Wohin marschiert der Zweckverband Raum Kassel* mit seinem neuen Siedlungsrahmenkonzept?

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Mit dem neuen, ambitionierten Verbandsdirektor Bachmann an der Spitze und mit dem nicht mehr so ganz taufrischen Siedlungsrahmenkonzept 2015 (beschlossen 2006), an dem sich die Aktivitäten des Zweckverbandes Raum Kassel* bislang orientierten, macht sich dieser Verband am Ende des schwierigen Corona-Jahres 2020 auf den Weg, die Weichen für das kommende, ökologisch so entscheidende Jahrzehnt neu zu stellen. Außerdem geht im Landkreis und im Oberzentrum Kassel die Legislaturperiode 2016/2021 zu Ende. Nach den Kommunalwahlen im Frühjahr 2021 ist neben den schon absehbaren personellen Wechseln auch – hoffentlich – mit weiteren politisch-fachlichen Veränderungen zu rechnen. Der Klimawandel, die meisten wissen es hoffentlich inzwischen, lässt nicht mit sich verhandeln…

Weil der Zweckverband* in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger willfährig die Erweiterungs- und Bauland-Wünsche der Umlandgemeinden wie auch des Oberzentrums Kassel in Flächennutzungspläne umgesetzt hat, ist wenig zu sehen gewesen von Impulsen für eine sich an ökologischen Erfordernissen orientierenden Wohn- und Gewerbepolitik. Getragen wurde diese langjährige Entwicklung, bei der eine positive Entwicklung der Region ausschließlich mit der massiven Ausweitung des Flächenverbrauchs gleichgesetzt wurde, von der hiesigen SPD. Die notwendige Stimmenmehrheit dafür hat sie sich mal bei der CDU, mal bei den Grünen beschafft.

Wer die Weichen nach den Wahlen aber richtig stellen will, muss spätestens jetzt eine mehr oder weniger radikale, ökologische Wende einleiten. Nach Jahrzehnten des unbedachten, von nicht hinterfragter Wachstumsphilosophie angetriebenen Wirtschaftens und des oft völlig unnötigen Flächenverbrauchs, gibt es nun auch im Zweckverband erste zarte Anzeichen eines Umdenkens. Vermutlich haben inzwischen auch die engstirnigeren Kommunalpolitiker im Verbands-Vorstand dieses wichtigen Planungsverbandes erkannt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Deshalb kommt fast positive Stimmung auf, wenn in den Erläuterungen zu den neuen Entwicklungsplänen, die der Zweckverband seinem 2030iger Siedlungsrahmenkonzept (SRK) in Sachen Umwelt, Klima und Flächenverbrauch vorausschickt, viele richtige Ansprüche formuliert werden. So ist in einer Aufzählung unter den Begriffen „Leitziele und Strategien“ von Innenentwicklung, Nachverdichtung, Klimaanpassungsmaßnahmen, Nutzung erneuerbarer Energien, Flächeneinsparung etc. die Rede. Auch wenn in der Aufzählung eine ganze Reihe wichtiger Ziele nicht benannt werden, wie z.B. die Nutzungsmischung, die (Grund-)Wasserproblematik, die dringenden Änderungsbedarfe im Bestand der vorhandenen Wohnungs- und Gewerbeareale – so sind dennoch wesentliche Entwicklungsziele durchaus richtig benannt. Es wird deutlich, dass die VerfasserInnen genau wissen, dass auch das planerische Handeln des Zweckverbandes den ökologischen Anforderungen des Kampfes gegen den Klimawandel Rechnung tragen muss. Selbst die planungswissenschaftlich nicht vorbelastete LeserIn wird dem Verfasser dieser Zeilen insofern zustimmen, als der besagte Text – wenn er denn im Frühjahr 2021 so beschlossen und veröffentlicht wird – im Prinzip die erforderlichen Tendenzen und Notwendigkeiten der Zeit in Ansätzen richtig beschreibt. Wenn sich jedoch nach den zitierten Erklärungen und Zielvorgaben im Einleitungstext die konkreten Planungen für Kassel plus Speckgürtel im darauf folgenden Übersichtsplan bzw. in der tabellarischen Übersicht beim Flächenbedarf für die jeweiligen Gemeinden auf über 600 Hektar belaufen, passt was nicht zusammen. Und es hat nichts mit Meinung oder individueller Einschätzung zu tun, wenn ich es hier in aller Diplomatie so formuliere: Trotz der bedrohlichen Anzeichen, die der Klimawandel weltweit wie auch in unserer Region zeitigt, wo die Wälder z.B. massiv unter Trockenheit leiden, bleibt beim Zweckverband letztlich alles beim Alten! Wenn sich der Flächenverbrauch im Zweckverbandsgebiet in den kommenden 10 Jahren auf die besagten mehr als 600 Hektar zusammenaddiert, weil alle Wünsche der Umlandgemeinden und der Stadt Kassel für neue Einfamilien/Doppelhäuser und Stadtvillen bzw. zusätzliche Gewerbegebiete als sakrosankt gelten, werden die vollmundigen Ziele und Notwendigkeiten des Einleitungstextes zur bloßen Karikatur.

