Auch wenn Andi Scheuer in Kassel direkt nix zu sagen hat (was gut ist), so gibt es natürlich auch hier in Kassel vollkommen abwegige, ja ganz und gar absurde Vorschläge, wenn es darum geht, gravierende Probleme und Missstände zu beheben. Ein Beispiel, ein krasses, ist der Bau bzw. die Ausweisung von sogenannten Ruheoasen gegen Verkehrslärm.

Loben darf man den Magistrat dafür, dass er nun etwas unternehmen will, was seit vielen Jahrzehnten schon als Störung bzw. als Krankmacher von Relevanz bekannt ist. Er folgt damit aber keinen eigenen Einsichten, vielmehr den Vorgaben der Europäischen Union, die mit der sog. Umgebungslärmrichtlinie entsprechende Vorgaben gemacht hat. Diesen Vorgaben und Anforderungen versucht nun – weil das zu seinen Aufgaben gehört – das Regierungspräsidium Kassel entsprechend Rechnung zu tragen, indem es den bereits existierenden Lärmaktionsplan neu formuliert, fortgeschrieben hat. Und dem folgt der Magistrat mit der Idee dieser Ruheoasen… D.h. konkret: Er will nun, vom RP vermutlich in Bälde zum Handeln aufgefordert, statt den Lärm zu mindern durch wirksame Maßnahmen und Eingriffe in den kommunalen Verkehr, lediglich „Entlastung“ anbieten durch eben diese Oasen. Von sich aus, das muss man leider feststellen, wäre der Magistrat – grüner Baudezernent hin oder her – wohl gar nicht erst aktiv geworden.

Man weiß natürlich längst, auch in Kassel, wie stark Verkehrslärm die Gesundheit, den Schlaf und ganz allgemein das Wohlbefinden von Stadtbewohnern einschränkt. Ein paar ganz wenige Zahlen mögen das unterstreichen:

Straßenlärm ist national und EU-weit mit über 80% die weitaus häufigste Quelle für starke Belästigungen, Schlafstörungen und steigende Gesundheitskosten. Ca. 70% dieser Belästigungen fallen in städtischen Agglomerationen an und ca. 75% der dort wohnenden Bevölkerung klagen lt. Umweltbundesamt über negative Folgewirkungen von Verkehrslärm. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Kassel um die 15.000 Personen mehr oder weniger stark unter Verkehrslärm leiden…

Die durch Verkehrslärm auftretenden Gesundheitsschäden in Städten sind seit Langem zweifelsfrei durch entsprechende Forschungsergebnisse belegt. Zum einen handelt es sich um eins der größten, ungelösten Problemfelder im urbanen Zusammenleben, zum anderen sind die vielen negativen Auswirkungen des Verkehrslärms das Gegenteil von neu.

Wenn sich die Stadt Kassel nun endlich auf den Weg macht, etwas gegen den Verkehrslärm zu unternehmen, dann hätte man besser mal dort nachgefragt, wo andere Städte schon erfolgreich mit wirksamen Maßnahmen gegen Verkehrslärm vorgegangen sind und bereits über entsprechende Erfahrungen verfügen. Hilfreich wäre auch das Studium von Physik Schul- und Lehrbüchern gewesen. Dort hätte man vor der Verkündung, gegen Verkehrslärm mit Ruheoasen vorgehen zu wollen, durchaus lesen (und dann ggf. auch begreifen?) können, dass man Lärm grundsätzlich und am besten dort bekämpft, das ist Physik in Reinkultur und leicht nachzuvollziehen, wo er entsteht: Also dort, wo die Autos fahren… Auf den Straßen, an den Straßen!

Jeder weiß das, und dass der Baudezernent das ebenfalls weiß, davon darf ausgegangen werden. Warum jetzt Stadtoasen (= grüne, ruhige Orte zur Entspannung, vgl. HNA vom 5. Juni 2020) helfen sollen, durch Verkehrslärm entstandene Schäden an der Physis oder Psyche der Anwohner stark befahrener Straßen zu reparieren oder auch nur zu lindern, leuchtet partout nicht ein. Was natürlich kein Argument gegen solche grünen Oasen ist! Ich selbst habe dazu kürzlich an dieser Stelle…

http://kassel-zeitung.de/cms1/index.php?/archives/18447-So-weit-die-gruene-Rolle-vorwaerts-in-der-Stadtentwicklung-auch-noch-entfernt-scheint,-so-noetig-ist-sie!.html#extended

ausführlich darüber nicht nur geschrieben, sondern auch massiv dafür geworben. In meinem Artikel mache ich mich stark für solche grünen Stadträume und Stadtoasen, um wirksam etwas gegen die auf die urbanen Ballungsräume zukommenden Überwärmungstendenzen zu unternehmen. Denn: Um den negativen Mikroklimaveränderungen durch Überwärmung entgegen zu wirken, brauchen die Städte nicht nur solche grünen Oasen, sondern eine Groß-Offensive in Sachen Nachbegrünung, die weit über solche Oasen hinaus geht… Mit anderen Worten: Solche Oasen sind gut und sehr zu befürworten, wenn sie integraler Bestandteil einer geplanten, noch durchzusetzenden massiven Nachbegrünung der Stadt sind. Sie helfen jedoch überhaupt nicht gegen krankmachenden Verkehrslärm. Gegen den hilft nur und ausschließlich Lärmschutz (am Entstehungsort) und Lärmvermeidung durch eine kluge Mobilitätspolitik mit einem klaren Bekenntnis zum öffentlichen Nahverkehr und zum Ausbau des Radverkehrs. Wer also etwas gegen den Lärm tun will, was dringend und seit Jahren geboten ist, muss in den Verkehr eingreifen und sich nicht mit grünem Rumgewusel um konkrete (aber wirksame!) Eingriffe in den Autoverkehr herumdrücken.

Da für eine andere Verkehrspolitik auf Bundesebene der oben erwähnte Herr Scheuer zuständig ist, von dem kreative Lösungen aber eher nicht zu erwarten sind, und die Kommunen bei der Produktion umweltfreundlicher Fahrzeuge nicht viel ausrichten können, bleibt nur die kommunale Verkehrspolitik. Von der Stadt Kassel wäre als Teil einer ernstgemeinten Verkehrswende, die wir alle so dringend eher gestern denn morgen bräuchten, als erste Maßnahme die flächendeckende Einführung von Tempo 30 auf allen Straßen zu erwarten. Auch das könnte man in Etappen machen: In einem ersten Schritt wird Tempo 30 nachts auf den am stärksten belasteten Straßen eingeführt, dann Tempo 30 stadtweit nachts und nach einem weiteren halben Jahr und der Auswertung der gemachten Erfahrungen, Tempo 30 überall und ganztägig. Vieles andere, wie der massive Ausbau des Radwegenetzes und des öffentlichen Verkehrs muss mit großem Engagement und viel Energie auf den Weg gebracht werden: und das rasch. Sonst wird es nichts mit CO2 Neutralität bis 2050 entsprechend der Ziele der EU und einem lebenswerten Leben in einer lebenswerten Stadt mit weniger Autoverkehr, viel mehr Fahrrädern und deutlich besserer Luft. Vor allem aber: mit weniger Lärm!

Statt Ruheoasen also, die das Lärm-Problem nicht anfassen, ist LÄRMREDUZIERUNG nötig. Und die Stadt weiß genau, wie das geht, im Prinzip zumindest. Wären die Stadtteile, also z.B. Kirchdithmold, Mulang, Wilhelmshöhe, Brasselsberg etc. lärmumtost, eine witzige Vorstellung, dann gäbe es sehr wohl Lärmschutz an den entsprechenden Straßen dieser Stadtteile. Warum? Weil es dann die Damen und Herren der Stadtregierung mit potenteren Lärm-Gegnern zu tun hätten. Mit Gegnern, die gute Anwälte haben, sich solche leisten können oder selber welche sind. So aber leben die ungefähr 15 Tausend Lärmgeplagten in der nordhessischen Metropole eher im Norden und im Osten der Stadt, an der Holländischen, Leipziger, Ihringshäuser, Frankfurter Straße … Und die leben zwar nah am Lärm, haben aber nicht unbedingt den direkten Kontakt zu guten Anwälten und sonstigen Interessenvertretern, die dem Magistrat Beine machen könnten…

Nicht zum ersten Mal nehme ich den Stift in die Hand, um dem Seehofer seinen – nein, nicht niederträchtigen, sondern – niederbayrischen Andi als das zu bezeichnen, was er ist: total beSCHEUERt.

