Auch wenn Kassel inzwischen einen grünen Oberbürgermeister hat: Geändert hat sich beim Flächenverbrauch und beim Zubauen von Kaltluftschneisen leider erst mal nichts. Aber schön der Reihe nach.

Für den 15. November 2023 lädt der Vorstand des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK)* zur letzten Vollversammlung des Jahres 2023. Und auch wenn die Tagesordnung noch einigen anderen Zündstoff enthielt, soll es hier nur um den Tagesordnungspunkt 2 gehen: die Flächennutzungsplan-Änderung, ZRK 76, „SO Hospiz“, Harleshausen. Auf Wunsch bzw. Betreiben der Stadt Kassel soll im alten Ortskern von Harleshausen der Neubau eines Hospizes realisiert werden. Allerdings: So harmlos wie das klingt, ist dieser Neubau aber nicht, weil der vorgesehene Bauplatz an einer geradezu neuralgischen Stelle liegt. Der Bauplatz liegt am Rand des Geilebaches, eines hochempfindlichen Bereichs, der unter allen Umständen von einengender Bebauung freigehalten werden sollte. Denn genau hier fließt an heißen Sommertagen kühlere Frischluft aus dem Geilebach – Tal in die sich anschließenden Stadtteile. Man spricht von Frischluftschneisen bzw. Luftleitbahnen, die in ihrer Funktion nicht beeinträchtigt werden sollen.

Um es klarzustellen: Auch meine Fraktion (Die Linke, für die ich als Parteiloser im ZRK sitze) steht, ebenso wie die anderen Fraktionen, dem Neubau eines Hospizes grundsätzlich positiv gegenüber. Allerdings, so unsere Auffassung, nicht an einer für das Klima, von dem alle immer so kompetent und entschlossen daherreden, derart wichtigen Frischluftschneise. So etwas zu tun, wider besseres Wissen, gegen die eigenen Regeln, die man sich mehrheitlich gegeben hat, steht im klaren Widerspruch zu allen Klimabeschlüssen, die sich die Stadt selbst auferlegt hat. Planerisch und ökologisch ist so ein Beschluss quasi eine „Todsünde“.

Neben dem Klima- und Frischluftaspekt ist außerdem von Bedeutung, dass mit einer Bebauung in diesem Bereich die Belange des Hochwasserschutzes beeinträchtigt werden. Da die Bebauung an den Geilebach bis auf die sogenannte Hq100 Hochwasser-Linie heranrücken würde, wären angesichts des Klimawandels und zu erwartender stärkerer Hochwässer folgenreiche Überschwemmungen zu befürchten. Und die könnten bei derartigen baulichen Einengungen entsprechend stärker ausfallen als möglicherweise ohnehin.

Für eine ökologisch ambitionierte Stadt wie Kassel, die sich zumindest verbal (wie der Zweckverband auch) auf den Weg zur Klimaneutralität bis 2030 gemacht hat, ist das ein ganz und gar kontraproduktiver Beschluss. Dass jetzt erneut, wie einst unter Ex-OB Geselle, eine Kaltluftbahn zugebaut werden soll (Geselle wollte seinerzeit mit seiner neuen Sporthalle auf den Giesewiesen den elementar wichtigen Kalt- und Frischluftstrom vom Park Schönfeld her massiv einengen), verwundert sehr. Hat Kassel doch inzwischen nicht nur einen grünen OB, sondern auch eine grüne Stadtklimarätin. Deren Aufgabe muss oder müsste es nun sein, auch wenn das an dieser Stelle so unsinnige Projekt vor ihrer Ernennung ausgeheckt worden ist, es rasch aufzugeben.

Aus der Stadtplanungsecke hört man, wie immer in solchen Fällen: „Es gibt leider keine Alternative zu diesem Standort“. Bullshit würde man auf der Straße sagen, aber auch aus Expertensicht ist so eine angebliche planerische Alternativlosigkeit natürlich Unsinn. Geeignete Ersatzstandorte in einer Stadt dieser Größe sind immer vorhanden, man muss nur das Such- und Auswahlverfahren entsprechend ausweiten. Konkret hieße das, den Suchbereich zu vergrößern und gleichzeitig die Suchkriterien zu modifizieren. Selbstverständlich müssen auch Gewerbe- und andere Brachflächen mit ins Auswahlverfahren einbezogen werden …

Die Berufung auf die Alternativlosigkeit hat hier in Kassel jedoch Tradition. Wir erinnern uns noch alle – um nur ein einziges Bespiel zu nennen – an den Neubau des Auebads mitten hinein in die grüne Lunge der Stadt, mit all den fatalen Folgen und Nachteilen, die die Konsequenz waren. Statt das Bad ideenreich und innovativ dort neu zu errichten, wo es war. Modern, auf dem neuestens Stand der Badetechnik und eben zentral in der Innenstadt gelegen, gut erreichbar für alle, mitten im Herz der Stadt! Es gibt leider eine unrühmliche Tradition hier in Kassel mit dem Argument hausieren zu gehen, es gäbe keinen anderen geeigneten Standort als eben diesen am Geilebach. Aber dem ist nicht so!

Wie gut, dass es vor Ort eine kompetente Bürgerinitiative gibt, die mit guten und fachlich ausgefeilten Argumenten gegen die Standortwahl der Stadt angeht. Bislang aber findet sie kein Gehör bei den involvierten Institutionen und Ämtern. Dennoch sollte sich die Stadt warm anziehen, wie man salopp sagt, denn es kann davon ausgegangen werden, dass die dort in einer Bürgerinitiative zusammen geschlossenen Personen auch wissen, was man macht, wenn alle guten und qualitätvollen Argumente kein Gehör finden. Am Ende kann so ein Bebauungsplan, der so voller böser Webfehler steckt und gegen so grundsätzliche planerische Leitlinien verstößt, am Ende auch noch vor Gericht scheitern. Und für die neue Stadtklimarätin wäre das kein schöner Einstieg in den fraglos spannenden Job zu wahrhaft spannenden Zeiten, den sie vor sich hat.

Aber nicht nur die BürgerInnen vor Ort sind im Kampf- oder zumindest im Kontra-Modus. Auch von den Naturschutzverbänden, wie dem BUND und dem NABU, gibt es schwerwiegende Einwände. Das darf man auch erwarten, ist es doch deren Aufgabe, auf solche planerischen Defizite hinzuweisen. Schwerer noch fällt ins Gewicht, dass sich übergeordnete Behörden, wie z.B. die Dezernate des Natur- und Hochwasserschutzes beim Regierungspräsidium (RP) fast genauso eindeutig ablehnend und kritisch geäußert haben wie die Naturschutzverbände. Dass sich Behörden, Verbände und andere Organisationen an solchen Planverfahren nach bestimmten Regeln beteiligen, bezeichnet man in schönem Planer-Deutsch als „Beteiligung der Träger öffentlicher Belange“. Dass sich die kompetenten Behörden in diesem Fall auch so eindeutig gegen das Projekt Hospiz am Geilebach stellen, ist erfreulich und verständlich gleichermaßen. Denn beim Hochwasserschutz tendieren die aktuellen Hochwässer in vielen Bereichen der BRD dazu, die üblichen Hochwassermarken des 100 jährlichen Hochwassers aufgrund des Klimawandels mit seinen zunehmend heftiger ausfallenden Unwettern noch zu überschreiten.

Was mich und meine Fraktion angeht, werden wir mit aller Kraft gegen dieses Projekt an dieser für das Klima so wichtigen Nahtstelle eintreten.

*Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Institution und Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifenden Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehörte z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden gewesen, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung (VV) der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen …

Was gegen Ende der 80iger Jahre bis zur Jahrhundertwende und noch einige Jahre danach in Zusammenhang mit der Wiedergründung der Unterneustadt, also dem Wiederaufbau des Kerns der zerstörten Unterneustadt „Leben am Fluss“ genannt wurde, war eingängige, bildhafte Werbung für den Verkauf von Grundstücken durch die Projektentwicklungsgesellschaft Unterneustadt. Heute muss eine erneute Hinwendung zur Fulda, aus vielen Gründen, in ganz anderen Dimensionen gedacht und angegangen werden. Dass Kassel mit dem Schritt für den Wiederaufbau rechts der Fulda ein wichtiges Stück Stadtreparatur gelungen ist und damit gleichzeitig die östliche Stadtseite erfolgreich wieder an den Fluss zurück geführt hat, ist das eine. Dass Kassel andererseits seine vielfältigen und spannungsreichen Flusspotentiale bislang nur unzureichend nutzt, ist weniger Kritik denn offenes Geheimnis.

Umso erfreulicher sind die neuen Initiativen der Stadt: Man spricht davon, dass der Fluss wieder „in den Blick“ rücken soll. Auch dieses Buch, in dem auch an das Unterneustadt Projekt erinnert wird, ist ein Zeichen dafür, dass die Fulda wieder zum Thema wird. Offensichtlich will man die noch ungenutzten Potentiale erschließen und nutzen. Kassel, durchaus in Konkurrenz mit anderen Städten, kann es sich nicht leisten, derartige Entwicklungspotentiale ungehoben zu lassen. So wie es sich keine Stadt leisten kann, auch nur ein Potential nicht auszuschöpfen, angesichts der ultrakomplexen Herausforderungen, denen sich heute die Stadtplanung gegenüber sieht. Deshalb darf es auch in Kassel nicht dabei bleiben, dass es nach den Fluss-Kontakten im Bereich von Karls- und Fuldaaue und nach dem kurzen urbanen Intermezzo zwischen Draht-, Walter-Lübcke-Brücke und Schleuse im Bereich der wiedergegründeten Unterneustadt, nach dem Vorbeifließen am Finkenherd und am Schleusenpark, schon wieder vorbei ist mit dem Beieinander von Stadt und Fluss. Allzu schnell lassen sie wieder voneinander ab. Oder anders: Schon gerät die Fulda wieder „aus dem Blick“.

