Wer alles und wie die Welt retten will, kriegt man nicht mehr auf ein großes Blatt Papier. Was aber noch viel mehr nervt, ist – ohne damit die entschuldigen zu wollen, denen die ganzen Ökologiefragen, das ganze Drama um soziale Gerechtigkeit und die weltumspannenden Wanderungs- und Fluchtbewegungen zu kompliziert und bedrohlich geworden sind und die deshalb den Populisten aller Länder und Schattierungen in die Arme laufen – dass die seit Jahrzehnten in Europa und Deutschland die Politik bestimmenden politischen Kräfte derart begriffsstutzig und inkompetent sind.
Die, die sich jahrzehntelang mehr oder weniger regelmäßig abgewechselt haben beim Regieren, Verteilen und Unterlassen, kommen nun aus dem Staunen nicht mehr raus. Das erinnert schon fast an den Verein, der sich katholische Kirche nennt und dessen männlich-chauvinistische Führungsgang bass erstaunt darüber ist, dass angesichts tausendfachen Missbrauchs durch eben diese Gang und des jahrhundertelangen Ausschlusses von Frauen aus dem Kerngeschäft die Mitglieder nun fluchtartig den heiligen Schoß eben dieser Kirche verlassen. Schnauze voll.
Um weiter am Ruder und den Fressnäpfen zu bleiben, reichen jetzt – wie aktuell bei der Europawahl gesehen – nicht mal mehr die alten Monsterbündnisse für neue Koalitionen. Großes Stöhnen, großes Staunen, aber kein wirklich großes Nachdenken. Auch kein Umdenken. Höchstens verbales Herumeiern und sofort neue Personalschiebereien. Beispiel: Die Bundes-SPD mit dem sofort ausgebrochenen Theater um die Nachfolge von Andrea Nahles. Oder der witzige Lindner mit seinem: Lasst uns Profis das mal machen! Die relevanten Beschlüsse werden in diesem Kabinett und im aktuellen Bundestag aber nach wie vor nicht gefasst. Zumindest nicht so, wie es tendenziell die Jüngeren wollen und wie es die SchülerInnen mit ihren Schulstreiks freitäglich fordern. Die Unzufriedenheit, nicht nur weil der Autor längst nicht mehr zu den eben genannten Jüngeren zählt, ist aber nicht nur ein bei SchülerInnen und StudentInnen ein weit verbreitetes Phänomen. Vielmehr hat dieses Syndrom mehr oder weniger alle Altersklassen erfasst (in unterschiedlichen Ausmaßen natürlich) und das auf allen Kontinenten. Dennoch fallen wie bei uns in der Bundesrepublik die entscheidenden Beschlüsse immer noch so, wie immer. Als wäre nichts geschehen und als hätten wir alle Zeit der Welt.
In der Medizin und Pflege so, wie es die pharmazeutischen Konzerne und privaten Anleger in der Altenpflege wollen, bei der Mobilität so wie es die Chefs von VW, Audi, BMW und Mercedes sich wünschen, in der Wohnungspolitik so wie es am besten für die privaten Anleger und Wohnungskonzerne ist, bei Energieversorgung so wie es die alten Strom-, Öl- und Kohle Kartelle gern haben und in der Landwirtschaft so, wie es die großen Betriebe, Bayer und die Großtierhalter sich eben vorstellen. Beispiele dafür lassen sich beliebig finden und aufzählen.