Das, was die meist der CSU entsprungenen Verkehrs- resp. Autominister in den Merkel – Kabinetten bislang zustande brachten bzw. unterlassen haben, spottet jeder Beschreibung. Das geht nicht rein in einen kleinen Artikel der KasselZeitung. Auch wenn‘s aktuell nur die letzten 4 Verkehrsminister waren, die die CSU bei den Koalitionsverhandlungen jeweils durchsetzen konnte, so haben die jedoch eine ‚Bremsspur‘ der Inkompetenz, Ahnungslosigkeit, Unterlassung und Dämlichkeit in Sachen Verkehrspolitik hinterlassen, die beachtlich ist.

Den Vogel jedoch unter genannten Herren von der CSU – Ramsauer, Dobrindt, Schmidt und Scheuer – hat unser aller Andi abgeschossen. Denn er, in völliger Hingabe an die Befehlszentrale in München – wo sich die CSU Chefetage immer wieder mal ganz besonders feine Schmankerl für uns alle ausdenkt – zieht die vollkommen sinn-, plan- und wirkungslose Ausländermaut wenige Monate vor dem von allen Seiten erwarteten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) durch und löst millionenschwere Aufträge aus zur Realisierung der erforderlichen Abrechnungstechnik. Während also Andi das Gaspedal für die technische Realisierung der idiotischen Ausländermaut durchtritt, obwohl nur 5,2 % der PKW auf deutschen Autobahnen ausländische Fahrzeuge sind, obwohl diese Maut null umweltrelevante Steuereffekte gehabt hätte und obwohl sie obendrein noch ungerecht gewesen wäre, weil fette SUV’s genau so viel wie 500er Fiat‘s hätten zahlen müssen, schreibt der EuGH in aller Ruhe an seinem Urteil. Das fiel dann, was keinen überraschte, der vier Räder an einem Auto zusammenzählen kann, auch entsprechend deutlich aus: Nur die CSU und der Andi taten erstaunt! Der EuGH entschied nämlich glasklar in seinem Urteil vom 18. Juni 2019 in der Rechtssache C-591/17, dass die Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen durch Personenkraftwagen (damit war just die besagte deutsche Ausländermaut gemeint) gegen EU-Recht verstößt. Punkt. Seitdem ist es nun gerichtsnotorisch, dass Andi Scheuer ein Idiot ist. Und die, die in ihn in diese Mautgeschichte hinein gehetzt haben, Seehofer und Co., nicht minder.

Nun haben der Andi, die CSU und ein paar wenige verhuschte andere Verkehrspolitiker, die Ausländer nicht mögen oder die glaubten, mit einer Maut könnten die Abermillionen Löcher in deutschen Straßen endlich gestopft werden, ein Problem. Denn die mit Aufträgen im Vorfeld des absehbaren Urteils versehenen Firmen wollen – logisch – jetzt Geld sehen, für den Aufwand, den sie nach Erteilung der Aufträge hatten. Und das vermutlich zu Recht. Es geht also darum, die ungeduldige Blödheit vom niederbayrischen Andi auszugleichen. Was das in Zahlen heißt? Es müssen so um die 500 Millionen berappt werden! Es läuft auf eine halbe Milliarde Euro hinaus. In Zeiten wie den jetzigen, wo fast nur noch in Billionen gerechnet wird, hört sich das nach wenig an. Aber es ist immer noch ein großer Batzen Geld, der bald an anderer Stelle im Bundeshaushalt fehlen wird. Ein Untersuchungsausschuss beschäftigt sich nun damit, ob Andi mutwillig, auf Geheiß, aus Dummheit, aus Mangel an Phantasie und/oder weil er schlicht den Kalender aus den Augen verloren hatte, so und nicht anders gehandelt hat. Bis zu einem Ergebnis werden wir zu warten haben und dann erfahren, was in den Andi hineinfuhr, dass er nicht hat warten wollen, bis der EuGH sein Urteil gesprochen hat. Wenn man sich dazu vor Augen führt, dass sich das Gezerre um die Ausländermaut über viele Jahre hingezogen hatte, wäre es auf die wenigen Monaten auch nicht mehr angekommen…

Nun noch – zum zweihundertfünfzigsten Mal – ein paar Worte zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf den deutschen Autobahnen! Die meisten wissen, dass es umweltpolitisch und im Sinne der Verhinderung weiteren unnötigen Sterbens besser wäre, wir hätten so was wie ein Tempolimit… Dass neben Deutschland nur noch Nordkorea so was nicht kennt, ist ein ganz schwaches Argument. Denn Nordkorea hat nur 4 relativ kurze Autobahnstückchen, die alle nach Pjöngjang führen bzw. von dort weg nach Süden, Norden, Westen und Osten… Ohnehin hat Pjöngjang nur 30.0000 km Straßen insgesamt. Das römische Reich soll, einer Gründe für die Stärke Roms, über ein 100.000 km gut ausgebautes Straßennetz verfügt haben!

Alle anderen Länder des Planeten haben zum Tempolimit eine von Deutschland und Nordkorea abweichende Meinung. Und die Argumente dieser Länder sind stark, gestützt von ungezählten wissenschaftlichen Gutachten und Untersuchungen. Deshalb, weil all die vielen großen Koalitionen und auch die Koalitionen mit grüner Beteiligung es in den vergangenen Jahrzehnten nicht vermochten, dass auf unseren Autobahnen vernünftig gefahren wird, freuen sich die meisten Autofahrerinnen jedes Mal, wenn sie die Grenze zu unseren Nachbarländern überqueren. Denn ganz plötzlich wird Autofahren fast schön, definitiv entspannter und die Angst, schwer zu verunglücken, nimmt spürbar ab. Da sich dieses Gefühl mit den Fakten und Statistiken deckt, was die meisten Autofahrerinnen natürlich wissen, steigert sich das Wohlbefinden beim Fahren zusätzlich… Unser Andi hält das jedoch, all den Gutachten und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz, für blanken Unsinn.

Nicht so der Vorstand des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR). Der fordert nämlich ein sofortiges generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. In einem umfassenden aktuellen Papier zur Verkehrssicherheit weist der DVR nach, dass die Geschwindigkeit beim Unfallgeschehen auf Autobahnen eine ganz besondere, sogar die herausragende Rolle spielt. Der DVR bezeichnet seine komplexe Strategie für mehr Sicherheit auf den Autobahnen als „Vision Zero“. Sie soll die Unfälle dort mit den vielen Getöteten und Verletzten dramatisch absenken. Neben einem generellen Tempolimit gehören noch viele andere Sicherheitsmaßnahmen dazu… Das ist alles das Gegenteil von neu. Andi wird es aber vermutlich dennoch nicht verstehen (wollen). Vermutlich ist die Komplexität zu hoch… Er wird sich sicher auch diesen Argumenten gegenüber als taub erweisen und weiter mit der Autoindustrie kungeln.

So, jetzt ist aber Schluss mit dem Schimpfen. Denn eins darf man bei aller Kritik am Andi nicht vergessen: Den eigentlichen und wesentlichen Durchbruch, die Verkehrswende par excellence, haben wir nämlich ihm zu verdanken. Und warum? Weil er, und nur er, er allein, uns allen und den unter einer falschen Verkehrspolitik leidenden Städten die Wende hin zum Guten geschenkt und gebracht hat. Und womit? Genau: mit der Einführung des Elektro-Scooters. Sie wissen: Das Teil, das überall in den Großstädten störend irgendwo rumsteht oder rumliegt! Dank Andi ist nun alles besser. Weniger Dreck in der Luft, weniger Unfälle, weniger überflüssiger Zulieferungsverkehr, bessere Erreichbarkeit… Einfach alles ist besser geworden, seitdem wir die Elektro-Scooter haben und der Andi damit im seinem Ministerium herum fährt. Wir haben daher allen Grund, uns bei ihm zu bedanken!

