Warum bezeichnet man diejenigen, die Verbrechen begehen, nicht mehr als Verbrecher? Und warum wird das leicht durchschaubare Spiel der betrügerischen Autokonzerne auf Zeit einfach so toleriert?
Selbst wenn ich nicht in der Lage bin, die Stichhaltigkeit der Berechnungen des Umweltbundesamtes „aus dem Stand“ auf ihre mathematisch-statistische Korrektheit und Prägnanz zu überprüfen (es gibt Statistikexperten, die da so ihre methodischen Zweifel hegen), gehe ich davon aus, dass besagtes Amt im Grundsatz richtig damit liegt und dass es in der Tat einige tausend Menschen sind, die in den Ballungsräumen stickoxidbedingt etwas früher sterben müssen als sie es ohne diese Belastungen müssten. Das sind, so wird entgegnet, Personengruppen, die ohnehin ein größeres Sterberisiko haben: Kranke, Alte, kleine Kinder, Personen mit Vorschädigungen und insbesondere natürlich solche mit Atemwegerkrankungen. Aber das macht ihren Tod nicht weniger beklagenswert. Und es sind darüber hinaus Millionen, die gesundheitlichen Schaden dadurch davon tragen, dass in 70 Großstädten der BRD die EU- Grenzwerte in Sachen Stickoxide immer noch nicht eingehalten werden. Und auch wenn die Dieselfahrzeuge nicht die einzigen Verursacher sind: So stellen sie hierbei doch das Kernproblem dar.
Im Focus steht nun seit geraumer Zeit, dass die Konzerne in Bezug auf den Schadstoffausstoß die Gesetzgebung und die entsprechenden Grenzwerte der EU nicht nur nicht einhalten bzw. dass sie viel zu niedrige Abgaswerte betrügerisch vorgegaukelt haben, um die Vorgaben zumindest auf dem Papier und den Verkaufsprospekten einzuhalten. Über das Ausmaß an Manipulation, Betrug, irreführender Werbung etc. hat sich insbesondere VW weltweit einen Namen gemacht. Das lässt sich kaum toppen. Und die Folgen werden noch lange für Gesprächsstoff in unterschiedlichen Zusammenhängen sorgen…
Auch wenn es ausgesprochen peinlich für die bundesdeutschen Ämter und natürlich auch den VW-Konzern ist, dass es „gerade“ die USA, ihre Umweltbehörden und ihre Justiz waren, die das groß angelegte Betrugsmanöver aufgedeckt haben und die VW viele Milliarden an Strafen, Erstattungen und Wiedergutmachungen abgetrotzt haben, stehen VW und die anderen deutschen Automobilkonzerne, die ja alle mehr oder weniger intensiv bei den Betrügereien mitgemacht haben, zurecht immer noch am Pranger. Allerdings fehlt hierzulande jegliche politische Konsequenz in der Verfolgung des verbrecherischen Handelns der Autokonzerne. Ihre Systemrelevanz, wie einst die der Banken, ihre schiere ökonomische Macht und die hohe Effizienz der Lobbyarbeit scheinen Früchte zu tragen und die Politik nahezu handlungsunfähig zu machen. Die einzige Konsequenz aus dem ganzen Drama ist die allgemeine, mantramäßig vorgetragene Feststellung, dass es unter gar keinen Umständen zu Fahrverboten kommen dürfe. Was auch immer die Gerichte im Vorfeld dazu an Möglichkeiten aufgezeigt und ermöglicht haben: Zu Fahrverboten darf es hier bei uns für all die Fahrzeuge, die aufgrund der Betrugsmanöver der Autokonzerne das Zigfache des Erlaubten an Stickoxiden ausstoßen bzw. die die versprochenen Abgaswerte beim Verkauf nicht einhalten, auf keinen Fall kommen. Das erinnert an die Weigerung aller bisherigen Regierungen, das unnötige Sterben auf den Autobahnen, einem vollkommen idiotischen Geschwindigkeitswahn geschuldet wie auch der hocheffektiven Lobbyarbeit von Herrn Wissmann und seiner Truppe, endlich zu beenden bzw. zu begrenzen…
Dass es überhaupt die Tüchtigkeit und Gründlichkeit der US-Behörden brauchte (hält man doch hierzulande ausgerechnet Deutschland für so was wie den gefühlten Umwelt-Weltmeister unter den entwickelten Ländern), die unbeschreibliche Dreistigkeit von VW aufzudecken, ist ausgesprochen peinlich. Dass die Bundesregierung ihren eigenen Bürgern den Schutz für den ihnen durch betrügerische Verkaufsmethoden entstandenen Schaden zu ersetzen und dazu noch Millionen Bürgerinnen und Bürger seit Jahren den gesundheitsgefährdenden Belastungen durch zu hohe Stickoxidkonzentrationen auszusetzen, ist in Worte fast nicht zu fassen: Inakzeptabel, verbrecherisch, kaltschnäuzig. Was auch immer: Aber in Ordnung ist es nicht.
Während man duldet, dass einer Kassiererin bei Lidl wegen der Unterschlagung eines Kassen- bzw. Getränke-Bons gekündigt wird, können die deutschen Autokonzerne ihre gigantischen Betrugsmanöver unbeschadet jeglicher Konsequenz durchziehen und sich – zumindest bis jetzt – vor technisch sehr wohl möglichen Umbaumaßnahmen drücken, obwohl ihre ökonomische Situation es durchaus möglich machte. Nicht dass der Umbau einer großen Dieselflotte so einfach aus der Portokasse zu zahlen wäre, nicht dass die deutschen Autokonzerne große Zukunftsaufgaben zu meistern hätten: Aber für die Dieselnachrüstung reichen die Gewinne und Ressourcen allemal. Da müssen die Aktionäre noch nicht mal zur Ader gelassen werden dafür.
