Die sozialdemokratischen Ex-Oberbürgermeister, Eichel, Bremeier, Hilgen, Geselle, die immer wieder und in immer neuen Konstellationen – von Auftritten im Tetra-Format bis hin zu verschiedenen Solis – wirklich alles gaben, um „ihre“ documenta für „ihre“ Stadt zu bewahren, haben bis heute nicht verstanden, worum es bei der Krise um die d15 eigentlich ging bzw. immer noch geht. Insofern war es leicht für mich, schon im Spätsommer des vergangenen Jahres 2022, kurz vor den Wirren um die Entlassung von Frau Schormann, die als Bauernopfer herhalten musste und ihren Job verlor, vorausahnend zu formulieren:
„Das 7-Punkte-Programm der 4 SPD-Herren geht am Problem des Antisemitismus-Skandals vorbei und wird bei der weiteren Suche nach Lösungen wohl eher nicht herangezogen werden, weil jede Selbstkritik am bisherigen Regelwerk zur Durchführung der documenta abgewehrt wird. Ohne diese Kritik, ohne die Analyse der Fehler, die zu diesem Debakel führten, wird es aber keine Lösung und keine Rettung der documenta geben …“ (Kassel-Zeitung)
Ich sollte Recht behalten.
Angesichts der Weigerung aller Verantwortlichen, das Problem als das anzunehmen, was es war – der größte antisemitische und antizionistische Skandal im bundesrepublikanischen Kunstkosmos und in diesem Zusammenhang auch eine mehr oder weniger unverhohlene Bedrohung für die Gesamtheit der jüdischen Community – konnte es eigentlich nur heißen: Zurück auf Start. Und genau da ist die Stadt Kassel nun seit dem November 2023, allerdings gänzlich unfreiwillig. Denn eigentlich stand ja die Kür der Findungskommission ins Haus mit der Benennung der KuratorInnen für die d16 im Sommer 2027. Das aber nicht aus Vernunft, nicht weil man aus den eklatanten Fehlern bei der d15 gelernt hätte. Nein. Man befindet sich nun im Reset–Zustand, weil erneut grobe Fehler gemacht wurden und man tatsächlich davon ausgegangen ist, einfach so weiter machen und weiter wurschteln zu können, ohne entsprechende Lehren aus dem d15 Debakel zu ziehen, ohne eine fundierte Würdigung des Gutachtens von Frau Prof. Deittelhoff vorzunehmen und ohne die Ergebnisse der noch laufenden Untersuchungen zur Organisationsanalyse für eine mögliche Strukturreform der documenta abzuwarten.
Dennoch bekommen wir nun, in einem ganzseitigen Interview mit Hans Eichel am 24. November 2023 in der HNA erneut zu lesen, dass im Prinzip alles bleiben soll, wie es ist und es ausreichend sei, dass in Kunst und entsprechende Ausstellungen erst dann eingegriffen werden kann und darf, wenn eine Straftat vorliegt. Damit ist Hans Eichel sicher nicht allein, aber die Position ist vollkommen unhaltbar und unzureichend. Letztlich ist sie unsinnig und derartige Einstellungen werden die documenta nicht retten und in Kassel halten. Bei der Frage, was Kunst darf, was also „erlaubt“ ist oder „erlaubt“ sein sollte, muss vielmehr als oberstes Kriterium gelten: Was ist moralisch vertretbar, was entspricht humanistischen Vorgaben und Essentials. Alles andere ist sekundär.
So lange die Spielregeln der documenta nicht so umgeformt sind, dass derartige Kriterien garantiert eingehalten werden können bzw. bei Fehlentwicklungen sicher und wirksam korrigierend eingegriffen werden kann, wird es keine weitere documenta geben. So muss z.B. gefragt werden: Ist es nicht zutiefst inhuman, sich kalt über die Sicherheitsbedürfnisse und Ängste von über 120.000 Jüdinnen und Juden hinweg zu setzen in einem Land wie Deutschland, das im Holocaust den millionenfachen Mord an Jüdinnen und Juden organisiert hat?