In ganz naher Zukunft gilt es für die Stadt, in eine intensive Untersuchungsphase einzutreten, in der herauszufinden wäre, welchen Beitrag Kassels Flusslandschaft zur Lösung ökologischer, klimatischer und sozialer Herausforderungen beisteuern kann. Dazu müssen die hier noch schlummernden Potentiale identifiziert, beschrieben und planerisch ausgestaltet werden: als Vorbereitung für eine zeitnahe Realisierung. Das gilt natürlich vor allem für den Hafen, wo sich die Stadt und ihr Planungsamt mit Voruntersuchungen und einem Rahmenplan unter aktiver Beteiligung der dortigen Eigentümer schon auf den Weg gemacht haben, eben diese schlummernden Potentiale auszuloten.

 

Das große, späte Wiederaufbauprojekt am Ostufer der Fulda

Zuerst aber noch einmal ein Blick zurück auf das Projekt, das für die Stadt als Erfolg bezeichnet werden darf. Davon zeugen nicht zuletzt Preise und Ehrungen, die sie insbesondere 2002 in Empfang nehmen durfte. Da aber bei städtebaulichen Projekten dieser Komplexität und diesem Anspruch, trotz des angesprochenen Erfolgs, am Ende doch nicht alles wie geplant geklappt hat, muss auch ein kritischer Blick zurück erlaubt sein.

Mit dem Wiederaufbau des Kerns der 1943 zerstörten der Unterneustadt, gestützt auf mehrere einstimmige Beschlüsse der Stadtverordneten im Jahr 1994, macht sich die Stadt auf, seiner während des Zissels alljährlich gefeierten Fulda, wieder näher zu kommen. Am Ende des Wiederaufbaus, auch wenn er etwas länger als geplant gedauert hat, ist die Fulda nicht mehr die „alte“. Vielmehr ist sie, und das lässt sich heute wunderbar besichtigen und im Sommer sogar vom Rondell aus tanzend erleben, zu einem urbanen Fluss geworden, zu einem echten Ereignis: zu einem Fluss, der sich – zumindest hier – in innigem Kontakt und Austausch mit seiner Stadt befindet.

Am Anfang des neuen Jahrtausends, im Mai 2001, erscheint der erste Architekturführer zum Unterneustadtprojekt. Zu diesem Zeitpunkt sind wesentliche Projektziele schon verwirklicht: Die Brücke über die Fulda ist geschlagen, der Messeplatz verlagert und die Leipziger Straße erfolgreich auf vier Spuren reduziert. Auch wichtige Gebäude stehen schon: so einige der Stadtvillen, die sogenannte „erste Reihe“ direkt an der Fulda und das „autofreie“ Quartier. Im Dezember 2009 legen Stadt und Projektentwicklungsgesellschaft bereits den zweiten Architekturführer vor. Das wird zum Anlass genommen, eine erste Bilanz zu ziehen.

 

Rahmenbedingungen und Hintergründe

Um das Besondere des Unterneustadt-Projekts zu verstehen, muss an die Wiederaufbaugeschichte erinnert werden. Nach der nahezu totalen Zerstörung der Innenstadt im Oktober 1943 dauerte es bis 1951, als der Beschluss für einen Wiederaufbauplan gefasst wurde. Dieser war strukturell so radikal wie in kaum einer anderen deutschen kriegszerstörten Stadt: Neben überbreiten Straßentrassen, über die alten Strukturen hinweg, war vor allem die weitgehende Zusammenfassung der ehemaligen kleinteiligen Einzelgrundstücke zugunsten einer Neuordnung und die folgende einheitliche neue Bebauung nach dem Motto „Neue Stadt auf altem Grund“ dafür prägend, dass Kassels ehemaliges Altstadtareal heute ein ausgesprochen atypisches Erscheinungsbild bietet: mit klassischem Siedlungsbau bis ins Herz der Stadt. „Stadtkern neuer Gattung“ (Heinicke) hieß einer der Slogans in der Wiederaufbaudebatte. Was davon in den Nachkriegsjahren umgesetzt wurde, daran und darunter leidet Kassels Innenstadt bis heute.

Besonders radikal fiel die Entscheidung für die mittelalterliche Unterneustadt auf der östlichen, flacheren Fuldaseite aus: Statt ehemals ca. 250 bebauter Grundstücke präsentierten sich beim Projektstart ein kostenloser Großparkplatz, mehrmals im Jahr für die Kirmes genutzt und ein Verkehrsschulgarten. Beides getrennt durch die großzügig ausgebaute Leipziger Straße, die erst Mitte der 1980er Jahre noch einmal auf sechs Fahrspuren verbreitert wurde.

Obwohl die Kasseler Stadtgesellschaft die untergegangene Altstadt betrauerte, verteidigte sie andererseits die neu entstandene Freifläche in der Unterneustadt bis zum Anfang der 90er Jahre gegen gelegentliche Impulse zur baulichen Nutzung. Diese kamen entweder aus dem Bereich der Hochschule oder der Kunst. Für die Befürworter eines Wiederaufbaus kam die Gunst der Stunde erst mit der Wiedervereinigung und einer verstärkten Nachfrage nach innenstadtnahem Wohnraum.

Die Ausgangsbedingungen waren psychologisch durchaus günstig, ökonomisch allerdings eher schwierig, da Kassel auch in dieser Phase hoch verschuldet war. Die politische Vorgabe Anfang der 1990er Jahre fiel von daher klar aus: Planung und Realisierung des Projekts nur haushaltsneutral!

 

Entwicklung der Planung und erste Realisierungsschritte

Ein erster Impuls ging 1990 von der Hochschule aus. Er beinhaltete die Aufforderung an Politik, Wohnungswirtschaft und Fachwelt, die Entscheidung für den späten Wiederaufbau nicht über einen Wettbewerb, sondern über eine breite öffentliche Diskussion herbeizuführen. Der sich anschließende „Check“ der Realisierungsbedingungen – von der Verlagerungsthematik, der Gründungs-, Überschwemmungs- und Altlastenproblematik, Bombensuche bis hin zum flächenhaften Bodendenkmal unter dem Trümmerschutt des Messeplatzes – brachte ein positives Ergebnis: Auch unter ökonomischem Blickwinkel schien eine Realisierung möglich, bei der die Stadt aus dem Erlös für den Verkauf der in städtischer Hand befindlichen Grundstücke – ca. 50.000 m2 Nettobauland – die technische Infrastruktur, den Bau einer neuen Brücke und die Kosten für die Verlagerung von Kirmes und Verkehrsschulgarten würde finanzieren können.

Ende 1992 bis Mitte 1993 fand eine Serie von Fachbeirat-Sitzungen statt, in denen die Stadt mit renommierten Experten aus dem In- und Ausland nach einer Leitidee, nach einer Methode für den Wiederaufbau suchte. Dieser Weg eines kreativen Diskussions- und Denkprozesses, in den von Anfang an Politik und Wohnungswirtschaft eingebunden waren, stellte sich als fruchtbar heraus: Schon in der zweiten Sitzung wurde von der Kritischen Rekonstruktion als dem in Bezug auf Ort und Zeit richtigen Weg gesprochen. Der alte, bis ins frühe Mittelalter zurückreichende Stadtgrundriss, sollte als Folie für den Wiederaufbau dienen. Straße, Block und möglichst viele und kleine Parzellen sollten die städtische Grundstruktur bilden. Die Mischung der Nutzungen sollte die Lebendigkeit des neuen Quartiers sicherstellen. Damit sollte eine bewusste Antithese zur Kasseler Nachkriegsmoderne die Grundlage für den Unterneustädter Wiederaufbau sein. Das Motto lautete: Nicht Siedlung bauen, sondern Stadt. In diesem Zusammenhang muss insbesondere Dieter Hoffmann-Axthelm genannt werden, der als Spiritus rector der Kritischen Rekonstruktion bezeichnet werden darf.

Der Weg von den positiven Voruntersuchungsergebnissen und der als tragfähig eingeschätzten Aufbaumethode bis hin zum Grundsatzbeschluss der Kasseler Stadtverordneten im Sommer 1994 dauerte nur etwas mehr als ein Jahr. Viele Veranstaltungen, u. a. zum 50sten Jahrestag der Zerstörung der Kasseler Innen- und Unterneustadt in der Brüderkirche, eine denkwürdige Architekturwerkstatt und mehrere öffentliche Hearings und Ausstellungen sorgten für eine positive Aufbruchstimmung im Hinblick auf den überfälligen Wiederaufbau. Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des Fachbeitrages „Wie baut man eine Stadt – Wege zur Unterneustadt“ fiel der einstimmige Beschluss der Stadtverordneten für einen Wiederaufbau nach der Methode der Kritischen Rekonstruktion. Damit war das Tor für ein ausgesprochen ambitioniertes städtebauliches Projekt im letzten Jahrzehnt des ausgehenden Jahrhunderts aufgestoßen. Allerdings gaben die Stadtverordneten mit ihrem Beschluss den Planern noch Aufgaben mit auf den Weg: Zur Präzisierung des Wiederaufbaukonzepts sollte ein städtebaulicher Rahmenplan erstellt und für die Realisierung und Umsetzung des Projekts eine Public Private Partnership – Gesellschaft gegründet werden. Beides, den Rahmenplan und die Verträge zur Gesellschaftsgründung, beschlossen die Stadtverordneten noch im November 1994.

Politisch umstritten war lediglich die Übertragung der städtischen Grundstücke, die für den Rückbau der Leipziger Straße benötigt wurden. Der Rückbau dieser damals mit 40.000 Fahrzeugen hoch belasteten Ausfallstraße Richtung Osten von sechs auf vier Fahrspuren stieß bei Teilen von Politik und Öffentlichkeit auf Widerstand. Diese Straße trennte nicht nur die beiden Teile des Wiedergründungsprojekts, sondern schon seit Jahrzehnten die ganze Unterneustadt. Am Ende obsiegten die stichhaltigen Argumente und die Konsistenz der Verkehrsgutachten. Die Unterstützung von engagierten, von Projekt und Wiederaufbaumethode überzeugten Bürgern trug mit zu diesem Erfolg bei.