Wenn man nach einer Erklärung für ein derartiges Verhalten sucht, muss man, um die ganze Dimension des Skandals, des verbrecherischen Handelns der besagten Konzerngruppen zu erfassen, ein wenig in der Zeit zurückgehen: Seit ungefähr Ende des vorigen Jahrtausends gab es von verschiedenen Umweltorganisationen und auch Behörden einschließlich der in diesen Dingen nicht inkompetenten Autoclubs deutliche Hinweise darauf, dass seit Jahren schon insofern getrickst und gefälscht wird, als die angestrebten Werte bei den Abgasnormen grundsätzlich nur unter Labor- resp. Testbedingungen eingehalten werden. Die sind aber für das, was die Menschen in den Städten einatmen müssen, gänzlich uninteressant.
Auf diese Weise wird das Dieselgate in der Bundesrepublik am Ende so ausgehen wie (fast) immer: Die Bürger und die Autofahrer werden die Zeche bezahlen. Diese Regierung, diese jetzt schon angeschlagene GROKO, wird alles unterlassen, wie just diese Tage verkündet, was die Autokonzerne ökonomisch belasten könnte. Denn dafür ist die Regierung in allererster Linie da, genau dafür zu sorgen. Auch wenn‘s klingt wie aus dem frühen vorigen Jahrhundert: Es ist trotzdem richtig. Die Regierung ist im Prinzip der geschäftsführende Ausschuss eben dieser großen Konzerne. Die von der EU „garantierten“ Rechte werden serienweise missachtet und genauso kaltlächelnd werden die von der EU in Sachen Autoabgase vorgeschriebenen Grenzwerte gerissen. Das sieht bei der Versalzung der Flüsse Werra und Weser nicht anders aus. Auch da interessiert es die Bundesregierung und das Land Hessen kein bisschen, dass die in der entsprechenden EU-Richtlinie für Gewässereinhaltung (Wasserrahmenrichtlinie / WRRL) aus dem Jahr 2000 vorgeschriebenen Werte seit Jahren nicht eingehalten werden. Aber das führt hier zu weit… Solche Werte interessieren die deutsche Regierung offensichtlich einen Scheiß. Die Einfärbung der jeweiligen Koalition spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.
In Anbetracht der Tatsache, dass man vermutlich lange und vergeblich darauf wird warten müssen, dass in Sachen Dieselgate Bundes- oder Landesregierungen wirksam handeln, sind wohl die Städte am Zug. Für Kassel, wenn sie ihren Bürgerinnen und Bürgern eine bessere Atemluft gönnen wollen, müsste das u.a. heißen:
• Die Straßenbahn nach Harleshausen (über Rothenditmold natürlich) sollte rasch ausgebaut werden. An dieser Trasse wohnen über 20.000 Personen.
• Ebenso rasch oder kurz danach sollten Straßenbahnverbindungen nach Lohfelden und Ihringshausen hergestellt werden. Der Widerstand der beiden Gemeindevertretungen gegen diese sinnvollen Projekte sollte aufgegeben werden.
• Für den Ausbau und die Verbesserung der Radwege-Infrastruktur sollte die Stadt endlich ordentlich Geld in die Hand nehmen: 3 – bis 4 Millionen jährlich!
• Alle Straßenbahn-Hauptkorridore sollten, wie die Holländische Straße, so ausgebaut werden, dass die Straßenbahnen mit Anhänger befahren werden können.
• Die Parkraumbewirtschaftung und die Stellplatzsatzung müssen dringend ökologisch auf die neuen Verkehrsanforderungen hin ausgerichtet und angepasst werden. Die dabei generierten Zusatzerlöse werden dem Ausbau des ÖPNV’s zugeführt.
• Wie die Stadtverordnetenversammlung bereits vor vielen Jahren beschlossen hat, sind alle oberirdischen Stellplätze auf den städtebaulich relevanten Plätzen abzubauen. Dafür gibt es die Tiefgarage unter dem Friedrichsplatz. Die Plätze sind anschließend nachhaltig zu begrünen.
• Die Busflotte ist sofort auf Gasbetrieb umzustellen. Die Fahrzeug-Flotten der öffentlichen Unternehmen sind auf E-Fahrzeuge umzustellen. Die Ladeinfrastruktur für E-Autos ist konsequent auszubauen.
• Dach- und Fassadenbegrünung sind grundsätzlich in allen Bebauungsplänen festzusetzen und entsprechend zu fördern. Das verbessert das Mikroklima, vergrößert die Verdunstungskälte und bindet Staub.
• Statt immer wieder neue Flächen im Außenbereich zu verbraten und zu versiegeln, ist konsequent auf Innenentwicklung zu setzen. Es reicht nicht, immer und überall darüber zu reden. Es muss gemacht werden!
• Die Frischluft-Schneisen müssen konsequent freigehalten und Hindernisse aller Art müssen beseitigt werden.
• Alle Diesel unter der Euro Norm 6 sind aus Kassel so lange zu verbannen, bis sie entsprechend nachgerüstet worden sind und höchsten Reinheitsanforderungen resp. den EU-Vorgaben genügen.
Damit schließt sich der Kreis und wir sind wieder beim Diesel angelangt.
Diese kurze Liste erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Reihenfolge ist nicht gewichtet. Aber es wäre gut, wenn rasch entsprechende Entscheidungen in dieser Richtung fallen würden!