Alles wird gut? Oder: Wie sich HNA und Zweckverband Raum Kassel* die Bälle zuschieben
Am fast allerletzten Tag – unmittelbar vor den vieldiskutierten Kommunalwahlen am 14. März 2021 – wird am 10. März 2021 mit großer Stimmenmehrheit das Siedlungsrahmenkonzept (SRK) des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK)* beschlossen: Bei lediglich einer grünen und einer linken Gegenstimme. Insgesamt hat damit das Gegenteil von einer Wende zum Guten oder Besseren in Bezug auf den Flächenverbrauch und die ökologischen Notwendigkeiten im Verbandsgebiet stattgefunden, auch wenn der Artikel resp. das Interview mit dem Verbandsdirektor, Herrn Bachmann, in der HNA vom 12. März 2021, genau das suggerieren soll. Geschrieben hat den Artikel Frau Lara Thiele.
Aber der Reihe nach.
Nach dem Auslaufen des Vorgängermodells, des Siedlungsrahmenkonzepts 2015, musste sich der ZRK neu aufstellen. Dazu hatten sich in den zurückliegenden Jahren die Rahmenbedingungen zu deutlich verändert, die Erkenntnisse in den betroffenen Zweigen der Wissenschaft und die Bewegungen auf der Straße für eine ökologische Wende in der Politik hatten massiv zugenommen. Entsprechende Einsichten sind inzwischen bis weit in konservative Kreise hinein auch in Politikerköpfe eingesickert.
Um nicht zu viel von meinem Artikel vom November hier in der Kassel-Zeitung wiederholen zu müssen, hier der Link dazu:
Wohin marschiert der Zweckverband Raum Kassel* mit seinem neuen Siedlungsrahmenkonzept?
Das Fazit des Artikels war, dass die ZRK-Rhetorik zwar deutlich besser geworden ist, in die Richtung, dass der Bodenverbrauch an den Rändern von Städten und Kommunen minimiert, dass die Innenentwicklung priorisiert und dass generell der Verbrauch von Ressourcen und Naturpotentialen dramatisch eingeschränkt werden muss. Derartiges gibt es zu lesen in den nun beschlossenen, erläuternden Texten des ZRK. Wer sich das in ausführlicher Form anschauen möchte, kann das hier tun:
https://www.zrk-kassel.de/media/files/srk/zrk-srk-2030.pdf
Insoweit decken sich die Ansichten des Autors in mancher Hinsicht durchaus mit den planerischen Grundlagen und Vorgaben des ZRK in seinem neuen SRK. Als neuer Wein in alten Schläuchen stellt sich das Konzept jedoch dann heraus, wenn die Flächenansprüche aller ZRK Mitglieder – also Kassel incl. Speckgürtelgemeinden – aufaddiert werden. Denn dabei kommen dann nicht nur ein paar Hektar (unvermeidlicher) neuer Flächenverbrauch heraus, vielmehr allein für neue Wohnbauflächen 630 zusätzliche Hektar… Um sich das besser vorstellen zu können, hilft vielleicht ein Vergleich: Diese völlig überzogene Dimension neuer Wohnbauflächen, die Hälfte in etwa davon an den Rändern der besiedelten Gebiete, entspricht über den Daumen der Fläche von sage und schreibe 900 Sportplätzen!
Das ist, umgerechnet auf einen Flächenverbrauch pro Einwohner und Jahr deutlich mehr, als sich die Bundesrepublik und auch das Land Hessen an Verbrauch dieser unersetzlichen Ressource vorgenommen haben. Mit anderen Worten: Während im Intro des Konzepts viele wohlklingenden Forderungen und Grundsätze zu Papier gebracht werden, zeigt die tabellarische Auflistung dessen, was man in den kommenden Jahren der Landschaft, der Landwirtschaft und den bei uns durchaus noch vorhandenen Naturräumen entreißen und neu bebauen will, die unschöne Realität: Damit wird die Propaganda mit der Nachhaltigkeit zur leeren Floskel. Vielmehr bleibt erst mal alles beim Alten.