Durch das gezielte Ausbremsen des Ausbaus der erneuerbaren Energien sind von irgendeiner der inkompetenten Großen Koalitionen der letzten Jahre 80.000 zukunftsfähige Arbeitsplätze in diesem Bereich vernichtet worden. Kaltlächelnd und nahezu kommentarlos. Der Ausstieg aus der Braunkohle, einem der Schlüssel für das Erreichen der Vorgaben des Pariser Klimaabkommens, soll aber in jeder Hinsicht voll abgefedert und wegen der in Rede stehenden 20.800 Arbeitsplätze bis 2038 hinausgeschoben werden. Was für eine krasse Fehlentscheidung zugunsten einer Technologie, die so oder so keine Zukunft mehr hat. Wer soll das verstehen? Dazu muss man kein Anhänger des Youtuber’s Rezo sein, denn das ist Allgemeinwissen, seit langem. Und auf all den anderen Feldern sieht es ähnlich aus: So beim Export von Schweine- und Hühnerfleisch aus den großen Anlagen. Da dort alles auf maximalen Gewinn, Export und Antibiotika getrimmt ist, essen hier bei uns viele schlechte Lebensmittel. Außerdem werden mit den Resten die afrikanischen Märkte geflutet und gestört, weil die dortigen Produzenten sich gegen die von der EU hochsubventionierten Fleischreste nicht zur Wehr setzen können. Die Gülle zerstört außerdem die Grundwasserspeicher und die EU klagt fruchtlos gegen die übermächtige BRD, die die EU Gesetze auch auf diesem Sektor einfach nicht einhalten will. Die bezahlt lieber Kohorten von PR-Profis, die dafür sorgen, dass alle Welt glaubt, die Deutschen seien auch in Sachen Ökologie Weltmeister. Das ist aber Unsinn; das Gegenteil ist wahr. Weltmeister beim Export, beim Umweltschutz eher das Gegenteil. Bei der Versalzung der Werra und Weser durch K+S ist es nicht anders. Auch hier stehen peinliche Prozesse mit der EU auf der Tagesordnung, weil die sog. Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 noch immer nicht eingehalten wird… Während die Autokonzerne sich mit verbrecherischen Betrugsmanövern um die Einhaltung von Abgasgesetzen drücken, unterstützt unsere Regierung eben diese Konzerne in den EU Gremien andauernd, wenn es um schärfere Umweltgesetze geht. Und so atmen wir alle zu viel Feinstaub und zu viel Stickoxid ein, während man gleichzeitig die Kommunen mit den Problemen allein lässt. Sie müssen die Fehler und Unterlassungen der „großen“ Politik auslöffeln. So, wie hier bei uns gewurschtelt wird und wie Lösungen regelrecht verhindert werden, werden sie wohl kommen – die gefürchteten Fahrverbote.
Nirgends sind auf der politischen Agenda die richtigen Vorgaben und Konzepte in Sicht, nirgends gibt es schlüssige Zukunftspläne, nirgends sind die politisch Verantwortlichen auf einer erfolgversprechenden Spur. Ein echtes Trauerspiel. Statt Scheuer und Klöckner wegen unerträglicher Inkompetenz, Dummheit und offenem Lobbyismus zu feuern, dürfen die beiden immerfort ihr beschämendes, fatales Verhalten an den Tag legen. Oder ist es noch witzig, wenn der Tretroller fahrende Scheuer alle anderen Europäer der Dummheit bezichtigt, weil sie ein Tempolimit befolgen? Ein Limit, das vielen Menschen einen Tod auf der Autobahn erspart und eindeutig nachgewiesen CO2 einspart? Muss nicht endlich ein IQ-Test zwangsangeordnet werden, bei diesem Mann, der Radfahrer unnötig sterben lässt, weil er zu feige, dumm und inkompetent ist, um den zusätzlichen Spiegel an LKW’s anzuordnen und sofort durchzusetzen?