Zügig nahm die Projektentwicklungsgesellschaft (PEG) die Arbeit auf. Insgesamt hatte sie drei Gesellschafter: LBB, Kasseler Sparkasse und Stadt Kassel. Zeitgleich entstanden Erschließungs-, Bebauungs- und Parzellenpläne. Die Werbung für den Verkauf der Grundstücke lief an. Die ersten Wettbewerbe für die neue Fußgänger- und Radfahrerbrücke und die Stadtvillen wurden vorbereitet, die Ausschreibungen für die Verlagerungen von Messeplatz und Verkehrsschulgarten geplant und umgehend baulich in Angriff genommen. 1997 kam es zum Spatenstich bei der ersten Stadtvilla, 1997 begann auch der Ausbau der technischen Infrastruktur für den übrigen Neubaubereich, der innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden konnte. Das erste Luftbild vom Sommer 1998 zeigt den „Point of no return“ für das ambitionierte Projekt: Das neue Netz der Baustraßen lässt ein fast vergessenes Straßen- und Platzgebilde aufscheinen. Es ähnelt zum Verwechseln, was nicht verwundert, dem Grundriss von 1943.

 

Rahmenplan, Akteure, Forum Unterneustadt

Die Kritische Rekonstruktion und der Rahmenplan erforderten – über die engagierten Aktivitäten der PEG hinaus – für die erfolgreiche Umsetzung der parzellengestützten Wiedergründung zahlreiche motivierte Akteure: Einzelbauherren, Investoren und Wohnungsbaugesellschaften. Sie wurden Stadtgründer genannt und hatten, je nach Parzellengröße und Lage im Quartier, ganz unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen.

Im Rahmenplan wurden die einzelnen Parzellen in Blöcke zusammengefasst und nach Vergabeverfahren, Art und Maß der Nutzung, Geschossigkeit, Anzahl der Wohneinheiten etc. beschrieben. Entsprechend ordnete man sie einer bestimmten Art oder Gruppe von Stadtgründern zu. Die Auswahl der Erwerber für den Verkauf der Grundstücke erfolgte nicht nach Höchstpreisen, sondern nach der Qualität der Entwürfe und der Nähe zum Rahmenplan.

Das Forum Unterneustadt, ein neu geschaffenes Gremium der Bürgerbeteiligung, ist zeitgleich mit der Gründung der PEG entstanden. Man kann seine Existenz auch im Nachhinein nur als Glücksfall begrüßen. Auch wenn es gegen Projektende nur noch selten tagte, so hat sich das Forum mit seinem konstruktiven Eingreifen in die Debatten für Stadt und PEG mehr als bewährt. Dies gilt auch für den Fachbeirat, der mit seiner Autorität in schwierigen Phasen dazu beigetragen hat, das Projekt „auf Kurs“ zu halten. So etwa als es zwischen den Planern der Stadt und den Grundstücksentwicklern der LBB zu gravierenden Konflikten über die Größe der Parzellen, das Tempo der Realisierung und nicht zuletzt die Auswahl der Baupartner kam.

 

Kosten des Projekts und Finanzierung

Zu Beginn lag für das Projekt eine stadtwirtschaftliche Kalkulation vor, die bei Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen war. Zum Zeitpunkt des Beschlusses der Kasseler Stadtverordneten 1994 lag diese Kalkulation bei 27 Mio. DM. In ihr waren im Wesentlichen die grob kalkulierten Baukosten enthalten, wie z.B. für die neue Brücke. Beim Start der PEG lag die Kalkulation dann bei rund 35 Mio. DM. Die Erhöhung der Kosten erklärte sich mit Preissteigerungen u.a. bei den Verlagerungsprojekten für die Kirmes und den Verkehrsschulgarten. Dazu kamen noch die Personalkosten für die PEG. Nach dem für 2010 vorgesehenen planmäßigen Ende der Gesellschaft und der davor erfolgten Umstellung auf Euro gab es schließlich einen gewissen Zuschussbedarf auf Seiten der Stadt Kassel, der in Form von Erschließungsleistungen aufgebracht wurde und wird. Dieser Bedarf wird jedoch nur wenige Prozentpunkte der Gesamtinvestitionen ausmachen. Das der PEG mit den schon angeführten Beschlüssen der Stadtverordneten überlassene Grundstück hat mit rund 25 Mio. DM bzw. 12,5 Mio. Euro den größten Teil der Finanzierung gedeckt. Die noch fehlenden Mittel zur Deckung der Gesamtkosten kamen aus Förderprogrammen der EU bzw. des Landes Hessen.

Auch wenn eine über den städtischen Haushalt und die Bilanz der PEG hinausgehende stadtwirtschaftliche Gesamtkalkulation noch aussteht, lässt sich angesichts der ungebrochenen Beliebtheit des neuen Wohnstandorts bereits jetzt erkennen, dass eine stadtwirtschaftliche Gesamtbilanz vermutlich positiv ausfallen würde.

 

Die weitere Entwicklung

Ob und inwieweit die komplexen Ziele, die mit der Wiedergründung insgesamt verbunden waren wie Wiederentdeckung des Flusses, urbane Vielfalt, Linderung der mit dem Ausbau der Leipziger Straße verbundenen Trennwirkung tatsächlich erreicht wurden, kann inzwischen abschließend beantwortet werden. Es ist davon auszugehen, dass die neue Unterneustadt mit ihrer attraktiven Lage, ihrem guten Mix an Nutzungen und der gezielt herbeigeführten sozialen Vielfalt – erreicht durch eine gelungene Mischung öffentlich geförderter und frei finanzierter Miet- bzw. Eigentumswohnungen – gut innerhalb der Stadtteilkonkurrenz bestehen kann. 262 öffentlich geförderten standen 2009 210 privat finanzierte Wohnungen gegenüber. Der erreichte Nutzungsmix liegt damit, wie angestrebt, bei ca. zwei Drittel Wohnen (je zur Hälfte gefördert bzw. frei finanziert) und einem Drittel Büro, Handel und Gewerbe. Durch die nach 2009 hinzugekommenen Gebäude hat sich dieses Verhältnis nicht geändert.

Die Tradition der Unterneustadt als Standort verschiedener sozialer Einrichtungen lebt z.B. in einer Kindertagesstätte fort. Sie wird vom selben Verein getragen, der bis zur Kriegszerstörung das dortige Waisenhaus geleitet hat. Darüber hinaus gibt es am Holzmarkt heute eine nach zeitgemäßen Erkenntnissen konzipierte Sozialstation für Demenzerkrankte. 2010 wird das vorletzte freie Grundstück am Unterneustädter Kirchplatz, ganz wie in der Rahmenplanung vorgesehen, für ein anspruchsvolles Wohnprojekt für ältere Menschen gebaut. Ein gelungenes Gebäude, das aus einem Architektenwettbewerb hervorging. Damit ist der „Elwe“ gegenüber, die früher Unterneustädter Gefängnis war, ein gleichgewichtiges Gebäude entstanden. Nach einem Intermezzo als Hotel zur documenta 14 wurde die „Elwe“ inzwischen zu einem interessanten Wohnkomplex mit insgesamt 49 Wohnungen umgebaut.

Besonders hervorzuheben ist das Baugemeinschaftsprojekt „Anders Wohnen an der Fulda“. Hier, direkt an der Leipziger Straße, ist ein Passivhaus mit 32 Wohnungen entstanden. Es geht auf einen Impuls der PEG zurück, die im Sommer 2003 viele Interessierte in den Magistratssaal des Rathauses einlud. Auch wenn von den damaligen Teilnehmern nur ein Ehepaar noch zu den heutigen Baugemeinschaftlern gehört, die 2008, nach durchaus schwierigen Jahren der „Partnersuche“, in das spektakuläre Wohnprojekt eingezogen sind, so sind doch bis heute alle Projektbeteiligten fest davon überzeugt, dass die Wohnform Baugemeinschaft eine große Zukunft hat: auch in Kassel.

 

Innovation und Kritik

Der Ansatz, die Methode für den Wiederaufbau der Unterneustadt diskursiv zu entwickeln statt mit einem städtebaulichen Wettbewerb, hatte nicht nur Freunde. In der Nachbetrachtung hat sich der intensive Dialog zu Projektbeginn jedoch bewährt, weil die Ergebnisse des Planungs- und Realisierungsprozesses breit mitgetragen wurden. Das gilt im Prinzip noch heute, auch wenn im Verlauf des Projekts eine Reihe von Abstrichen am Konzept vorgenommen und durchaus schmerzliche Kompromisse geschlossen werden mussten. Dennoch sind – neben dem Bürgerbeteiligungsmodell – eine ganze Reihe innovativer Beiträge erwähnenswert. Hierzu gehört u. a. der kleine Teilbereich „Wohnen ohne Auto“ mit seinen 62 Wohneinheiten. Das erste „autofreie“ Wohnquartier in Kassel funktioniert, auch wenn es sicherlich einige „schwarze Schafe“ gab und gibt, die inzwischen wieder ein eigenes Auto haben. Das flächenhafte Bodendenkmal machte, über das kleine „autofreie Quartier“ hinaus, zahlreiche innovative bauliche Parkierungslösungen notwendig, die jedoch nur punktuell zum Einsatz kamen. Insgesamt gibt es, muss selbstkritisch angemerkt werden, viele wenig befriedigende Parterrelösungen für den ruhenden Verkehr, sogar in ausgesprochen heiklen Lagen direkt an der Fulda.

Städtebauliche Rahmen- und Zielkonzepte, deren Umsetzung sich zum Teil über Jahrzehnte erstrecken, in denen sich wiederum Betrachtungsweisen verändern, können auch unter günstigsten Bedingungen nicht 1 zu 1 umgesetzt werden. So war es auch hier. Das Projekt wurde früh „geadelt“ durch die EXPO-Beteiligung in 2000, hoch gelobt 2002 mit dem Sonderpreis des Deutschen Städtebaupreises für den Mut, eine stark befahrene Ausfallstraße in ihrer Dimension aus städtebaulichen Gründen zu reduzieren, erneut ausgezeichnet 2002 mit dem DIFA-AWARD und auch noch prämiert mit dem „traffic design award“ für die gelungene Fußgängerbrücke.

