Am 15. Mai war es wieder so weit: Die Chefetage und der Aufsichtsrat von K+S, einer der Salzgewinnungsgiganten des Planeten, rufen zur Hauptversammlung nach Kassel. K+S Vorstandschef Dr. Lohr trägt das Fazit aus 2018 vor und er macht keinen Hehl aus der Tatsache, dass angesichts des massiv gesunkenen Gewinns und der weiterhin hohen Schulden alle unzufrieden sind: Vorstand und Aktionäre. Er vergisst allerdings zu sagen, dass die, die am unzufriedensten mit der Politik von K+S sind, vor den Toren der Stadthalle erneut und mit gutem Grund demonstrieren. Es sind Umweltaktivsten vom BUND, vom Salzfreien Märchenland und wir vom Naturschutzbeirat des Landkreises Kassel. Wir alle sind, wie jedes Jahr, so auch 2019, wieder mit einem knappen Dutzend Aktivisten vor der Stadthalle und protestieren gegen die unzureichende Umweltpolitik des Konzerns.

Die eingeladenen Damen und Herren Aktionäre schlendern an uns vorbei in die Halle. Nur wenige nehmen unser Flugblatt. Noch weniger von ihnen lassen sich in Dialoge ein. Aber immerhin: Einige von ihnen haben sich als durchaus interessiert und offen gegenüber unseren Argumenten gezeigt. Der eine oder andere versteht sehr wohl, dass es dringend einer Wende in der Politik seitens K+S bedarf, um die Lasten für die Umwelt und für das Grundwasser zu verringern und die Gewässerqualität von Weser und Werra zu verbessern. Perspektivisch, daran haben wir keinen Zweifel gelassen, muss sich die Salzproduktion im Werrarevier in Richtung „abstoßfrei“ verändern. Alles andere hinterließe den Bürgern und der Region Salzgebirge als Ewigkeitslast, die erst in mehr als 1000 Jahren verschwinden würden. Erst danach würden auch die Belastungen für das Flusssystem langsam abnehmen bzw. enden…

Die gigantischen Salzgebirge müssen deshalb entweder in die Hohlräume zurückgebracht oder – was am besten wäre – nach und nach mit modernen Verdampfungsmethoden erneut ausgebeutet werden. Denn, was die meisten gar nicht wissen: Die hoch aufgeschütteten und weithin sichtbaren Salzabfallberge stecken noch voller Rohstoffe. Mit aktuellen technischen Methoden lassen sich daraus Gewinne machen, Umweltprobleme lösen und Arbeitsplätze langfristig sichern. Die erforderlichen technischen Verfahren sind von einer erfolgreich agierenden Firma, der K-Utec AG Salt Technologies, entwickelt worden. Sie befinden sich weltweit in differenzierter Form in Anwendung und sie sind im Hinblick auf die Anwendung bei K+S im Werrarevier vom Umweltbundesamt als zielführend und geeignet bewertet worden. K+S selbst kooperiert auch für Detailfragestellungen der Salzgewinnung aus Salzabfällen mit ebendieser Firma. Genaugenommen steht einer Anwendung dieser positiven Umwelttechniken nichts entgegen. Es fehlt lediglich seitens K+S der Wille, in diese leistungsfähigen Techniken zu investieren und seitens der Politik, den Druck auf K+S entsprechend zu erhöhen. Statt über den Jahrhundertsommer 2018 zu lamentieren, der zu schmerzhaften Betriebsstilllegungen geführt hat, sollte endlich der mutige und überfällig Schritt in eine „abstoßfreie“ Zukunft getan werden.

Nicht verschweigen wollen wir, dass es die interessantesten Gespräche in dieser knappen Stunde vor dem jeweiligen Beginn der hier in Rede stehenden Hauptversammlung mit Herrn Willecke gibt, einem der Pressesprecher von K+S. Trotz unüberbrückbarer Gegensätze in Bezug auf die Einschätzung dessen, was K+S tut bzw. unterlässt, wenn es um die Eingriffe in den Natur- und Wasserhaushalt geht, so ist dieser Austausch von Argumenten jedes Mal ergiebig und interessant.

Was wir als Interessenvertreter der Umwelt immer wieder in Zusammenhang mit den Umweltsünden von K+S vorbringen, müssen sich der Vorstand um Herrn Dr. Lohr und diejenigen Aktionäre, denen es ausschließlich um ihre Rendite geht, natürlich auch im Verlauf der Hauptversammlung von anderen anhören: So hat z.B. Herr Russau für den Dachverband der Kritischen Aktionäre und für den BUND eine gemeinsame Erklärung verlesen, die es in sich hat und die hoffentlich entsprechend Beachtung gefunden hat.

Im Folgenden lesen Sie bitte unsere Erklärung zur diesjährigen Hauptversammlung von K+S:

„Zum 4. Mal werden Sie heute hier vor der Stadthalle in Kassel von Mitgliedern des Naturschutzbeirates des Landkreises Kassel auf Ihrem Weg zur diesjährigen Aktionärsversammlung begrüßt.

Während Sie sich ggf. um die Rendite Ihrer Aktien bekümmern, treibt uns die Sorge um den Erhalt der Natur auf die Straße. In unseren Augen macht die Politik von K+S aber auch die Arbeitsplätze im Kali-Revier unsicher, wenn nicht schleunigst in Richtung abstoßfreie Produktion – was schon lange technisch möglich ist – umgestellt wird. Bitte denken Sie daran, dass das Auf und Ab der Wertpapiere für Sie vielleicht das Wichtigste in Ihrem Leben ist. Für die Bevölkerung der Region jedoch, dort wo K+S das für Ihre Aktien so bedeutsame Salz zutage fördert, sieht es ganz anders aus: Sie interessiert sich mehr für den Zustand der Gewässer, das Grundwasser und die drohenden Ewigkeitslasten der gigantischen Salzgebirge, die die Salzproduktion von K+S mit sich bringt.

Zusammen mit vielen anderen Umweltorganisationen und noch mehr Wissenschaftlern, die sich mit Salz und Salzabbau und den dabei entstehenden Risiken für die Umwelt gut auskennen, möchten wir Ihnen unsere Bedenken vortragen hinsichtlich der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie hier in Deutschland, insbesondere in den Bereichen des Werra-Weser-Reviers. Bis heute vermissen wir effektive Maßnahmen seitens des Konzerns, die fortbestehenden Probleme bei der Belastung der Flüsse Weser und Werra, des Grundwassers und der Böden überall dort, wo jahrzehntelang Salzabwässer in den Untergrund verpresst wurden oder ausgewaschene Salze aus Halden und Produktion versickert sind.

• Wir sind besorgt, weil weder die Behörden noch K+S selbst die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Qualitätsziele der EU-Wasserrahmen-Richtlinie (WRRL) fristgemäß zu erreichen. Vielmehr werden Maßnahmen ergriffen, welche die Umsetzung der WRRL erschweren und das Erreichen der Qualitätsziele tendenziell unmöglich machen. Zu diesen Maßnahmen zählen u.a. die über 140 km lange Salz-Abwasser-Leitung, die kein Gramm Salz beseitigt, sondern es vielmehr lediglich von der Werra zur Weser transportiert, also nur verlagert. Dass darüber spekuliert wird, dass auf diese Maßnahme ggf. verzichtet wird, beruhigt uns erst, wenn verbindliche Entscheidungen der zuständigen Länderministerien vorliegen.

• Wir sind besorgt, weil die Behörden in Deutschland (in Spanien übrigens ebenso) gegen das Verschlechterungsverbot der EU-WRRL verstoßen (gem. Urteil des EuGH vom 01.07.2015 in der Rechtssache C-461/13, hier: Rn. 70, zweiter Satz). Dies betrifft zumindest die Einleitung von Produktionsabwässern und Haldenlaugen in die Flüsse, das Verpressen von Produktionsabwässern in das Grundwasser sowie das Versickernlassen von Haldenlaugen.