Das Beste zum Schluss? Richtig. Denn da war doch noch der herrliche Andi-Klopper mit den neuen Verkehrsregeln bzw. der angepassten Straßenverkehrsordnung (StVO). Seit dem 28. April 2020, das haben wir ja alle mitbekommen, gelten nun u.a. härtere Strafen für zu schnelles Fahren. Nach nur drei Wochen Gültigkeit jedoch will Andi Scheuer diese härteren Strafen für Verkehrssünder zum Teil wieder zurücknehmen. Das haut einem wahrhaftig die letzte Sicherung aus der Birne! Was ist das für ein Minister? Liest der vorher nicht, was er erlässt? Oder hat er den Sinn der erlassenen Verschärfungen – u.a. die Regel, dass nun ein Monat Fahrverbot droht, wenn man innerorts mit 21 km/h oder außerorts mit 26 km/h zu schnell erwischt wird – nicht verstanden?

Wie dem auch sei: All das kann nicht im Rahmen eines kleinen Artikels in der KasselZeitung abgeklärt werden. Die KasselZeitung ist ja kein psychologisches Forschungsinstitut oder so was. Auch die im Titel aufgeworfene Frage, ob es für Minister zukünftig vielleicht eine Eignungsprüfung oder etwas Ähnliches geben sollte, kann hier nicht abschließend aufgelöst werden. Hier wird nur festgehalten, dass es beim aktuellen Verkehrsminister viele unfertige Baustellen bzw. eklatante Leistungsdefizite gibt. Daher die Frage: Ist Andi der richtige Mann für die Lösung der anstehenden Zukunftsfragen im Verkehrswesen der Bundesrepublik? Oder brauchen wir für die anspruchsvollen Ziele eines modernen, umweltfreundlichen Verkehrswesens nicht auch einen personellen Neuanfang?

Anstelle die europäischen Gesetze zu befolgen, weigert sich K+S, geschützt immer noch durch die ökonomische (Vor-) Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der EU, endlich ausreichend in den Umweltschutz zu investieren und die vorhandenen Techniken zur Vermeidung der Versalzung von Werra, Weser und Grundwasser konsequent anzuwenden. Deshalb wird der Antrag von K+S, Werra und Weser bis Ende 2027 und damit auf lange Sicht mit Millionen Kubikmetern von Salzwasser zu ruinieren, von uns abgelehnt. Wir fordern alle beteiligten Institutionen und Genehmigungsbehörden, insbesondere jedoch die Flussgebietsgemeinschaft Weser (FGG), in der die Umweltministerien von Hessen, Thüringen und Niedersachsen das Sagen haben, auf, dem Ansinnen von K+S eine deutliche Absage zu erteilen und endlich den Gesetzen und Standards der EU zum Durchbruch zu verhelfen.

Nur so kann aus unserer Sicht die Salzgewinnung in unserer Region eine Zukunft haben, ein Zukunft, die nicht zu Lasten der betroffenen Ökosysteme geht.

Im Folgenden der Wortlaut unserer Stellungnahme:

„Die K+S Minerals and Agriculture GmbH (K+S) hat, weil die alten Erlaubnisse vom RP Kassel aus dem Jahr 2012 zum Jahresende 2020 auslaufen, neue Anträge gestellt auf eine modifizierte Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis zur Einleitung von salzhaltigen Abwässern in die Werra für den Zeitraum vom 01. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2027.
Dieser Antrag steht immer noch und weiterhin in eklatantem Widerspruch zur EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) aus dem Jahr 2000, die als grundsätzliches Ziel für alle Oberflächengewässer und Grundwasserkörper den guten chemischen und ökologischen Zustand bzw. das gute ökologische Potential festlegt. Dieser gute Zustand sollte gem. Art. 4 dieser Richtlinie bereits bis Ende 2015 erreicht sein. Die Frist zur Erreichung dieses guten Zustands wird nur in begründeten Fällen und maximal zweimal um je sechs Jahre verlängert. Sie endet damit spätestens Ende 2027.

Die von K+S nun beantragten Grenzwerte für die wesentlichen Parameter Chlorid, Kalium und Magnesium sollen bei den Werten liegen, die in der folgenden tabellarischen Zusammenstellung ablesbar sind:

Zeitraum 2021 2022 – 2025 2026 2027
Chlorid 2.500 2.270 2.050 1.950
Kalium 200 200 184 170
Magnesium 340 335 300 280

Damit ist der vorgeschriebene gute chemische und ökologische Zustand der Gewässer Werra und Weser allerdings in keiner Weise zu erreichen.

Darüber hinaus sollen die maximalen Einleitmengen in 2021 bei 6,7 Mio. m³/a liegen und für die Jahre 2022 bis 2027 6,0 Mio. m³/a nicht überschreiten. Auch das ist kein ambitioniertes Ziel, vielmehr so etwas wie eine strikte Verweigerungshaltung gegenüber der bereits angeschlagenen Gewässerbiologie der beiden Flüsse.

Der Naturschutzbeirat des Landkreises Kassel hat sich seit vielen Jahren gegen die Umweltpolitik von K+S engagiert und die Auffassung vertreten, dass K+S technisch durchaus vorhandene Möglichkeiten ungenutzt lässt, um den seit Jahren untragbaren Zustand der Gewässerversalzung abzustellen: Schriftlich in Form von Briefen, Petitionen und Presseerklärungen, aber auch aktiv mit Flugblättern vor den jeweiligen Hauptversammlungen von K+S.

Da die beantragten Grenzwerte auch den Nichtchemiker klar erkennen lassen,

• dass K+S bis zum Abschluss der Umsetzungsphase der WRRL der EU im Jahre 2027 keine relevanten bzw. keine
ausreichenden technischen und finanziellen Anstrengungen unternehmen wird, um deren Qualitätsziele auch nur
ansatzweise anzustreben,
• dass der Konzern den Zusammenbruch der Süßwasserbiozönose von Weser und Werra billigend in Kauf nimmt und
• dass die für 2027 beantragten Grenzwerte immer noch höher liegen, als die von K+S für das Jahr 2015 zugesagte
„Halbierung der Salzbelastung“ und einem damit möglichen Chlorid – Grenzwert von 1.250 mg/l

plädiert der Naturschutzbeirat dafür, sowohl auf der Genehmigungsebene (also beim RP Kassel) auch seitens der Politik (im Rahmen der FGG, in der die jeweiligen Umweltministerien der Bundesländer von Hessen, Thüringen und Niedersachsen federführend sind) kein weiteres Entgegenkommen K+S gegenüber zu praktizieren.

Die durchaus gegebenen technischen Methoden und Möglichkeiten der Salzabwasservermeidung bei der Produktion sind weltweit so weit gediehen und längst erprobt, dass K+S – wie andere Salz gewinnenden Bergbaukonzerne auch – zu eben deren Anwendung gedrängt werden muss. Und statt die Halden weiter auszubauen und damit weitere Salzabwässer zu produzieren, müssen die in den Halden noch enthaltenen Salze geborgen und sinnvoll vermarktet werden. Auch dafür gibt es Technologien, die eine gewinnbringende Ausnutzung dieser gewaltigen Ressourcen möglich machen.

In Zusammenhang mit dem Argument, dass die Verweigerung eines weiteren Entgegenkommens K+S gegenüber wegen der vielen Tausend Arbeitsplätze vor allem in der osthessischen Region schwierig, geradezu unmöglich sei, vertreten wir vom Naturschutzbeirat die gegenteilige Auffassung: Gerade die überfälligen, bislang immer wieder hinausgezögerten Investitionen in den Umweltschutz, in die Verträglichkeit von Salzgewinnung und Gewässerqualität würde die Zukunft der K+S Standorte und damit die Arbeitsplätze auch der nächsten Generation sichern. Ein Garant für Erhalt und Sicherung wichtiger Arbeitsplätze wäre demnach eine konzertierte Aktion von K+S, Behörden, Ministerien und Bürgern, die sich seit Jahrzehnten vielfältig für den Erhalt der Lebensgrundlagen an Weser und Werra engagieren und einsetzen im Sinne einer Investitionsoffensive in geeignete Umwelttechniken.