Dennoch bleiben bis heute noch unerledigte Aufgaben, vor allem im öffentlichen Raum. So fehlen immer noch die Bebauung eines Schlüsselgrundstücks am Unterneustädter Kirchplatz sowie die Fertigstellung der letzten bislang nur provisorisch hergestellten Wohnstraßen sowie die Realisierung der beiden Plätze, Holzmarkt und Unterneustädter Kirchplatz. Die Arbeiten daran sind bei Erscheinen dieses Buches bereits in Gang, sollen 2022 noch andauern und 2023 abgeschlossen werden.

Auch wenn die Wiedereingliederung des ovalen, barocken Kirchplatzes als Pendant zum runden Königsplatz auf der anderen Seite der Fulda eine geschichtsbewusste städtebauliche Entwicklung darstellt, so erfüllt die neue Randbebauung im unteren, süd-westlichen Platzteil nicht überall die erwünscht hohen Architekturansprüche an diesen besonderen Ort. Auch die kleinteilige Parzellierung konnte hier nicht realisiert werden. So musste z. B. der größte Baublock am Kirchplatz, der im Rahmenplan noch für sieben Eigentümer vorgesehen war, nach zehnjähriger vergeblicher Käufersuche „am Stück“ an einen Investor veräußert werden. Immerhin ist es gelungen, das dort errichtete Callcenter mit dem ursprünglich intendierten hohen Gestaltanspruch zu verwirklichen.

Ein wesentlicher Grund für die langsamer als vorgesehen ablaufende Entwicklung und für manche Kompromisse lag u. a. in der Gleichzeitigkeit zweier von Größenordnung und Ausrichtung her ähnlicher Projekte: Neben der Unterneustadt wurde das im Stadtteil Wilhelmshöhe, in der Nähe vom ICE-Bahnhof gelegene Stadtquartier Marbachshöhe konzipiert. Eine bundesweit modellhafte Kasernenkonversion mit ca. 600 Wohneinheiten. Das dort fündig gewordene Stadtgründerpotential hätte teilweise auch in der Unterneustadt investieren und bauen können. Da sich der Wiedervereinigungsboom jedoch bereits Mitte der neunziger Jahre abschwächte, war die gleichzeitige Durchführung – zu der es keine Alternative gab – eine große Herausforderung für die Stadt.

Die unmittelbare und erhoffte Beispielwirkung des Unterneustadtprojekts ist, zumindest bislang, nicht eingetreten. Der Abriss des Polizeipräsidiums auf der anderen Flussseite und der folgende Neubau des Finanzamtes erfolgten ganz ohne Bezugnahme auf stadthistorische und denkmalpflegerische Aspekte. Und so etwas wie Kritische Rekonstruktion war überhaupt kein Thema. Es wurde auch nicht der Weg über einen Architekturwettbewerb gewählt. Außerdem ist wegen eindeutiger Landesvorgaben ein Konzept mit Nutzungsmischung, z.B. Gastronomie und Wohnen, erst gar nicht angestrebt worden. Damit ist eine Großchance zur Aufwertung dieses Teils des Flussufers verspielt worden. Und auch auf Sanierungsaspekte von Innenstadt und Pferdemarkt färbte die Wiedergründung der Unterneustadt bislang noch nicht ab. Vielleicht braucht es dafür noch Geduld.

 

Guter Städtebau hat nicht zwingend und immer gute Architektur zur Folge

Auch wenn ansprechende Architektur auf der Agenda der PEG nicht an erster Stelle stand, ist die Freude über die vielen gelungenen Architektenleistungen groß. Ganz zufällig ist dieses erfreuliche Ergebnis nicht: Denn bewusst setzte die PEG von Anfang an bei wichtigen Architekturleistungen auf Wettbewerbe und Workshops. So z. B. bei der Brücke, den Stadthäusern am Park und dem „autofreien Quartier“.

Für die Stadthäuser „extra muros“, vor der Zollmauer, direkt am Fluss und unmittelbar in der Nähe des ehemaligen Parks, wurde schon 1996 ein Realisierungswettbewerb mit zusätzlichen Einladungen ausgelobt. Es wurden acht erste Preise vergeben. Das letzte der acht Stadthäuser ist 2008 bezogen worden. Insgesamt ein ausgesprochen sehenswertes und vorzeigbares Ergebnis.

Auch für die neue Brücke gab es einen Wettbewerb. Zahlreiche Bürogemeinschaften aus Architekten und Ingenieuren reichten ihre Entwürfe ein. Die Entscheidung des Preisgerichts fiel auf ein Architekturbüro aus Berlin und ein Ingenieurbüro aus München. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde die neue Brücke im September 2000 eingeweiht und auf den Namen Karl-Branner-Brücke getauft. Sie heißt heute anders und ist nach dem 2019 von einem Rechtsextremen ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, benannt. Dass diese wichtige Verbindung zwischen der Unterneustadt und der Kasseler Innenstadt mehr ist als nur die optimale Verbindung zwischen zwei Stadtteilen, haben die vergangenen Jahre eindrücklich unter Beweis gestellt: Die neue Brücke ist ein Stück Wiedergutmachung sowohl dem fast aufgegebenen Fluss als auch dem Kasseler Osten gegenüber. Letztlich ist das gelungene Brückenbauwerk ein Gewinn für die ganze Stadt.

Für den zentralen Bereich des ehemaligen Waisenhausgrundstücks mit der wichtigen Kindertagestagestätte wurde in enger Kooperation mit den drei Wohnungsbaugesellschaften und fünf ausgewählten Architekturbüros eine Serie von Workshops durchgeführt. In einem beispielhaften Diskurs wurden ab September 1997 zahlreiche Entwurfvarianten erörtert und aufeinander abgestimmt. Zwei zentrale Blöcke wurden parzelliert und unter den drei Gesellschaften aufgeteilt. Die Ergebnisse der Workshops flossen in den Bebauungsplan ein. Das Gesamtergebnis war ein qualifiziertes städtebauliches und architektonisches Konzept, das dem Rahmenplan mit seiner Parzellierungsphilosophie Rechnung trug, die Vorgeschichte des Grundstücks modern interpretierte und den öffentlich geförderten Wohnungsbau in seiner (damals noch) gegebenen Bandbreite hochwertig repräsentierte.

Für den städtebaulich und in Bezug auf das Gesamtprojekt bedeutsamen Kirchplatz fand im März 2000 ebenfalls ein Workshop statt. In diesem Verfahren wurden die Grundprinzipien der Gestaltung des Kirchplatzes und der ihn umgebenden Gebäude erarbeitet. Das Workshopverfahren war deshalb von Bedeutung, weil die Wiederherstellung des Platzes durch das Heranrücken der geplanten Bebauung an die Platzkanten nicht nur eine Veränderung der Raumstruktur mit sich brachte, sondern auch eine Bezugnahme auf die barocke, in Kassel vor allem durch Simon Louis du Ry inspirierte und repräsentierte Planungsphilosophie. Man kann, salopp formuliert, sagen, dass es nach dem Krieg offenbar eines zweiten Anlaufes bedurfte, um diesen Platz, der für mehr als fünf Jahrzehnte aus dem städtischen Grundriss verschwunden war, wieder ins Stadtbild einzufügen. Mit dem Ergebnis des Workshops und der bis heute realisierten Bebauung konnte die aus dem Barock überkommene städtebauliche Grundform gewahrt werden. Während im Barock meist nur verbindliche Gebäudehöhen vorgegeben waren, legten Workshop und Bebauungsplanung darüber hinaus noch eine besonders gestaltete Erdgeschosszone als verbindendes Architekturelement fest. Diese Vorgabe ist allerdings nur unvollkommen umgesetzt worden. Bislang letztes Gebäude am Kirchplatz ist das schon erwähnte Gebäude für eine Pflegeinrichtung mit sehr befriedigender Architekturqualität. Zusammen mit dem Callcenter ist der Platz damit gut gefasst.

Dass die Unterneustadt trotz ihrer Dichte so positiv aufgelockert, häufig grün, stellenweise sogar parkartig daherkommt, dass sogar auf den Straßen Kinder spielen können – und das nicht nur im „autofreien Quartier“ – ist kein Zufall. Das liegt zum einen an der Struktur von Straßen und Plätzen, die mit der Kritischen Rekonstruktion Projektgrundlage geworden ist, zum anderen auch an den planerischen Leistungen eines sehr qualifizierten Büros für das Freiraumkonzept. Es hat die verschiedenen Straßentypologien aus den vergangenen stadthistorischen Epochen analysiert und modern, mit entsprechenden Belägen, neu interpretiert. So ist es gelungen, den hohen Anforderungen unterschiedlicher Nutzerinteressen und den angesagten Fortbewegungsformen Rechnung zu tragen. So findet sich in der Unterneustadt an einigen Stellen das historische, bei Erschließungsarbeiten vorgefundene Basaltpflaster neben modernen Beton- und Pflasterbelägen. Damit ist der Bezug zur Geschichte hergestellt und auf die spezifischen Bedürfnisse von Inlineskatern, Rollstuhlfahrern, Behinderten und Radfahrern wird gleichermaßen Rücksicht genommen. Die große Qualität der Freiraumplanung wird sich allerdings erst in den kommenden Jahren vollends zeigen, wenn die beiden Plätze – Holzmarkt und Unterneustädter Kirchplatz – wieder Stadt und Stadtteil prägen und den Schlusspunkt unter die Wiedergründung setzen werden.