• Wir sind besorgt, weil in den deutschen Abbaugebieten die verbleibenden untertägigen Hohlräume nicht durch Versatz (also durch Wiedereinbau fester Produktionsrückstände) gesichert, sondern der Konversion überlassen werden sollen, obwohl ausreichend Versatzmaterial zur Verfügung stünde. Damit wird zum einen Geld gespart, zum anderen zusätzliches Geld verdient mit der Einlagerung verschiedener belasteter, teils hochgiftiger Müllfraktionen. Stattdessen sollen die festen Rückstände auf der Oberfläche weiter aufgehaldet werden. Die dort entstehenden Haldenlaugen behindern die Umsetzung der WRRL, weil sie in die Vorfluter geleitet werden bzw. durch Versickern dorthin gelangen.

Dazu wird es auch dann kommen, wenn probiert wird, die Halden abzudecken. Das Auswaschen der Salze wird dadurch nämlich nicht gestoppt, im besten Fall nur geringfügig gedrosselt. Es gibt in Deutschland Versuche, bei denen trotz aufgebrachter Abdeckungen bei Althalden (aber mit viel flacheren Flanken) weiter Salzlaugen in die Vorfluter gelangten und die Qualitätsziele der WRRL nicht erreicht bzw. nicht eingehalten wurden.

Aber solche Gedankenspiele sind ohnehin überflüssig, da Haldenabdeckungen bei derart steilen Haldenflanken wie im Werrarevier gar nicht realisiert werden können. Es gibt international kein einziges Beispiel, wo entsprechende positive Erfahrungen damit gemacht worden wären. Der Tatbestand, dass K+S im Netz einen Aufruf gestartet hat, um nach Ideen für das Abdeckungsprojekt zu suchen, spricht Bände. Im Übrigen bringt die ins Auge gefasste Verwendung schwermetallhaltiger Abdeckmaterialien eine weitere Altlast mit erneut wassergefährdendem Potential ins Spiel. Für uns ist das alles andere als die Lösung des Problems.

• Wir sind besorgt, weil die EU-Kommission und die zuständigen Behörden im Falle des Salzabstoßes durch Kalihersteller in den einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedlich vorzugehen scheinen. Dies betrifft zumindest die Aufhaldung von Salzrückständen.

Im Falle des spanischen Kaliherstellers Iberpotash hat die EU-Kommission 2014 die Beendigung der Salzaufhaldung und den Rückbau der Salzhalden gefordert. Dem sind die spanischen Behörden nachgekommen. Um auf die Salzaufhaldung verzichten zu können, will Iberpotash 800 Mio. Euro investieren, davon ca. 400 Mio. für zwei Aufbereitungsanlagen, mit denen das Haldenmaterial in Industriesalz umgewandelt werden kann.

In Deutschland ist die Salzaufhaldung jedoch immer noch nicht untersagt und der Rückbau bislang nicht gefordert worden. Hier werden Haldenerweiterungen immer noch genehmigt und neue Rückstandshalden beantragt. K+S steht damit weiterhin der billigste Entsorgungsweg für feste Salzabfälle zur Verfügung. Das ist eine klare Wettbewerbsverzerrung. Iberpotash und K+S bedienen nach eigenen Aussagen beide den europäischen Markt und sind deshalb zumindest in Europa direkte Konkurrenten.

Wir sind besorgt, weil die Salzgebirge von K+S nicht beseitigt, sondern als Altlasten zurückgelassen werden sollen. Die Entsorgung der anfallenden Haldenlaugen bliebe damit auf unbestimmte Zeit (nach K+S-Angaben mindestens 700 Jahre) Aufgabe des Staates, ebenso wie die Schäden durch Bergsenkungen, weil die nach dem Abbau verbleibenden untertägigen Hohlräume nicht durch Versatz, d.h. dem Material aus den Rückstandshalden gesichert werden.

Sie sehen: Unsere Sorgen sind nicht unbegründet. Wir, die Mitglieder des Naturschutzbeirates des Landkreises Kassel, fänden es toll, wenn Sie Ihren Einfluss als Aktionäre dafür nutzen würden, Ihren Aufsichtsratsvorsitzenden, Dr. Andreas Kreimeyer und das Team um Vorstandchef Dr. Lohr zu konsequentem ökologischem Handeln aufzufordern. Damit helfen Sie mit, die Natur im Werra-Revier zu schützen und zu entlasten und damit sichern Sie sich aber auch möglicherweise längerfristige Erträge aus Ihren Aktien. Und nicht zum Schluss tragen Sie damit außerdem dazu bei, dass die Arbeitsplätze im Werra-Weser-Revier zukunftsfähig gemacht werden…

Die Zeiten für eine ökologische Wende stehen gut. Wie wir der aktuellen Ausgabe der Internetzeitschrift „Der Aktionär“ entnehmen, kann derzeit von einem „recht ordentliche(n) Preisniveau sowie (einer) guten Nachfrage auf den Kalimärkten“ gesprochen werden. „…nicht zuletzt… (wird) die Produktion im neuen Kaliwerk Bethune in Kanada weiter steigen….“.

Diese hier dargestellten Auffassungen teilen wir mit vielen Bürgerbündnissen und Umweltinitiativen. So mit der Werra-Weser-Anrainerkonferenz e.V. (WWA). Sie ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss von Kommunen, Verbänden, Vereinen und Wirtschaftsunternehmen, die als Anrainer von Werra und Weser von der Versalzung der Flüsse durch die Abwässer der Kali-Industrie betroffen sind. Ihre Mitglieder vertreten 14 Kommunen mit 150.000 Einwohnern, 150 Fischereivereine mit 31.500 Mitgliedern, elf Fischereigenossenschaften und fünf Berufsfischern. Aber auch mit dem BUND, dem Aktionsbündnis Salzfreies Märchenland, der Bürgerinitiative Giesenschacht e.V., der Bürgerinitiative Umwelt e.V. und vielen anderen.“

Schon im Dezember 2018, in der letzten Sitzung der Verbandversammlung des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK)*, kündigte es sich an: Die unbedachte, rücksichtslose und vollkommen unnötige Ausweitung von Bauflächen für Häuslebauer im Norden von Vellmar – östlich der neuen Endhaltestelle der Linie 1 – würde für heftige Diskussionen sorgen. Und so kam es dann auch. Während für den Beschluss zur Offenlage für die Änderung des gültigen Flächennutzungsplanes im Dezember 2018 noch eine knappe Mehrheit in besagter Versammlung zustande kam, war es mit Mehrheiten im Planungsausschuss Anfang März des neuen Jahres im Vorfeld der hier zu kommentierenden Verbandsversammlung dann vorbei: Der Ausschuss stimmte, nach einer emotionalen, qualifizierten und ausgesprochen ernsthaften Debatte gegen den Plan der Stadt Vellmar für diese Ausweitung von Bauflächen am Rand des Stadtgebietes. Zum ersten Mal seit vielen Jahren votierte damit ein Ausschuss gegen eine Vorlage von Verbandsvorstand und Verwaltung und damit gegen die Ausweitung von Bauland in einer der großen Umlandgemeinden. Damit haben die Abgeordneten der Verbandsversammlung zum ersten Mal in einem wichtigen Punkt der SPD Dominanz in diesem Gremium widerstanden: Allein mit der Qualität und Durchschlagskraft der Argumente! Das kommt einem Erdbeben gleich und gibt Anlass zu neuen Hoffnungen. Aber schön der Reihe nach.