Deshalb widerspricht der Naturschutzbeirat des Landkreises Kassel dem Ansinnen des Antrags der K+S GmbH, weitere lange Jahre Millionen von Kubikmetern salzhaltiger Abwässer in die Werra zu verklappen. Deshalb darf es keine weiteren Zugeständnisse an K+S geben. Die notwendigen Investitionen sind jetzt zu planen und umzusetzen, damit die vorgegeben Ziele der EU WRRL für 2027 und die folgenden Jahre zumindest anvisiert werden können bzw. in Sichtweite bleiben.“

Für den Beirat
Dr. A. Kuntzsch, Dipl. Ing. E. Jochum

Die Antragsunterlagen der K+S GmbH findet man auf der Website des Regierungspräsidiums Kassel, https://rp-kassel.hessen.de/umwelt-natur/kaliindustrie

Die Vorbereitungen für die Kommunalwahlen in Kassel kommen – da kann auch besagtes Virus nichts ausrichten – so allmählich auf Touren. Woran man das ablesen kann? Am besten an den beginnenden Auseinandersetzungen um ein Thema, das alle Kasseler Herzen höher schlagen lässt und das großes Konfliktpotential beinhaltet. Es geht um den Verkehr in seiner höchsten, reifsten und schönsten Form: Es geht also um’s Autofahren. Dass Autofahren die beste Form der Fortbewegung in der Stadt sei, das meinen jedenfalls viele der oft unbelehrbaren hiesigen Autofahrerinnen und Autofahrer, von denen es in Kassel ganz besonders viele zu geben scheint. Und in Kassel haben sie, zu ihrem großen Glück, eine unbeirrbare politische Kraft an ihrer Seite, eine Kraft, die dazu noch an der Regierung, also bestimmend im hauptamtlichen Magistrat ist: Die Kasseler SPD.

Der automobile städtische Verkehr kostet aber, alle wissen das, Jahr für Jahr Unsummen, belastet Luft und Umwelt, fordert Tote und Verletze und – was am Schlimmsten ist – nimmt allen anderen Mobilitätsformen den notwendigen Platz. Eine richtige Katastrophe ist der platzraubende ‚Ruhende Verkehr‘. Denn auch wenn man Autos Fahrzeuge nennt, so sind sie doch in Wirklichkeit Stehzeuge, weil sie mehr als 95 Prozent der Zeit immer irgendwo rumstehen. Das stellt die Stadtplanung oft vor fast unlösbare Aufgaben. Dazu kommt: Viele Städte wachsen weiter, was auch für Kassel zutrifft. Das bedeutete in der Vergangenheit immer zunehmenden Autoverkehr. Und vermutlich wird das auch noch eine Weile so weitergehen, wenn nicht endlich klug und konsequent gegengesteuert wird. Dafür gibt es, beileibe nicht nur in der Modellstadt Kopenhagen, viele positive Beispiele, auch in der Bundesrepublik.

An einer solchen klugen Gegensteuerung jedoch fehlt es hier in Kassel seit Jahrzehnten. Insbesondere die krachend verloren gegangene Wahl 1993, in der auch die Verkehrspolitik – mit der etwas rabiaten und unvermittelten Ausweisung von flächendeckenden Tempo-30-Zonen mit den sog. Lollies – eine wichtige Rolle gespielt hat, hinterließ bei den Sozialdemokraten unverheilte Wunden… Weil aber die SPD dieses inzwischen schon 27 Jahre zurückliegende Drama nie aufgearbeitet geschweige denn überwunden hat, kann sie sich auch nicht wirklich zu einer neuen Verkehrsstrategie durchringen.

Daran ändern auch erste zaghafte Versuche nichts, nun doch etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen und mehr Stellen zu schaffen für einen besseren Radverkehr. Dass es überhaupt nach all den untätig verschlafenen Jahrzehnten dazu gekommen ist, darf getrost auf das Konto der Kasseler Radaktivisten gebucht werden. Nur ihnen ist es zu verdanken, dass durch das Bürgerbegehren für einen Radentscheid im vergangenen Jahr großer Druck auf die Koalition aus SPD und Grünen ausgeübt wurde. Mit den rasch über 22.000 gesammelten Unterschriften für eine grundsätzliche Wende in der Verkehrspolitik haben die Radlerinnen und Radler – auch wenn die SPD das Bürgerbegehren dann aus fadenscheinigen, formalen Gründen abgelehnt hat – den verantwortlichen Kommunalpolitikern klargemacht, dass es so wie bisher nicht weitergehen wird.

Corona bedingt ist seit März/April 2020 auch auf den Kasseler Straßen automobil deutlich weniger los. Deshalb forderten die Grünen – klar, das hat mit den o.a. auf Touren kommenden Kommunalwahlen zu tun – Fahrbahnen für den Radverkehr umzuwidmen, zumindest experimentell. So z.B. auf die Wilhelmshöher Allee. Aber natürlich wäre das auch auf dem Steinweg und andernorts gegangen. Wenn man denn nur gewollt hätte!

Die Grünen wurden und werden bei dieser Forderung zu Recht unterstützt von den Fahrradverbänden, dem BUND, der Fraktion der Kasseler Linken und vielen anderen. Dabei hätte man wichtige Erfahrungen sammeln können für den in naher Zukunft angepeilten vorsichtigen Umbau der städtischen Mobilität. Schon im vergangenen Sommer gab es ja so ein Experiment mit dem Steinweg auf Höhe des Friedrichsplatzes, das gute Ergebnisse gebracht und die Radler optimistisch gestimmt hat…

Die Kasseler SPD schmetterte das zarte Ansinnen der Grünen jedoch als Aktionismus ab. Während in Berlin, Bogota und Mailand, um nur die im Moment am meisten Staub aufwirbelnden Städte zu nennen, aktive Stadt- und Verkehrs- und Umweltplaner die Gunst der Stunde nutzten und quasi über Nacht viele Kilometer Straßen zu Radwegen umwidmeten, soll es in Kassel – ja, genau – alles so bleiben wie es immer war. Nur dass jetzt die Autos eben teils über fast leere Straßen rollten und noch rollen. Um es den vielen anderen Städten auf dem Planeten gleich zu tun, hätte es nur ein wenig Mut, ein bisschen Phantasie und einen Hauch Kreativität gebraucht: Aber alles das scheint es in der SPD Fraktion und im Verkehrsdezernat leider nicht zu geben. Während in Bogota sage und schreibe 100 Kilometer Autostraßen zu Radwegen umfunktioniert wurden und in Mailand 35, hat man in Kassel jede Form von kreativen Aktionen vermieden und alles so belassen… Hätten die Grünen zu dem, was in so vielen Städten weltweit elegant und lässig realisiert worden ist, zusätzlich noch verlangt, die Corona Zeit zu nutzen, um flächendeckendes Tempo 30 auszurufen und auszuprobieren: Die SPD wäre in Schnappatmung verfallen!

Von den unbürokratisch ausgewiesenen, neudeutsch Pop-up-Radwege genannten Radstraßen sind aber nicht nur Radlerinnen und Radler all überall angetan. Nein, auch die Deutsche Umwelthilfe, der Deutsche Städtetag, das Deutsche Institut für Urbanistik und viele andere renommierte Institutionen sprachen und sprechen sich für solche Maßnahmen aus.

Da die SPD immer noch unbelehrbar scheint, muss im nächsten Frühjahr zum Strafzettel gegriffen werden: Und das sind hier bei uns Wahlzettel. Es wird also darauf ankommen, dass die Wählerinnen und Wähler, auch in Nordhessen und Kassel, endlich den Mut aufbringen, den die hiesige SPD so schmählich vermissen lässt, um einen Wandel in Gang zu setzen. Sie müssen im März 2021 diejenigen Kräfte, Parteien und Bündnisse mit Mehrheiten ausstatten, die endlich den mobilen Wandel in Szene setzen. Denn der wird kommen, ob die SPD das nun will oder nicht!

Um einen solchen Mut für den politischen Wechsel an den Tag zu legen, gibt es noch andere Gründe. Die stehen dann in einem anderen Artikel, damit der hier nicht zu lang wird.