Was wir uns als Region planerisch auferlegen sollten, wäre im Prinzip ein Null-Flächenwachstum beim Verbrauch an Boden an den Rändern von Stadt und Umland. Boden ist, wie wir alle wissen, nicht vermehrbar. Also pure Innenentwicklung! Aber eben nicht nur verbal, sondern real!

Abschließend bleibt festzustellen, dass den vollmundig getroffenen Aussagen im Einleitungstext keine neue Planung folgt, sondern vielmehr das gleiche Prozedere wie in den vergangenen Jahren, also nur neuer Wein in alten Schläuchen. Die Enttäuschung ist perfekt. Hatte man beim ersten Lesen noch den Eindruck, dass sich auch unsere Region aufmachen will, um ihren Teil dazu beizutragen, den Ansprüchen, die Klimawandel, Artensterben und Wasserproblematik an die räumliche Planung stellen, Genüge zu tun, so zeigt die folgende Planübersicht überdeutlich, wohin die Reise wirklich geht: in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft. Anstelle eine Offensive zu starten mit neuen Techniken, einfallsreichen Innovationen und (fachlich ausgereiften) grünen Ideen, die es ja längst gibt und die als Grundlage einer flächenextensiven Planung bestens geeignet wären, wird erneut das Heil nahezu allein im Flächenverbrauch für Wohnungsbau und Gewerbeentwicklung gesucht.

Grundlage dafür sind offensichtlich unterschiedliche Interpretationen der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung. Eigentlich kann es aber, bei Unsicherheiten in kleinerem Rahmen, gar keine zwei Meinungen dazu geben: Selbst das Land Hessen prognostiziert für den Landkreis Kassel für die kommenden Jahrzehnte einen mehr oder weniger dramatischen Absturz bei den Einwohnerzahlen. An diesen im Prinzip unumstrittenen Fakten kommt niemand vorbei. Dennoch wird weiter geplant, als gäbe es diese Zahlen nicht. Worauf sich die Planer beim Zweckverband letztlich stützen, ist die Behauptung, dass der lauthals reklamierte Bedarf an Einfamilienhäusern und hochwertigem Wohneigentum in Stadtvillen dringend, unbedingt und rasch gedeckt werden muss. Außerdem wird genauso unhinterfragt der Tendenz Vorschub geleistet, dass pro EinwohnerIn sowohl in gemieteten als auch in Eigentum befindlichen Wohnungen ständig mehr Fläche zur Verfügung stehen müsse. Denn die Wohnfläche pro Person steigt in der Tat seit den 50iger Jahren permanent an. Das jedoch ist weder ein Naturgesetz, noch gibt es gesetzlich verbriefte Rechte auf ansteigenden Wohnflächenbedarf.

Der kritische Hinweis auf die oben beschriebene, drohende Fehlausrichtung bei den planerischen Vorgaben im Zweckverband für das kommende Jahrzehnt ist alles andere als eine unwichtige Kleinigkeit oder Petitesse, die man so oder so sehen kann. Hier scheiden sich vielmehr die Geister: ideologisch, planungs-philosophisch und kommunalpolitisch! Bleibt nur die Hoffnung, dass die Ewiggestrigen auf diesem Gebiet bei den anstehenden Wahlen im kommenden Frühjahr die Nase nicht vorn haben!

*Was ist der Zweckverband Raum Kassel eigentlich genau?

Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifende Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehört z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen… Ein neues Aufgabenfeld, der sog. Landschaftspflegeverband für den Landkreis Kassel, wird im kommenden Jahr vermutlich auch beim ZRK mit angedockt, was sicherlich zu einem weiteren Bedeutungszuwachs führen wird…