Was hat der Zweckverband Raum Kassel (ZRK*) mit dem 22. Juni 2023 in Kassel zu tun?
Nie würde ich sagen oder schreiben, dass das Handeln des ZRK in den vergangenen Jahrzehnten das Hagelinferno, wie es sich am vergangenen Donnerstag in Kassel abgespielt hat, direkt ausgelöst hätte. Das wäre falsch oder zumindest nicht ganz richtig. Vor allem aber zu kurz gegriffen. Dennoch, und das ist wahr und bitter zugleich, hat die Vollversammlung (VV) des ZRK jahrzehntelang ignorant agiert. Sie hat
- die bedrohlichen Fakten von Klima- und Ökologiekrise immer wieder zur Seite geschoben,
- es immer nur beim Reden über Innenentwicklung, Begrünung, Entsiegelung, Ressourcenschonung etc. belassen und
- bei unzähligen Bau- und Entwicklungsprojekten immer wieder massiv gegen bessere Einsichten und wissenschaftliche Erkenntnisse und die eigenen Pläne und Ziele gehandelt.
Damit hat der ZRK sehr wohl etwas mit der dramatischen halben Stunde am 22. Juni 2023 zwischen halb 5 und 5 zu tun. Schon vor langen Jahren sind genau solche Ereignisse – Dürren, Waldbrände, Starkregen und all das immer heftiger und in immer rascherer Abfolge – für unsere Region in Nordhessen präzise prognostiziert und angekündigt worden. Gebrannt hat es gerade auch hier bei uns, in Kaufungen und am Hohen Gras. Und besagter Nachmittag am 22. Juni 2023, so besonders er in seiner meteorologischen Besonderheit und Ausformung gewesen sein mag, war dennoch keine Einzigartigkeit. Denn auch wenn das je persönliche Gedächtnis solche Ereignisse nicht zuverlässig speichert und noch schneller wieder vergisst, so sind die regionalen Wetteraufzeichnungen längst exakt genug, um klar erkennen zu lassen: Die Anzahl ungewöhnlicher und gefährlicher Wetterphänomene hat auch bei uns deutlich zugenommen. Mit entsprechenden Risiken für eine unsichere Zukunft …
Es bestünde also auf jeden Fall Anlass genug, nachdenklich zu werden und aufzuhören, die selben Fehler ewig zu wiederholen. Denn es reicht eben nicht, teils schon richtige Öko-Vokabeln im Mund zu führen und in die mehr oder weniger verbindlichen Dokumente und Pläne hehre ökologische Ziele hinein zu formulieren. Das reicht und hilft nicht, wenn bei den Beschlüssen zu beinahe jeder Flächennutzungsplan-Änderung doch wieder, also beim konkreten Handeln, das Gegenteil von alledem gemacht wird, was eigentlich notwendig wäre.
Womit wir beim Bericht über die letzte Verbandsversammlung (VV) am 21. Juni 2023, also just am Vortag des Hagelinfernos, angekommen wären, wo sich das oben Gesagte und Kritisierte wunderbar belegen lässt. Diesem Bericht soll aber noch eine kleine Episode vorweggeschickt werden.
Dieselbe Kritik, die ich am 22. Juni 2023 erneut formulierte und die ich mit dem aktuellen Kurzbericht konkretisieren möchte, habe ich im Juni 2022, laut, vernehmlich und in Überlänge ebenfalls geäußert. Die Überlänge lag vor allem an den vielen ökologischen Katastrophen, die zu der Zeit, also im Juni 2022, den Planeten erfasst hatten. Denn es brannte nahezu überall: von Brandenburg bis Florida, von der französischen Mittelmeerküste bis Australien und in Griechenland und Spanien über Monate hinweg sowieso. Dass der Po kein Wasser mehr führte und ganz Oberitalien unter Wassernot ächzte, haben die meisten vermutlich schon wieder vergessen! Aber selbst die Grünen juckte das alles kein bisschen. Man wisse das doch alles und was das denn mit dem ZRK zu tun habe? Dennoch wollte man im Juni 2022 meinem Ansinnen nicht folgen und auf den Neubau einer neuen, großen Sporthalle auf den Giesewiesen im Süden Kassels, geplant mitten hinein in eine bedeutsame Kaltluftbahn, verzichten. Ohne jeden Sinn und Verstand, gegen jede Einsicht in Bezug auf die sich in den Sommermonaten stark erhitzenden Städte, wollte man eben dort so eine Halle errichten. Dass nun die Pläne von Ex-OB Geselle für dieses Bauprojekt erst einmal aufgeschoben sind, hat leider mit der Einsicht in die Notwendigkeit, solche Dummheiten tunlichst zu unterlassen, nichts zu tun.