Ob es die Grünen nun zukünftig richten werden, ob dank ihrer gewachsenen Macht die richtigen Entscheidungen zustande kommen, ob sie tatsächlich die Welt retten und den jungen streikenden SchülerInnen eine Zukunftsperspektive auf dem blauen Planeten aufzeigen können? Eher nicht. Aber wir werden ja bald sehen, wohin der Hase läuft. Vermutlich aber sind Erwartungen, wie sie in diesen Fragen enthalten sind, vollkommen übertrieben. Denn:
Was bei allen Debatten – um welchen Ausstieg aus welcher Technologie in welchem Tempo auch immer – fehlt, da helfen alle protestierenden SchülerInnen, Youtuber und Gelbwesten etc. genauso wenig wie alle bislang bekannt gewordenen Ideen und Vorstellungen der Grünen nichts, ist ein Plan und eine Idee davon, wo der Hund begraben liegt bei alle den vorher beschriebenen Versäumnissen. Wo liegen die Ursachen dafür, dass nahezu alle großen Problemfelder der Menschheit wissenschaftlich durchdrungen und großenteils gelöst sind, diese Lösungen aber kaum angewendet und nur unzureichend oder gar nicht umgesetzt werden? Was hat es damit auf sich, dass die Welt der Wissenschaft sich weitgehend darin einig ist, wie man den Klimakollaps aufhalten, wie man die Energiewende herbeiführen, wie die Mobilitätswende aussehen und wie man 8 Milliarden Menschen so ernähren könnte, dass der Planet dabei nicht für uns unbewohnbar wird?
Hier sei ein kleiner Einschub erlaubt, um diese aufgeworfenen Fragen mit einem schönen Bild plastisch zu machen: Erinnern sie sich, wie kürzlich durch die Medien ging, dass es gelungen sei – nach vielen Jahren der Kooperation von Hunderten von Wissenschaftlern auf dem ganzen Planeten – ein Foto eines Schwarzen Lochs zu machen? Ein Vorgang irgendwo im All, wo sich eine Masse von 6,5 Milliarden Sonnen auf einen Punkt konzentriert und an dem Raum und Zeit ihre Bedeutung verlieren. Ein Abgrund an Gravitation. Was nahezu unmöglich schien, gelang: Ein Foto von eben diesem Vorgang. Und während wir mit „unserer“ Wissenschaft derart grandiose Kooperationserfolge feiern können, bekommen wir es nicht hin, die Lösungen für die durchaus auch komplexen, aber letztlich doch einfachen Umweltprobleme politisch umzusetzen. Was für ein Jammer!
Es gelingt nicht, weil das Versagen systematische Ursachen hat. Ich weiß genau, wie sich das anhört und klingt, das „System“ verantwortlich zu machen. Mindestens vereinfachend. Aber ohne eine grundsätzliche Wende in der Ökonomie, ohne eine Überwindung des Kapitalismus und seiner strukturellen und zerstörerischen Mechanismen, werden auch ökologisch sensiblere Parteien nicht erfolgreich sein können. Das ist seit Marx gut in seinem Werk belegt. Zuerst aber hätte man es von Alexander von Humboldt lernen können. Und nach den beiden haben es Hunderte von Wissenschaftlern aus den verschiedensten Disziplinen immer und immer wieder eindringlich formuliert und nachgewiesen. Aber wer das Anwachsen der riesigen, weltweit operierenden Konzerne, und das längst nicht nur auf dem IT Sektor, dort aber vor allen Dingen, nicht stoppt, der braucht sich über Politikveränderung gar nicht mehr groß Gedanken zu machen. Viele global relevante Entscheidungen werden schon lange und häufig jenseits nationaler Parlamente getroffen, aber nicht im Interesse der Menschheit und der Lebensbedingungen auf der Erde, sondern so, wie es für die Aktionäre gut ist…
Der Regenwald wird nicht abgeholzt, weil die Wissenschaft und die meisten Menschen auf dem Planeten nicht wüssten, was damit angerichtet wird. Alle wissen, dass dieser Wald große Mengen CO2 speichert. Alle wissen um die Bedeutung der Artenvielfalt dort… Und mit den Problemen der Weltmeere, der sterbenden Korallenbänke, den Fischereisünden, der Plastikflut etc. ist es nicht anders. Die, die einen großen Teil der Verantwortung tragen für die Flutung des Planeten mit Gütern und Waren, die oft keine Sau braucht, aber gut damit verdienen und einen kleinen Teil der Menschheit immer reicher machen, werden die Erde bald überfordern. Nicht in dem Sinn, dass der Planet daran zerbräche. Nein, der bleibt so wunderschön. Er wird dann nur für unsere Spezies keine ideale Bleibe mehr sein. Alle die vielen in geologischen Zeiträumen immer wieder eingetretenen Zufälle, von der richtigen Mondgröße bis hin zu Meteoriten-Einschlägen, die den Aufstieg der Säugetiere überhaupt erst möglich machten, nützen uns dann nichts mehr. Kein Beethoven, kein Einstein, keine Mutter Teresa und auch keine Grünen mehr… Der Herkules verwaist.
