Kopenhagen per Rad erleben: Das löst Freude und Entspanntheit aus! Das genaue Gegenteil davon erleben Tag für Tag die RadlerInnen in Kassel …
Der Weg, den Kassel noch vor sich hat, falls sich die Verantwortlichen der Stadt je ernsthaft in Richtung eines konsequenten Ausbaus des Radverkehrs bewegen sollten, ist auf jeden Fall noch lang. Wer sich aufmacht nach Kopenhagen, um vor Ort zu schauen, wie Radfahren auch in unserer Stadt vielleicht einmal aussehen, sich anfühlen könnte, wird aus dem Staunen nicht herauskommen.
Es käme einer „Kulturrevolution“ in der Mobilität gleich, wenn sich Kassel, nach so vielen verspielten und vertanen Jahrzehnten, wo es nur minimale Verbesserungen für Radelnde gab, hin bewegte auf eine umweltfreundliche Rad-Mobilität. Es ist hierbei wie bei Klimafragen, ökologischem Stadtumbau u. ä. längst so, dass natürlich auch in Kassel viel über den Radverkehr schwadroniert und manchmal sogar schon geplant wird: Es wird sogar ab und an mal ein Stück (Neben-) Straße umgebaut, rot eingefärbt und dann zur Radstraße erklärt. Was aber bis heute ausbleibt, ist die konsequente Eröffnung der Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum, der sich nicht vermehren lässt und den die Autos (euphemistisch: MIV, Motorisierter Individual Verkehr genannt) zum allergrößten Teil für sich in Anspruch nehmen: zum Fahren wie zum Parken. Mit fatalen Konsequenzen und einem hohen Preis für alle Stadtbewohner – schlechte Luft, viele Tote und Verletzte (meist Fußgänger und Radfahrer) und vor allem fehlender Platz für all die Dinge, die Lebensqualität in einer Stadt maßgeblich ausmachen: Freiräume zum Durchatmen und Begegnen, Platz für entspannten Sport, andere Bewegungsarten und natürlich zum Radeln!
Vor allem darf nicht vergessen werden: Diese jahrzehntelange einseitige Förderung der Mobilität von gestern kostet eine Menge Geld, verschlingt Unsummen. Die alte Weisheit, dass man einen Euro nur einmal ausgeben kann, gilt auch hier: Für den Radverkehr reicht es dann meistens nicht mehr. Das jedenfalls ist in Kassel die bittere Realität – bis heute.
Im November 2018 wurden im Rathaus fast 22.000 Unterschriften abgegeben. Es war das mutmachende Ergebnis eines mit viel Engagement durchgeführten Bürgerbegehrens. Die Euphorie war groß. Aber es kam dennoch nicht zu dem angestrebten Radentscheid, vielmehr nur zu einigen Versprechungen bzw. Beschlüssen des Kasseler Parlaments, der Stadtverordnetenversammlung. Wenn mehr als 10 Prozent der Kasseler Bürger per Unterschrift unter dieses Begehren zum Ausdruck bringen, dass sie sich eine andere Zukunft für die Mobilität ihrer Stadt wünschen, ist das ein mehr als eindeutiges politisches Statement. Dennoch passierte bis heute, sechs Jahre danach, nur wenig. Die Aufbruchstimmung ist außerdem weitgehend verflogen und der Wandel ist ausgeblieben: Was inzwischen realisiert wurde, ist im Verhältnis zu dem, was sinnvoll und nötig wäre, viel zu wenig. Vor allem wenn man sich in Kopenhagen umschaut und diese Stadt mit Kassel vergleicht.
Es war Mitte Juni 2024, es war mild und angenehm warm in Kopenhagen. Hier, in dieser wunderbaren dänischen Hauptstadt, kann man all das, was Kassel für die Förderung des Radverkehrs nicht gemacht und nicht in Szene gesetzt hat, auf 2 Rädern rollend sehen, spüren und erleben.
Mein Sohn und ich, zu Hause mit guten Rädern ausgestattet, haben uns einige Tage mit einem hoteleigenen, ziemlich abgewirtschafteten Damenrad begnügt und damit diese schöne Metropole erkundet. Man braucht in der Stadt des Fahrrads kein teures Mountain- und auch kein flottes E-Bike. Es reicht ein ganz normales.
Aber bevor ich anfange, meine Eindrücke zu beschreiben, die bis heute nachwirken, ein paar Fakten:
- Schon in den 70iger Jahren leitet Kopenhagen eine klare verkehrspolitische Wende zugunsten des Fahrrads ein
- Das Radwegnetz hat inzwischen eine Gesamtlänge von 400 km
- Der Parkraum für Autos wird jährlich um 3 % reduziert, die Parkgebühren sind sehr hoch
- Die Zahl der Radfahrenden nimmt ständig zu: So ist sie von 2006 bis 2017 von einem schon hohen Niveau aus noch einmal um 22 Prozent angestiegen
- Verkehrs- und Stadtplanung stimmen sich eng miteinander ab
- Beim Modal Split, der Verkehrsmittelwahl, liegen Räder (29%) und Autos (34%) inzwischen fast schon gleichauf
- 2007 und 2008 verabschiedete die Stadtverwaltung einstimmig die zentralen Dokumente Miljømetropolen („Die Umweltmetropole“) und Metropol for Mennesker („Metropole für Menschen“). Beide Beschlüsse wirken sich bis heute ausgesprochen positiv aus. So hat sich der CO2-Ausstoß drastisch reduziert, Luftverschmutzung und Lärmbelästigung haben signifikant abgenommen. Die Beschlüsse beinhalteten außerdem, die fahrradfreundlichste Stadt der Welt werden zu wollen mit einem lebenswerten städtischen Raum …
- Alles längst erreicht!