Im August 2017 beschließt der Verbandsvorstand, an der Verbandsversammlung vorbei, die Einleitung eines Flächennutzungsplan-Änderungsverfahrens. Um es ins Parlamentarismus-Deutsch zu übersetzen: Vorbei an der Legislative, was hier der Verbandsversammlung entspricht, die dafür eigentlich zuständig ist. Aber damit nicht genug. Das Vellmarer Projekt widerspricht nicht nur dem gültigen Flächennutzungsplan, der ja eben deshalb geändert werden muss, es widerspricht auch dem 2009 beschlossenen Regionalplan Nordhessen. Der wird beim RP im zuständigen Ausschuss am 16. Februar 2018 geändert. Das Projekt widerspricht aber auch allen anderen Plänen, die sich der ZRK selbst als Grundlage für seine Arbeit gegeben hat: So ist dieses Areal nicht im Siedlungsrahmenkonzept 2015 enthalten genauso wenig wie im Landschaftsplan von 2007…

Die Argumente der Befürworter einer solchen Arie von Änderungen von übergeordneten Planungen, die alle ihren Sinn haben und die eigentlich eingehalten werden sollten, sind immer die gleichen: angebliche Wohnungsnot und erheblicher Bedarf insbesondere an Einfamilien- und Reihenhäusern! Aber schon die Ausgangsbehauptung ist falsch und von den aktuellen statistischen Prognosen in keiner Weise gedeckt. Nach einem weiteren, sehr moderaten Anstieg der Bevölkerungszahlen bis 2025 fällt die Einwohnerzahl – sowohl in Kassel als auch im Umland resp. Speckgürtel (dort sogar noch deutlicher) – nach verschiedenen Prognosen schon wieder deutlich. Und, darüber sind sich alle einig, die sich in Sachen Wohnungsbedarf auskennen: Relevante Wohnungsdefizite gibt es nahezu ausschließlich im günstigen Preissegment, also im wie auch immer gearteten öffentlich geförderten Geschosswohnungsbau, weil genau dieses Preissegment spätestens seit Mitte der 90iger Jahre sträflich vernachlässigt wurde: Was Fachleute, Linke und viele sozialen Verbände seit Jahren vehement kritisieren. Und all das lange bevor sich das Wohnungsdefizit durch Zuwanderung dann noch einmal zugespitzt hat.

Dass mit dem Vellmarer Projekt vor dem Hintergrund eines gestiegenen Umweltbewusstseins alle, aber auch wirklich alle Regeln für den sorgfältigen Umgang mit nicht vermehrbaren Ressourcen, vor allem Boden ist eine solche Ressource, gröblich – und wie wir noch sehen werden – ganz ohne Not verletzt werden, war Ursache und Hintergrund für die Debatten im Planungsausschuss Anfang März. Der Unterzeichner war mitnichten allein mit seiner wie immer deutlich ökologisch orientierten Betrachtungsweise und damit, dass dem schon pathologischen Flächenverbrauch endlich ein Riegel vorgeschoben werden muss. Die mehr als 3 Hektar, die allein in Hessen jeden Tag verbraucht und versiegelt werden, sind einfach zu viel. Das wissen eigentlich auch die Mitglieder des ZRK. Und so gingen die Stimmen gegen eine erneute Versiegelung in diesen Dimensionen auch quer durch alle Fraktionen, mit Ausnahme natürlich der SPD Fraktion. Sie blieb unbeirrt bei ihrer Position. Auch Bürgermeister Ludewig aus Vellmar gab sein Bestes, um für eine erneute Baulandausweitung zu werben. Er habe sich jahrelang dafür engagiert, dass das Bauland nun endlich bereit gestellt wird. Auch deshalb ist die Stadt Vellmar wohl vorgeprescht und hat schon vor der endgültigen Beschlussfassung im Internet den bald beginnenden Verkauf von Grundstücken angepriesen. Eigentlich ein Unding. Aber, wie schon geschildert, für eine Mehrheit sollte es an diesem Tag im besagten Ausschuss nicht reichen. Wütend verließ Bürgermeister Ludewig daraufhin die Sitzung.

Nach diesem Verlauf in der Ausschusssitzung war klar, dass eine spannende Verbandsversammlung bevorstand. Und die sollte es dann auch geben. Alle Fraktionen waren komplett am Start. Und tatsächlich hagelte es Kritik von allen Seiten. Für die CDU, vermutlich weil es innerhalb der Fraktion unterschiedliche Positionen zum Thema gab, läutete Fraktionsvorsitzender Stöter die Debatte ein und nahm Bezug auf die oben beschriebene Ausschusssitzung vom März. Stöter gibt die Abstimmung in der Fraktion frei; es soll also keinen Fraktionszwang geben. Er selbst sei jedoch als Bürger von Vellmar für die Baulandausweitung und würde entsprechend abstimmen. Aber er zeigt Verständnis für alle diejenigen, die aus den bekannten ökologischen Gründen gegen eine solche Bodenverschwendung stimmen wollten. Die SPD bleibt auch in der Verbandsversammlung unbelehrbar und uneinsichtig: Für sie gibt es nur eine Zukunft mit noch mehr Einfamilien- und Reihenhäusern, auch wenn es den Bedarf dafür nur noch bedingt gibt. Die Grünen wollen den Antrag von der Tagesordnung absetzen mit dem Ziel, bis zur nächsten Sitzung im Sommer die Inhalte des im Verfahren befindlichen Bebauungsplans der Stadt Vellmar noch mit „grünen“ Verbesserungen aufzuhübschen: Energieversorgung, begrünte Dächer, Umgang mit Wasser etc.. Wie das gelingen soll, ist allerdings völlig offen. Die Fraktion der Linken ist als einzige klar gegen diesen Plan, signalisiert jedoch, da eine Mehrheit für einen Verzicht ja nicht in Sicht ist, am Ende für den Antrag der Grünen stimmen zu wollen.

Aber es waren nicht nur die Bedenken in Bezug auf den Flächenverbrauch mit seinen kritischen ökologischen Folgen und die falsche Wohnungspolitik, die diese Sitzung bestimmten. Im Kern ging es darum, dass der Innenentwicklung – d.h. dem Bauen innerhalb von städtischen Strukturen, wo Erschließung und technische und soziale Infrastruktur bereits vorhanden sind – unter allen Umständen der Vorzug einzuräumen ist. Und genau hier, beim Beispiel in Vellmar mit den 16 Hektar Neubauland am nördlichen Ortsrand, gab und gibt es diese Alternativen sehr wohl. Innenwicklung wäre an 3 Stellen möglich: So nordwestlich vom Einkaufzentrum Herkules, in Vellmar West nördlich vom Jungfernkopf und am (integrierten) Ortsrand von Frommershausen. An diesen drei Stellen, die vom Flächenvolumen in etwa den geplanten 16 Hektar entsprechen, hätte die Stadt Vellmar – sicherlich in mühsamen Verhandlungen – eine Bebaubarkeit durchsetzen können und müssen.

Niemand bestreitet, dass es bei vielen (nicht nur) kommunalen Projekten private Eigentümer gibt, die aus ganz unterschiedlichen Motiven nicht verkaufen wollen. Die einen haben Dollarzeichen in den Augen und pokern hoch, um das Maximale für ihr Eigentum heraus zu holen. Die anderen wollen es einfach nur ihren Kindern für später hinterlassen oder eine Erbengemeinschaft kann sich nicht einig werden über Verkaufen oder nicht. Aber wenn die auf dem Tisch liegenden Angebote von Stadt oder Gemeinde korrekt und ausreichend hoch sind, darf die Gemeinde, wenn alle Dialoge und Angebote fruchtlos geblieben sind, auch an die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten denken. Sinnvolle Projekte, die im Interesse einer Stadt und ihrer Bewohner*innen liegen, deswegen einfach fallen zu lassen und aufzugeben bzw. in ökologisch bedenklicher Weise an den Stadtrand auszuweichen, ist nicht oder nicht mehr in Ordnung. Vielmehr muss zum einen langer Atem an den Tag gelegt werden in den Verhandlungen mit den Privaten und es darf auch nicht davor zurück geschreckt werden, den „Herrschaften“ die Anwendung der rechtlich möglichen und zur Verfügung stehenden gesetzlichen Regelungen anzudrohen. Das ist legitim und vom Gesetzgeber durchaus gewollt.

