Vellmar Nord: Eine Nachbetrachtung zu einem unnötigen Neubaugebiet mit ganz unnötig vielen Einfamilienhäusern!
Es kam, wie es kommen musste: Mitte Juni 2019 beschließt die Verbandsversammlung des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK) mit den Stimmen von SPD und CDU das viele Hektar große Neubaugebiet am Nordrand von Vellmar, das mit Arrondierung so viel zu tun hat, wie ein bleischwerer, fetter, übergewichtiger, PS-starker SUV mit der Verkehrswende. Die mit den Stimmen von SPD und CDU durchgeboxte Bebauung wird ein Geschwür in der Landschaft und ist überflüssig wie ein Kropf.
Und bestimmt erinnern Sie sich noch: Die SPD und die CDU sind genau die beiden Parteien, die jüngst bei den Europawahlen im Mai 2019 von den Wählern – insbesondere den jungen – zum Nachdenken über ihre dramatischen Stimmenverluste veranlasst wurden. In den Tagen und Wochen danach ging diesen beiden früher mal Volksparteien genannten Gruppierungen derart die Muffe, dass es die SPD Parteivorsitzende, Andrea Nahles, buchstäblich vom Hocker gerissen hat. Aber auch die CDU bekam das Zipperlein und große Furcht…
In Nordhessen – das weiß hier jeder – gehen die politischen Uhren anders. Hier ficht ein derartiges Wahldebakel die Vertreter von SPD und CDU (noch) nicht wirklich an. Man glaubt oder hofft, dass die Wähler hier weiter treu bei der Stange bleiben, im Prinzip wie immer.
Im Dezember 2018 und im März 2019 haben SPD und CDU in der ihnen von Linken und Grünen aufgenötigten ökologischen Grundsatz-Debatte zu Vellmar Nord zwar aufmerksam zugehört, dann aber in der Juni-Sitzung genau das gemacht, was sie immer tun: Neues Bauland ausgewiesen! Sie taten das, auch wenn ihnen der Beschluss vom März 2019, den Tagesordnungspunkt der Baulandausweisung und die dafür erforderliche FNP-Änderung erst einmal abzusetzen, noch mächtig in den Knochen steckte. Die Gefahr war zu groß war, dass die Stimmen dafür nicht reichen könnten. Wer will, kann mit dem Direktlink weiter unten die Details noch einmal in Ruhe nachlesen. (1)
Was die beiden Parteien nun gemeinsam ausgewiesen haben, ist genau das, was keiner braucht: Noch mehr Einfamilien- und Reihenhäuser! Was vielmehr dringend gebaut werden müsste, ist öffentlich geförderter Wohnungsbau, d.h. passgenaue und günstige Wohnungen, wie sie von großen und kleinen Familien und von Menschen mit kleinem Geldbeutel so dringend benötigt werden. Und das gilt nicht nur für Nordhessen. Gab es in der BRD von solchen Wohnungen 1990, nach dem Ende der DDR, noch 2,87 Millionen, so waren es 2016 nur noch knapp 1,24 Millionen. Und obwohl die Debatte darüber jetzt schon seit einigen Jahren läuft, also die Diskussion um die vielbeschworene Wende in der Wohnungsbaupolitik, tut sich kaum etwas auf diesem sozialpolitisch so überaus bedeutsamen Feld. Obwohl es sich doch beim Wohnen um ein wahrhaft elementares Menschenrecht handelt!
In der Dezember-Sitzung 2018 fuhren die Linken und die Grünen schweres Geschütz auf und machten klar, dass die FNP-Änderung für das neue Baugebiet im Norden von Vellmar überflüssig und ökologisch nicht mehr vertretbar ist. Innenentwicklung sei das Gebot der Stunde und außerdem würden Wohnungen gebraucht für die eben erwähnten kleinen Leute. Angesichts der Tatsache, dass schon ab 2025 die Einwohnerzahlen auch in unserer Region wieder spürbar sinken werden, sind weitere Bodenversiegelungen und das Bauen für Privilegierte wahrhaft nicht das Gebot der Stunde.
