Am 22. Mai ist in der HNA zu lesen, dass das Grundstück des ehemaligen Stadtbades Mitte an einen Investor verkauft worden ist, der schnell ein Gebäude mit Büros für den RP hochziehen will. Wo es über Jahrzehnte Schwimmsport und – spaß für alle gab, bekommen wir jetzt offensichtlich einen schlichten Bürobau hin- und vorgesetzt, so die HNA. In ihm soll es neben Bußgeld- und Beihilfestelle für den RP (was eine Landesbehörde ist) vielleicht auch noch ein bisschen Gastronomie geben und weit über hundert neue Tiefgaragenplätze, die dort mit Sicherheit nicht nötig sind. Um zu begreifen, was für ein faustdicker Skandal sich hier anbahnt, muss man sich ein bisschen mit der jüngeren Stadtgeschichte befassen.
Dazu soll zurückgeblättert und daran erinnert werden, dass mit diesem Schachzug ein von Dr. Barthel und der SPD lang geplanter und gezielt angestrebter Akt der Zerstörung wichtiger kommunaler Einrichtungen seinen vorläufigen Schlusspunkt findet.
Dr. Barthels Ziel war und ist es bis heute, die aus kameralistischer Sicht defizitären Bäder zuerst kaputt zu sparen und dann die verbleibenden – bis auf das eine Neue am Auedamm und das Hallenbad Süd – zu zerstören, zu verkaufen, abzureißen…. Wie viel Vermögen dabei vernichtet wird, wie viel Lebensqualität dabei unter die Räder gekommen ist, kann und soll hier nicht aufaddiert werden. Fest steht nur, dass damit Dr. Barthel und seine Mitstreiter voll im neoliberalen Trend liegen. Dass ihm die Bürgerinitiativen für die Freibäder in Wilhelmshöhe und Harleshausen erst mal einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, wird ihn schmerzen. Ob es allerdings tatsächlich gelingt, die beiden Freibäder der Stadtgemeinschaft auch wirklich zu erhalten und langfristig zu retten, steht auf einem anderen Blatt.
Ich jedenfalls bleibe bei meiner oft und laut geäußerten Kritik daran, dass mit dem Stadtbad Mitte ein Hallenbad für alle – für Kinder, Schüler, Rentner, Berufstätige und alle anderen – von der richtigen, optimal erreichbaren Stelle im Herzen der Stadt an einen Platz verlegt worden ist, der ökologisch bedenklich und verkehrlich alles andere als günstig ist. Die Zukunft wird zeigen, was diese Fehlentscheidung noch für Konsequenzen und Folgekosten nach sich zieht. Ich prognostiziere schon jetzt, dass man dafür nicht erst auf eines der immer häufiger auftretenden sog. hundertjährigen Hochwasser warten muss!
Damit komme ich zurück zum Artikel in der HNA: Dort wird korrekt berichtet, dass für den Investor nun eine Fläche zur Verfügung steht, die aus dem ehemaligen Areal des eigentlichen Hallenbades, dem dazugehörigen Parkplatz (beides städtisch bzw. im Besitz der Städtischen Werke) und dem anschließenden Grundstück der Ev. Diakonie besteht. Letzteres schließt direkt an die Kurt-Schumacher-Straße an. Alles in allem ein hochattraktives Areal, ein absolutes Sahnestück! In den nun schon einige Jahre zurückliegenden politischen Auseinandersetzungen um die Kasseler Schwimmbäder wurde den Gegnern der von Dr. Barthel betriebenen radikalen Bäder-Rosskur vorgehalten, es gäbe für ein modernes Hallen-Spaß-Bad an der Stelle gar nicht genügend Platz. Das war immer eine glatte Lüge, ein plumper Täuschungsversuch. Denn aufgrund seiner ausgezeichneten Kontakte zur Ev. Diakonie bzw. zur Ev. Kirche wusste Dr. Barthel natürlich haarnadelgenau, dass es bei der Diakonie durchaus Bereitschaft zur Aufgabe des besagten Gebäudes zugunsten eines größeren, modernen Hallenbades gegeben, so denn die Stadt das gewollt hätte. Das aber wollten ja Dr. Barthel, OB Hilgen und die willig hinter den beiden her trottende SPD-Fraktion genau nicht!! Auch neue Parkplätze wären für den Betrieb eines größeren Bades an dieser Stelle der Stadt nicht nötig gewesen, weil es genügend Kapazitäten an dieser Stelle gab und gibt und außerdem die Haltestellen an der Mauerstraße und am Königsplatz für eine geradezu ideale Anbindung an den öffentlichen Verkehr sorgen.