Es kann und darf durchaus aufs Grundgesetz verwiesen werden, wie u.a. das aktuelle Beispiel Berlin zeigt. Vor dem Hintergrund realer und nicht imaginierter ökologischer Probleme in großem Maßstab sollte verstärkt daran erinnert werden, das „Eigentum verpflichtet“. So eröffnen die §§ 14 und 15 des Grundgesetzes („Eigentum verpflichtet“ und „Grund und Boden… können … in Gemeineigentum überführt werden“) durchaus Möglichkeiten. Sie werden im Übrigen, ohne dass die dabei beteiligten Behörden sozialistischer Umtriebe bezichtigt werden könnten, bei vielen Großprojekten regelmäßig genutzt. Ob, um beim Beispiel Vellmar zu bleiben, das Instrument Enteignung (natürlich mit gesetzlich geregelter Entschädigung!!) hier das Richtige ist, vermag der Autor als Nichtjurist nicht abschließend zu sagen. Aber es muss auch nicht zwingend dieser Pfad eingeschlagen werden. Das Baugesetzbuch (BauGB) ist ja auch noch da. So kommt dort z.B. der § 176, Abs. 2 (Baugebot für unbebaute oder geringfügig bebaute Grundstücke etc.) in Frage. Geeignet wäre durchaus auch der § 47, der sich mit der Möglichkeit eines Umlegungsverfahrens befasst. Welches die beste Lösung für die Vellmar ist oder gewesen wäre, steht dahin. Vielmehr kommt es darauf an zu kritisieren, dass sich Vellmar und im Schlepptau der Zweckverbandsvorstand für die Schlechteste aller Lösungen entschieden haben: Für eine neue Einfamilien- und Reihenhaussiedlung vor den Toren der Stadt anstelle der viel sinnvolleren Innenentwicklung.

Beim Bauen wieder mehr den Gemeinschaftssinn im Zeichen großer ökologischer Probleme – Klimaerwärmung und Artensterben – in den Vordergrund zu stellen, ist das Gebot der Stunde. Das meint auch der Ex-Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl: „Eigentum verpflichtet: Das ist das vergessene Fundament des Sozialstaates“. Daran sollten wir beim Handeln, Diskutieren und Abstimmen bei den durchaus bedeutungsvollen Entscheidungen im ZRK denken.

Der Unterzeichner verwies in der o.a. Debatte in der letzten Verbandsversammlung nicht ohne Grund auf einen der ersten und bedeutendsten Ökologen, den Allroundwissenschaftler Alexander von Humboldt, der schon im ausgehenden 18. Jahrhundert, als Zeitgenosse von Goethe und eng mit diesem befreundet, zu begreifen begann, dass man nicht grenzen- und rücksichtslos in die natürlichen Zusammenhänge eingreifen darf. Dieser im Wortsinne bahnbrechende Wissenschaftler verdient allergrößte Aufmerksamkeit, nicht nur weil er gerade 250igsten Geburtstag hat…

Um der Vernunft, einer besseren Zukunft, den allseits be- und anerkannten ökologischen Anforderungen – nicht zuletzt auch dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag in Hessen (S. 104) – zum Durchbruch zu verhelfen, muss Schluss sein mit hirnlosem Flächenverbrauch. Auch wenn es weh tut und Mühe macht, muss der Verfassung und dem ökologischen Imperativ Genüge getan werden. Und das eben nicht nur in der Bundespolitik, sondern überall, also auch in Vellmar.

Als ersten kleinen Schritt in die (vielleicht) richtige Richtung wurde am Ende der Tagesordnungspunkt mit dem schönen Titel „Änderung des Flächennutzungsplans 45 ‚Wohnen in Vellmar-Nord‘“ von der Tagesordnung genommen werden. Das Thema wird nun im Juni erneut behandelt.

Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Auch wenn den ZRK so gut wie keiner kennt, auch wenn niemand Notiz von ihm nimmt und von seinen Beschlüssen, was nicht gut ist, so ist er dennoch eine wichtige Institution. Was dort passiert und beschlossen wird, wie das oben diskutierte Beispiel zeigt, ist durchaus von Bedeutung. Deshalb noch ein paar Zeilen über den ZRK, was er ist und wer dazu gehört.

Dazu noch ein Direkt-Link zur Internetseite des Zweckverbandes.

https://www.zrk-kassel.de/

*Was ist der Zweckverband genau?
Der Zweckverband (ZRK) ist eine bedeutsame kommunalpolitische Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifende Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehört z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor…

Dass Kassel in Vergleich mit einer Rad-Stadt wie Heidelberg einen gigantischen Nachholbedarf aufweist, wundert nicht. Seit Jahrzehnten ist diese Stadt engagiert dabei, den Radfahrern mehr Sicherheit, Platz und Freiräume zu überlassen – mit sichtbarem Erfolg. Man stelle sich in Kassel eine Debatte vor wie dort über den Bau eines Fahrradparkhauses! Das immer noch total autoorientierte Kassel wäre einer Ohnmacht nahe, wenn eine Stadt überhaupt in eine solche fallen könnte! Und Heidelberg ist ja noch nicht einmal der Spitzenreiter in der BRD. Und in Europa schon gar nicht. Bei einem Vergleich mit Kopenhagen, wo sich die Politik tatsächlich vor Jahren schon aufgemacht hat in eine neue Zeit, könnten sich die Politiker in Kassel wirklich etwas abschneiden und, so sie wollten, etwas dazu lernen.

Ob es jetzt auch in Kassel zu positiven Veränderungen im Radverkehr kommt, wird man in den nächsten Monaten beobachten können: Gerade im Umgang mit dem erfolgreichen Bürgerbegehren für einen Radentscheid wird sich zeigen, ob nun auch Kassel den Mut hat, die Weichen für eine lebenswertere Stadt zu stellen, in der nicht mehr nur das Auto – fahrend und stehend – weitgehend alle öffentlichen Freiräume dominiert und beherrscht. Zum großen Nachteil all der anderen, die sich auch in der Stadt bewegen und dort leben.

Aber zuerst ein Gespräch mit Maik Bock, einem der Verantwortlichen des Bürgerbegehrens für einen Radentscheid.

Zu allererst, Maik: Gratulation, Kompliment und Anerkennung für das so grandios und erfolgreich durchgeführte Bürgerbegehren mit diesem überaus klaren Ergebnis! Fast 22.000 Unterschriften, knapp 5000 hätten ja schon für das Quorum gereicht, sind eine deutliche Ansage! Vielen Dank dafür, dass Du Dir die Zeit nimmst für ein Interview zur Veröffentlichung in der kassel-zeitung:

Meine Fragen drehen sich im Kern um das Verkehrsgeschehen der näheren Zukunft in Kassel. Aber natürlich ist auch in Kassel – das zeigt ja gerade der Erfolg und die Zustimmung zu Eurer Unterschriftensammlung mehr als deutlich – diese Zukunft ohne massive Förderung und ohne massive Investitionen in den Radverkehr nicht erreichbar.

1. Frage: Hängt Euch die Ablehnung des Bürgerbegehrens als Vorstufe für einen Entscheid noch nach oder hattet ihr ohnehin nicht die ganz große Enttäuschung zu verkraften, weil es absehbar war, wie sich der Magistrat verhalten würde?

Ja, es war schon absehbar, dass seitens der Stadt versucht wird, eine Ungültigkeit zu erzwingen. Enttäuscht sind wir schon, aber alles andere als geschlagen! Aber mit der Wucht, mit der die Stadt, d.h. der Magistrat – OB Geselle und sein Verkehrsdezernent Stochla – jetzt nach vorne preschen und mit ihrer „Magistratsvorlage zur Förderung des Radverkehrs“ ein vollkommen zahnloses und vollkommen unverbindliches Konzept propagieren, hat uns doch überrascht. Das sind halt Profis und sie wollen sich nicht auf Jahre hinaus festlegen und erst recht wollen sie nicht, dass ihnen jemand reinredet in „ihre“ Politik…

2. Frage: Wie ist das eigentlich gelaufen im Vorfeld und in der Phase der Unterschriftensammlung: Gab es von Seiten der zuständigen Ämter der Stadt konkrete Tipps, relevante Unterstützung oder hat man Euch mehr oder weniger gegen eine rechtliche Wand laufen lassen?

