Auch wenn Eigenlob schlecht beleumundet ist: Den Verlust der Mehrheit für die SPD in der neuen StaVo habe ich just hier in diesem Blog schon vor Wochen, Ende November 2020, treffsicher vorhergesagt… Keine Kunst!
Alle warten auf das Ergebnis eines OB Solos in Sachen documenta Institut
In Bezug auf das ultraschlecht und überaus dilettantisch gemanagte documenta-Archiv-Projekt im Herzen der Stadt meinte ich, dass sich der OB vielleicht verkalkuliert, „falls er sich Wahlergebnisse vorstellen sollte, die ihm (nach den Wahlen) neue Handlungsspielräume bringen“. Genau diese neuen Spielräume hat er nun nicht! Denn jetzt, wo sich die Grünen, ganz dem Zeitgeist entsprechend, mit deutlicher Mehrheit durchgesetzt und zur stärksten Fraktion gemausert haben, hat der sich gerne als Alleinentscheider gebende, oft hemdsärmlig agierende OB ein Problem: Die „Pole–Position“ im Rathaus hat die SPD nach vielen Jahrzehnten nun zum 2. Mal nach dem Krieg verloren und die Grünen werden sich die Butter hoffentlich nicht mehr ganz so leicht vom Brot nehmen lassen. Aber nur falls oder wenn sie aus den vielen bitteren Erfahrungen aus den vorangegangenen rosa-grünen Kooperationen hier im Kasseler Rathaus endlich gelernt haben!
Aber was heißt das nun, dass die Grünen die stärkste Fraktion stellen in der kommenden Legislaturperiode? Werden wir nun einen raschen Aufbruch zu einem neuen, grünen (im Wortsinne), verkehrsberuhigten und Radfahrer*innen bevorzugenden Kassel erleben? Wird es ein gegen den beSCHEUERten Andi in Berlin durchgesetztes Tempo-30-Gebot für die ganze Stadt geben ohne Angst vor dem juristischen Gezerre, das das nach sich ziehen könnte? Werden die teils krassen sozialen Ungerechtigkeiten angegangen, soweit die Stadt selbst darüber entscheiden kann? Wird es zum Beispiel endlich das andernorts schon längst realisierte Sozialticket für den vom Einkommen her schwachen Teil der Kasseler Bevölkerung geben? Wird der soziale Wohnungsbau angekurbelt oder werden weiterhin einfallslose Eigentumswohnungs-Würfel für Betuchte in alle Stadtteile geballert? Wird das weiter oben angesprochene documenta Archiv in Zusammenarbeit mit der interessierten und fachlich engagierten Bürgerschaft endlich auf die Erfolgsschiene gesetzt, jetzt, wo der OB seinen großspurig angekündigten Plan B dem Klosett anvertrauen muss? Oder anders gefragt, um die Aufzählung nicht allzu lang werden zu lassen: Wird es, die vielfältige und auch von mir schon seit vielen Jahren geforderte sozial-ökologische Wende, soweit sie in kommunalpolitscher Macht steht, kommen oder wird weiterhin verwaltet, weggeredet, hinausgeschoben und nur da und dort mal ein Bäumchen gepflanzt?
Auch wenn es keinen großen Einfluss haben wird, was ich dazu meine, beantworte ich die aufgeworfene Frage wie folgt: Es wird erst einmal überhaupt nichts Großartiges, weithin Sichtbares passieren! Vielmehr wird es eher weitergehen wie bisher. Es werden, jetzt in grüner Sprechweise, viele Ankündigungen kommen, aber – wie früher – weiterhin tendenziell wenig überzeugende Taten folgen.
Und das aus einer ganzen Reihe von Gründen: Die AfD ist fast schon pulverisiert und auf das normale Maß der Dumpfbacken-Prozente zusammengeschrumpft, die es hier wie überall immer schon gab. Der einzige Unterschied zur Vor-AfD-Zeit: Diese Klientel hat nun eine Partei, quasi eine Adresse, an die sie sich bei Wahlen wenden kann. Sie wird die eigentlich nötige Wende nicht erzwingen helfen. Die CDU hat, aus vielen ganz unterschiedlichen Gründen, keinen Gewinn aus der Schwäche der SPD ziehen können. Es reicht eben nicht, einfach nur wieder mal mitregieren zu wollen. Auch sie wird einer grünen Fraktion keine Brücken für eine Wende hin zu einer grünen Zukunft bauen helfen.