Bei dieser Serie kommunalpolitischer Fehler – vor allem aber der Schwächung der ohnehin schwächelnden Kasseler Innenstadt durch die Amputation eines wichtigen städtebaulichen Elementes mitten in der Stadt und der Verlagerung des neuen Hallenbades in einen ökologisch hochsensiblen Grün-Bereich – verwundert es nicht, wenn nun dem Ganzen die Krone aufgesetzt wird. Und das – man traut seinen Ohren nicht – aus vorgetäuschter Zeitnot. Was für ein lächerliches, blamables Argument. Die HNA zitiert süffisant das Ganze so, als hätte „das schnelle Interesse des RP an einem Einzug in das Gebäude“ das Planungsamt in Zeitnot gebracht. Um genau zu sein: Ein vom Planungsamt selbst in Auftrag gegebenes Gutachten zu einer Bebauung dieses Areals, das ausgesprochen interessante Details enthält, auf die ich noch eingehen werde, stammt vom Januar 2011! Nicht zu fassen! Und jetzt, nach dreieinhalb Jahren (!), kommt urplötzlich der RP aus dem Gebüsch des Lutherplatzes gehüpft und es bleibt keine Zeit mehr, etwas „Ordentliches“ aus der Wiederbebauung zu machen! Anscheinend war nicht einmal mehr genug Zeit, das selbst in Auftrag gegebene Gutachten zu lesen, geschweige denn es zu berücksichtigen!!
So aber läuft es schon seit Jahren in Kassel, leider nur allzu oft. Hochkarätige Chancen werden aus vermeintlicher, meist jedoch nur vorgeschobener oder selbstverschuldeter Zeitnot verspielt, verjuxt, vertan. Statt Zeitnot kann man auch das Adjektiv alternativlos einsetzen. Nachdem der Abriss des Stadtbades Mitte ja schon als alternativlos gehandelt wurde, ist es jetzt anscheinend der hektische Verkauf an einen Investor, damit der ein schnödes, schlichtes Bürogebäude errichten kann – für die Bußgeldstelle!! Alles alternativlos natürlich.
Um nur ein vergleichbares Beispiel zu nennen – wo es ähnlich lief und wo auch das Land Hessen der Partner der Stadt war – wird auf den „Steuer- bzw. Finanzamt-Bunker“ am Altmarkt verwiesen. Obwohl die neugegründete Unterneustadt nur einen Steinwurf entfernt liegt, für die die Stadt nicht nur als Expo 2000 Projekt gekürt und ausgezeichnet wurde, sondern auch eine ganze Reihe hochkarätiger Städtebaupreise in Empfang nehmen durfte, ließ sie es zu, dass das Land Hessen dort, wo die Stadt Kassel vor 1100 Jahren gegründet wurde, ein monster-langweiliges, öd-beiges Finanzamt hochzieht. Der Hinweis auf die Unterneustadt ist nicht nur wegen der räumlichen Nähe zum Finanzamt am Altmarkt pikant und von Bedeutung, vielmehr auch deshalb, weil die Auszeichnungen, die die Stadt Kassel für dieses Projekt voller Stolz einheimste, viel mit Kritischer Rekonstruktion, mit der Mischung von Nutzungen und mit mutiger Verkehrspolitik zu tun hatten. All das hat man allem Anschein nach schon wenige Jahre nach dem Empfang eben dieser Preise vergessen und verspielt schräg gegenüber so gut wie alle Chancen auf eine städtebaulich zukunftsweisende Bebauung. Und das, obwohl es seitens des Landes bzw. des damals zuständigen Ministers im Vorfeld durchaus Versprechungen und Zusagen gab, auf die Stadtgeschichte Rücksicht zu nehmen, einen Architektenwettbewerb durchzuführen und vor allem auf die Mischung der Nutzungen zu achten! Nichts davon hat das Land – am Ende dann auch auf das dämliche Zeitargument pochend – eingehalten und realisiert. Ein holländischer Baukonzern hat schließlich den hurtig durchgeführten Investorenwettbewerb gewonnen (da ging‘s in erster Linie um die Höhe der Miete!!), das Grundstück gekauft und es für 30 Jahre an das Finanzministerium – kostensparend, versteht sich – vermietet. Sichere und langfristige Einnahmen für den Konzern sind gewährleistet.