Durchgängige Tipps, verbindliche und konkrete Unterstützung seitens der Verwaltung hat es nicht gegeben. Ein Gespräch mit Dr. Förster vom Straßenverkehrs- und Tiefbauamt hat stattgefunden. Man hat uns auch erklärt, dass für die Finanzierung der im Begehren vorgeschlagenen Maßnahmen keine Fördermittel eingerechnet werden dürfen, weil die ja nicht sicher gewährt werden. Deswegen haben wir dafür die Erhöhung der Gewerbesteuer vorgeschlagen, da dies rechtlich gesehen die einzig sichere Möglichkeit ist. Was die „rechtliche Wand“ angeht, die Bestimmungen u.a. der Hess. Gemeindeordnung (HGO), gehen wir heute davon aus, dass uns das Rathaus mehr oder weniger absichtlich gegen diese hat laufen lassen. Dass es in unseren acht Zielen – fachlich einwandfrei und ausreichend präzise dargestellt – im Vergleich zu einer von einer professionellen Verwaltung und vielen Ämtern aufgestellten vergleichbaren Aufgabenbeschreibung logischerweise Defizite gegeben hat, ist nicht verwunderlich, da uns seitens der HGO deutlich weniger Freiheiten gegeben wurden. So konnten wir beispielsweise keine konkreten Straßen benennen, was sonst bei Vorlagen und Anträgen für die Stadtverordnetenversammlung durchaus möglich ist. Hätte man das vermeiden wollen, hätte es sehr wohl Mittel und Wege gegeben. Aber genau das hat man nicht gewollt.

3. Frage: Nach der Bürgerversammlung am 1. März, auf die sich OB Geselle und Stochla plus die beiden Amtsleiter vom Rechts- und Straßenverkehrs- und Tiefbauamt ja ausgesprochen akribisch vorbereitet hatten: War Euch da dann klar, dass sich der Magistrat nur unverbindlich und vage auf Eure sehr grundsätzlichen und konsequenten Forderungen einlassen würde?

Ja, definitiv. Mit dieser Veranstaltung sollte uns die Butter vom Brot genommen werden. Unser Erfolg sollte, auch wenn man uns dauernd für unser Engagement über den Klee hinaus gelobt hat, kleingeredet werden. Letztlich seien wir an Dilettantismus und Naivität gescheitert, so die Botschaft zwischen den Zeilen. Gescheitert sind wir aber daran, dass die rechtlichen und finanztechnischen Auflagen für ein unanfechtbares Begehren, das dann zum Bürgerentscheid nach der HGO führt, viel zu hoch sind. Was nützt den Bürger*innen ein Quorum, was relativ leicht zu erreichen ist (für ein einleuchtendes Ziel), wenn danach unüberwindbare Hürden aufgebaut werden?

4. Frage: Gibt’s noch Hoffnung auf Nachbesserungen der Magistratsposition? Meint Ihr, dass Ihr durch Eure bewundernswerte, geduldige und ausdauernde Verhandlungsführung doch noch einige Punkte von Eurem Forderungspaket in den Antrag des Magistrats hinüberretten könnt?

Das wird alles ein längerer Prozess. Im Moment sind wir dabei, alle Fraktionen davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, unsere Pläne, Ziele und Forderungen in möglichst konkrete parlamentarische Anträge umzustricken. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Wir bleiben auf jeden Fall am Ball und lassen uns nicht zermürben.

5. Frage: Gab und gibt es relevante Unterschiede zwischen den Parteien, die in Kassel die Verantwortung tragen, also zwischen SPD und Grünen?

Natürlich sind da Unterschiede. Und sie sind groß. In der SPD gibt es in der Tat viele Unterstützer für unsere Ziele, aber vermutlich noch mehr Gegner und Skeptiker. Zu lange hat diese Fraktion für ganz andere Ziele Politik gemacht. Die Grünen wollen schon in unsere Richtung, sie wollen aber auch die Koalition nicht aufs Spiel setzen. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Und es gibt zwischen den beiden Fraktionen natürlich noch einige andere Spannungsfelder, die vermutliche die Verhandlungen über konkrete und weitergehende Festsetzung für den Ausbau des Radverkehrs belasten bzw. überlagern. Die Kasseler Linke hat unsere Forderungen voll übernommen und steht, man könnte es fast so sagen, treu an der Seite der Aktivisten vom Bürgerbegehren.

6. Frage: Warum seid Ihr nicht zufrieden mit der geplanten personellen Aufstockung im zuständigen Straßenverkehrs- und Tiefbauamt? Von einer Stelle in zurückliegenden Jahren auf nun insgesamt drei, d.h. eine Stelle soll 2019 und noch eine weitere 2020 dazu kommen? Immer noch zu wenig?

Ich glaube an diese Stellen erst, wenn die Leute eingestellt sind und wenn sie auch zu 100 Prozent für die Planung und den Ausbau des Radverkehrs eingesetzt werden. Zu lange sind im Rathaus die für den Radverkehr zuständigen Kolleg*innen auch für viele andere Dinge eingesetzt worden. Natürlich sind diese zwei Stellen schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Aber um zeitnah eine ausreichende und attraktive Fahrradinfrastruktur auf die Straße zu bringen, braucht es deutlich mehr Personalaufwand.

7. Frage: Bei vielen städtischen Projekten gab es in den zurückliegenden Jahren häufig erheblichen Widerwillen und oft genug massive Opposition bei relevanten Teilen der Kasseler Bevölkerung, wenn städtebauliche Planungen mit dem Verlust von Stellplätzen verbunden waren. Ich erinnere mich z.B. noch daran, wie der letzte Umbauplan für den Entenanger Mitte der 10er Jahre u.a. daran scheiterte, dass einige Stellplätze weggefallen wären. Raum und Platz ist aber nun mal nicht vermehrbar. Was wird aus der augenblicklich doch sehr positiven Grundstimmung Euren zentralen Forderungen gegenüber, wenn klar wird, dass eine sehr große Anzahl von Stellplätzen z.B. entlang einer großen Hauptverkehrsachsen wegfallen wird für die eigene Radspur? Oder wenn für die steigende Zahl von Fahrrädern Autostellplätze verdrängt werden?

Uns ist klar, dass es um heilige Kühe geht und dass es am Ende zahlreiche Konflikte um den nicht vermehrbaren Platz geben wird. Bei solchen Dingen, wenn Privilegien und Bequemlichkeiten verloren gehen, sind sofort Emotionen im Spiel. Dann muss die Argumentation sein, dass sich mit solchen Eingriffen die Lebensqualität von allen, den Bewohner*innen und allen, die – in welcher Form auch immer – in der Stadt mobil sein wollen, steigt. Die Stadt wird schlicht schöner sein am Ende und sie wird besser funktionieren. Wir wissen, dass dieses Argument auf längere Sicht wichtiger ist als die Bequemlichkeit einzelner Autofahrer*innen.

8. Frage: Was meinst Du, mit welchen Zusatzargumenten werdet Ihr am Ende die Zustimmung zu diesem großen, allen Stadtbewohnern nützenden Umbau in den kommenden Jahrzehnten bekommen: Bessere Luft, weniger Lärm, weniger Tote und Verletzte, höhere Aufenthaltsqualitäten, Gesundheitsaspekte bei Bewegung mit dem Rad?

Wir werden die ganze Klaviatur der Argumente nutzen. Weil das einfach die Fakten sind: Mit einem massiven Ausbau des Radverkehrs, das zeigen die Untersuchungen in allen entwickelten Ländern, wird, das steckt ja schon in deiner Frage drin, etwas Positives erreicht für alle. Und was mir noch einfällt, kassel-spezifisch natürlich: Die SPD muss aufpassen, falls sie sich zu sehr als Bremser gegen eine solch wünschenswerte Entwicklung stellt, dass sie sich kein neues Trauma erzeugt. Wenn ich das richtig sehe, hängt bei der SPD viel damit zusammen, dass sie nach dem Lolli – Drama als große Verliererin vom Platz ging. Und auch wenn die Akteure heute ganz andere sind: Die Ereignisse von 1993 sind in den Reihen der SPD längst nicht aufgearbeitet. Nur heute ist es anders herum: Heute wollen viele Wähler*innen einen stadtgerechten Verkehr in Kassel – also weniger Autoverkehr und mehr Rad- und Fußverkehr.