Apropos Schlusspunkt: Als Pyramidion wird in der Archäologie der letzte Stein einer Pyramide bezeichnet. Pyramidia von Pyramidenbauwerken haben ganz ähnliche Proportionen wie diese und stellen sie als verkleinerte, verdichtete Form dar. Da wir vermutlich einen solchen Schlussstein in der Unterneustadt für die Vollendung des Projekts nicht so einfach werden einsetzen können – dazu weist die Unterneustadt zu wenig Pyramidencharakter auf – sollte angesichts der immer noch unfertigen Situation, die vor allem am Unterneustädter Kirchplatz sichtbar und schmerzhaft ins Auge fällt, über eine andere Lösung nachgedacht werden.

Möglich wäre hier z.B. ein Rekurs auf einen Vorschlag Prof. Burelli. Burelli ist Prof. für Architektur in Venedig und hat in der oben schon erwähnten Architekturwerkstatt im Dezember 1993 eine interessante Auseinandersetzung mit dem Kirchplatz, seinen Proportionen und Herausforderungen, geliefert. Auch wenn viele seiner Anregungen heute nicht mehr umsetzbar sind, auch wegen der am Kirchplatz stark vom Konzept abweichenden Parzellengrößen, bleibt seine Turm-Idee eine wichtige Anregung. Diese Idee steht im Zentrum seines Entwurfs, die nordwestliche Ausfahrt der Leipzigerstraße aus dem großen Oval mit einem Gebäudekomplex zu betonen, dessen markantes Kennzeichen ein Wohnturm ist. Ganz nah an der Stelle, wo im heutigen Kirchplatz eine wohlproportionierte Autowaschanlage den Blick des Betrachters irritiert. Sie so hässlich wie überflüssig und verhindert bis heute die Herstellung und Vollendung der ovalen Platzform.

Den großen ovalen Platz durch und mit einem Quasi-Pyramidion aufzuwerten und damit den Schlussstein für das Gesamtprojekt zu setzen, nachdem der Kirchplatz zu lange aus dem Stadtbild verschwunden war, wäre nicht nur ein würdiger Schlussakkord für die Wiedergründung, sondern auch eine Ehrerweisung an Simon Louis du Ry, den wahrscheinlichen Schöpfer dieser großen Stadtfigur. Mag er auch in Historikerkreisen nicht ganz eindeutig der Entwerfer sein, weil möglicherweise einer seiner Vorgesetzten, ein Obrist mit dem Namen Johann Wilhelm von Gohr, den Entwurfsstift führte, so darf er dennoch als geistiger Vater auch dieses Platzes gelten. Denn der Schöpfer der drei großen Plätze auf der westlichen Seite von Kassel – wir haben ihm u.a. den Königs-, Friedrichs- und Schlossplatzplatz, wobei zumindest die beiden ersteren bis heute Kristallisationskerne der Stadtmitte sind, zu verdanken – sondern zumindest ideell eben auch den beeindruckenden ovalen Kirchplatz.

Mit einem passgenauen, gelungenen Entwurf, aus einem Architektenwettbewerb hervorgegangen, könnte dem Anspruch der du Ry’schen Großfigur Rechnung getragen und gleichzeitig an den spannenden Entwurfsbeitrag von Prof. Burelli erinnert werden.

Apropos Kritik: Die Konsequenzen des Eingehens auf die Vorgaben der Denkmalpflege – die historische Schichtenfolge unterhalb des Trümmerschutts vom Mittelalter über den Barock bis 1943 unter keinen Umständen anzutasten – sind vielfältig und teils ausgesprochen problematisch. Sichtbar bis heute, und das vermutlich für immer. Für die Grundidee der kritischen Rekonstruktion, die Bezugnahme auf den alten Stadtgrundriss als Folie für einen modernen Wiederaufbau, waren die Vorgaben der Denkmalpflege noch verträglich und einlösbar. Eben weil die neuen Straßen mehr oder weniger passgenau auf den alten Straßen lagen. Da jedoch Keller und damit Tiefgaragenlösungen ausschließlich und nur dort erlaubt waren, wo aus historischen Plänen erkennbar war, dass mit baulichen Relikten nicht zu rechnen sei, konnten Lösungen für das Abstellen der Autos auf dem jeweiligen Grundstück nach der Stellplatzsatzung oft nur mit unbefriedigenden Kompromissen gefunden werden. So stehen heute in vielen Gebäuden direkt an der Fulda Autos privilegiert im Parterre. Mit Flussblick sozusagen. Erst spät wurde erkannt, da waren alle politischen Beschlüsse längst bindend gefasst, welche Tragweite dieses aus heutiger Sicht problematische Verdikt haben würde. Denn schon im Zuge der verabredeten und von der PEG finanzierten archäologischen Grabungen durch das IBD Marburg/Freies Institut für Bauforschung und Dokumentation e.V., so in der Alten Bettenhäuser Straße und im Bereich der ehemaligen Zollmauer, stellte sich heraus, dass im Untergrund der Unterneustadt mitnichten Schätze à la Pompei vorzufinden waren. Vielmehr sind nur wenige, vollkommen uninteressante Reste von Alltagsgegenständen gefunden worden, die nie in das Licht irgendeines Museums gelangen werden. Mit den Fundstücken aus Pompei war das bekanntlich anders. Politik und PEG hätten, heute ist das leicht zu formulieren, beim Landesamt für Denkmalpflege auf weitgehende Ausnahmegenehmigungen drängen müssen. Die aktuellen Fotos zeigen das Dilemma allzu deutlich: Privilegien für parkenden „Blech“ in allerbester Lage! Der schon erwähnte Slogan „Leben am Fluss“ wird so ein Stückweit in sein Gegenteil verkehrt, weil sich eigentlich die neuen Bewohner der Unterneustadt ihren Fluss aneignen, ihm nahe sein sollten. Nicht aber deren abgestellte Autos.

Das aktuellste Gebäude: Erst 2019 wird eins der Schlüsselgrundstücke bebaut. Damit sollte es fast 30 Jahre dauern von den ersten Überlegungen zu einer Bebauung des ehemaligen Messeplatzes bis hin zum schwierigen Lückenschluss an der großen Fuldabrücke. Eine wirklich knifflige, sehr anspruchsvolle architektonische Aufgabe war hier zu lösen. Nun, nachdem sich das planende Architekturbüro dieser Aufgabe mit Bravour, mit einem spektakulär gelungenen Entwurf entledigt hat, werden alle Besucher unmissverständlich mit der Tatsache konfrontiert, dass spätestens hier die Stadt beginnt! Wie zur Begrüßung ragen die beiden fünf- und sechsgeschossigen Gebäudeteile in den Himmel! Die Fuldalofts genannten Gebäude haben eine Nutzfläche von ca. 4.200 m² mit 18 attraktiven Wohnungen, acht Büros und begrünten Dächern.

 

https://euregioverlag.de/shop/produkt/89—Kassel%3A%20Leben%20am%20Fluss%20/

 

 

Wir haben uns in den letzten Wochen im Umfeld des Flughafens umgesehen und sind
dabei aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Überall wird die Landschaft von Straßen und Zuwegungen zersägt und zerschnitten!

Nehmen Sie sich doch auch mal die Zeit für einen Sonntagsspaziergang und schauen Sie mal, was da so alles läuft und passiert. Wer die Gegend um Calden bisher für seine Radtouren und Spaziergänge zu schätzen wusste, muss umdisponieren und den Bereich zukünftig großräumig umfahren.

Und das gilt schon für die Bauzeit, nicht nur für die Phase des späteren Betriebes. Wer da wohnt, hat allerdings das Nachsehen.

 

Jahrgang 4, 3/10

Pressekonferenz der Kasseler Linken stößt auf großes Interesse

Das war kein Tag wie jeder andere. Und auch wenn es noch viele Highlights im noch gar nicht richtig begonnenen Wahlkampf geben wird: Die Pressekonferenz des Bündnisses
Kasseler Linke ASG am 19. Mai war schon etwas Besonderes. Dass sich mit unserem parteilosen Stadtverordnetenmitglied, Kai Boeddinghaus, ein Kandidat links von SPD und Grünen zur Wahl stellt, ist ein Novum, ein Zeichen für das gestiegene Selbstbewußtsein des Kasseler Linksbündnisses, aber auch dafür, dass das arrogante Gehabe der rot-grünen Rathauskoalition mehr braucht als nur ein politisches Gegengewicht in der Stadtverordnetenversammlung!
Aber bevor sich Kai Boeddinghaus ins Rampenlicht begibt und damit die „Katze aus dem Sack“ lässt , stellt Norbert Domes, zusammen mit Marianne Bohlbach, Eckhard Jochum und Rogelio Barroso vom Bündnisses der Kasseler Linke.ASG die Konzeption für die Wahlen im Frühjahr 2011 vor. In einer Serie von öffentlichen Plenumsveranstaltungen und 2 kommunal-
politischen Seminaren im Sommer sollen Mitstreiterinnen gesucht und gewonnen werden für einen Wahlkampf, die Erarbeitung eines Programms, eine attraktive KandidatInnenliste und die kommunalpolitische Arbeit. Ganz oben auf der Agenda steht dabei der Versuch, in den vielfältigen außerparlamentarischen Bewegungen, die sich gegen die verfehlte Stadtpolitik der Hilgen-Mannschaft (Sozialticket, Langes Feld, Flughafen, Schwimmbadentwicklung etc.) gebildet haben, Mitstreiter und Interessierte für die Arbeit in einer gestärkten linken Fraktion im neuen Parlament zu suchen. Es gibt viele parteilose, teilweise aber auch von ihren Parteien Enttäuschte, die möglicherweise nach neuen Betätigungsfeldern suchen. Bei der Kasseler Linken sind sie gut aufgehoben!

