Was für ein Widersinn: Statt am Tag des gutbesuchten Jubiläums, dem 14. Mai 2014, anlässlich des 40jährigen Bestehens des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK*) sich selbst und allen anderen zu demonstrieren, wofür so ein Verband gut ist oder sein könnte, führt er das Gegenteil vor. Zum wiederholten Mal wird gezeigt, nach allen Regeln der Kunst, dass die wichtigen, selbst aufgestellten, selbst erarbeiteten Ziele und Prinzipien des Verbandes nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Worum es auch an diesem Tag wieder ging: um die schlichte und banale Durchsetzung kurzsichtiger Partikularinteressen einer der Mitgliedsgemeinden. In diesem konkreten Fall drehte es sich um Schauenburg. Leider, das wird mir immer klarer, ist das ganz offensichtlich das „Kerngeschäft“ des ZRK!
Worum es ging? Es sollten mal wieder Flächennutzungspläne, die man selbst aufgestellt und beschlossen hatte, geändert werden. Im konkreten Fall mit dem Ziel, an den Rändern von Schauenburg zusätzliche 1,7 Hektar Wohn- und Gewerbeflächen auszuweisen. Ganz ohne Sinn und Verstand, vor allem aber – wie ich noch zeigen werde – nicht nur gegen selbst beschlossene und rechtkräftige Flächennutzungspläne, sondern auch und vor allem gegen die in zentralen Dokumenten niedergelegten und selbstauferlegten, sehr wohl Sinn machenden Zielvorstellungen.
Kurz die Details: Obwohl Schauenburg mit seinen kleineren Trabanten im Prinzip eine stagnierende, leicht schrumpfende Bevölkerungsentwicklung aufweist, sollen mehr und zusätzliche Bauflächen für Einfamilien- und Reihenhäuser ausgewiesen werden. Dafür werden zwei kleine (offensichtlich nicht so gut zu vermarktende) bereits vorhandene Bauflächen an den Rändern von Elmshagen und Martinhagen zurückgenommen und dafür neue Flächen in einer Größenordnung von 6,5 Hektar im Ortsteil Elgershausen neu ausgewiesen. Das dabei herauskommende Plus an Neubauflächen beträgt 1,7 ha. In Anbetracht der Tatsache, dass in der BRD nach wie vor weit über 100 ha pro Tag (!!) an Acker-, Grünland- oder Waldflächen „verbaut“ bzw. „verbraucht“ – man könnte auch sagen „verbraten“ – werden, sollte man eine solche Entwicklung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn jeder weiß im Prinzip: Das hat negative Folgen, vor allem jedoch erhebliche klimatisch-ökologische Nachteile. Und im vorliegenden Fall sollen ja auch keine hochverdichteten, ökologischen, flächensparenden, ressourcenschonenden Gebäude im Inneren des Ortes errichtet werden (wie z.B. Passivhäuser), vielmehr schlichte und stinknormale Einfamilienhäuser am Rand einer Gemeinde. Ganz so, als gäbe es das selbst aufgestellte und beschlossene SIEDLUNGSRAHMENPROGRAMM 2015 nicht!
Dort, das ist das Pikante, hat der ZRK für sich selbst, das heißt für das ganze Verbandsgebiet, quasi das Gegenteil beschlossen. Unter Punkt „Grundsätze und Ziele der Siedlungsentwicklung“ heißt es dort, fast wörtlich zitiert, u.a.:
• Es werden qualitativ hochwertige, ressourcenschonende und variable Bauformen angestrebt…
• Durch verstärkte Mischnutzung und konsequente Innenentwicklung (z.B. mit Arbeitsplatzbezug) soll ein „Raum der kurzen Wege“ entwickelt werden…
• Die Verbandskommunen tragen (in Bezug auf die Versorgung mit Wohnraum) eine besondere Verantwortung für einkommens- und sozialschwache Bevölkerungsschichten…
• Ein möglichst hoher Anteil des Wohnungsneubaus soll in Baulücken, durch Anbauten und nicht flächenwirksamen Baumaßnahmen wie Dachgeschossausbau und Aufstockung (also im Bestand) realisiert werden…
• In Neubaugebieten werden Mindestdichtewerte von bis zu 45 WE/ha (Obergrenze) vorzusehen…
Die Zitate, die in diese Richtung gehen, ließen sich noch fortsetzen. Aber das langweilt, weil sich ja offensichtlich nicht einmal die Parlamentarier eben dieses Verbandes dafür interessieren! Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls, als ich ihnen im Mai bei der in Rede stehenden Sitzung ihre selbstgefassten Beschlüsse einschließlich einiger Kommentare vorlas und vorhielt. Und für das, was ich hier zum Ausdruck bringen möchte, reicht das oben Zitierte allemal. Man darf also ruhig davon ausgehen, dass der Verband und seine Gremien, die Verbandsversammlung und die dorthin delegierten Vertreter sehr wohl um das Problem der unsinnigen, teuren, ökologisch bedenklichen Zersiedelung der Landschaft wissen. Sonst hätten sie ja diese Beschlüsse nicht gefasst. Sie sind ihnen aber wurscht und egal. Man könnte sagen, wenn das nicht unanständig wäre, dass sie ihnen am Arsch vorbei gehen.
Für den Fall, dass der/die geneigte Leserin nun meint: was bleibt denn einer Gemeinde (und damit dem ZRK) anderes übrig, wenn es Bauwillige gibt, die es in die jeweiligen Gemeinden zieht, dort aber keine Bauplätze finden können? Wenn dem so wäre, gäb’s tatsächlich ein Problem. In der Wirklichkeit jedoch, über die wir hier reden, existieren jedoch – nach dem aktuellen Statusbericht zum Siedlungsrahmenkonzept des ZRK – allein in Schauenburg 175 Baulücken (nein, das ist kein Tippfehler!!), die in der Summe eine Fläche von über 24 Hektar ergeben! Was es mit diesen Baulücken (solche gibt es in den anderen Gemeinden natürlich auch und erst recht in Kassel!) auf sich hat, wie sie zu vermarkten wären, was es dabei für Probleme geben kann etc. – das ist durchaus Stoff für einen weiteren Artikel zu diesem Thema.
Meine Hypothese: Das Wissen um die beschriebene Problematik ist bei den meisten Vertretern im Zweckverband durchaus vorhanden, sonst wären ja die zitierten Beschlüsse nicht zustande gekommen. Dieses Wissen ist jedoch immer dann nichts mehr wert, wenn es um die jeweils spezifischen Interessen der Einzelgemeinden geht. So war das in den vergangenen Jahren, so war das auch beim hier geschilderten Fall: Man setzt sich über besseres Wissen einfach hinweg. Und weil in dieser Sitzung Schauenburg sein Baulandpotential erweitern durfte, ist beim nächsten Mal eine andere Gemeinde dran, oder gleich Kassel, das sich gerade bei diesen Fragen keinen Deut besser verhält und keinerlei Vorbildfunktion übernimmt. Die Argumente sind immer dieselben: Es ist so schwer, die Baulücken in den Markt und an die Bauwilligen zu bringen und so leicht, einfallslose Neubaugebiete an den Rändern der Gemeinden, die zum ZRK gehören, aus dem Boden zu stampfen.
*Was ist der Zweckverband genau?
Der Zweckverband (ZRK) ist eine bedeutsame kommunalpolitische Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifende Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehört z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK – meist über die Flächennutzungsplanung – mit im „Geschäft“ ist.