9. Frage: Die Behauptung des Magistrats, 20 % der Investitionen bei Straßenbaumaßnahmen seien pauschal schon jetzt dem Radverkehr gewidmet – hältst Du die für seriös? Der ADFC hat da ja seine begründeten Zweifel?

Da machen es sich die Herren von der Stadt doch zu einfach. Und auf die Dauer wird das auch nicht akzeptiert werden. Wie die 22.000 Unterschriften überdeutlich zeigen, was ja ungefähr 15 Prozent der wahlberechtigten Bürger*innen von Kassel entspricht, wollen die Engagierten und die diejenigen, die auf Verbesserungen beim Radverkehr hoffen, sehr bald realistische, überprüf- und vor allem sichtbare Fortschritte sehen: Und eben nicht nur auf die Straßen gemalte Pseudoradwege, die immer noch hochgradig unsicher sind. Und eben nur aus Farbe!

10. Frage: Wenn man sich die vielen Rad-Städte in Deutschland und Europa anschaut, Kopenhagen natürlich vorneweg: Was haben diese Städte im Grundsatz richtig gemacht und was macht Kassel falsch?

Ganz einfach: Kassel hat verschlafen, was für ein positives Potential in der Entwicklung des Radverkehrs steckt. Die Verbesserung der Luftqualität, die verbesserte Sicherheit bei sinkenden Unfallzahlen, die Verlangsamung des gesamten Verkehrs, die Reduktion des Lärms – all das nützt am Ende allen. Kassel hat viel zu spät erkannt, dass man damit auf die Dauer Lorbeeren erringen kann, die wunderbar zum Weltkulturerbe, zur documenta und den vielen anderen positiven Besonderheiten der Stadt passen. Eine im weitesten Sinne verkehrsberuhigte Stadt, in der die Radfahrer*innen gleichberechtigt und entspannt ihre berechtigten Mobilitätsbedürfnisse ausleben können, ist eine bessere, schönere Stadt. Das zeigt vor allem das Beispiel Kopenhagen. Die Verantwortlichen der Stadt sollten dringend eine Dienstreise dorthin machen.

11. Frage: Das Auto hat seinen Siegeszug ja nicht nur angetreten, weil die Politiker alles vergeigt, falsch gemacht oder weil sie sich viel zu sehr an der langen Leine der Autokonzerne bewegt hätten. So einfach ist es ja nicht. Die Verliebtheit ins Auto, das Hängen an ihm, ist durchaus eine Angelegenheit, die Gründe und Ursachen hat. Schön, bequem, beheizt, mehr oder weniger günstig (was relativ ist), jederzeit verfügbar, geeignet für Strecken und Transporte aller Art – und jetzt wollt Ihr, auch wenn es erst mal keinen Bürgerentscheid geben wird, tatsächlich Ernst machen und den verfügbaren, knappen urbanen Freiraum drastisch einschränken und verknappen, für eben dieses herrliche Auto? Meint Ihr, dass die Politiker dieser Stadt, die gerade auf diesem Politikfeld schon so oft eingeknickt sind, das am Ende durchhalten?

Wir glauben tatsächlich, dass die Zeit reif ist für Veränderungen, gerade in Kassel. Sicher ist es hier besonders schwierig, was viele Gründe hat. Die aber alle aufzuzählen, führte zu weit. Wir lassen uns im Moment, in der Phase schwieriger Verhandlungen mit allen Parteien, den zuständigen Ämtern und der politischen Führung der Stadt aber nicht entmutigen: Die vielen tausend Gespräche mit den Leuten auf der Straße, an der Uni und in Bus und Straßenbahn lassen klar erkennen: Die Menschen in Kassel wollen die Mobilitätswende. Und wir haben auch das Gefühl, dass eine Ausweitung des Radfahrens in der Stadt andere Formen umweltfreundlichen Verkehrs quasi nach sich zieht.

12. Frage: In den Schubläden der Stadt schlummern viele Verkehrsentwicklungspläne, so z.B. der Generalverkehrsplan von Anfang 2002, aber auch der jüngste Verkehrsentwicklungsplan 2030. Verändert haben die leider kaum etwas. Nun aber soll es der aktuelle Magistratsbeschluss zum Ausbau des Radverkehrs richten und wirklich eine neue Zeit einläuten? Ist das zu glauben? In Wirklichkeit kam es ja zu diesem Papier nur, weil in der ganzen Stadt eine bislang nie dagewesene positive Stimmung durch eure Unterschriftenaktion erzeugt wurde und weil sich der Magistrat nach der Ablehnung des Radentscheids (um nicht ganz entblößt vor der Stadtgesellschaft zu stehen), dringend um Schadensbegrenzung bemühen musste. Im Sinne: Wenn man eine Entwicklung nicht mehr verhindern kann, muss man versuchen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und die Ziele selbst vorgeben.

In solche Fragestellungen wollen wir uns lieber nicht hinein begeben. Und über die Motive der Einzelnen in diesem komplexen Handlungsgeflecht zu rätseln, bringt uns und die Bewegung für einen besseren Radverkehr auch nicht wirklich voran. Aber eins ist klar: Der Magistrat hat im Prinzip nur die Überschriften unseres Bürgerbegehrens abgeschrieben, die Inhalte jedoch nur sehr zaghaft, ungenau und unverbindlich übernommen. Wir werden ihm weiter auf den Zahn fühlen, am Ball bleiben und auch – ich habe das jüngst im Ausschuss für Finanzen, Wirtschaft und Grundsatzfragen ziemlich deutlich so formuliert – die Entscheidung, den Radentscheid gar nicht erst zuzulassen, juristisch anfechten. Das machen wir davon abhängig, wie sich die weiteren Verhandlungen mit der Stadt und den Parteien entwickeln. Natürlich wird es in allererster Linie davon abhängen, wie nun die von den Parteien zum Thema eingebrachten Anträge aussehen und entschieden werden.

13. Frage: Ohne Druck von außen wird es meiner Meinung nach und ganz speziell in Kassel auf diesem Feld der Politik keinen echten und raschen Wandel geben. Was meinst Du, wie lange Ihr den Druck durch eure Bewegung aufrecht erhalten könnt? Oder hat es in den letzten Jahren tatsächlich einen Wandel auch in den Köpfen der Kasseler Bürger*innen gegeben, so dass die vielleicht den Druck selbst ausüben werden, wenn Euch mal die Puste ausgeht?

Heute haben es die Propheten noch schwerer als in anderen Zeiten. Aber ich bin mir sicher, dass wir noch lange durchhalten. Und ich wage auch die Behauptung, dass der Wandel der Überzeugungen zur Zukunft der Stadt, in der man sich anders bewegen wird als heute, tatsächlich in den Köpfen der Mehrheit der Bürger*innen stattgefunden hat. Von da her siehst Du mich entspannt und optimistisch.

14. Letzte Frage: Traust Du Dir eine Prognose zu und sagst mir: Wie viele Kilometer baulich getrennte, sichere Radwege an den heute nur unter Lebensgefahr für Radler*innen nutzbaren Hauptverkehrsstraßen haben wir in Kassel im Jahr 2025?

Ganz schwer zu beantworten. Aber das Wichtigste beim Radverkehr und seiner Optimierung ist die Qualität des gesamten Netzes. Die Kilometer entlang der Hauptverkehrsstraßen sind am Ende eher symbolisch, aber dennoch natürlich nötig. Deswegen lautet meine Antwort dazu: Es wird einige Kilometer geben dort, wo der Druck nicht ganz so massiv ist. Aber was es bis dahin geben wird: Man wird den Wandel spüren, weil permanent an der Netzqualität, den Kreuzungen, den Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und an der Verbesserung des Mobilitätsklimas gearbeitet wird. Und genau darum geht es uns. Das wollen wir erreichen. Unbedingt.