Nachdem das Bündnis gegen Antisemitismus (BgA Kassel) im Januar 2022 faktenreich und punktgenau analysierte, was da mit der d15 auf Kassel zurollen könnte, wollte das örtliche und verantwortliche Personal von unseren Warnungen nichts wissen. Gesprächsangebote, die wir u.a. Ex-OB Geselle unterbreiteten, wurden geflissentlich übergangen. Erst mit der Geschichtsstunde, die Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei der Eröffnung der d15 – während wir wenige Meter vom Fridericianum entfernt gegen Antisemitismus, Israelhass und BDS Verherrlichung auf eben dieser documenta demonstrierten – den beratungsresistenten, verantwortlichen Herrschaften aus Kassel wie auch den erlauchten VertreterInnen des Landes Hessen erteilte, dämmerte es dem einen oder anderen, dass die anfangs hochgelobten indonesischen Kuratoren vielleicht doch Hand anlegen könnten an eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte … Das galt natürlich erst recht, nachdem mit der notwendigen Abhängung des Werks von Taring Padi mit seinen antijüdischen Hetzbildern in Stürmer-Manier der Beweis für die Richtigkeit der Kritik am Ruangrupa Konzept erbracht war. Was da im Juni 2022 herauf dämmerte, sollte dann tatsächlich auch eintreten.
Bei allem Verständnis für das übergroße Bedürfnis, dieser vom Krieg so geschundenen Stadt, in der es dazu noch zu einem fatal in Szene gesetzten Wiederaufbau kam und in der auch danach viele städtebaulichen Großchancen verspielt worden sind (dafür ist das peinliche Gezerre um den Bau des documenta Instituts nur ein Beispiel!) etwas Welt-Kunst-Glanz schenken zu wollen, darf man sich bei der Lösung der d15-Problematik nicht krampfartig und katatonisch an das scheinbar goldene Erfolgsrezept der vergangenen Jahrzehnte halten. Nichts überdauert die Zeit und eine global renommierte Welt-Kunst- Schau derart lange – immerhin von 1955 bis 2022 – in einer nordhessischen Provinzstadt erfolgreich gehalten zu haben, verdient Respekt und darf gefeiert werden. Denn wer hätte das 1955 auch nur geahnt? Niemand. Ganz unstrittig war die lange Abfolge von meist großartigen Kunstausstellungen also ein wahrhaft großer Erfolg.
Nun aber scheint, nach der gründlich vergeigten und missglückten d15 und einer am Ende in eine trotzige und offen propalästinensische Propaganda-Show umgeschlagene Kunstausstellung, bedauerlicher Weise der Starrsinn über die Fähigkeit zur Selbstkritik zu obsiegen. Das ist traurig, weil eine Reform der Strukturen immer noch möglich wäre. Allerdings sind hierzu Einsichten und Konsequenzen erforderlich, die aus einer kritischen Analyse der gemachten Fehler für die Planung und Durchführung der d16 hervorgehen müssten. Danach sieht es gerade allerdings gar nicht aus.
Neben den spezifischen Fehlern in Kassel im Vorfeld der d15 und während der Jahre der Vorbereitung hat man natürlich auch hier tunlichst vermieden, über das Eigentliche zu sprechen und zu debattieren: Den Tatbestand nämlich, tausendfach belegt und schon lange offen diskutiert, dass der gesamte Kunst-, Ausstellungs-, Universitäts- und Kulturkosmos der BRD, ähnlich wie das in vielen anderen westlichen Staaten auch der Fall ist, seit Jahrzehnten von einer woken, antisemitischen und antizionistischen Strömung unterwandert worden ist! Offensichtlich brauchte es erst den Eklat, den Kasseler Monsterskandal, um all die vielen Gesundbeter dieser gespenstisch großen Szene, die es jahrelang einfach nicht wahrhaben wollten, aufzurütteln.
Bedauerlicherweise kam dieses Aufrütteln noch gar nicht während des documenta Sommers zustande: Die Kuratoren von ruangrupa wurden vielmehr, obwohl sie gegen Ende der 100 Tage die documenta im Handstreich zu einer propalästinensischen Polit-Show transformierten, für ihre Umtriebe noch mit zwei Gastprofessuren in Kassel und Hamburg belohnt. Das eigentliche Aufrütteln gab es erst nach dem 7.10.2023, dem bestialischen Massaker an Jüdinnen und Juden durch die Hamas. Als dann zwei der Herrschaften von ruangrupa, einen das größte Blutbad an Juden nach dem Holocaust verherrlichenden Post entsprechend likten, war das Geschrei groß. Und vermutlich auch der Erkenntnisgewinn. Natürlich haben die ruangrupas den Aufschrei vernommen und angesichts der massiven weltweiten Kritik, den Like für besagten Post zurückgenommen und Bedauern geäußert. Aber wer glaubt das noch? Ein großer Teil der Weltpresse hat in der ersten Jahreshälfte 2022 unsere Kritik an der Auswahl der Indonesier gelesen, verarbeitet und ist meist zu sehr kritischen Einschätzungen in Bezug auf das Konzept und die Personen um die d15 herum gelangt. Das wirkt bis heute nach und erklärt die Unruhe im Führungspersonal der Stadt und eben auch unter den oben erwähnten Ex-OB’s.