In der März-Sitzung 2019 wurde das Neubauprojekt erneut scharf kritisiert. Negativ bewertet wurde auch, dass der ZRK permanent selbstgefasste Beschlüsse und Ziele verletzt, wie z.B. das der Innenentwicklung… Allerdings signalisierten die GRÜNEN in dieser Sitzung schon vorab, dass sie sich dann – falls Vellmar für die Realisierung des Neubaugebiets ein vernünftiges Energiekonzept vorlege – möglicherweise enthalten könnten. Da sich die CDU der geübten Kritik teilweise anschloss, sieht die SPD ihre Felle davon schwimmen und erklärt sich bereit, den Beschluss zur FNP-Änderung von der Tagesordnung zu nehmen. So kam dieser wichtige Teilerfolg zustande. Aber mehr als Teilerfolg war nicht drin…
Am 13. Juni, in der 3. Sitzung zum selben Thema, kommt es dann zum „Schwur“. Der ZRK und die Stadt Vellmar legen ökologische Absichtserklärungen in Form eines 2 seitigen, ausgesprochen dünnen Papiers vor, das von Verben wie „können“ und „sollen“ geprägt ist. Es ist in Wirklichkeit nicht mehr als eine Vision auf ein zu entwickelndes „Integriertes Energie- und Quartiers-Konzept“. Es soll die Grundlage sein für einen aus Landesmitteln geförderten Planungs- und Beratungsauftrag an ein dafür geeignetes Ingenieurbüro. Mehr nicht.
Mit diesem Bonbon, diesem ungedeckten Scheck auf eine energetisch bessere Bauweise und eine innovativere Energieversorgung im zukünftigen Quartier, haben sich die Grünen ihre Enthaltung schließlich „abkaufen“ lassen. Auch wenn niemand abstreitet, dass die fromme Hoffnung auf ein vernünftiges Energiekonzept besser ist als nichts, hat sich doch substanziell daran, dass hier völlig unnötig und unwiederbringlich wertvolle Ackerflächen für nicht erforderliche Wohnformen verbraten werden, nichts geändert.
Natürlich sind die Grünen in einer anderen Situation als die Linken. Sie regieren in Kassel mit und sie werden in Kürze vermutlich – wenn die Trends bei den Wahlergebnissen auch in Nordhessen anhalten – deutlich mehr Verantwortung übernehmen. Trotzdem wäre es klüger gewesen, das Projekt planerisch erst weiter zu konkretisieren, damit wirklich erkennbar und ablesbar wird, wohin die Reise am Ende geht. Deshalb bleibt unsere Kritik bestehen: Ohne Klarheit darüber, wozu sich die Grundstückserwerber später in einem noch nicht einmal schemenhaft existierenden „Städtebaulichen Vertrag“ beim Kauf der Grundstücke bereit erklären müssen, sollte die Änderung des FNP nicht in Aussicht gestellt und nicht beschlossen werden. So bleibt nur zu hoffen, dass von dem Wunschzettel mit der Überschrift „Integriertes Energie- und Quartiers-Konzept“ viele Punkte später tatsächlich umgesetzt werden. Aber das ist alles andere als sicher.
Wenn es schon nicht zur Innenentwicklung kommt, also zum Bauen im Ortsinneren mit einem guten Mix an Wohnungen, die am Markt fehlen, dann hätten wir gerne vor einer abschließenden Beschlussfassung zum FNP, der einzigen Steuerungsmöglichkeit die der ZRK hat, das konkrete ökologische Gesamtpaket zu sehen bekommen. So hängt jetzt alles daran, was die Stadtverordneten von Vellmar an ökologischen Inhalten in dem zu beschließenden Bebauungsplan noch durchsetzen können. Und das wird auch davon abhängen, wie viel Fördermittel eingeworben werden können. Fließt kein oder nicht genügend Geld, wird gebaut wie immer. Das ist genau das Szenario, das man befürchten muss!
Vermutlich entsteht in Vellmar–Nord ein neues, stink-normales Wohngebiet mit ein bisschen mehr Fassaden- und Dachbegrünung, mit ein bisschen Regenwassernutzung, mit ein klein wenig Regenrückhaltung, mit ein bisschen Grün zwischen den Eigenheimgrundstücken und einem halbwegs vernünftigen Energieversorgungskonzept. Die große Chance, den ZRK endlich mal so zum Handeln zu bewegen, dass er im Einklang mit den selbst beschlossenen Zielen und Plänen handelt, ist vertan. Der Passus in der Koalitionsvereinbarung von Schwarz-GRÜN in Hessen, endlich dem klimaschädlichen Flächenverbrauch von über 3 ha pro Tag einen Riegel vorzuschieben, bleibt folgenlos. Das ist bedauerlich!