechtlich gewidmeten Bauflächen im Inneren von Vellmar, was man Innenentwicklung nennt, aufgehoben und eine wertvolle landwirtschaftlich genutzte Fläche am äußersten Rand der Stadt in erster Linie für Einfamilien- und Reihenhäusern verbaut.
Der Naturschutzbeirat des Landkreises Kassel spricht sich erneut gegen diese knapp 17 ha große Baumaßnahme aus, weil damit unwiederbringlich Flächen versiegelt werden, obwohl
• im Koalitionsvertrag der hessischen Landesregierung überdeutlich gefordert wird, Maßnahmen gegen den immer noch anhaltend hohen Flächenverbrauch von über 2,5 ha pro Tag endlich einzuleiten und
• alle aktuellen Statistiken zeigen, dass es einen relevanten Bedarf an Einfamilien- und Reihenhäusern gar nicht gibt. Vielmehr sinkt – vor allem im Landkreis – der Wohnungsbedarf ab 2025 wieder mehr oder weniger deutlich. Was tatsächlich gebraucht wird, aber in Vellmar nur partiell als Lärmschutz Richtung Straße (L 3386) für die höherwertigen Grundstücke vorgesehen ist, sind günstige, geförderte Wohnungen für Menschen und Familien mit kleinem Einkommen.

Nach dem Dafürhalten des Naturschutzbeirates ist diese Baumaßnahme überflüssig. Was die Befürworter ins Feld führen, ist tendenziell ein Verbiegen von Fakten und Tatsachen. So wird beispielsweise von einer Arrondierung gesprochen, was den Gegebenheiten allerdings in keiner Weise entspricht. Tatsache ist vielmehr, dass die geplante Fläche deutlich sichtbar in die offene Landschaft ragt. Nach Vollendung wird sie erneut eine Arrondierung nach sich ziehen. Und so geht es scheibchenweise weiter, als gäbe es die Nöte des Planeten nicht bzw. als würden die einen Bogen um Vellmar und den Landkreis machen.
Außerdem wird gesagt, die Eigentümer der besagten Flächen im Innern von Vellmar seien entweder nicht bereit gewesen, Grundstücke zu veräußern oder hätten überzogene Preise gefordert. Dem muss und kann entgegen gehalten werden, dass in so einem Fall entweder mehr geboten werden muss oder dass entsprechende Paragrafen des Baugesetzbuches (BauGB) angewendet werden müssen. Im BauGB ist detailliert geregelt und beschrieben, wie öffentliche Instanzen bei Vorliegen gewichtiger Gründe ein Baugebot (vgl. § 176 BauGB) aussprechen können. Niemand sagt, dass das einfache Wege sind, aber sie können – wie viele Beispiele zeigen – durchaus erfolgreich begangen werden. Insbesondere dann, wenn damit wesentliche Schutzgüter wie der Boden geschont werden können.
Um nach der Verschiebung des Beschlusses in der vorangegangenen Sitzung im März d.J. die Zustimmung zur erforderlichen Flächennutzungsplanänderung doch noch zu erreichen, hat es in Vellmar und beim Zweckverband erste Überlegungen gegeben, das Gebiet energetisch und bautechnisch so zu konzipieren, dass einige wichtige ökologische Forderungen vielleicht oder teilweise eingelöst werden können. Es gibt dafür aber nicht viel mehr als schöne Worte, eine Förderzusage für ein entsprechendes Planungskonzept (der Auftrag an ein bestimmtes Büro ist bereits erteilt) und die Absichtserklärung der Stadt Vellmar, viele dieser Planungsergebnisse am Ende in den aus dem Flächennutzungsplan abgeleiteten Bebauungsplan zu übernehmen. Wer das für den o.a. Beschluss zur Änderung des Flächennutzungsplans vorgelegte dünne Papier mit dem Namen „Integriertes Energie- und Quartierskonzept“ jedoch aufmerksam liest, wird feststellen, dass die beiden am häufigsten benutzen Verben darin ‚können‘ und ‚sollen‘ sind. Die AutorInnen dieses 2-seitigen Papiers wissen genau, wie unsicher das alles ist.
Zum einen ist völlig unklar, ob es am Ende des Tages tatsächlich relevante Fördermittel für die bauliche Umsetzung gibt, zum anderen ist noch unsicherer, ob sich die privaten Erwerber von Baugrundstücken für Passivhäuser mit Gründächern auch wirklich erwärmen können. Denn die Privaten kann niemand zwingen, den bisher nur als Vision existierenden Städtebaulichen Vertrag tatsächlich zu unterschreiben. Der soll nämlich all das regeln, vor allem jedoch genau die Dinge, die rechtlich verbindlich im Bebauungsplan nicht festsetzt werden können.
Am Ende haben alle begründete Kritik und alle guten Argumente gegen diese Form der Bebauung nicht ausgereicht. Mit nur 4 Gegenstimmen und einer ganzen Reihe von Enthaltungen gab es dann leider doch eine klare Mehrheit für die Pläne der Stadt Vellmar.
Wir bedauern dieses Ergebnis zutiefst, denn ohne ersichtliche Notwendigkeit wird hier ein hoher Flächenverbrauch in Kauf genommen, der weder der Natur noch dem Menschen gut tut.