Was die SPD anbetrifft: Deren Abwärtstrend ist nun auch, leicht vorhersehbar, in einer ihrer großstädtischen Hochburgen im Norden Hessens angekommen. Das Ergebnis des neuen Landrats Siebert ist nur ein zeitlich begrenzter Ausreißer, denn auch der Landkreis wird, wenn die Alt-SPD-Wähler*innen nicht mehr zur Wahlurne gehen können, den Trend des Niedergangs der SPD zu spüren bekommen. Der wird erst dann zu stoppen sein, wenn sich die SPD – ihrem wunderschönen Namen entsprechend – wieder den vielen vielfältig benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen in diesem Land zuwendet, das sich ökologisch gerade neu erfinden muss: Und das Ganze auf glaubwürdige, vertrauensbildende und überzeugende Art und Weise. Denn, das zeigen Mitgliederentwicklung und Wahlergebnisse der SPD seit vielen Jahren überdeutlich: Die Schröder’schen Deregulierungen zu Lasten der kleinen Leute haben die SPD wie auch die Sozialisten Frankreichs an den Rand des Ruins gebracht, teilweise schon marginalisiert. Malu Dreyers Wahlergebnis ist, wie der Erfolg des neuen Landrats Siebert hier bei uns, nur eine Ausnahme, nicht (mehr) die Regel. Mit den Hartz IV Gesetzen hat die SPD auf brutale und rücksichtslose Weise beendet, was ihr eigentliches Kerngeschäft, Auftrag, historisches Erbe und Aufgabe war: Die Ungerechtigkeiten einer turbokapitalistischen Bundesrepublik ein wenig auszugleichen und zusammen mit den Gewerkschaften die Interessen der abhängig und oft prekär Beschäftigen in den Mittelpunkt ihres Handelns und Agierens zu stellen. Nimmt die SPD die Hartz IV Gesetze aber nicht zurück, kehrt sie nicht zurück zum Versuch, die soziale Schieflage und die sich immer weiter spreizenden Vermögensverhältnisse ändern zu wollen, wird die SPD die Geschicke der Republik immer weniger mit beeinflussen können. Das gilt nun auch für Kassel.
Wie aber wollen die Kasseler Grünen nach diesem Wahlergebnis, mit dieser angeschlagenen, vermutlich tief verletzten SPD im Schlepptau, neue kommunalpolitische Horizonte anvisieren und erfolgreich für einen raschen, sozial gerechten ökologischen Wandel eintreten? Denn auch wenn sie nun ein bisschen mit im Lokomotivführer-Häuschen sitzen dürfen, da ja Geselle – mit oder ohne hochgekrempelten Hemdsärmeln – immer noch der direkt gewählt OB ist, haben sie ja das Steuer nicht in der Hand? Von einer absoluten Mehrheit sind die Grünen noch weit entfernt. Selbst mit den Linken, wo es eine ganze Reihe inhaltlicher Überschneidungen gäbe, ist keine Mehrheit zu beschaffen, weil die Grünen zu einer Minderheitsregierung mit den Linken nie bereit wären. Aber es reichte ja auch nicht, weil SPD und CDU zusammen mehr Sitze in der StaVo hätten denn Grüne plus Linke.
Deshalb wird es, trotz alledem – Grüne im Aufwind und mit stärkster Fraktion, Linke stabilisiert und gestärkt, aber eben nicht stark genug – hier in Kassel erst mal keine nennenswerten Veränderungen geben. Die SPD hat ja auch noch eine auf ihrer Seite stehende Verwaltung (das ist das Beharrende, also das was bleibt, egal wie gewählt wird) und immer noch ein Viertel der Stimmen. Den Magistrat umzubauen, werden sich die Grünen nicht trauen, denn das kostet viel Geld. Dass Herr Nolda als blasser, schwacher Baudezernent den Rückenwind des Wahlergebnisses nun plötzlich nutzt, um sich wie ein Phönix aus der Asche zu einem mutigen, ideenreichen, grünen Vorkämpfer zu wandeln, danach sieht es nicht aus. Erinnern Sie sich noch, wie er den vielen tausend lärmgeplagten Bürger*innen dieser Stadt versprochen hat, ihnen mit sogenannten Ruheoasen Erleichterung zu verschaffen statt Tempo 30 zu verordnen? Oder seine halbherzigen Bemühungen, den sozialen Wohnungsbau ein ganz kleines bisschen anzukurbeln? Denn gerade preiswerte Wohnungen fehlen, für die vielen Leute mit kleinem Geldbeutel, also genau die, die sich weder in Vellmar Nord ein Reihen- oder Einfamilienhaus leisten, geschweige denn in ein Penthouse in einem dieser einfallslosen Eigentumswürfel in Kassel einziehen können…
Es bleibt also festzustellen, dass es weder in der Ökologie-, noch in der Verkehrs-, noch in der Sozialpolitik (die grüne Wählerschaft hat ja ganz andere Bedürfnisse als viele der „kleinen Leute“), eine rasche Kurswende geben wird. Es werden auch die Anzahl der Erzieher*innen nicht erhöht. Kein Geld dafür. Und so wird sich das Sparen auf dem Rücken der Kleinsten fortsetzen. Die Koalition, ja, das stimmt, die wird statt wie zuvor rosa-grün nun grün-rosa heißen. Aber das macht eben noch keinen Unterschied.
Wenn ich mich irren sollte, dass es also doch anders kommt und je 1 der Spuren der Wilhelmshöher Allee in jede Richtung für Radfahrer*innen noch dieses Jahr reserviert wird – als weithin sichtbares Symbol der Veränderung im Angesicht des wilhelminischen Schlosses – dann irre ich mich gern.
Aber so wird es nicht kommen.
So long