Wer will, kann das Ganze hier noch einmal ausführlich nachlesen:
Zurück zum Juni 2023, wo es dann ganz ähnlich wie im Juni 2022 zugehen sollte, womit auch klar wurde, dass man in dem einen Jahr nichts dazugelernt hatte:
Beispiel 1: Aldi Nord will in Vellmar an der B 83/Zum Feldlager seine Verkaufsfläche von 950 auf 1300 qm erhöhen. Davon geht meiner Meinung nach die Welt nicht unter, auch wenn es unnötig wie ein Kropf ist, denn die Versorgung mit solchen Märkten ist längst übererfüllt. Dennoch wird weder auf der Ebene der Flächennutzungsplanung noch auf der Ebene der Bebauungsplanung etwas unternommen, damit sich die Gesamtsituation in diesem Bereich ökologisch und klimatisch verbessert. So wird weder Einfluss darauf genommen, dass der zubetonierte, riesige Parkplatz mit Bäumen begrünt wird, noch darauf gedrungen, dass nach Abriss und Neubau das wieder nur eingeschossige Gebäude z. B. mit einem 2. oder 3. Geschoss für Büroflächen ergänzt und anschließend mit einem Gründach incl. Photovoltaik versehen wird. Unser Ansinnen, in eben diese Richtung zu agieren und mit Aldi zu verhandeln, wird abgeschmettert. Der ZRK muss aber endlich aktiv werden und seine Möglichkeiten ausschöpfen. Denn ohne die vorauslaufenden kommunalen Planungen – in diesem Fall eben die Flächennutzungsplan-Änderung durch den ZRK und daraus abgeleitet der Bebauungsplan der Stadt Vellmar – können Private, in diesem Fall Aldi-Nord, ihre Pläne nicht umsetzen. Aber wie immer handeln beide, ZRK und Stadt Vellmar, nicht in diesem Sinne. Vielmehr lassen sie die Dinge laufen.
Beispiel 2: Wir wollten mit einem eigenen Antrag die VV des ZRK dazu veranlassen, die Stadt Baunatal von ihrem Vorhaben abzubringen, ein über 20 Hektar großes, neues Baugebiet zwischen Lützel und dem nördlichen Siedlungsrand von Großenritte zu errichten. Es steht im Widerspruch zu allem, was sich der ZRK für die kommenden Jahre vorgenommen hat. Es liefe auf den Verlust wertvoller Ackerflächen hinaus mit entsprechend großräumigen Versiegelungen. Aber auch da gab es keine Einsicht: Es sei eben Sache der Kommune zu entscheiden, in welche Richtung Sie sich entwickeln wolle und wieviel Einfamilienhäuser sie zusätzlich noch in die Landschaft setzen möchte. Wir sehen das anders: Auch wenn die Kommunen darüber letztlich zu entscheiden haben (das regelt die Hess. Gemeindeordnung), so könnte der ZRK durchaus seinen Mitgliedskommunen eindeutig signalisieren, dass es für solche aus der Zeit gefallenen Mammutprojekte die notwendige Flächennutzungsplan-Änderung eben nicht mehr geben wird. Und alle wissen außerdem genau: Die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung auch in unserer Region zeigen, nach den Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes, eher in Richtung Bevölkerungsabnahme. Die in Baunatal imaginierten Bevölkerungszuwächse sind eine reine Fata Morgana. Aber unserem Antrag wollte dennoch niemand folgen.
Nun liegt unsere Hoffnung auf dem Widerstand vieler aktiv gewordener, kluger Baunataler BürgerInnen, die das Projekt aus guten Gründen ablehnen und auch darauf, dass einige Bauern ihr Land nicht für so einen Irrsinn hergeben. Es muss wohl auch mit Klagen gerechnet werden, sodass in diesem Fall noch Hoffnung besteht.
Beispiel 3: Wir hätten uns im Kasseler Osten, wo anstelle des Pleite gegangenen Baumarkts Max Bahr nun ein neuer Möbelmarkt entstehen bzw. einziehen soll, einen mutigeren ZRK gewünscht. Denn planungsrechtlich ist das eigentlich nicht möglich, weil im sogenannten „Entwicklungsplan Zentren“ für diesen Bereich ein Bau-, aber kein Möbelmarkt zugelassen ist. Durch Ungeschicklichkeiten der beteiligten Ämter der Stadt Kassel konnte der Investor für sein Vorhaben aber ein Schlupfloch für seine Pläne finden. Wir regten deshalb an, dass der ZRK zumindest prüfen möge, ob nicht vielleicht auf der Ebene der Flächennutzungsplanung eine Klagemöglichkeit für diese klare Fehlentwicklung besteht. Denn ein weiterer Möbelmarkt in diesem Sektor der Stadt Kassel würde nur zu einer Überversorgung und Kannibalisierung führen. Aber auch das war nicht gewünscht. Es gab auch keinerlei Bereitschaft dafür, durch weitsichtige Planänderungen eine andere Entwicklung für diesen Bereich – z. B. mit ideenreichem Wohnungsbau, gemischt mit Büroflachen und ggf. anderen Nutzungen – ins Auge zu fassen. Erneut Fehleinzeige!