Aber warum wird dann vor Ort nicht wenigstens die Reißleine gezogen? Wo es doch deutlich leichter ginge und die Probleme tendenziell überschaubar sind? Denn auch hier bei uns in Nordhessen haben die Wähler überdeutlich gesagt: So soll es nicht weiter gehen! Aber glauben sie mir: Wenn am 12. Juni der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) im Stadtverordnetensaal im Rathaus in Kassel darüber entscheiden wird, ob wir 18 ha landwirtschaftliche Flächen für nicht benötigte Einfamilien- und Reihenhäuser am nördlichen Ortsrand von Vellmar – also außerhalb der Stadt – zusätzlich versiegeln, dann wird die dramatisch abgestrafte SPD genau diesen Beschluss herbeiführen. Und das, obwohl jeder, der Lesen kann, weiß, dass der Wohnungsbedarf ganz woanders liegt: Bei bezahlbaren, günstigen Wohnungen für Leute mit kleinem Geldbeute. Beschlossen wird das u.a., weil man Besitzern von geeignetem Bauland im Innern von Vellmar nicht mit Druck zum Bauen bringen will. Deren Verweigerungsgrund: Dollarzeichen in den Augen! Das heißt, sie wollen warten, bis sie noch mehr Kohle bekommen für ihre Grundstücke. Die Stimmen der Grünen und Linken werden jedenfalls nicht ausreichen, um die SPD parlamentarisch zu bremsen. Frei nach der Devise: weiter so! Kommen sie doch mal dort hin und schauen sie zu. Hören sie sich mal die Argumente an.
Wenn die SPD Nordhessens aber glaubt, dass es immer noch nicht an der Zeit wäre, die Zeichen zu verstehen und einen Wandel im eigenen Handeln einzuleiten, sollten sie einfach mal kurz nach Paris schauen: Auch die Sozialisten Frankreichs waren einst mächtig und groß. Manchmal auch arrogant. Ende 2017 mussten Sie jedoch ihr Parteigebäude in der Rue de Solférino für 45 Millionen verscherbeln. Beste Lage, ganz nah an der Seine, noch näher an den Jardins de Tuilieries und am Louvre. Alles was wirklich schön und sehenswert ist in Sichtweite. Aber das ist nun Geschichte. Warum? Die Sozis waren 2017 pleite, so gut wie jedenfalls. Kaum Mitglieder mehr und noch weniger WählerInnen. Alles vorbei. Der neoliberale Macron regiert jetzt noch in Paris, aber Marine le Pen – auch das zeigen die aktuellen Wahlergebnisse überdeutlich – steht auf Abruf. Nordhessen hat zwar mit Paris und Frankreich nicht allzu viel zu tun. Aber mit Abstieg und mit Verschwinden von dem, was sich mal sozial und demokratisch nannte und in Nordhessen jahrzehntelang quasi feudal regiert hat, sehr wohl… Erfreulich ist das alles nicht.
*Frei nach der Wahnsinnswerbung von BMW für den neuen 8er: Siehe auch hier…
http://kassel-zeitung.de/cms1/index.php?/archives/18049-Gebaut,-um-den-Atem-zu-rauben.html