Vögeln statt Hamstern (SZ vom 09.05.2020), sich ausreichend mit Parisern und Rotwein versorgen (in Frankreich), Klopapier horten bis zum hellen Wahnsinn bzw. bis der Keller platzt (in Deutschland) und häufiger die einschlägigen Pornoportale besuchen: Alles gut, alles richtig und vielleicht ist sogar alles wahr…

Aber wer glaubt, die heute noch als Heldinnen und Helden gefeierten, mit einer vermutlich einmaligen Anerkennung von max. 1.500 Euro geehrten Altenpflegerinnen und Altenpfleger kämen am Ende der Krise in den Genuss einer spürbaren Lohnsteigerung, der irrt gewaltig. Sie werden weiterhin krass unterbezahlt bleiben, wie alle die anderen auch, die deutlich mehr schuften durften und mussten in diesen Corona-Wochen…
Boni erhalten und bekommen, systembedingt, die Zocker und Spekulanten aller Art. Auch nach dieser Krise. Wie es schon 2008 ff war. Am Ende sahnen die Spitzenmanager der großen Firmen und Banken wieder ab, also genau diejenigen, die der Staat jetzt erst mal rettet muss, damit das marktwirtschaftliche Schwungrad wieder Fahrt kommt…

Deswegen ist ja auch das eine ein Bonus: So was beginnt bei einer Million und kennt nur die nach oben offene Bonus-Skala, das andere hingegen ist ein müdes Trostpflaster: So was endet in diesem Fall schon bei 1.500 €! Nehmen wir mal einen bescheidenen Bonus von 5 Millionen, der das an sich schon fürstliche Gehalt eines Spitzenmanagers so angenehm aufrundet, meist noch aufgewertet durch entsprechende Aktienpakete und andere Vergünstigungen, so wäre das in etwa das dreitausenddreihundertfache des Anerkennungsbetrages für die schwer ackernden Altenpfleger, die anfangs noch nicht mal adäquat mit Schutzkleidung und Masken versorgt waren. Und damit die besagten Heldinnen und Helden diese Summe auch erhalten, dürfen sie noch einen akribisch ausgefüllten und bitte fehlerlosen Antrag beim zuständigen Landesamt für Pflege einreichen. So was muss ein Bonus-Empfänger definitiv nicht machen!

Auf die herrlich insistierende Frage des Sprechers der Tagesthemen, Ingo Zamperoni, an VW Chef Herbert Diess, ob er sich angesichts der Tatsache, dass der Staat ggf. auch bei VW wieder mit Milliardenbeträgen aushelfen müsse, wenigstens vorstellen könne, die für 2019 zur Verteilung anstehenden Boni für die Manager und die Dividende für Aktionäre zu streichen bzw. auszusetzen, gab es nur ausweichende Antworten. Man werde, so Diess ausgesprochen widerwillig, auch das, aber nur als allerletzte aller Möglichkeiten, in die Überlegungen der Konzernleitung einbeziehen.

Was bei den Überlegungen der Konzernleitung wohl rauskommt?

Quarantäne klingt so nach gleich, weil es ja alle trifft. Alle gleichermaßen. Das wird so auch den ganzen Tag über alle Kanäle verbreitet. Davon kann jedoch keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Die eigentliche Frontlinie ist die einer sich weiter auftuenden sozialen Ungleichheit… Danach, so wird man ganz ohne prophetische Gabe schon jetzt verkünden können, wird sich die Schere zwischen arm und reich erneut weiten. Und die Armut wird sich neue Kreise erschließen, weil die Schutzschirme der Regierung nicht werden bewirken können, dass jeder „kleine Laden“, den die Krise trifft, mit Mann und Maus gerettet werden kann.

In einem Interview in der SZ vom 03.04.2020, sagt Thomas Ostermeier, künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne: „Arme leiden mehr unter der Corona-Krise als die Wohlhabenden. Ausgangsbeschränkungen bedeuten für eine Alleinerziehende in einer kleinen Sozialwohnung mit zwei kleinen Kindern und geringem Einkommen etwas anderes als für Gutverdienende mit Au-Pair-Mädchen, Haus und Garten“. Damit hat er recht.

Und wer am Ende die Zeche bezahlt, die Abermilliarden, die jetzt in die Wirtschaft gepumpt werden, damit das Schiff nicht sinkt oder zumindest nicht zu sehr leckschlägt, muss auch nicht gerätselt werden: Genau diejenigen, die in der Krise (mit) die Hauptlast zu tragen hatten, d.h. die Verkäuferinnen in den noch offenen Geschäften zur Lebensmittelversorgung, die Krankenschwestern und Altenpflegerinnen in Kliniken und Heimen, die im Internetversandhandel Schuftenden, die Warenausfahrer- und -austrägerinnen aller Art, oder anders: die kleinen Leute eben, der Mittelstand, das Handwerk, alle die prekär beschäftigt oder ganz arbeitslos sind. Aber letztere bekommen ja vielleicht nächstes Jahr wieder 5,50 Euro mehr im Monat bei Hartz IV?

Und natürlich wird nach der Corona-Krise nicht das Geld da sein, für das, wofür es in den Jahren vor der Krise auch nie gereicht hat: Für gute Bildung für alle, von den Kitas bis zu den Universitäten, für die Bekämpfung des Klimawandels und die Energiewende, für die Wende in der Mobilität, für den Umbau der Städte mit einer Offensive im sozialen Wohnungsbau und mit einer massiven (Nach-) Begrünung, damit sich die Städte für die nächsten Sommer-Hitzewellen wappnen können, für die Digitalisierung etc. Und es wird sicher außerdem am Geld dafür mangeln, den Gesundheitssektor von einer gigantischen Gewinnmaschine für wohlhabende Private, Fondgesellschaften aller Art, die Pharmaindustrie etc. umzuwandeln in ein sozialen Kriterien gehorchendes Gesundheitswesen, dem es bei der nächsten Krise nicht an Schutzmasken fehlt für die, die Kranke am Leben erhalten sollen.

In Italien, das die Krise härter getroffen hat als (bislang) Deutschland, soll – so sagen es jedenfalls viele Fachleute – die hohe Belastung mit Feinstaub aus Verkehr und Industrie einer der Faktoren gewesen sein, zumindest gilt das so für Norditalien, der sich zusätzlich negativ auf den Verlauf der Pandemie ausgewirkt hat. Angesichts dieser Tatsache, die natürlich auch in allen anderen Ländern der EU mehr oder weniger relevant gewesen sein dürfte, sollte jetzt jeder vernünftige Mensch annehmen, dass an den neuen Abgas Grenzwerten in der EU im Rahmen des „Green Deal“ festgehalten wird. Aber: Alle Organisationen, die zur Gang der Lobbyisten in diesem ultramächtigen Industriesektor gehören, laufen jetzt schon Sturm dagegen. Und der nichts kapierende Scheuer wuselt schon wieder vor und hinter den Kulissen herum, um seinen Freunden aus der Autoindustrie zu Willen zu sein: Mit den durch Corona verursachten Verlusten müssen die schärferen Vorgaben für die Autoindustrie unbedingt vom Tisch! Wen interessiert schon – jetzt und nach der Krise erst recht nicht – das Pariser Klimaabkommen und wen der Tatbestand, dass die stark abgasbelasteten europäischen Städte für Hundertausende von Corona Patientinnen durchaus eine Herausforderung dargestellt haben.

Das Corona Thema ist medizinisch, sozial und ökonomisch komplex. Das gilt für die auf allen Ebenen unseres Landes getroffenen Maßnahmen. Nicht überall auf dem Globus – auch wenn die Corona Pandemie, wie schon im Wort enthalten, eine globale Erscheinung ist – wird gleich gehandelt…

Ganz unabhängig vom weiteren Verlauf der Pandemie hier in Kassel, in der Region, in Deutschland und in der Welt: Die Diskussion darüber, was aus der Krise für Konsequenzen zu ziehen sind, hat begonnen. Überall und intensiv. Denn dass nicht alles optimal läuft, zumindest da und dort nicht, bekommen wir alle mit. Dass die gutachterlichen Erkenntnisse und Ratschläge aus den Jahren 2012/13 zum Schutz der Bevölkerung bei zukünftigen Pandemien (Drucksache des Bundestages 17/12051) weder zur Kenntnis genommen noch umgesetzt worden sind, spürt das Land jetzt teils sehr schmerzhaft. So fehlt es an vielen Stellen an den allernötigsten, an den allerbanalsten Mitteln, will man erfolgreich gegen eine Pandemie dieser Art bestehen: an Mundschutz, an Schutzkleidung, am Ende vielleicht auch an Notfallbetten. Aber auch an Medikamenten. Und das nicht erst seit Corona.