Die Stadtspitze jedoch, die mit dem Bebauungsplan, der funktioniert wie ein kommunales Gesetz und ohne den das Land an dieser Stelle gar nicht so hätte bauen können, macht gute Miene zum bösen Spiel und verzichtet gänzlich darauf, eigene städtische Interessen einzubringen. Ob aus Inkompetenz, Interesselosigkeit oder Verhandlungsschwäche – jedenfalls wird der Hebel des Baurechts nicht genutzt und in keiner Weise auf die Einhaltung der Zusagen der Landesregierung gedrungen. Zumindest nicht erfolgreich! Stattdessen wird, brav und gehorsam, der Bebauungsplan im Eilverfahren durchgepaukt. Und so wurde am Altmarkt – wie vielleicht bald auch oben am Lutherplatz – mal wieder eine Großchance vertan. Nun steht der Klotz am Fuldaufer und glänzt spätestens ab 17.00 Uhr mit abweisender Dunkelheit, weil alle Bediensteten, von den Reinigungskräften abgesehen, das Weite gesucht haben. Alle Fachleute und alle klugen Kommunalpolitiker, die mit Städtebau zu tun haben, wissen, dass solche Gebäude von gestern sind.
Was ich mir am Altmarkt gewünscht hätte: Ein Furore machendes , schönes Gebäude, das an die Stadtgeschichte erinnert, das deutlich stärker mit dem Fluss korrespondiert, das Wohnen (mindestens im letzten Geschoss) zulässt, das andere Nutzungen (Gastronomie, Fitness, Freizeit und Kultur im Erdgeschoss) integriert und das vor allem auf einen großen Teil der Stellplätze in der Tiefgarage verzichtet. Das wäre bei der zentralen Lage durchaus möglich gewesen. Nichts davon wurde realisiert.
Was die Fachleute weltweit wissen – dass man solche monofunktional genutzten Bürokomplexe nicht mehr in die Stadtlandschaft ballert – dürfte sich auch bis zu unserer Stadtregierung herumgesprochen haben. Selbst der SPD-Spitze darf man solche Kenntnisse unterstellen. Sie haben die Ergebnisse des oben schon angesprochenen Gutachtens als Auftraggeber wohl auch gelesen. Auf der Seite 15 steht darin in gut verständlicher Eindeutigkeit: „Die Analyse der Angebots- und Nachfragesituation in der Innenstadt machen deutlich, dass lediglich ein qualitativer Nutzungsmix aus Büro-, Dienstleistungs- und Wohnnutzungen auf dem Areal Stadtbad Mitte als marktgerecht und standortgerecht einzustufen ist“. Dem ist nichts hinzuzufügen! Die Büros Prof. Wachter und Junker und Kruse sind renommiert und kompetent, so dass man sich ernsthaft fragen muss, warum in aller Welt weder die in Kassel gemachten Erfahrungen noch die guten Ratschläge Dritter Anwendung finden.
