Schlagwortarchiv für: 29. September 2016

Ja, zugegeben: Vieles innerhalb der großen Menge dessen, womit sich so ein armer Durchschnittspolitiker tagtäglich herum schlagen muss, ist in der Tat kompliziert. Deswegen sollte man für den Fall, dass man da oder dort Durchblick und/oder Fachwissen besitzt und vorhat, sich kritisch über mangelndes Fachwissen eben solcher Politiker zu äußern, immer daran denken, wie komplex die Dinge manchmal sind und wie wenig Zeit, Kraft, Muße, Phantasie, Lernfähigkeit und eben Fachwissen so ein geplagter Durchschnittspolitiker oft hat.

Wen ich im Heer der Vielen der eben Angesprochenen konkret meine? Ja, genau: die Herren Decker und Frankenberger, ihres Zeichens Landtagsabgeordnete der SPD. Und wohin die Kritik zielt: Die beiden Herren, zusammen mit der nicht weniger inkompetenten SPD-Frau im Europaparlament, Martina Werner, zeigen sich solidarisch mit den Kumpels von K+S, vor allem aber mit dem Vorstand von K+S, wenn sie in der HNA vom 08. Sept. 2016 die Genehmigungsbehörden auffordern, die „übergangsweise ausgesprochene Versenkgenehmigung von lediglich 725.000 Kubikmetern“ Salzabwässer nicht weiter aufrechtzuerhalten. Diese Menge sei viel zu gering, schränke die Produktion ein und gefährde die Arbeitsplätze.

Wer die Probleme des hier angesprochenen Themas auch nur ein bisschen kennt und wer begreift, um welche Dimension von Umweltgefährdung es hier geht, ist erschüttert, wie unbeleckt von allem die beiden hier in Kassel so einflussreichen Sozialdemokraten daherreden. Natürlich sind immer irgendwo Wahlen, natürlich muss die SPD inzwischen sogar in Nordhessen bei ihrer Kernwählerschaft hinter jeder Stimme herhechten, natürlich sitzt der SPD die Angst im Nacken, wenn sie in allen Umfragen für die nächste Bundestagswahl unter 20% gehandelt wird: Aber hilft es wirklich, wenn man ohne jede Kenntnis des großen Problemfeldes Salzabbau und seine Folgen in diesem Revier einfach fordert, dass weiter und unbegrenzt Salzabfälle in den Untergrund verpresst werden sollen? Natürlich hilft das nicht, weil genau dieses Weitermachen wie bisher, dieses Nicht-Eingehen auf die gigantischen Umweltprobleme, die K+S bis heute dort hinterlassen hat, dieses Nicht-Beachten neuer Produktionstechniken die Umweltprobleme verschärft und die Arbeitsplätze letztlich unsicher macht.

Es ist festzustellen, dass die Herren Frankenberger und Decker den K+S-KollegInnen, denen gegenüber sie per Zeitung Solidarität bezeugten, genau genommen in den Hintern treten bzw. ihnen einen Bärendienst erweisen mit ihrem ahnungslosen „Weiter so“! Außerdem übersehen sie zeitgleich die vielen Protestierenden, die vielen Bürgerinitiativen und Umweltaktivisten, vor allem aber die BewohnerInnen der Region, die gegen K+S und die Folgen der rücksichtslosen Kali-Produktion auf die Straße gehen, sich informieren, sich kundig machen über mögliche technische Alternativen und die vor allem eines eint: Die Angst, in Zukunft kein sauberes Trinkwasser mehr zu haben. Was so apokalyptisch klingt, ist bereits Realität: Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat im Juli 2016 die Nutzung des Grundwassers im Bereich der Rückstandshalde Hattorf der K+S Kali GmbH untersagt, weil davon eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Das Grundwasser ist mit Haldenwässern verunreinigt und enthält deshalb auch beträchtliche Mengen an Schwermetallen wie Blei, Cadmium, Kupfer und Nickel. Das Problem ist den Behörden seit mindestens 2011 bekannt. Was aber wieder ein ganz anderes Thema ist…

Bevor ich auf das hiesige Revier etwas näher eingehe, erzähle ich dem geneigten Leser zunächst die Geschichte von einem anderen Werk, in einem anderen Land. Aber nicht dort, wo Aladin mit seiner Wunderlampe unterwegs ist, sondern hier bei uns, mitten in Europa: in der Nähe von Barcelona in Spanien! Das Werk dort heißt Iberpotash, gehört dem Bergwerk-Konzern ICL und produziert, wie K+S, Dünge- und andere Salze. Es ist derselben Umweltgesetzgebung wie Deutschland und damit K+S unterworfen. Eben dieses Werk, das ist kein Märchen, sondern Fakt, wird – lieber Leser, halten Sie sich fest – ab dem nächsten Jahr, also ab 2017, abstoßfrei produzieren. Was das heißt, werden Sie gleich sehen…

Im Jahr 2000 beschließt die EU, u.a. um den gigantischen Umweltschäden, vor allem aber der Gefährdung des Trinkwassers durch die Salzproduktion in verschiedenen Ländern der EU zu Leibe zu rücken, die Richtlinie 2000/60/EG (WRRL). Das Europäische Parlament und der Rat haben mit diesem Beschluss vom 23. Oktober 2000 endlich gehandelt und dem u.a. bei der Salzgewinnung europaweit betriebenen jahrzehntelangen Raubbau an Natur, Gewässern, Boden und Landschaft endlich Paroli geboten. Die erwähnten europäischen Institutionen haben mit der sog. Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) Qualitätsziele definiert und Methoden beschrieben, wie eine gute Wasserqualität in allen Oberflächengewässern hergestellt werden kann.

