Übergriffig und unautorisiert
Unmittelbar nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 hat sich in Kassel ein sog. Wächterdienst etabliert und sich vor der Synagoge in der Bremer Straße versammelt, jeweils am Freitagabend, zu Beginn des Schabbat, um den Jüdinnen und Juden unserer Stadt ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Aber auch, weil Juden weltweit nach dem Massaker der Hamas, dem größten Pogrom nach 1945 an Juden überhaupt, wieder Angst hatten und sich um ihre Sicherheit sorgen mussten angesichts eines weltweit massiv aufflammenden Antisemitismus. Da das hier in Kassel genauso war, was sich auf zahlreichen antisemitischen und antiisraelischen Kundgebungen und Veranstaltungen, aber auch und insbesondere an der Universität offen zeigte und auslebte, kann man den Wächterdienst nur als eine gute Sache und als sinnvolle und geglückte Aktion bezeichnen. Er ist nicht nur, aber auch wegen der beeindruckenden Dauer von Ende Oktober 2023 bis Ende 2024, einzigartig in der Bundesrepublik, weithin beachtet und inzwischen auch vom Land Hessen ausgezeichnet und geehrt worden.
So weit, so gut und so bekannt.
Weniger oder kaum bekannt sind die Hintergründe und Strukturen des Wächterdienstes. Er kam auf Initiative der evangelischen Kirche zustande und wurde im weiteren Verlauf von Frau Juschka koordiniert, die sich als Freiwilligenmanagerin des evangelischen Stadtkirchenkreises Kassel bezeichnete. Immer wieder übernahmen bestimmte Gruppen, Initiativen, Vereine, Verbände, Parteien, Kirchen und andere Organisationen nach Anmeldung bei Frau Juschka die Verantwortung für einen Freitag. Die Gruppierungen gingen von den Omas gegen rechts bis hin zur katholischen Kirche. Querbeet durch die Gesellschaft …
Gegen Jahresende, so die Interpretation und Darstellung von Frau Juschka, nahmen die Meldungen zur Übernahme von Verantwortung für die Freitage immer mehr ab und die Termine dafür füllten sich nicht mehr so leicht. Ähnlich äußerte sich Frau Juschka dann auch gegenüber den verblüfften Anwesenden des Wächterdienstes vom vergangenen Freitag, den 3. Januar 2025. Diese waren, wie immer, auch an diesem Freitag und trotz oder vielleicht gerade wegen des Gerüchts, dass es mit dem Solidarischen-Wache-Stehen nun bald vorbei sein solle, erneut zahlreich erschienen. Ich schätze, dass es so um die 30 Wächterinnen und Wächter waren, die sich an diesem kalten und windigen Freitagnachmittag vor der Synagoge eingefunden hatten. Die meisten davon gehörten zu denen, die mehr oder weniger von Anfang an dabei waren und die vermutlich eher nirgendwo fest organisiert sind.
Am 7. Januar 2025 wird in einem Artikel in der HNA das oben Geschilderte dann noch einmal ausgebreitet mit der Kernaussage, dass aus dem öffentlichen „Zusammen-Stehen“ vor der Synagoge nun eher ein „Zusammen-Sitzen“ in der Synagoge werden soll, um dort – auf Einladung der jüdischen Gemeinde – den beim Wächterdienst entstandenen Kontakt zu vertiefen und weiteren Dialog zu ermöglichen. Dafür gäbe es bereits einen vereinbarten Termin …
Ilana Katz, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, so weiter in der HNA zu lesen, habe zwar Verständnis für diese Entscheidung, sie könne es sich allerdings genauso gut vorstellen, falls einzelne den Wächterdienst weiterführen wollten, dass dieses „tolle Symbol der Stadtgesellschaft“ gegenüber der jüdischen Gemeinde weiter öffentlich gezeigt wird.
Ich frage mich nun: Wer hat die evangelische Kirche autorisiert, den Wächterdienst einfach so abzublasen? Mit was für einem Votum im Rücken spricht Frau Juschka mit der Presse, ohne auch nur einen einzigen Teilnehmer des Wächterdienstes ge- oder befragt zu haben, wie es denn mit der Bereitschaft aussähe, den Dienst fortzusetzen?
Ich persönlich finde das Verhalten der Ev. Kirche in diesem konkreten Fall und das Gebaren von Frau Juschka im Besonderen als übergriffig und unautorisiert. In den nun laufenden Gesprächen zwischen jüdischer Gemeinde und den Wächterinnen und Wächtern wird sich vermutlich bald und rasch klären, wie es mit dem Wächterdienst in Kassel weiter gehen kann und soll.
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