Kai Boeddinghaus für Kassel
Dass in diesem Wahlkampf Kai Boeddinghaus für die Kasseler Linke.ASG auch zu den Wahlen für den Oberbürgermeisterposten antritt, wird nur vor dem Hintergrund der harten und erfolgreichen Arbeit von Bündnis und Fraktion plausibel und dem Tatbestand, dass die an Auseinandersetzungen reiche Wahlperiode ein gewachsenes Selbstbewußtsein hat entstehen lassen.
Folgende Themen sind nur durch unsere Fraktion auf den Tisch gekommen:

  • die gesetzwidrige Pauschale bei den Heizungskosten (jetzt endlich abgeschafft),
- die Standortfehlentscheidung für das neue Kombibad am Auedamm,
die
  • Verweigerung des Einstiegs in das Sozialticket,
  • das Millonengrab Flughafen Kassel Calden,
  • die versprochene und nicht durchgeführte Bürgerbeteiligung und
  • die Konzeptionslosigkeit beim Ausbau des Langen Feldes …

Damit ist die Kasseler Linke seit vielen Jahren die einzige konsequente Opposition in der Stadtverordnetenversammlung. Das aktive Personenbündnis hat sich zum Interessenvertreter der kleinen Leute, zum Ansprechpartner des außerparlamentarischen Widerstands und zur Stimme all derer gemausert, die sich von diesem Magistrat nicht mehr ein X für ein U vormachen lassen wollen. Immer dann, wenn Barthel und Hilgen etwas als alternativlos hinstellen, egal ob es ums Sparen oder ums Investieren geht, haben wir als einzige Fraktion konsequent
Gegenvorschläge gemacht und dabei häufig die besseren Ideen und Argumente auf den Tisch gepackt. Wir hatten manchmal sogar juristisch die besseren Karten. Kürzlich musste Kassels Unsozialdezernent, Dr. Barthel, zähneknirschend zurück rudern. Wenn es darum geht, an den Armen zu sparen und ihnen die Krisenfolgen der Marktwirtschaft aufzubürden, dann wird gerne mal am Gesetz vorbei gehandelt – wider besseres Wissen.

Weil es ist, wie es ist und die unsoziale Politik von rot-grün einen Dämpfer braucht, deshalb kandidiert Kai Boedinghaus gegen Hilgen.

Vor dem Hintergrund der vielfältigen städtebaulichen Probleme der Stadt, die immer noch stark geprägt sind von einem verfehlten Wiederaufbau und einer einseitigen Orientierung auf den Individualverkehr, hatten es die Kasseler Baudezernenten schon immer recht schwer. Hinzu kamen und kommen bis heute die Folgen der nicht erfolgten Integration der Umlandgemeinden in das Stadtgebiet. Und wenn man von Herrn Hellweg und Frau Thalgott in den 90igern absieht, waren die Kasseler Baudezernenten dieser schweren Aufgabe eher nicht gewachsen. Das gilt auch für die beiden letzten CDU Baudezernenten Streitberger und Witte, vor allem aber für Herrn Dr. B., der in seinen vielen Vertretungsjahren als Interims – Stadtbaurat keine gute Figur machte.

Daß diese kritische Einschätzung im Grundsatz richtig ist, bestätigen einerseits die problematische Kasseler Realität in Sachen Städtebau und urbane Qualität und andererseits der Diskurs über Kassel an der Universität und in der Fachliteratur. Probleme gibt es z.B. in der Kasseler Innenstadt, die bis in den Kern hinein mit klassischem Siedlungswohnungsbau angefüllt und von vielspurigen Straßen eingeschlossen ist. Der Individualverkehr, das Auto haben überall Vorrang. Über und unter der Erde. Viele wertvolle Stadträume – wie der Entenanger und der Karlsplatz – sind im Grunde Parkplätze. Gestaltungs- und Werbesatzungen fehlen gänzlich. Das sieht und spürt man allerorten, wenn dafür eine gewisse Sensibilität vorhanden ist. Generell haben Projekte in Kassel nur Chancen auf Realisierung, wenn dabei kein Stellplatz entfällt. Das ist im Moment bei allen diskutierten Projekten so und schränkt die Planungs- und Verbesserungspotentiale erheblich ein. Herr Witte hat an diesem fatalen Tatbestand nichts geändert und insofern seine Aufgaben nicht erfüllt. Erhebliche Defizite gibt es aber auch in der Umweltpolitik, der Gewerbeentwicklung und in der Abstimmung divergierender Interessenlagen mit den Umlandgemeinden.

Witte selbst hat eigentlich keine (selbst produzierten) größeren Fehler gemacht, weil er – genaugenommen – überhaupt nichts „Eigenes“ gemacht hat. Das einzige, was vielleicht von ihm stammt ist die Idee, angesichts fehlender Flächen auf dem Karlsplatz ein Technisches Rathaus zu errichten, in Zusammenhang der seit langem geforderten und dringend notwendigen Umgestaltung dieses wichtigen Platzes. Angesichts des in Kassel üblichen Gezerres und Geschreis um wegfallende Stellplätze ist aber bislang aus diesem wichtigen, noch ausstehenden Stück Stadtreparatur bisher nichts geworden. Und nachdem der OB inzwischen bei der Multifunktionshalle bei Salzmann zum 2. Mal den planerischen Chefposten übernommen und dabei dem Investor einige Tausend Quadratmeter öffentliche Büroflächen zugesagt hat, ist es um das Technische Rathaus auf dem Karlsplatz wieder ruhiger geworden. Vielleicht muss sich der nächste Stadtbaurat neu um das Karlsplatzprojekt kümmern, wenn entschieden ist, wie die „Geschichte“ um Salzmann und die Arena ausgegangen ist. Den Bediensteten des Rathauses ist auf jeden Fall zu wünschen, dass aus den Plänen ihres Oberbürgermeistern nichts wird. Denn die Verbannung nach Bettenhausen ist gegenüber ihrem heutigen attraktiven City-Arbeitsplatz eine echte Verschlechterung. Aber das nur am Rande.

Witte ist von seiner fachlichen Herkunft und seinen pragmatischen Neigungen her ein zupackender Baumensch. Er denkt praktisch. Auch an komplexe Planungsaufgaben geht er mit der Denke eines Bauleiters heran. Das ist nicht unbedingt falsch, aber häufig nicht ausreichend, weil vor den Bauleitungsaufgaben eben zuerst andere Fragestellungen zu lösen sind. Und da hapert es dann, weil seine Stärken nicht im konzeptionellen, strategischen Denken liegen. Das aber muss ein Stadtbaurat einfach können, sonst tanzen ihm alle anderen Magistratsmitglieder und die Fraktionen auf der Nase herum. Und das ist in der Ära Witte dann auch so gelaufen. Während der OB sich als stadtplanerischer Oberstratege übte (und dabei zumindest bei der ersten Multifunktionshalle eine Bauchlandung hingelegte), hat Wittes Kollege Barthel im Alleingang die Gewerbeentwicklung vorangetrieben (das Lange Feld läßt grüßen) und schickt sich an, die Bäderlandschaft Kassels nach seinen Vorstellungen zu sanieren und umzukrempeln. Dass dabei so ganz nebenbei der sensible Naturaum in der Fulda- und Karlsaue „zugeballert“ wird, lässt sich Bau- und Umweltdezernent Witte, der das eigentlich verhindern müßte, einfach gefallen und beschränkt sich darauf, für die jeweiligen Projekte bei seinem Planungsamt die erforderlichen Bebauungspläne „stricken“ zu lassen.

Wer hat Witte und warum nach Kassel geholt

Bleibt die Frage, warum Witte für diesen Job überhaupt ausgesucht worden ist? Das ist, wenn wir uns da nicht täuschen, schlicht dem Tatbestand geschuldet, dass OB Lewandoski keinen Stadtbaurat wie Uli Hellweg mehr haben wollte, der ihn in jeder Hinsicht um Haupteslänge überragte. Es musste ein Pragmatiker her, der die Aufträge der „führenden“ Partei – das war damals die CDU – pragmatisch umsetzt. Das jahrelange Gezerre um das Innenstadtleitbild, das nach jahrelangem Palaver endlich druckreif wurde und dabei zu einem belanglosen Katalog sich teilweise widersprechender Zielvorstellungen geriet, ist dafür das schönste Beispiel. . Großer Aufwand, hohe Druckkosten, keinerlei positive Auswirkung, keinerlei Verbindlichkeit…… Bei einem Baudezernenten mit Biss hätte es so eine Hängepartie mit so einem traurigen Ergebnis natürlich nicht gegeben. Und wie die Entwicklung in der Innenstadt weitergeht (ohne dass irgend jemand auch nur auf die Idee käme, das bunte Innenstadtleitbild aus der Schublade zu ziehen), sieht man an den Plänen für die Friedrichsplatz Ergänzungsbebauung, die Sanierungsüberlegungen zur Oberen Königsstraße und bei der blamablen Denkmalposse am Königsplatz.

Was soll die Neue und der Neue können?

  • Er/sie sollte die Situation, in der sich die Stadt stadtplanerisch befindet, messerscharf und kritisch analysieren können
  • Sie/er sollte fähig sein, schon bei der Antrittsrede, Teile dieser kritischen Analyse den Stadtverordneten wahrheitsgetreu aufzutischen. Er/sie muss ihnen dabei klar machen, dass es zur Durchsetzung bestimmter stadtplanerischer Ziele mehr als eine Legislaturperiode bedarf
  • Er/sie muss den Mut für komplexe und innovative Konzepte haben und sie mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern parteiübergreifend durchsetzen. Gute Stadtplanung muss überfraktionell durchgesetzt werden. Sie gehorcht nicht den ständig wechselnden Farbspielen von Koalitionen oder Kooperationen
  • Sie/er sollte politisch geschickt und erfahren sein, am besten parteiunabhängig, weil ihm/ihr sonst mindestens eine Partei immer am Rockzipfel hängt
  • Er/sie sollte ein Händchen für die guten, kreativen und mutigen Leute in der Verwaltung haben und nicht nur die angepassten Speichellecker und Jasager begünstigen und fördern
  • Sie/er sollte sich die richtigen Berater aussuchen und an den positiven Ansätzen, die es natürlich auch in dieser Stadt und in dieser Verwaltung anknüpfen.