Die Jahrzehnte der Privatisierung, der Deregulierung, der Auslagerung lebenswichtiger Produktionen, wie z.B. die für Medikamente, Schutzkleidung etc., rächen sich nun. Noch mehr jedoch die vielfältigen Überlastungssituationen in den Krankenhäusern und in den Pflege- und Altenheimen. Und alles war lange bekannt. Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sind dennoch weiterhin mit ungeheurem Druck, gegen alle Warnungen und gegen jede Vernunft, privatisiert worden. Die meisten Pflegekräfte und das Krankenhauspersonal, Chefärzte natürlich ausgenommen, sind – alle wissen es – krass unterbezahlt…

In vielerlei Hinsicht bekommt das Land jetzt die Quittung. Bei Anerkennung und Würdigung der Leistungen der im Gesundheitswesen Arbeitenden, ja es stimmt, da sind viele Heldinnen und Helden im Einsatz, gibt es dennoch viele zu beklagende Missstände. Daran ändern auch alle Bemühungen, der Einsatz und der Fleiß vieler Regierungsmitglieder nichts, denn sie können das fehlende Material und die fehlenden Pflegekräfte ja nicht herbeizaubern. D.h.: Über die schmerzhaften Defizite kann das alles nicht hinweghelfen. Und was am Ende, in der Gesamtbilanz, noch zu Tage tritt, wird man erst noch sehen…

Es wird nun viel über die Zukunft und die Zeit danach, also die Zeit nach der Corona Krise geredet. Was alles besser werden soll, auch wenn Vieles schon vorher und längst bekannt war. Zehntausende Pflegekräfte haben, allen Spahn‘schen Bemühungen zum Trotz, die Heime inzwischen verlassen oder haben die Arbeitszeit reduziert: Weil es einfach nicht mehr zum Aushalten war. Diese Kräfte fehlen jetzt schmerzlich, an allen Ecken und Enden… Da und dort, wir haben es gesehen und gehört, sind dramatische Situationen entstanden.

Vieles, so hört man jetzt allerorten, soll nun anders, besser werden: Medikamente sollen wieder hier produziert werden, Pflegekräfte, Krankenschwestern besser bezahlt, eine vorausschauende Materialbevorratung für Krisenfälle und zukünftige Pandemien, so wie es der Bericht aus 2012 ja gefordert hat (auf den aber niemand professionell reagiert hat), soll in ausreichendem Umfang stattfinden…

Statt abzuwarten, welche Konsequenzen aus der Corona Krise auf welcher Ebene und in welchem Bereich zu ziehen sind – die Liste dessen, was sich da wird ändern müssen, ist viel länger als oben angedeutet – handelt die Stadt Kassel jetzt schon. Aber nicht klug, vorsichtig und analytisch, unter sorgfältiger Auswertung der in der Krise gemachten Erfahrungen, vielmehr mit dem Verkauf der unter kommunaler Regie stehenden städtischen Pflegeheime. Bevor also die möglicherweise zu ziehenden Konsequenzen auf der kommunalen Ebene analysiert, diskutiert und ausgearbeitet sind, schafft der SPD geführte Magistrat Fakten. Begründet sind die rein betriebswirtschaftlich, nicht jedoch belegt mit den Erfahrungen aus dem Kampf gegen die Pandemie! Damit setzt der Magistrat die Privatisierung im Pflegebereich fort, die zweifelsfrei ein Teil des Problems der Krise ist.

Am vergangenen Wochenende, den 28. März 2020, durfte die geneigte HNA Leserin, ohne eine Silbe der Kritik natürlich, der Wochenendausgabe entnehmen, dass die kommunale Trägerschaft der beiden Altenheime am Lindenberg und am Fasanenhof im Juni 2020 endet. Danach gehen die beiden bisher zur Gesundheit Nordhessen Holding (GNH, eine 100 Prozent Tochter der Stadt) gehörenden Traditionshäuser in die Hände der Convivo GmbH über. Diese Firma besitzt bereits 100 Pflegeheime und andere Einrichtungen dieser Art.

Dass Privatisierungen nicht allein dafür verantwortlich sind, dass es bei der Bewältigung der Corona Krise da und dort so heftig knirschte und weiter knirscht, weiß auch der Unterzeichner. Die Verlagerung zentraler Bereiche des Gesundheits- und Pflegewesens in private Hände dient jedoch in erste Linie dem Interesse der Eigentümer an den Gewinnen, die dort zu generieren sind. Deshalb investieren ja Fondgesellschaften aus der ganzen Welt in diesem offensichtlich lukrativen Bereich. Aber ob das gut ist für die Menschen, die dort leben und arbeiten, darf gefragt und bezweifelt werden. Der Lindenberg und der Fasanenhof wären, meiner Meinung nach, besser in kommunaler Hand bzw. unter dem Dach der GNH geblieben.

Nun wissen wir es alle: Die nächste Pandemie kommt, so sicher wie das Amen in der Kirche und sie wird die Stadt Kassel nicht besser vorbereitet finden als bisher. Eher schlechter, denn Teile des Pflegewesens sind dann in privater Hand.

Corona allüberall. 24 Stunden am Tag. Und das noch lange. Viele interessante Begleiterscheinungen gibt es zu beobachten. Und nun wird bzw. ist das Klopapier knapp, im Land der Dichter und Denker!

Meine Frau fuhr gestern – statt, wie sonst, mit dem NVV – mit dem Auto zur Arbeit, in Richtung City. Auf dem Weg dahin, wollte sie Toilettenpapier besorgen. Auch wenn wir so gar nicht zu denen gehör(t)en, deren Haupt- und Lieblingsgericht nach Ausbruch der Krise Spaghetti in Tomatensoße an Clopapier gewesen ist: Irgendwann braucht man aber auch in solchen Haushalten Nachschub. In sechs Läden auf dem Weg von Ahnatal Weimar in die Stadt gab es kein solches Papier. Erst im Vorderen Westen, in der Nähe von Rossmann und Rewe, begegneten ihr FußgängerInnen mit der heißbegehrten Ware. Sie entschied sich für Rossmann am Karl-Marx-Platz und bekam dort, große Erleichterung, das heißbegehrte Produkt…

Die Geschichte erzählte ich einer Bekannten, die – wie ich – bislang auch keine Erklärung für den rätselhaften, angstgesteuerten Run der Deutschen auf das besagte Papier hatte. Was sie aber zu erzählen wusste, waren Informationen zu den Hamsterkäufen in Frankreich: Präservative und Rotwein! Was lernen wir daraus? Deutsche haben andere Präferenzen.

Während man die Hamsterkäufe in Frankreich gut nachvollziehen kann, habe ich bislang noch keine plausiblen Erklärungen für den Hang meiner Landleute zum Bevorraten von Toilettenpapier.

Der hier so oft und so überaus klug schreibende und erklärende Dr. Martin Reuter: Weiß der vielleicht, was da in die Deutschen gefahren ist?

Weil politische Debakel – auf welcher politischen Ebene auch immer – oft und gleich personalisiert werden, reden jetzt viele über einen „untreuen“ Liberalen, der das Dreier-Bündnis aus SPD, Grünen und diesem einen freischwebenden Liberalen hat über die Klinge springen lassen. Was darüber so alles kolportiert und berichtet wird: Das meiste davon ist Unsinn, Kaffeesatzleserei und/oder überflüssig. Denn solche fruchtlosen Debatten über ein bestimmtes Abstimmungsverhalten führen weg vom eigentlichen Problem: Warum hat dieser Abgeordnete die Koalition verlassen und damit gegen zwei wichtige rot/grüne Projekte gestimmt bzw. eine Abstimmung darüber verhindert?