Die Aufgabe von gutem Journalismus wäre es nun zuerst, sich mit dem Basis-Thema Flächenverbrauch intensiv auseinander zu setzen. In Anbetracht des unstrittigen Klimawandels, der hier bei uns einhergeht mit extremen Trockenphasen und urbanen Überhitzungen, was wiederum viele negative Konsequenzen hat für Menschen (wo auch immer sie wohnen) und Ökosysteme (vor allem jedoch den Wald, aber natürlich auch die Landwirtschaft), wäre die Auseinandersetzung mit diesem Thema erste Journalist*innenpflicht, zumal es in diesem Jahrhundert sicher nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden wird. Aber nicht nur das.
Zu einem qualifizierten Bericht über den besagten Themenkomplex gehört eben auch, neben der Schilderung dessen, was der Verbandsdirektor des ZRK, Herr Bachmann, via HNA über das neue Werk berichtet, die Schilderung der Debatte im Plenum, das Für und Wider der Argumente von Planbefürwortern und Gegnern, denen der Plan in seinem Anspruch auf Nachhaltigkeit eben längst nicht weit genug geht. Das Plenum ist – wenn ich das erläuternd hinzufügen darf, sehr geehrte Frau Thiele – nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Legislative dieser wichtigen Institution Zweckverband. Und die Abgeordneten und ihre Argumente sollten doch, wenn der Zeitungsbericht den Anspruch auf journalistische Professionalität erhebt, zumindest den elementaren Regeln der Berichterstattung gerecht werden. Und deshalb sollte auch das Pro und Contra der Abgeordneten in so einem Bericht vorkommen? Sie aber, Frau Thiele, verzichten gänzlich darauf und beschränken sich auf das, was man in so einem Fall als Hofberichterstattung bezeichnet. Das ist sehr bedauerlich, zeigten sich doch im Verlauf der Debatte hochinteressante Differenzen in der Bewertung des besagten Themas.
Wie sollen sich sonst die Leser*innen ein objektives Bild darüber machen, wie ihre Vertreter*innen in der Vollversammlung den neuen SRK und den mit ihm nun einhergehenden exorbitanten Flächenverbrauch beurteilen? Deshalb gehört es selbstverständlich dazu, über die teils intensiven, inhaltlichen Auseinandersetzungen, die sich über fast 2 Stunden hin gezogen haben, qualifiziert zu berichten. Denn auch wenn es am Ende nur 2 Gegenstimmen gegeben hat, eine aus der Fraktion der Grünen und meine eigene (parteilose) aus der Fraktion der Linken, so waren die Argumente gegen diesen Plan und gegen seinen enormen Flächenverbrauch dennoch durchaus erwähnens- und berichtenswert.
Wer so über wichtige und gleichzeitig komplexe Themen berichtet, aber nur die Befürworter und deren Philosophie zu Gehör bringt, verpasst die Chance, Interesse für ökologische Gesamtzusammenhänge bei den Leser*innen zu wecken. Gerade in der Berichterstattung über die Kontroverse kann die hohe Komplexität ökologischer Fragestellungen verdeutlicht werden. Mit Hofberichterstattung erreicht man das genaue Gegenteil. Es wird vielmehr der Eindruck erweckt, als hätten die handelnden Institutionen die allein selig machenden Konzepte in der Hand und alles würde gut werden oder gut bleiben. Glauben Sie mir, sehr geehrte Frau Thiele: Dem ist nicht so!!
Letzter Satz: Das, worüber Sie in Bezug auf den 10.03.2021, also den o.a. Beschluss zum SRK des Zweckverbandes, jetzt berichtet haben, wird nicht das letzte Wort dazu sein. Vielmehr verspreche ich Ihnen schon jetzt, dass Sie bald erneut Gelegenheit haben werden, über das fragwürdige Zahlenwerk dieses Planes zu schreiben. Denn der Widerspruch zwischen eloquent vorgetragener Pseudo-Nachhaltigkeit und ökologischen Notwendigkeiten wird sehr bald wieder Thema sein. Vielleicht werden Sie dann ja umfassender und angemessener zu berichten?
*Was ist der Zweckverband Raum Kassel eigentlich genau?
Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifende Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehört z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen… Ein neues Aufgabenfeld, der sog. Landschaftspflegeverband für den Landkreis Kassel, wird im kommenden Jahr vermutlich auch beim ZRK mit angedockt, was sicherlich zu einem weiteren Bedeutungszuwachs führen wird…