Auch wenn die Fragen und Antworten im Interview erschöpfend sind, ein Fazit soll’s trotzdem geben. Aber nur ein ganz kurzes: Der Fragen stellende Autor meint, dass die Stadt – und damit sind wahrhaftig nicht nur OB Geselle und Verkehrsdezernent Stochla gemeint – die Chance, die im wegweisenden Bürgerbegehren für einen Radentscheid steckt, unbedingt nutzen sollte. Alle Parteien, alle Organisationen, die sich einer veränderten Mobilität verschrieben haben, letztlich alle Bürger*innen der Stadt, die ganze Stadtgesellschaft, sind aufgerufen, den Schwung, den Rückenwind, den die engagierten und visionären Kämpfer*innen für ein fahrradfreundlicheres Kassel in die Stadt getragen haben, zu nutzen für mutige Entscheidungen. Auf dass Kassel besser wird.

…wer sich solch schöne Bilder anschauen möchte, der kann das tun – jederzeit: Im Atelier des Schöpfers dieser grandiosen Gemälde am Fuß des Weinbergs (an der Rampe vom Weinberg runter zum Philosophenweg 1) oder bis Ende März 2019 in einer aktuellen Ausstellung im Marienkrankenhaus. Auch bei Jatho-Wohnen in der Friedrich-Ebert-Straße hängen ein paar schöne Teile vom Meister…

Es handelt sich um den stadtbekannten Künstler Michael Deutschmann. Sein Künstlername ist Michael Murx!

dav

Das ist mehr als eine Empfehlung: Seine Bilder erwärmen das Herz, lassen an den dunklen, nordhessischen Tagen – wovon es ja bekanntlich viele gibt – die Sonne aufgehen und machen gute Laune. Lassen Sie sich, lasst Euch bezaubern!

Wer den Affront verstehen will, den die aktuellen „Anführer“ der SPD der Stadtgesellschaft zugemutet haben, indem sie den Radentscheid mit seinen rund 22.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zurückgewiesen haben, muss weit zurück gehen. Nein, nicht bis zur Zustimmung zu den Kriegskrediten für die Führung des 1. Weltkriegs und auch nicht bis zu Noske und der blutigen Niederschlagung der Arbeiterunruhen nach eben diesem Krieg: Nein, nur bis 1993, wo es in Kassel zu einer krachenden Wahlniederlage für die bis dahin unangefochten die Stadtpolitik dominierende SPD kam.

Den damaligen Wahlkampf führte die SPD, gegen gute Ratschläge aus Verwaltung, Politik und Bürgerschaft, mit dem Versuch, auf einen Schlag drei Dinge durchzusetzen: Die Treppe auf dem Königsplatz durch Adelung zum Documenta-Kunstwerk, die Getränkesteuer auf Bier und die flächendeckende Verkehrsberuhigung mit übergroßen Cola-Dosen, die von den Kasselern despektierlich „Lollis“ genannt wurden. Dieser Versuch scheiterte grandios und brachte der SPD eine weithin beachtete Wahlniederlage ein und führte die CDU mit Georg Lewandowski an die Macht.

Im Folgenden soll es aber nicht um Bierpreise, Pseudo-Kunstwerke auf dem zentralen Platz der Stadt und/oder um ein Übermaß an feudaler Arroganz gehen, wie sie seinerzeit von der SPD an den Tag gelegt wurde. Nein, vielmehr soll es in dieser Abhandlung ausschließlich um den Aspekt Verkehrspolitik gehen und um den Versuch, begreiflich zu machen, warum sich die SPD, konkret OB Geselle und Stochla, letzterer zuständig im Magistrat für Verkehrsfragen, bei der Ablehnung des Radentscheids so und nicht anders verhalten haben. Denn wer verstehen will, warum die SPD, obwohl Kassel im Vergleich zu vielen anderen bundesdeutschen und noch mehr europäischen Städten so enormen Nachholbedarf an Investitionen und Verbesserungen im Radverkehr bitter nötig hätte, diesen von großen Sympathien getragenen Entscheid abgelehnt hat, muss analytisch die Wahlniederlage von 1993 in den Blick nehmen.

Bis dahin hat im Oberzentrum Kassel, unter der Regie der alles dominierenden Sozialdemokratie, eine Verkehrspolitik stattgefunden, die man diplomatisch nur mit einseitiger Förderung des Individualverkehrs bezeichnen kann. Diese Politik hat ihren Anfang genommen mit dem Wiederaufbau des 1943 stark zerstörten Stadtzentrums. Aus ganz unterschiedlichen Motiven, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann, sind dabei große Fehler begangen worden. Über die gibt es ganze Berge von Fachliteratur und die Fachwelt ist sich weitgehend darin einig, dass diese Fehler und Versäumnisse kardinal waren. So hat man, mit dem Argument, möglichst schnell viele Wohnungen bereit stellen zu wollen, um der großen Wohnungsnot Herr zu werden, ein Wiederaufbaukonzept verfolgt, das zum einen Bezug nahm auf großzügige, nationalsozialistische Aufbauplanungen und das zum andern einen Bezug zur städtebaulichen Moderne herstellte. Damit ist gemeint, dass sich dieser Wiederaufbau ziemlich radikal vom alten (noch mittelalterlich und barock geprägten) Stadtgrundriss, wie er sich über Jahrhunderte entwickelt hatte, abwandte.

Außerdem wurde, was sich nach Kriegsende bereits deutlich abzuzeichnen begann, dem Verkehrsmittel der Zukunft – dem Auto – überaus viel und großzügig Platz eingeräumt. Die Enge der Altstadt sollte überwunden. Licht, Luft und Sonne sollten in die neu errichteten Quartiere Einzug halten. Und so kam es dann, dass viele prägende und durch alliierte Bomben nur teilzerstörte Gebäude von den verantwortlichen Planern und der Stadt abgerissen wurden. Als eines der vielen Gebäude, für die das hier Gesagte symbolisch gelten soll, sei das preußische Staatstheater am Friedrichsplatz erwähnt. Aber es hat noch viele andere bedeutungsvolle Gebäude getroffen, die heute und damit für immer aus dem Antlitz der Stadt verschwunden sind. Nennenswerten Widerstand gegen diese radikale Form des Wiederaufbaus hat es so gut wie nicht gegeben. Auch das ist eine Kasseler Besonderheit.

Diese Art von Verkehrspolitik, bei der sich alles dem Auto unterzuordnen hat, zieht sich seitdem, mehr oder weniger konsequent, wie ein roter Faden durch die Nachkriegsjahrzehnte: Bis hinein in den Anfang der 90iger Jahre. In dieser Phase gab es dann erste Tendenzen für eine vorsichtige Abkehr von dieser so einseitig aufs Auto ausgerichteten Politik. Man begann, nicht nur in Kassel natürlich, über Verkehrsberuhigung zu sprechen, das Fahrrad wieder zu entdecken und nicht zuletzt einen Zusammenhang zwischen dem motorisierten Individualverkehr und der Luft- und Lebensqualität herzustellen. Zu dieser Zeit gab es schon eine eindeutige Mehrheit in der Bevölkerung, sogar hier in der Autostadt-Kassel, für die Einführung von Tempo 30 Zonen. Sie lag damals bei knapp über 70 Prozent der Befragten.

Mit dieser vermeintlichen Mehrheit der Kasseler Wählerinnen und Wähler im Rücken, glaubte die SPD, mit ihrem „genialen Dreisprung“ die anstehende Wahl für sich entscheiden zu können. So viel damals und seitdem über dieses Wahldebakel auch geschrieben und gemunkelt worden ist, eins ist klar: Die Rechnung der SPD ging nicht auf. Den Stammtisch über den Tisch ziehen zu wollen, indem man ihn zum Stopfen der Löcher im Haushalt heranzieht, die kulturell durchaus interessierte Stadtgesellschaft zu vergraulen, indem man das missglückte und durch zahlreiche Planänderungen endgültig verhunzte Treppengestell zum vermeintlich sakrosankten Kunstwerk erhebt und alle Autofahrer (auch die gutwilligen) gegen sich aufzubringen, indem man sie mit überdimensionierten Cola-Dosen verärgert, konnte nicht gut gehen. Statt überzeugende Pläne für einen Rückbau der häufig überdimensionierten Straßen vorzulegen, statt sinnvolle Beruhigungskonzepte für die Wohnquartiere zu entwickeln, statt den gesamten Umbau zur plausiblen, gut vermittelten Zurückgewinnung von Platz und Raum für Bäume und für mehr Bewegungsfreiheit für all die anderen Verkehrsteilnehmer zu nutzen, führte das sogenannte Abpollern mit den besagten Cola-Dosen nur zu Verärgerung. Statt einen Schritt nach vorne, hin zu einer neuen Mobilitätspolitik zu machen, statt klarzumachen, dass der öffentliche Raum nicht allein dem Auto gehört, führte diese Form von unvermittelter „neuer“ Verkehrspolitik in erster Linie zu Verdruss. Das Motto, das auf städtischen Flugblättern und den überall verteilten Aufklebern zu lesen war, zeigt den Geist hinter dieser vermeintlichen Verkehrswende: „Nur Dumme fahren zu schnell“!