Das Werk in Barcelona hat, nach langen gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen der spanischen Zentralregierung und der EU, mit einem 2014 beschlossenen Investitionsplan, der auf den vielsagenden und erfolgversprechenden Namen Phönix hört, inzwischen durchschlagende Erfolge erzielt, die in wenigen Monaten schon eine ganze Fülle positiver Folgen haben werden:

Mit Hilfe der deutschen Firma K-Utec, deren Gründung zurückgeht auf die Initiative von DDR-Ingenieuren, die nach dem Zusammenbruch des Landes und der Übernahme ihrer Salzwerke in Thüringen durch K+S eine High-Tech-Firma zur Vermeidung von Umweltschäden bei der Salzproduktion aufbauten, gelang es dem spanischen Werk Iberpotash, die Salzgewinnung derart zu modernisieren, dass weder weitere Aufhaldungen noch Abwassereinleitung in die Oberflächengewässer notwendig sein werden. Es wird zukünftig auch keine Verpressungen mehr in den Boden geben. Mit dieser neuen Technik ist es sogar möglich, die Restanteile der Salze in den gebirgsähnlichen Halden auszubeuten und dabei hochreines Salz zu erzeugen, das interessierte Abnehmer weltweit findet.

Nachlesen kann man das und mehr u.a. auf der äußerst informativen Internetseite der Weser-Werra-Anrainerkonferenz: http://www.wasser-in-not.de

Warum es der EU gelungen ist, über Druck auf die spanische Zentralregierung den dortigen Konzern letztlich – in mehreren Prozessen – zum Umdenken und Einlenken zu zwingen, kann man nur erraten. Vermutlich ist Deutschland (im Verhältnis zu Spanien) einfach zu stark und die politischen Verbindungen zwischen EU-Kommission und Bundesregierung bzw. Hess. Landesregierung zu gut, als dass es sich die EU Kommission ernsthaft trauen würde, auf der Durchsetzung bzw. Einhaltung der Vorgaben ihrer WRRL zu bestehen. Ähnliches konnte ja schon bei den Abgasregelungen für große, leistungsfähige PKW’s beobachtet werden, wo die Bundesregierung bzw. Kanzlerin Merkel höchstpersönlich und ganz direkt durch ein schlichtes Veto per Telefon „Schlimmeres“ für BMW, Audi und Mercedes verhindern half. Wie auch immer es sich mit dieser politisch bedeutsamen Ungleichbehandlung zweier EU Länder resp. der Ungleichbehandlung zweier Salzgewinnungskonzerne verhält: „Hier bei uns“ bleibt seit Langem alles beim Alten.

Die Situation in „unserem“ Revier lässt sich wie folgt beschreiben: Die Aufhaldung gigantischer Mengen von Salzabfällen zu gebirgsähnlichen Halden nimmt weiter zu, die Belastung der Flüsse Werra und Weser durch große Mengen an Salzlaugen bleibt unverändert bestehen, die Verpressung von Produktionsrückständen in tiefe Gesteinsschichten (Plattendolomit ist der Fachausdruck) soll sogar wieder erhöht werden und die Auswaschung großer Mengen Salzlauge aus den Salzgebirgen, die wiederum Boden, Grundwasser und Gewässer zusätzlich belasten, besteht in erhöhtem Umfang fort, weil immer neue Produktionsrückstände aufgehaldet werden.

Vor dem Hintergrund dieses traurigen Szenarios dürfen Sie jetzt das tapfere, hochsolidarische Verhalten der beiden SPD-Genossen selbst einschätzen: Der Konzern, dem seit dem unwürdigen Gezerre am sogenannten runden Tisch, die Goldmedaille für die beste Hinhalte- und Investitionsvermeidungstaktik gebührt, bringt es fertig, gerade durch seine allen Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien spottende Ignoranz der Umwelt und den hier lebenden Menschen gegenüber, in großem Umfang die Trinkwassergewinnung zu gefährden und die Flüsse Weser und Werra weiterhin zu verseuchen. Von der Verschandelung des Landschaftsbildes, der Minderung der Zukunftschancen durch die Verhinderung des Einsatzes von leistungsfähiger Technik ganz zu schweigen. Landesregierung und Genehmigungsbehörden machen alles mit!

Derartiges Handeln einer sturen Konzernspitze verdient keine Solidarität, von niemandem – auch nicht von Sozialdemokraten. Was es braucht ist vielmehr geharnischte und qualifizierte Kritik. Davon jedoch sind die Herren Decker und Frankenberger leider weit entfernt, vermutlich auch gar nicht fähig. Wenn K+S, angesichts fallender Aktienkurse und Salzpreise auf dem Weltmarkt, sich am Ende nach Kanada wegmacht, bleiben wir alle hier auf Ewigkeitslasten sitzen.

Auf die Presseerklärung der Herren Frankenberger und Decker, wenn es vielleicht bald soweit kommt, bin ich dann sehr gespannt!

E. Jochum