Der Grund, kurz zusammengefasst, ist der, dass bei diesen beiden bedeutenden städtebaulichen Projekten – Markthalle und documenta Institut auf dem Karlsplatz – wieder einmal weder professionelles Projektmanagement stattfand noch eine ausreichende, kohärente und transparente Kommunikation. Letzteres gilt für den parlamentarischen Bereich, d.h. die rechtzeitige und umfassende Information und Einbindung aller Fraktionen, wie auch für die jeweils betroffenen bzw. fach-interessierten Gruppierungen der Kasseler Bürgerschaft. Vieles bei diesen beiden bedeutenden Projekten erinnert sehr an die dilettantischen Versuche, in Kassel eine Multifunktionshalle (zuerst auf den Giesewiesen und dann bei Salzmann) zu bauen bzw. das Technische Rathaus aus dem Zentrum der Stadt weit ab davon in den Kasseler Osten zu verlagern. Beide Projekte sind, wie sich alle Interessierten bestimmt noch gut erinnern, kläglich gescheitert…

Wer nach dem schon früh und zu Recht in die Kritik geratenen Standort an der Universität, am verkehrsumtosten Holländischen Platz, nur noch einspurig und verengt auf den Karlplatz setzt und diesen dann mehr oder weniger gut begründet zum „Non Plus Ultra – Standort“ erklärt, ohne auf die fundierte Kritik z.B. vom AK Denkmalschutz und Stadtgestalt (Dr. C. Presche) einzugehen, verspielt vielleicht mal wieder Chancen, von denen man als Stadt nicht allzu viele geboten bekommt. Denn dass das documenta Institut eine Großchance ist, die zu nutzen für Kassel selbstverständlich und notwendig sein sollte, bestreitet niemand. Damit aber aus der Chance auch ein Plus für Kassel wird, muss der Standort in jeder Hinsicht geeignet sein und entsprechende Voraussetzungen besitzen. Und die hat der Karlsplatz für ein Gebäude der Dimension, die das documenta Institut haben muss, genau nicht. Denn wenn man über den Karlsplatz als potentiellen Standort spricht, gehört die Würdigung des kulturellen Erbes der hugenottischen Oberneustadt, also der kritische und sensible Umgang mit Stadtgeschichte, zwingend dazu. Sonst würde dieses Erbe, nachdem schon der Filmpalast für die Situation dort und vor allem die Karlskirche zu groß und nachgerade erdrückend geraten ist, erneut mit Füßen getreten. Wer die für das Institut in Rede stehenden 6500 Quadratmeter Bruttogeschossfläche mit dem vorhandenen Raumangebot auf dem Karlsplatz in Beziehung setzt, wird schnell feststellen: Das Gebäude erschlägt den kleinen Platz! Großzügige Förderung von Bund und Land machen ein gründliches Nachdenken über die Eignung eines Standorts nicht überflüssig. Und die wie so oft ins Feld geführte Zeitknappheit ist kein inhaltliches Argument…

Viel schlauer wäre es gewesen, für die Standortwahl einen komplexen und tiefgehenden nutzwertanalytischen Ansatz anzustoßen und parallel dazu eine transparente, öffentliche Debatte mit den Fraktionen im Parlament und interessierten Kreisen der Stadtgesellschaft zu führen, die entsprechende Interessen und Kenntnisse mitbringen. Als da sind: Stadtplaner und ihre Organisationen, der Bund Deutscher Architekten (BDA), der Fachbereich 06 der Universität (Architektur, Landschafts- und Stadtplanung) und andere mehr. Wäre dieser Dialog, entsprechend breit angelegt und mit der dafür notwendigen Zeit klug auf die Schiene gesetzt worden, wäre der Zug für die Realisierung des documenta Instituts auch nicht auf dem Abstellgleis gelandet – wo er sich nun ja gerade befindet. Und dann wäre man gar nicht auf dem Karlsplatz gelandet, der einen ganz anderen Gebäudetyp braucht: Einen mit Bezug auf den alten Grundriss der Oberneustadt, mit einer stimmigen, den Ort belebenden Nutzung und einer u.a. für die Karlskirche verträglichen Dimension… Für das documenta Institut stehen im Besitz des Landes oder der Stadt besser geeignete Standorte zur Verfügung: Zum einen im Bereich vom Ottoneum oder den RP-Parkplätze bzw. an der Torwache an der Wilhelmshöher Allee… Und nicht zuletzt gäbe es durchaus auch Umbau-Alternativen, also die Nutzung vorhandener Gebäude – wie z.B. das Polizeipräsidium im Königstor, das leer steht und ggf. geeignet sein könnte.

Im Übrigen und nur ganz am Rande: Das ewige und subtanzlose Argument der Ladenbetreiber, die Parkplätze seien zum ökonomischen Überleben unerlässlich, darf bei einer zukünftig mehr als wünschenswerten Bebauung des Karlsplatzes, keine Rolle spielen. Denn zum einen ist dieses Argument wissenschaftlich längst widerlegt (vom einen oder anderen Behindertenplatz mal abgesehen), zum anderen existieren diese Parkplätze nach einem immer noch gültigen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung aus den 80iger Jahren gar nicht mehr: Zu dieser Zeit ist mehrheitlich beschlossen worden, dass nach Vollendung des 2. Abschnitts der Tiefgarage unter dem Friedrichplatz die oberirdischen Stellplätze auf den Plätzen der Stadt abzubauen sind! Und dieser Abbau steht bis heute aus!

Beim Projekt Markthalle sieht es nicht viel besser aus: Ein für die Stadtgesellschaft derart prominentes, bedeutendes Projekt muss von der Vorbereitung der Ausschreibung bis hin zu den Kriterien für die Vergabe transparent und ergebnisoffen geführt werden. Dass da nur in 2 städtischen Gremien (Grundstücksausschuss und Grundstückskommission), ganz ohne fachliche Beratung, ohne Einbeziehung der heutigen Nutzer (der Marktbeschicker) und ohne Einbindung der Fraktionen ein Konzept mit derart weitgreifenden Veränderungen über Erbpacht für Jahrzehnte an eine Investorengruppe gehen soll, stößt bei vielen Menschen in Kassel auf Unverständnis und Kritik.

Fazit: Dass der Kasseler Magistrat ohne Mehrheit dasteht, ist nicht das Problem (*); das kann sich vielmehr bis zur Neuwahl 2021 durchaus noch als Vorteil erweisen. Das Problem vielmehr ist, dass es die sozialdemokratisch geführte Stadt mal wieder an Professionalität einerseits und Transparenz seiner Bürgerschaft gegenüber andererseits hat fehlen lassen. Die Fraktion der Kasseler Linken fordert deshalb zu Recht eine Transparenz-Wende!

* Keine Mehrheit zu haben, ist in parlamentarischen Demokratien kein Problem. Das müssen aktuell auch die Sozialdemokraten in Spanien neu lernen, die nun zusammen mit Podemos koalieren, aber eben ohne eine Mehrheit zu haben. Und gute Beispiele, wo das Regieren ohne bzw. mit immer neu zu schmiedenden Mehrheiten zu guten Ergebnissen führen kann, gibt es genug. Z.B. in Skandinavien. Ob das in Kassel klappt und vielleicht sogar zu positiven Ergebnissen führt, wird man bald sehen.

Am 9. Oktober verübte ein ultrarechter deutscher Nazi während des Jom-Kippur-Gottesdienstes einen Terroranschlag auf die Synagoge in Halle. Nur die Robustheit der Synagogen-Tür bewahrte die anwesenden jüdischen Mitglieder der Gemeinde davor, Opfer eines Terrorangriffs zu werden. Stattdessen erschoss der Attentäter 2 unbeteiligte Personen. Eine Spende aus New York in Höhe von 12.000 Dollar für die Verstärkung der Eingangstür verhinderte offensichtlich Schlimmeres. Dieser Tür und natürlich auch der Ladehemmung der Waffe des Angreifers war es geschuldet, dass die verängstigten, am Gottesdienst Teilnehmenden unbeschadet überlebten. Das Ereignis ist wie eine Schockwelle durch die Bundesrepublik gegangen. Fassungslosigkeit hat um sich gegriffen, auch ob des Tatbestandes, dass den Bitten der Gemeinde um mehr Polizeischutz nicht nachgekommen worden war.

Auch wenn Jüdinnen und Juden sich in den letzten Jahren sowohl von rechts als auch von islamistischer Seite zusehends bedrängt und angegriffen sahen: Mit einem derartig brutalen Angriff haben jedoch die wenigsten gerechnet. Wie diese Tat ausgegangen wäre ohne die erwähnte Spende aus den USA, kann sich jeder selbst ausmalen… Die aktuellen Statistiken zu Übergriffen und Anfeindungen gegenüber Jüdinnen und Juden sind eindeutig: Die Angriffe werden härter und brutaler und sie breiten sich in allen Bereichen der Gesellschaft aus. Dass viele dieser Übergriffe islamistische Hintergründe haben, wird gern und schamhaft verschwiegen, ist aber ein offenes Geheimnis und Gegenstand von Kritik an der offiziellen Statistik.