Beispiel 4: Mit einem schlichten, inhaltlich leicht zu erfassenden und ähnlich leicht umzusetzenden Antrag wollten wir eine zusätzliche Offensive in Sachen Nutzung der Solarenergie im ZRK-Bereich starten. Erfreulicherweise haben Landkreis und ZRK zusammen ja schon eine Initiative ergriffen, bei der es um die Nutzung von agrarischen und anderen Frei-Flächen außerhalb der Ortslagen geht. Das wird vom Land Hessen unterstützt und ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden. So z. B. kein Verbrauch wertvollen Ackerlandes oder wichtiger Biotop-Flächen. Es gibt noch anderes, was beim Ausbau der Photovoltaik (PV) auf derartigen Arealen zu beachten wäre. Das aber würde hier zu weit führen.
Wichtig und entscheidend, in Zusammenhang mit der hier vorgetragenen Kritik, ist, dass im Prinzip alle anderen Fraktionen unseren Antrag sinnvoll fanden, liegt doch die Nutzung vorhandener Dächer von Gewerbe- und privaten Immobilien aller Art zum einen auf der Hand, zum anderen ist sie für die anzustrebende Energiewende unerlässlich. Es wollte aber keiner unseren Antrag unterstützen, obwohl wir klarmachten, dass es uns gar nicht um eine sofortige Abstimmung über diesen Antrag ging, vielmehr nur um das Anschieben einer Debatte darüber. Auch das wollte keiner. Stattdessen zog man über uns her und unterstellte uns sozialistisches Gebaren, als würden wir tatsächlich fordern, dass der ZRK par ordre du mufti die Gemeinden und Städte des ZRK zum Handeln zwingen und für alle Gemeinden ein und dieselbe Satzung für die Entwicklung der PV-Nutzung auf privaten Dächern durchsetzen solle. Was natürlich Blödsinn ist: In der Erläuterung zu unserem Antrag steht, falls man denn seine Lesefähigkeit hätte nutzen wollen, klar und unmissverständlich: „Der ZRK macht dazu (für die Muster-Satzung) die fachliche Vorarbeit, die Gemeinden sind dafür zuständig, die Satzungen zu beschließen und dafür Sorge zu tragen, dass möglichst viele Akteure mitmachen.“ Spätestens seit dem Heizungsgesetz–Chaos der Bundesregierung müssten auch die Mitglieder des ZRK wissen, dass solche in die politischen Gremien eingebrachten Anträge niemals unverändert aus dem Beteiligungsprozess herauskommen. Aber das nur nebenbei.
Im Wegweiser für Kommunen im Landkreis Kassel vom April 2023, vom Landkreis Kassel und dem ZRK gemeinsam herausgegeben, wird – wie oben schon erwähnt – für die Errichtung von PV-Anlagen auf Freiflächen geworben. Nicht umsonst weisen die AutorInnen aber schon im Grußwort dieses Wegweisers darauf hin: „Insbesondere im weiteren Ausbau von PV Anlagen liegt eine große Chance. Unzählige Dachflächen eigenen sich etwa für Bebauung mit PV-Anlagen. Das hilft, den Flächenverbrauch und das damit verbundene Konfliktpotential (Gemeint ist damit das Konfliktpotential auf landwirtschaftlichen Nutzflächen) deutlich zu reduzieren.“ Genau so steht das auch in unserem Antrag.
Um zum Anfang des Artikels zurück zu kommen: Natürlich hat niemand am 22. Juni 2023 in der VV des ZRK auf einen Knopf gedrückt und damit das Unwetter am Folgetag ausgelöst. Das nicht. Aber dass der ZRK mit seinem jahrzehntelangen, ungenügenden, die evidenten Fakten der Klima- und anderer ökologischer Krisen leugnenden Handeln die aktuelle Klimasituation im Grunde mitverursacht hat (weil alle anderen Institutionen, auf welcher politischen Ebene auch immer, ja genau denselben Mist machen!), lässt sich nicht von der Hand weisen. Insofern steht der vielbeschworene Wandel, von dem alle quatschen, im ZRK noch aus.
*Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Institution und Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifenden Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehörte z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden gewesen, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung (VV) der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen …
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