Ganz klar: das ist kein leichter Job in Kassel. Genau deshalb darf auch nicht nur darauf geachtet werden, dass der/die Neue ins gerade angesagte rot – grüne Farbmuster passe. Wichtig ist vielmehr, dass Kassel wieder mal Glück hat und einen guten Baudezernenten bekommt. Was die Stadt vor allem und gar nicht braucht ist den besagten Herrn Dr. B. auch noch als Interimsbaudezernent.

Wer kritisiert, dass der Flughafen Kassel/Calden gebaut werden soll, wem es nicht gefällt, dass er inzwischen 75 Mio. Euro mehr kosten soll als geplant (das sind schon mal 225 Euro!), wer den Prognosen aller Experten in Sachen Luftverkehr glaubt, wer weiß, dass sich der Landkreis und die Stadt Kassel für viele Jahrzehnte mit hohen Defiziten aus dem Betrieb des Flughafens werden rumschlagen müssen, der muss das Projekt mit allen Mitteln bekämpfen. Und wenn man als Abgeordneter in den entsprechenden Gremien sitzt, die über das Projekt, direkt oder indirekt befinden, was muss man dann machen? Jawohl, genau – man muss DAGEGEN stimmen! Und? Haben das die Kasseler Grünen gemacht? Nein, lautet die bittere Antwort.
Die Bi’s gegen den Ausbau liegen richtig: Finger weg vom Fluchhafen Calden
Im Gegenteil: Statt in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD das Projekt klar als nicht zustimmungs- und verhandlungsfähig zu erklären, haben sie von Anfang an
für den einen Sitz im Magistrat ihre „grüne Seele“ auf dem Verhandlungstisch geopfert und verkauft. Sie haben nicht nur dem Flughafenausbau, so widersinnig und
antiökologisch das Projekt in den Augen all derer ist, die vom Thema was verstehen, immer wieder zugestimmt – sie haben sogar die Zustimmung zum Ausbau des
Langen Feldes noch hinterher geschoben, auch wenn dieses Projekt im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen nicht explizit genannt wird. Da die Grünen aber sicher sein
können (und die SPD auch), dass bei diesem Gewerbeprojekt die CDU auf jeden Fall mitmachen wird, konnten sie es sich leisten, auf dieses Projekt im Vertrag gar nicht erst
einzugehen. Den Flughafen jedoch mussten sie schlucken, auch wenn das Schluckbeschwerden und massive Kritik von vielen Seiten mit sich brachte. Denn es gibt da ja noch die Grünen im Landtag, die Grünen im Landkreis und – genau – eine grüne Basis, die über den Flughafen verständlicher Weise ganz anders denkt als die grünen Kommunalpolitiker um Frau Janz, die für den einen Sitz im Magistrat und das bisschen Mitsprache in der großen Kasseler Politik locker mal grünes „Tafelsilber“ auf dem Verhandlungstisch opfern.
Was ist denn so ein Magistratssitz wert?
Wie viel so ein Sitz im Magistrat wirklich wert ist, werden die Grünen, wenn die ersten Millionen mit Minuszeichen in den Haushalten von Stadt, Landkreis, Land Hessen und Calden verkraftet und versteckt werden müssen, schon noch sehen. Und wenn keiner sich mehr daran erinnert: Wir werden es auf keinen Fall vergessen und ihnen vorrechnen bzw. sie immer wieder fragen: War es das wert? Hat sich der eine Sitz im Magistrat gelohnt im Verhältnis zu diesem unsinnigen Projekt und seinen fatalen Folgen? Denn eins ist doch heute schon klar: Wenn das Projekt realisiert wird, werden weitere Projekte mit zusätzlichen negativen Folgewirkungen nicht lange auf sich warten lassen. Denn wer A sagt, muss dann auch B sagen und zum defizitären Flughafen noch das eine oder andere Straßenprojekt zur verbesserten Anbindung des Flughafens hinterher bauen.
Wir meinen: Das ist der Magistratssessel von Frau Janz nicht wert!

Eckhard Jochum
(aus LinksZeitung Jahrgang 4 – 2/10)

Kannibalismus zwischen den Flughäfen – gepaart mit Unverschämtheit und Ignoranz

Alle Profis in der Republik, die von Flughäfen und deren Betrieb etwas verstehen (wie z.B. der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften/BDF), fassen sich in Bezug auf Kassel-Calden an den Kopf. Sie sprechen, weil sich die benachbarten Flughäfen gegenseitig die Kunden abspenstig machen werden, von Kannibalismus und weil die Baukosten und der langfristige Zuschussbedarf enorm hoch sein werden, von einem „Fass ohne Boden“. Dass diese Experten recht haben, zeigt sich schon daran, dass keine einzige (deutsche) Fluggesellschaft erkennbares Interesse an Kassel-Calden zeigt. Calden soll dennoch, gegen alle Vernunft und vor allem gegen alle Spielregeln, gebaut werden.
In jeder Hinsicht symbolisch für die Zukunft dieses Projekts ist die winterliche Wüstenei, die die ersten Baumfällarbeiten an der B 7 zurückgelassen haben. Diese Arbeiten stellen den Anfang des Flughafenausbaus dar, dessen Kosten noch in keiner Weise greifbar und abgesichert sind. Obwohl große Unsicherheiten in Bezug auf die Kosten vorliegen, wurden schon jetzt
erste Aufträge vergeben und sofort ausgeführt. Man stelle sich einfach vor: Ohne eine abgesicherte, geprüfte und aktualisierte Kostenzusammenstellung fangen Sie an, Ihr Haus zu bauen! Niemand, weder im privaten noch im öffentlichen Bereich darf, sollte und wird so etwas tun. Hier jedoch, bei diesem so in der Kritik stehenden Projekt, werden alle Regeln verletzt. Auch
der Regierungspräsident, der in Kassel mit dem Kostenargument schon so manches vernünftige Projekt zu Fall gebracht hat, winkt das absehbare Millionengrab Kassel – Calden einfach durch. Der schon angesprochene BDF spricht von mindestens 250 Millionen Ausbaukosten, während das Land Hessen, die Stadt Kassel und der Landkreis Kassel gebetsmühlenartig an
den ursprünglichen 150 Millionen festhalten. Ein böses Erwachen steht bevor!
Wir finden das skandalös und werden, auch wenn unser letzter Antrag zur Kostenermittlung beim Flughafen keine Mehrheit gefunden hat und bei den anderen Fraktionen auf allgemeines Desinteresse stieß, an dieser „Front“ keine Ruhe geben. Der Flughafen ist und bleibt eine Entwicklungs- und Kostenfalle. Von all den Versprechungen und Hoffnungen, mit denen
man die Bewohner der Region lange genug „gefüttert“ und belogen hat, werden am Ende nur die Defizite für die kommunalen Haushalte bleiben. Dafür gibt es in der Re-
publik schon Beispiele genug.

Eckhard Jochum
(aus LinksZeitung Jahrgang 4 – 1/10)

Nachlese zur Antiatomdemo am 24. April 2010

Was am Anfang der Mobilisierung kaum jemand für möglich gehalten hat: am 24. April 2010 waren um die 150.000 Antiatomgegner auf den Beinen – gegen
den Versuch der Bundesregierung, die Atommeiler der Republik um Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, länger am Netz zu lassen – was den Energiekonzernen
Milliarden in die ohnehin prall gefüllten Kassen spült.
Mit der Menschenkette zwischen Krümel und Brunsbüttel, der Umzingelung von Biblis und der Demo am Atomzwischenlager Ahaus haben wir, die Demonstranten aus allen Teilen Deutschlands, der Atomwirtschaft und der schwarz-gelben Regierungskoalition in Berlin die gelb-rote Karte gezeigt. Mit Erfolg hat die unübersehbare und beeindruckende Manifestation sowohl den Atomkonzernen als auch den sie fördernden Parteien Feuer unter dem Hintern gemacht. Es ist keine Überheblichkeit, davon auszugehen, dass dieses Großereignis Auswirkungen auf die Wahlen in NRW gehabt hat. Das war natürlich auch ein Ziel dieser Demo und Grund dafür, den Demo-Termin so unmittelbar vor diese Landtagswahl zu legen.
Die Atomwirtschaft, mit ihren unzähligen Skandalen, der (ewig) ungelösten Endlagerung der radioaktiven Abfälle und der offenen Absicht, den Energiewechsel, den Umstieg auf umweltfreundliche und nachhaltige Energieproduktion zu verhindern bzw. deutlich zu verzögern, hat viele mächtige und einflussreiche Freunde. Die sitzen nicht nur in der aktuellen Regierung, sondern auch in vielen Redaktionsstuben der Republik. Die HNA darf hierfür als Beispiel dienen: Am Samstag vor der Demonstration, obwohl es da schon alle Spatzen
von den Dächern pfiffen, bringt die HNA irgendwo im Innenteil – mit einer billigen Bildunterschrift – den kleinen Hinweis, dass wohl mit 20.000 Demonstranten an eben diesem Samstag zu rechnen sei. Ein Blick ins Internet hätte den Herrschaften aus der zuständigen Redaktion längst gezeigt, dass alle Züge aus den verschiedenen Teilen der Republik ausgebucht waren. Die Veranstalter rechneten mit rund 120.000 Demonstranten für die Menschenkette auf 120 km Länge … Der Knaller kam dann aber am Montag, dem 26.April, in der Berichterstattung über die Antiatomdemonstration am 24. April. Was macht die HNA? Sie spricht, auf der Seite 12 – also schon weit hinten im politischen Teil der Zeitung – von nur 100.000 Demonstranten!

Wieder nur in einer Bildunterschrift. Das Ereignis ist der HNA nur ein Foto mit einer verzerrenden, untertreibenden, leicht verlogenen Mitteilung wert, obwohl doch so viele bedeutende Fragen von größter politischer Tragweite damit verbunden sind. Dass der Streit um die Verlängerung der Laufzeit der AKWs inzwischen auch in der Berliner Koalition tobt und die verschiedenen CDU geführten Landesregierungen bissig übereinander herfallen, könnte einen, wenn das Thema nicht so bitter ernst wäre, zum Schmunzeln bringen. Jetzt wird ja auch überlegt, die Verlängerung der Atomkraftwerke unter Umgehung des Bundesrates zu beschließen. Das aber darf der Atomlobby und ihren Wasserträgern in der schwarz-gelben Regierung nicht gelingen.