Die Stadt Kassel hat, in Person ihres Oberbürgermeisters, Herrn Christian Geselle, als Zeichen der Solidarität mit den Juden in Deutschland, die nun erneut verängstigt sind und um ihre Sicherheit bangen, am Tag nach dem Attentat die Flagge Israels vor dem Rathaus aufgezogen. Ob das die beste aller denkbaren Formen von Solidarität, von offen gezeigtem Beistand und Mitgefühl gewesen ist, darüber kann und darf man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Intuitiv oder bewusst hat der Oberbürgermeister jedoch begriffen, dass der jüdische Staat für die Selbstermächtigung der Juden steht, die damit nicht mehr vom mal gewährten und mal nicht gewährten Wohlwollen einzelner Länder abhängig sind. Vielmehr haben die Juden der Welt zum ersten Mal nach über 2000 Jahren die Möglichkeit, in ihrem Land über die eigenen Geschicke selbst zu bestimmen. Deshalb ist unstrittig, weil das jeder Wohlmeinende sehr genau hat erkennen können (wenn er denn nur wollte!), dass das Hissen der Flagge als eindeutiger Akt der Solidarität mit den Juden in Deutschland gemeint war. Wenn allein im Jahr 2014 knapp 25.000 Juden Frankreich verlassen und sich in Israel in Sicherheit gebracht haben, wird klar, was Israel in der Praxis für die Juden der Welt bedeutet.

In der darauf folgenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel, am 4. November 2019, hat Simon Aulepp, vom Bündnis KASSELER LINKE, diesen Vorgang heftig kritisiert. Er nahm die Fragestunde zum Anlass, den Oberbürgermeister regelrecht zur Rede zu stellen: Wie der denn dazu komme, die Situation der Jüdinnen und Juden in Deutschland mit dem Staat Israel gleichzusetzen. Da die Antworten Simon Aulepp nicht zufrieden stellten, formulierte er weitere Nachfragen (einen Audio-Mitschnitt ab der 8. Minute der besagten Fragestunde gibt es hier). In der HNA vom 6. November erschien außerdem ein Interview mit ihm. Im Mitschnitt der Fragestunde und im HNA-Interview wird gleichermaßen erkennbar: Sowohl der Vergleich des demokratischen Israel mit dem wahhabitischen Gottesstaat Saudi Arabien als auch Simon Aulepps Beharren darauf, dass mit der israelischen „Besatzungspolitik“ seine Kritik an Oberbürgermeister Christian Geselle allemal berechtigt gewesen sei, zeigen eines überdeutlich: Simon Aulepp ist ein überzeugter Antizionist, der nicht verstanden hat, was der Staat Israel für die Juden in der Welt bedeutet.

Auch wenn dem so ist, nehme ich meine Simon Aulepp gegenüber geäußerte Kritik, die ich am 10.11.2019 im Blog der KasselZeitung gepostet habe – Simon Aulepp sei ein „Antisemit in Reinkultur“ – zurück. Das, was Simon Aulepp in Zusammenhang mit den oben geschilderten Vorkommnissen gesagt, gefragt, in Abrede gestellt und/oder sonst verlautbart hat, rechtfertigt nicht den von mir erhobenen Vorwurf des „Antisemitismus“ bzw. den des „Antisemitismus in Reinkultur“.

Dass Simon Aulepp mit seinem Verhalten jedoch ein überaus eindeutiges, in der Linken alles andere als unübliches und gestörtes Verhältnis zu Israel offenbart hat, ist nichts Neues oder gar Besonderes. Seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 ist die deutsche Linke, in fast allen ihren Schattierungen, nicht in der Lage gewesen, ein von Antisemitismus und Antizionismus freies Verhältnis zu Israel zu entwickeln. U.a. mit ihrem zu kurz gegriffenen Antifaschismus-Begriff und Verständnis gehört sie bedauerlicher Weise mit zu der großen Gemeinde der Israel-Hasser und Kritiker, die mit ihrer Sympathie, wenn es um Jüdinnen und Juden geht, viel leichter auf die Toten (die der Shoa) denn die lebendigen Jüdinnen und Juden (die im Staat Israel) positiv Bezug nehmen. Antizionismus und zum Teil auch offener Antisemitismus innerhalb der Linken ziehen sich wie ein roter Faden, hier in der Kürze natürlich nur beispielhaft angerissen, durch von 1976 über 2010 bis heute. So haben 1976 zwei an der palästinensischen Flugzeugentführung in Entebbe beteiligte Mitglieder der sog. Revolutionären Zellen, die beiden deutschen Linken Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, zum ersten Mal nach dem 2. Weltkrieg wieder Juden bzw. Israelis aus den Flugzeugpassagieren aussortiert. 2010 haben Linke, zusammen mit Islamfaschisten, die Schiffsreise mit der Mavi Marmara zur Befreiung von Gaza bzw. zur Durchbrechung der Gaza-Blockade organisiert. Und gerade eben, in 2019, hat Jeremy Corbyn von der Labour Party die Parlamentswahlen in Großbritannien vergeigt. U.a. deshalb hat er so krachend gegen Boris Johnson verloren, weil er die seit vielen Jahren offen antisemitischen Umtriebe in seiner Partei nicht aus der Welt geschafft hat und weil auch er selbst alles andere als frei war von Vorwürfen und Kritik in Sachen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. Völlig zu Recht führt ihn deshalb das Simon Wiesenthal-Centrum als ersten in der aktuellen, jährlich herausgegebenen Liste der 10 schlimmsten Antisemiten. Seine Freundschaft zur Hamas ist Legende. Die Kritik an ihm kam auch von eigenen Parteigenossinnen, obwohl seine schärfsten Kritikerinnen inzwischen längst aus der Partei entweder ausgetreten sind und heraus gemobbt wurden. Dass zum ersten Mal nach 1945 mit Oberrabbiner Ephraim Mirvis der höchste Vertreter des Judentums in Großbritannien in einem offenen Brief in die Wahlen eingegriffen hat, zeigt, wie weit die Linke dort herunter gekommen ist. Die Frage des Oberrabbiners in diesem Brief – „Was wird aus uns Juden in GB, wenn Corbyn an die Macht kommt?“ – offenbart das ganze Desaster der Linken.

Unabhängig von dieser Problematik des Antizionismus in der Linken, wie er auch bei Simon Aulepp und seiner SAV, einer trotzkistischen Gruppe innerhalb der Linkspartei, feststellbar ist, nehme ich den Vorwurf des Antisemitismus in Bezug auf Simon Aulepp zurück und verwandle den o.a. Artikel bzw. das Posting in der KasselZeitung so um, dass er über Google nicht mehr auffindbar ist. Es gibt an der bisherigen Stelle im Blog lediglich einen Screenshot davon. Er zeigt nur noch die Stelle auf, an der der alte Artikel vorher gestanden hat. (Ich habe das soeben, am 30.12.2019, 14.00 Uhr, wie angekündigt realisiert).

Diese Rücknahme bzw. Richtigstellung ist das Ergebnis eines Gesprächs zwischen Simon Aulepp, Kai Boeddinghaus und mir. Darüber hinaus hat es ein klärendes Gespräch mit der Fraktion der KASSELER LINKEN gegeben, zu deren Mitbegründern ich selbst gehöre und deren kommunalpolitische Arbeit über jeden Zweifel erhaben ist.

Dass die Debatte über Fragen von Antisemitismus und Antizionismus in der deutschen Linken und der Linken in Kassel damit nicht zu Ende ist, versteht sich von selbst. Angesichts der Tatsache, dass z.B. in der Partei die Linke gleichzeitig eine Untergruppierung existiert, die sich Bak Shalom nennt (eine Gruppe, die eindeutig und solidarisch zu Israel steht) und parallel dazu antisemitisch und antizionistisch angehauchte Mitglieder mit türkischen Faschisten zusammen gen Gaza in See stechen (wie 2010 mit der oben schon erwähnten Mavi Marmara), gibt es erheblichen Klärungsbedarf, um es neutral und diplomatisch zu formulieren. Darüber, dass sich 2014 Gregor Gysi im Reichstagsgebäude vor schlagfesten Israelhassern, die von Mitgliedern der eigenen Bundestagsfraktion der Linkspartei „angeschleppt“ worden waren, die nicht minder israelfeindlich eingestellt waren und sind, aufs Klo hat retten müssen, hat sich die Republik amüsiert. Obwohl das alles andere als lustig war. Für die Entschuldigungen der beiden Linkspartei-Frauen, Groth und Höger, beide waren auf der Mavi Marmara mit dabei und letztere ist sogar aktuelle Landesvorsitzende der Linkspartei in NRW (!!), wird sich Gregor Gysi nichts kaufen können.