• Wie kommt’s, dass an dieser im Vergleich mit dem Altmarkt vielleicht noch sensibleren Stelle im Stadtgefüge die Fehler von dort wiederholt werden?
• Wie kommt‘s, dass hier die Schlichtheit in der äußeren Form und die Phantasielosigkeit in Bezug auf den Nutzungsmix derart triumphieren können?
• Wie kommt’s, dass die HNA mit ihrem Aufmacher „EIN SCHLICHTER BÜROBAU FÜRS RP“ den Kern der Sache trifft?
Ist das Banale, Schlichte, Unspektakuläre zum bedauerlichen Markenzeichen für die Kasseler Stadtentwicklungspolitik geworden? Und: Was ist das Motiv für ein derart stures Handeln wider besseres Wissen?
Viele komplizierte Fragen, eine klare Antwort: Dafür trägt der Magistrat – wie auch immer – die Verantwortung. Seit Jahren überlässt er wichtige Bereiche des Städtebaus und der Stadtentwicklung einem dilettierenden Laien, dessen Horizont das Spardiktat ist. Wenn ein OB den Kämmerer zum Stadtplaner macht, darf man sich über solche Ergebnisse wie hier in Kassel nicht wundern.
Statt nach der Arie um das den Menschen der Stadt gestohlene zentrale Bad mit einem wirklich beispielhaften Gebäude für eine Wiedergutmachung auf höchstem Niveau zu sorgen, kommt jetzt – allen Erkenntnissen zum Trotz, trotz des Wissens und der Erfahrungen um bessere Alternativen, trotz eines treffenden Gutachtens im Vorfeld – ein schlichtes Bürogebäude für den RP an den Lutherplatz. Kein Wohnen hier, ein bisschen Gastronomie vielleicht. Keine Aufwertung des Lutherplatzes, kein Highlight in einem Teil der Innenstadt, der Aufwertung so dringend nötig gehabt hätte! Nein: es reicht nur für einen schlichten Bürobau! Trauriger hätte das verlogene Schmierentheater um die Kasseler Bäder und den Abriss des zentralen Hallenbades nicht zu Ende gehen können.
Alle diejenigen, die mit dem Ausgang der Geschichte um den Verlust des Stadtbades Mitte und der übereilten Bebauung mit einem dürftigen Bürogebäude nicht einverstanden sind, alle Stadtverordneten, die das Resultat dieses langjährigen Prozesses nicht zufriedenstellt, müssen jetzt aktiv werden und sich querstellen. Kapitulation ist der falsche Weg und wäre der finale Triumph für Dr. Barthel, der – wie man gesehen hat – alles andere ist, als ein kompetenter Stadtplaner. Denn noch sind weder der Bebauungsplan und auch nicht der notwendige städtebauliche Vertrag mit dem Investor unter Dach und Fach. Die SPD-Fraktion hat in der letzten Sitzung der Bau- und Planungskommission am 22. Mai den Punkt „Areal ehemaliges Stadtbad Mitte“ von der Tagesordnung genommen. Offensichtlich gab es für sie noch offene Fragen und Gesprächsbedarf. Jetzt kommt es, am 11. Juni schon, zu einer Sondersitzung. Es ist also nur noch ganz wenig Zeit zum Argumentieren, zum Überzeugen. Denn: So wie jetzt kann und darf das Ergebnis nicht zufriedenstellen, nicht bleiben. Es muss unbedingt für mehr städtebauliche Qualität gesorgt werden.
Und das genau ist die Aufgabe derjenigen Parlamentarier, die von der Stadtverordnetenversammlung wegen ihrer Sachkunde in die Bau- und Planungskommission delegiert worden sind. Die fordere ich auf: Machen sie einen guten Job dort und lassen sie die ihnen vorgelegte Lösung nicht durchkommen! Es ist Zeit genug, für Besseres.