Wer im Netz über Kopenhagen zu diesem Thema liest, kommt aus dem Staunen nicht heraus: Kopenhagen begeistert Fachleute und (Rad-) Touristen aus aller Welt. Die Bewohnerinnen und Bewohner Kopenhagens gehören mit zu den glücklichsten Menschen, die in einer Metropole leben. Und das hat viel mit dem gelungenen Durchbruch beim Radverkehr zu tun.
Es ist das schiere Vergnügen, so eine Stadt vom Sattel eines Fahrrads aus zu genießen. Was hier die Politiker zusammen mit den Planern und den BewohnerInnen hinbekommen haben, ist beeindruckend. Einige Tage das gelobte Land des Radfahrens, der Fahrradkultur, der Stadtverwandlung durch Hinwendung zum Rad genießen zu können, ist etwas Besonderes und wird zur Nachahmung empfohlen. Das klingt euphorisch. Ist es auch in gewisser Weise, denn der Unterschied – gerade zu einer Autostadt wie Kassel – ist riesig.
Um all denen, die glauben, dass es mit ein bisschen Farbe da und dort, mit ein paar wenigen Radstraßen (die ohnehin schon von den RadlerInnen dazu gemacht worden waren wie z.B. dem Königstor), da und dort mit ein bisschen Optimierung an bestimmten Kreuzungen bzw. Ampelschaltungen oder auch mal mit dem Wegfall eines Parkplatzes und ein paar mehr Fahrradständern getan sein könnte, der irrt. Der Umbau zu einer Radstadt geht viel tiefer, ist viel grundsätzlicher. Er muss gewollt werden, um seine fast magische Wirkung zu entfalten. Und Kopenhagen ist da wirklich schon sehr weit. Das spürt man z.B., wenn man mit einem indischen Taxifahrer zum Bahnhof fährt und der einem voller Euphorie und Begeisterung davon erzählt, wie phantastisch in Kopenhagen der Umweltverbund funktioniert, das ist das ineinandergreifende Zusammenwirken von Rad- und Fußgängerverkehr mit dem ÖPNV. Zu dem rechnet der engagierte Taxifahrer natürlich auch das Taxi dazu. Seit vielen Jahren fahren die alle mit Strom, wie die Busse natürlich auch.
Was wir im Sommer beim Check der Radlegende Kopenhagen studiert, abgefahren und erprobt haben, lieferte ein eindeutiges Ergebnis: Großartig haben die Stadt- und VerkehrsplanerInnen dieser Stadt gearbeitet. Die Resultate und Lösungen können sich sehen lassen. Wir waren beeindruckt. Der Gipfel von allem jedoch, das zeigen auch die Fotos, sind die Brücken, einige davon ausschließlich für Radler und Fußgänger, die die Stadt durchziehen und die vielen Wasserläufe aller Art elegant überspannen. Spätestens da, weil ja nicht nur Brückenbauingenieure wissen, um was für Kostendimensionen es sich dabei handelt, erkennt auch der und die Letzte, was für ein politischer und planerischer Wille hinter dem Projekt der fahrrad- und umweltfreundlichen Stadt steckt!
Aber damit es klar ist: Trotz einiger Zahlen und Fakten ist das hier kein analytischer, statistisch einwandfreier Fach-Artikel, der dem Anspruch eines Experten-Städte-Vergleichs standhielte. Er ist mehr der Ausdruck einer Emotion, die vermutlich alle diejenigen, die von normalen deutschen Städten nach Kopenhagen reisen, ebenso erfassen wird. Und ich verhehle nicht: Es macht einen ganz traurig, den großen Abstand zu spüren und dabei zu erahnen, was für ein langer Weg noch vor Kassel liegt.
Aber – wie sollte es anders sein – es gibt sogar in Kopenhagen noch ungelöste, teils ganz neue Probleme. Ein Paradies ist Kopenhagen also immer noch nicht und weitere Erfolge werden vermutlich hart erkämpft werden müssen. Eine Entwicklung, die schon vor über 50 Jahren ihren Anfang nahm, konnte und kann nicht überall mit der rasanten Entwicklung der Fahrradtechnologie schritthalten. Auch die besten Stadt- und Verkehrsplaner konnten nicht jede technologische Innovation antizipieren. Und davon gab es ja beim Fahrrad viele und teils grundlegende in den vergangenen Jahren. Und so wird jeder Radfahrer verstehen, dass die neuen E-Bikes, die größer, stärker und schneller werdenden Lastenräder, auch Probleme mit sich bringen.
Selbst in Kopenhagen lassen sich Straßenräume nicht „künstlich“ ausweiten und endlos verbreitern. Und so muss man auch dort immer schön vorsichtig unterwegs sein, denn – rasch und geräuschlos – können von hinten schnelle und überbreite Lastenräder mit Schmackes an einem vorbeidüsen!
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