Für den Beirat,
Dr. Anna Kuntzsch
Eckhard Jochum

Es kam, wie es kommen musste: Mitte Juni 2019 beschließt die Verbandsversammlung des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK) mit den Stimmen von SPD und CDU das viele Hektar große Neubaugebiet am Nordrand von Vellmar, das mit Arrondierung so viel zu tun hat, wie ein bleischwerer, fetter, übergewichtiger, PS-starker SUV mit der Verkehrswende. Die mit den Stimmen von SPD und CDU durchgeboxte Bebauung wird ein Geschwür in der Landschaft und ist überflüssig wie ein Kropf.

Und bestimmt erinnern Sie sich noch: Die SPD und die CDU sind genau die beiden Parteien, die jüngst bei den Europawahlen im Mai 2019 von den Wählern – insbesondere den jungen – zum Nachdenken über ihre dramatischen Stimmenverluste veranlasst wurden. In den Tagen und Wochen danach ging diesen beiden früher mal Volksparteien genannten Gruppierungen derart die Muffe, dass es die SPD Parteivorsitzende, Andrea Nahles, buchstäblich vom Hocker gerissen hat. Aber auch die CDU bekam das Zipperlein und große Furcht…
In Nordhessen – das weiß hier jeder – gehen die politischen Uhren anders. Hier ficht ein derartiges Wahldebakel die Vertreter von SPD und CDU (noch) nicht wirklich an. Man glaubt oder hofft, dass die Wähler hier weiter treu bei der Stange bleiben, im Prinzip wie immer.

Im Dezember 2018 und im März 2019 haben SPD und CDU in der ihnen von Linken und Grünen aufgenötigten ökologischen Grundsatz-Debatte zu Vellmar Nord zwar aufmerksam zugehört, dann aber in der Juni-Sitzung genau das gemacht, was sie immer tun: Neues Bauland ausgewiesen! Sie taten das, auch wenn ihnen der Beschluss vom März 2019, den Tagesordnungspunkt der Baulandausweisung und die dafür erforderliche FNP-Änderung erst einmal abzusetzen, noch mächtig in den Knochen steckte. Die Gefahr war zu groß war, dass die Stimmen dafür nicht reichen könnten. Wer will, kann mit dem Direktlink weiter unten die Details noch einmal in Ruhe nachlesen. (1)

Was die beiden Parteien nun gemeinsam ausgewiesen haben, ist genau das, was keiner braucht: Noch mehr Einfamilien- und Reihenhäuser! Was vielmehr dringend gebaut werden müsste, ist öffentlich geförderter Wohnungsbau, d.h. passgenaue und günstige Wohnungen, wie sie von großen und kleinen Familien und von Menschen mit kleinem Geldbeutel so dringend benötigt werden. Und das gilt nicht nur für Nordhessen. Gab es in der BRD von solchen Wohnungen 1990, nach dem Ende der DDR, noch 2,87 Millionen, so waren es 2016 nur noch knapp 1,24 Millionen. Und obwohl die Debatte darüber jetzt schon seit einigen Jahren läuft, also die Diskussion um die vielbeschworene Wende in der Wohnungsbaupolitik, tut sich kaum etwas auf diesem sozialpolitisch so überaus bedeutsamen Feld. Obwohl es sich doch beim Wohnen um ein wahrhaft elementares Menschenrecht handelt!

In der Dezember-Sitzung 2018 fuhren die Linken und die Grünen schweres Geschütz auf und machten klar, dass die FNP-Änderung für das neue Baugebiet im Norden von Vellmar überflüssig und ökologisch nicht mehr vertretbar ist. Innenentwicklung sei das Gebot der Stunde und außerdem würden Wohnungen gebraucht für die eben erwähnten kleinen Leute. Angesichts der Tatsache, dass schon ab 2025 die Einwohnerzahlen auch in unserer Region wieder spürbar sinken werden, sind weitere Bodenversiegelungen und das Bauen für Privilegierte wahrhaft nicht das Gebot der Stunde.