Nachdem die israelische Künstlerin Brache Lichtenberg Ettinger, in Paris und Tel Aviv lebend, nach dem 7. Oktober darum bat, man möge die Arbeit der Findungskommission wegen persönlicher Betroffenheit durch das Massaker der Hamas aussetzen, wollte man dort diesem Ansinnen offensichtlich kein Verständnis entgegenbringen. Frau Lichtenberg-Ettinger legte daraufhin ihr Amt in der Findungskommission nieder. Danach löste die übersehene, erneut nicht beachtete Unterschrift unter ein ebenso hässliches wie eindeutiges BDS-ähnliches Dokument des indischen Kommissionsmitglieds, Kurators, Schriftstellers und Kunstkritikers …, Ranjit Hoskoté, in Mumbai lebend, ein erneutes Medienecho aus, in dessen Folge Hoskoté sein Amt ebenfalls niederlegte. Zum Schluss werfen die vier verbliebenen Kuratoren der ganzen BRD den Fehdehandschuh zu mit dem trotzigen Kommentar: In Deutschland könne man, wenn es keinen freien Zugang zu Antisemitismus und Israelhass auf einer geförderten Weltkunstausstellung mehr gibt, nicht richtig (unabhängig und ungestört!) arbeiten. Also haben auch sie ihre Arbeit niedergelegt. Nun stehen Stadt und documenta eGmbH komplett blamiert im Regen und vor einem Scherbenhaufen. Letzterer, das scheinen inzwischen wohl die meisten begriffen zu haben, kann nicht mehr geräuschlos beiseitegeschafft werden. Das Gesamtszenario kommt nun tatsächlich in eine kritische Phase und könnte zum Aus für die documenta in Kassel führen.
Auch Harald Kimpel, ein ausgewiesener documenta-Experte, sieht jetzt durchaus die Möglichkeit, dass nach der d15 etwas zu Ende gehen könnte, was – wenn auch durch viele Krisen gestärkt und gestählt – lange währte und weltweit große Erfolge feierte. Natürlich auch zum Nutzen und Ruhm der Stadt, die ohne die documenta tendenziell ein bisschen nackt dastünde. Denn dieses Mal sind es keine Kunst-Auseinandersetzungen, die da und dort schon früher für kleinere Skandale sorgten, und es handelt sich auch nicht um die Überziehung beschlossener Haushalte, was ebenfalls zu erregten Debatten führte. Vielmehr hat man es jetzt mit einem ausgewachsenen politischen Groß-Skandal zu tun, den man mit Reförmchen, Goodwill – Verlautbarungen und/oder Durchhalteparolen, weil es so schön war mit Kassel und seiner documenta, nicht so einfach wieder wird eingefangen können.
Aber genau so haben es sich die Provinzfürsten unterschiedlicher Parteieinfärbung wohl mal wieder gedacht: Einfach so weitermachen wie bisher. Es wird schon werden.
Statt auf den schon erwähnten Bericht von Frau Prof. Dr. Deitelhoff sensibel und professionell zu reagieren und viele andere Warnungen ernst zu nehmen, statt die Sorgen und Ängste jüdischer Organisationen zu beherzigen, wollte man hier in Kassel einfach nur schon mal die nächste Runde einläuten. Auch trotziges Aufbegehren dem Bund gegenüber – den braucht niemand usw. – und das Ignorieren der zunehmend kritischen Verlautbarungen von Kultus- Ministerin Claudia Roth, helfen da nicht weiter.
Die Idee, 4 Ex-KuratorInnen flugs eine neue Findungskommission aus der Taufe heben und ebenso flott von denen neue Kuratoren aussuchen zu lassen, als wäre nichts passiert, ist dreist. Tendenziell dummdreist. Damit muss die Süddeutsche Zeitung nicht unbedingt richtig liegen, wenn sie die in Kassel für die documenta Verantwortlichen als „Dorfdeppen“ bezeichnet. Aus meiner Sicht sollte es besser heißen: Hybris kommt vor den Fall.
Mit der Auflösung der Findungskommission ist erst einmal der alte Zeitplan gegenstandslos. Und wenn die nächste documenta 2027 nicht stattfindet, ist zumindest – und das ist ein Gewinn bzw. könnte einer sein – etwas mehr Zeit zum Nachdenken. Was dringend nötig ist!