Mehrheiten bei Wahlen gewinnt man damit ohnehin nicht, das wissen Frau Merkel und Herr Westerwelle in Berlin nur zu genau. Also gehen solche Spielchen, derartig bedeutungsvolle Beschlüsse an der Länderkammer vorbei zu fassen nur dann, wenn längere Zeit keine wichtigen Wahlen stattfinden. Pikant auch immer wieder: Wieso wird eine Physikerin, die sogar mal Umweltministerin war und bestimmt einiges dabei mitbekommen hat (verheimlichte Störfälle, gefälschte Gutachten etc.), zu einer Atomlobbyistin? Sei’s drum!
Die große Mehrheit der Bevölkerung muss für das Abschalten der AKWs und das Umsteuern in der Energiepolitik auf der Straße sorgen. Die besseren Argumente sind auf der Seite der Atomgegner. Den Rest besorgt hoffentlich das abgesoffene Atommülllager Asse und die Unmöglichkeit, Gorleben mit Atommüll voll zu stopfen, nachdem die Wahrheit über die gefälschten Gutachten von jedermann nachgelesen werden kann …

Eckhard Jochum
(aus LinksZeitung Jahrgang 4 – 2/10)

Die grandiose Fehlentscheidung muss rückgängig gemacht werden

Wie beim Flughafen Calden wird auch beim Kombibad am Auedamm an längst überholten Zahlen festgehalten. Gerade der sich immer so konsequent als Oberbuchhalter gebende Dr. Barthel verhält sich hier wie ein Terrier, obwohl es doch längst alle Spatzen in Kassel von den Dächern pfeifen: Das besagte Bad wird deutlich teurer als projektiert und der jährliche Zuschussbedarf geht in die Millionen. Aber genau wie beim Flughafen wollen die eifrigen Befürworter dieser Fehlentscheidung den Weg zurück zu stadtplanerischer Vernunft nicht
antreten. Es gibt, wie wir mehrfach in unserer Zeitung und im Parlament nachgewiesen haben, mehrere bessere Standortalternativen.
Um so mehr begrüßen wir den Vorstoß der neuen Vorsitzenden der Grünen der Stadt Kassel, Frau Eva Koch, über den gewählten Standort für ein neues kombiniertes Hallen- und Freibad noch einmal grundsätzlich und neu nachzudenken. Auch wenn wir den von ihr konkret ins Gespräch gebrachten Standort am Unterneustädter Kirchplatz für nicht glücklich halten, weil
das schon aus verkehrlichen Gründen nicht funktionieren würde (der Kirchplatz kann trotz der optimalen Lage in Sachen Nahverkehr den zusätzlichen PKW-Verkehr dort nicht aufnehmen!), liegt Eva Koch richtig damit, die Grundsatzfrage nach der optimalen Lage einer solch bedeutsamen Einrichtung im Stadtgefüge erneut aufzuwerfen.
Und wir wiederholen, zusammen mit den Umweltverbänden, vielen Kritikern in den Parteien und den verschiedenen Verwaltungen: Karls- und Fuldaaue sind ökologisch, verkehrlich und sozial der falsche Standort für so ein Bad! Das alte Freibad dort liegt gut und richtig und die Perspektive, es zu einem kombinierten Flussbad auszubauen, ist die richtige. Für ein neues 
Spaß-, Sport- und Hallenbad hat die Stadt die allerbesten Potentiale – und das gleich an mehreren Stellen im Stadtgebiet. Wir wollen hier der von der Rathausverwaltung begonnenen, aber wegen Barthels vorzeitiger Intervention nicht zu Ende geführten Grundsatzanalyse nicht vorgreifen. Wenn die versierten Fachleute der Rathausverwaltung ihre Aufgabe ordentlich zu Ende führen dürfen, durchaus beraten von externen Spezialisten, wird es eine gute, städtebaulich positive, verkehrlich optimal erreichbare und für den Schulsport bestens angebundene Alternative für ein neues Bad geben. Eine Alternative, die auch finanziell darstellbar ist.
Vorher jedoch muss der Barthel’sche Schnellschuss mit den peinlichen und inzwischen längst zurückgenommenen Terminvorgaben für eine fiktive Baderöffnung aufgehoben werden. Es ist besser, die bislang aufgewendeten Planungsmittel als verloren anzusehen (gibt es eigentlich für derart grandiose Fehlleistungen von Magistratsmitgliedern eine Eigenhaftung??) als diese Fehlentscheidung durchzuziehen und auf Jahrzehnte einen irre hohen Zuschussbedarf zu riskieren.
Für Vernunft ist es nie zu spät!

Eckhard Jochum
(aus LinksZeitung Jg. 4 1/10 S. 7)

Auch wenn der OB inzwischen nicht mehr daran erinnert werden will, dass er zu Beginn seiner Amtszeit den ungeliebten Kämmerer unbedingt loswerden wollte, so fragen wir uns heute um so mehr, was denn die beiden aktuell so innig miteinander verbindet? Weil uns nicht an Kaffeesatzleserei gelegen ist, interessieren uns nur Fakten, ggf. auch noch die Konsequenzen daraus. Ob also die CDU Fraktion kurz vor den letzten OB-Wahlen den von ihr so überaus geschätzten Herrn Dr. B. nur noch einmal gewählt hat, um dem OB-Kandidaten der SPD, also Herrn Hilgen, ein Kuckucksei ins Nest zu legen, mag ja vielleicht so gewesen sein, ist aber uninteressant. Bedeutsam ist für uns und die Politik in Kassel nur, dass Hilgen mit dem von ihm seinerzeit überhaupt nicht geschätzten Kämmerer nun in und auf allen zentralen kommunalpolitischen Feldern harmonisch und (scheinbar) konfliktfrei zusammenarbeitet. Inzwischen, als wäre der Schaden, den Dr. B. als Kämmerer anrichtet noch nicht groß genug, hat der OB ihn sogar zusätzlich noch zum Sozialdezernenten gemacht und ihn damit erheblich aufgewertet. Er überlässt ihm außerdem große und folgenreiche Politikbereiche (wie z.B. die Bädersanierung) , ohne überhaupt die Frage zu thematisieren, ob er damit für die Stadt und seine Bürger, für sich und die SPD etwas Positives erreicht.

Dass die Kasseler SPD mit der äußerst rigiden Auslegung und Praktizierung der unsozialen Hartz IV Gesetze an Ansehen verliert – der kürzlich verlorene Prozess der Stadt ist hierfür nur ein Symbol und wird an anderer Stelle in dieser Zeitung besprochen – ist klar. Klar ist vor allem, dass mit der Barthel’schen Sozialpolitik viele Menschen unnötig gedemütigt werden und dass viele Möglichkeiten, Armut erträglicher zu gestalten, ungenutzt bleiben. Hierfür steht die eiskalte Ablehnung des Sozialtickets, das für die Armen dieser Stadt einen besonders hohen Stellenwert hat und ihnen eine bessere Teilhabe am kulturellen Leben der Stadt ermöglichte. Das alles wird der SPD am Ende keine Stimmen bringen. Klar ist auch, dass die Unverschämtheit von Dr. B., Kassels Schwimm- und Hallenbäder erst kaputt zu sparen und dann in feudaler Manier zwei wichtige Standorte – Stadtbad Mitte und Hallenbad Ost – platt zu machen, der SPD am Ende viele Stimmen kosten kann. Gegen alle Vernunft, gegen den fachlichen Widerstand vieler beteiligter Dienststellen, gegen die Ortsbeiräte, viele Initiativen und auch gegen engagierte Bürger ein Spaß- und Kombibad mitten in die sensible Auelandschaft zu „pflanzen“, wird sich noch bitter rächen. Diese Entscheidung von Dr. B., das neue Kombibad an der ökologisch, stadtplanerisch und sozialpolitisch ungünstigsten Stelle im Stadtgebiet unterzubringen, wird als fataler Fehler in die Stadtgeschichte eingehen. Und wenn das allen klar geworden ist, werden in Bezug auf die Kosten die Bürger und in Bezug auf die Wahlergebnisse die SPD die Zeche zu zahlen haben. Bis dahin verzehrt besagter Dr. B. in aller Ruhe seine auskömmliche Pension.

Und warum macht das alles der OB mit, der ja 2011 wieder gewählt werden will? Warum interveniert er nicht? Warum besteht weder auf einer Sozialpolitik, die zumindest den Anspruch erhebt, einige der schlimmsten sozialen Ungerechtigkeiten kommunal abzufedern? Warum prüft er nicht wenigstens, wie andere Städte, was die Einführung eines Sozialtickets real kosten würde? Warum lässt er den Abriss des ideal gelegenen Stadtbades Mitte zu, obwohl er doch erkennen müsste, dass die Innenstadt alles braucht, nur keinen Funktionsverlust dieser Größenordnung? Warum legt er sich mit den legitimierten Interessenvertretern aus den Ortsbeiräten in einer derart heftigen Weise an?

Wir kommen zu dem einfachen und simplen Schluss, dass es nicht die Übermacht und der Ideenreichtum des Dr. B. ist, die Hilgen daran hindert, umzusteuern. Es ist schlicht die Politik Bertram Hilgens selbst, die Dr. B. formuliert und sich anschickt umzusetzten. So einfach ist das. Die Frage, was die beiden denn so „innig“ miteinander verbindet führt in die Irre. Es ist ganz platt und einfach. Die beiden wollen einfach nur dasselbe.

Das gilt es bei den kommenden OB Wahlen im Hinterkopf zu behalten. Was uns anbetrifft: wir werden genau daran rechtzeitig und immer wieder erinnern!

(aus LinksZeitung Jahrgang 3 – 2/09)