In der März-Sitzung 2019 wurde das Neubauprojekt erneut scharf kritisiert. Negativ bewertet wurde auch, dass der ZRK permanent selbstgefasste Beschlüsse und Ziele verletzt, wie z.B. das der Innenentwicklung… Allerdings signalisierten die GRÜNEN in dieser Sitzung schon vorab, dass sie sich dann – falls Vellmar für die Realisierung des Neubaugebiets ein vernünftiges Energiekonzept vorlege – möglicherweise enthalten könnten. Da sich die CDU der geübten Kritik teilweise anschloss, sieht die SPD ihre Felle davon schwimmen und erklärt sich bereit, den Beschluss zur FNP-Änderung von der Tagesordnung zu nehmen. So kam dieser wichtige Teilerfolg zustande. Aber mehr als Teilerfolg war nicht drin…

Am 13. Juni, in der 3. Sitzung zum selben Thema, kommt es dann zum „Schwur“. Der ZRK und die Stadt Vellmar legen ökologische Absichtserklärungen in Form eines 2 seitigen, ausgesprochen dünnen Papiers vor, das von Verben wie „können“ und „sollen“ geprägt ist. Es ist in Wirklichkeit nicht mehr als eine Vision auf ein zu entwickelndes „Integriertes Energie- und Quartiers-Konzept“. Es soll die Grundlage sein für einen aus Landesmitteln geförderten Planungs- und Beratungsauftrag an ein dafür geeignetes Ingenieurbüro. Mehr nicht.

Mit diesem Bonbon, diesem ungedeckten Scheck auf eine energetisch bessere Bauweise und eine innovativere Energieversorgung im zukünftigen Quartier, haben sich die Grünen ihre Enthaltung schließlich „abkaufen“ lassen. Auch wenn niemand abstreitet, dass die fromme Hoffnung auf ein vernünftiges Energiekonzept besser ist als nichts, hat sich doch substanziell daran, dass hier völlig unnötig und unwiederbringlich wertvolle Ackerflächen für nicht erforderliche Wohnformen verbraten werden, nichts geändert.

Natürlich sind die Grünen in einer anderen Situation als die Linken. Sie regieren in Kassel mit und sie werden in Kürze vermutlich – wenn die Trends bei den Wahlergebnissen auch in Nordhessen anhalten – deutlich mehr Verantwortung übernehmen. Trotzdem wäre es klüger gewesen, das Projekt planerisch erst weiter zu konkretisieren, damit wirklich erkennbar und ablesbar wird, wohin die Reise am Ende geht. Deshalb bleibt unsere Kritik bestehen: Ohne Klarheit darüber, wozu sich die Grundstückserwerber später in einem noch nicht einmal schemenhaft existierenden „Städtebaulichen Vertrag“ beim Kauf der Grundstücke bereit erklären müssen, sollte die Änderung des FNP nicht in Aussicht gestellt und nicht beschlossen werden. So bleibt nur zu hoffen, dass von dem Wunschzettel mit der Überschrift „Integriertes Energie- und Quartiers-Konzept“ viele Punkte später tatsächlich umgesetzt werden. Aber das ist alles andere als sicher.

Wenn es schon nicht zur Innenentwicklung kommt, also zum Bauen im Ortsinneren mit einem guten Mix an Wohnungen, die am Markt fehlen, dann hätten wir gerne vor einer abschließenden Beschlussfassung zum FNP, der einzigen Steuerungsmöglichkeit die der ZRK hat, das konkrete ökologische Gesamtpaket zu sehen bekommen. So hängt jetzt alles daran, was die Stadtverordneten von Vellmar an ökologischen Inhalten in dem zu beschließenden Bebauungsplan noch durchsetzen können. Und das wird auch davon abhängen, wie viel Fördermittel eingeworben werden können. Fließt kein oder nicht genügend Geld, wird gebaut wie immer. Das ist genau das Szenario, das man befürchten muss!

Vermutlich entsteht in Vellmar–Nord ein neues, stink-normales Wohngebiet mit ein bisschen mehr Fassaden- und Dachbegrünung, mit ein bisschen Regenwassernutzung, mit ein klein wenig Regenrückhaltung, mit ein bisschen Grün zwischen den Eigenheimgrundstücken und einem halbwegs vernünftigen Energieversorgungskonzept. Die große Chance, den ZRK endlich mal so zum Handeln zu bewegen, dass er im Einklang mit den selbst beschlossenen Zielen und Plänen handelt, ist vertan. Der Passus in der Koalitionsvereinbarung von Schwarz-GRÜN in Hessen, endlich dem klimaschädlichen Flächenverbrauch von über 3 ha pro Tag einen Riegel vorzuschieben, bleibt folgenlos. Das ist bedauerlich!

(1) Im Zweckverband Raum Kassel (ZRK) rumort es: Nach einer ernsthaften Debatte über gravierende ökologische Probleme unserer Zeit und einer überflüssigen Baulandausweitung im Norden von Vellmar