Natürlich ist zu schnelles Fahren keine gute Sache. Dennoch ist die in diesem Slogan zum Ausdruck kommende Einstellung der politisch Verantwortlichen derart überheblich, dass die Angesprochenen darauf eigentlich nur mit Ablehnung reagieren konnten. Wer so mit denen spricht, die er für eine Verhaltensänderung in einem derart zentralen Punkt gewinnen will, braucht sich über die Reaktion bei der Wahl dann nicht zu wundern. Wer an die 50 Jahre lang einer Gehirnwäsche durch Werbung, Sprüchen der Automobilindustrie und „großer“ Politik unterzogen worden ist, wem dauernd eingehämmert worden ist, dass Freiheit nur mit und im Auto zu haben ist und wer dazu noch brav gelernt hat, dass mobil sein gleichbedeutend ist mit Autobesitz, dem kann eine Wende hin zu neuen Formen der Mobilität nicht von heute auf morgen mit ein paar Cola-Dosen und abwertenden Aufklebern schmackhaft gemacht werden. Nötig wäre vielmehr gewesen, und das ist es bis heute, darauf hinzuwirken, dass ein gut begründetes Umdenken stattfindet mit dem Ziel, den öffentlichen Raum grundsätzlich neu zu definieren als gleichberechtigen Raum für alle Mobilitätsformen. Die einseitige Dominanz für das Auto muss zurückgedrängt werden, die Förderung der anderen Verkehrsarten – Rad, ÖPNV, Fußgänger – muss mit klugen Plänen und einem gezielten Umbau durchgesetzt werden. Mit langem Atem und viel Kreativität. Dass dafür ausreichende Mittel bereit zu stellen sind, versteht sich von selbst.

An eine solch langfristige und ernstgemeinte Strategie haben die Wähler bei der Abwahl der SPD 1993 bestimmt nicht gedacht. Aber sie haben mit einem sehr eindeutigen Abstimmungsverhalten zum Ausdruck gebracht, dass sie es so, wie die SPD es sich damals vorstellte, nicht mitmachen wollten. Auch die kurz nach diesem Debakel abgehaltenen OB-Wahlen konnte OB Bremeier gegen Lewandowski nicht gewinnen. Die Wähler hatten sich also nicht vertan, sich vielmehr eindeutig und unmissverständlich gegen die damalige SPD positioniert.

Aus dieser Erfahrung sind bei der SPD tiefe, unverheilte Wunden zurückgeblieben. Bis heute gibt es keine, zumindest keine offizielle oder öffentlich gewordene Selbstkritik und daraus abgeleitete Konsequenzen seitens der SPD. Statt aber zu erkennen, dass andere Städte wie Münster, Heidelberg, Erlangen und ganz viele andere, mit einer klugen, nachhaltigen und konsequenten Neuausrichtung ihrer Verkehrspolitik inzwischen große Erfolge erzielten (unter der Regie ganz unterschiedlicher Parteikonstellationen), statt zu begreifen, dass es nicht der Versuch zur Neuausrichtung der Verkehrspolitik war, der 1993 gescheitert war, vielmehr die dilettantische Form und unglückliche Herangehensweise, die dabei an den Tag gelegt wurde, igelt sich die SPD seit dieser schmerzhaften Niederlage ein und vermeidet jede Form von steuerender und/oder vorausschauender neuer Verkehrspolitik.

Bis heute ist die SPD nicht bereit, andere Wege einzuschlagen, kreativ und mutig nach neuen Lösungen zu suchen. Vor lauter Angst, vom Wähler wieder abgestraft zu werden, wenn „dem“ Autofahrer auch nur ein Haar gekrümmt wird oder demselben ein Parkplatz weggenommen wird, hat sich die SPD für das Verharren, für den Status Quo und für die Dauerverneigung vor dem Auto entschieden. Das aber ist ein großer Fehler. Zwar ist die SPD in den aktuellen Zeiten ohnehin aus ganz anderen Gründen von Wählerschwund massiv bedroht: Aber deshalb und wegen der Schatten der Vergangenheit den Schritt nicht zu wagen, für die Umwelt, die Luft und für alle anderen Teilnehmer am Verkehr, die nicht in einem Auto sitzen, Partei zu ergreifen und positiv konstruktiv zu handeln, wird der SPD nicht weiter helfen. Genau so wenig war es eine denkbar schlechte Idee, den Radentscheid kalt abzulehnen. Dass dieser Entscheid nicht die Qualität einer nach allen Seiten abgesicherten Verwaltungsvorlage hat haben können, überrascht doch niemanden. Aber gerade mit Hilfe der Verwaltung, so man wirklich (und nicht nur verbal) in die gleiche Richtung wie die Radaktivisten hätte marschieren wollen, wären Änderungen an der Eingabe für das Bürgerbegehren schon im Vorfeld durchaus möglich gewesen. Aber das war eben wieder mal nicht gewollt. Die Gründe für diese Verweigerungshaltung der SPD liegen in den oben geschilderten Erfahrungen, die die SPD 1993 machte und die sie bis heute nicht überwunden hat und gänzlich falsch interpretiert.

Erinnern Sie sich vielleicht noch, als der Vorgänger SPD-OB, Herr Hilgen, zu Beginn der Diskussionsphase um den Verkehrsentwicklungsplan 2030, beim Rückflug aus einem Chinaaufenthalt im Sommer 2014, noch aus der Luft tönte bzw. die HNA wissen ließ: Mit ihm werde es kein Tempo 30 auf irgendeiner der großen Ausfallstraßen (Holländische, Frankfurter, Leipziger Straße) geben? Nie und nimmer! Vielleicht haben Sie das vergessen, aber wahr ist es trotzdem. Und wie symbolträchtig ist so ein Verhalten? Nicht einmal die Diskussion darüber wollte Hilgen zulassen, obwohl an diesen Straßen Tausende wohnen, die sich allein aus Lärmgründen nichts sehnlicher wünschten, denn eine Tempo- sprich Lärmreduzierung. Dieser Reflex, ja nichts zu machen, was die SPD in die Nähe derer rücken könnte, die dem Auto etwas „antun“ wollen, plagt und quält sie bis heute.

Die Grünen aber werden die Kasseler SPD vermutlich bald überholen, weil die Menschen, nicht nur in Kassel, eine andere Verkehrs- und Umweltpolitik brauchen. Und dann hat die SPD vielleicht Zeit, das Debakel von 1993 therapeutisch aufzuarbeiten.

Den Beirat freut‘s, den Pressesprecher von K+S, Herrn Willecke von K+S, nervt’s. Und um was geht es genau?

Zum Jahresende hat der Naturschutzbeirat des Landkreises an dieser Stelle
Das Gegenteil von einem launigen Rückblick auf die Arbeit des Naturschutzbeirates des Landkreises Kassel…

ausführlich über seine Arbeit im vergangenen Jahr berichtet. Da wir den Bericht zusätzlich an einen Presseverteiler geschickt haben, hat auch die HNA Anfang des neuen Jahres in verschiedenen ihrer Land-Ausgaben über unsere Arbeit berichtet. Auch wenn wir vermuten, dass Herr Willecke ab und an die Kassel-Zeitung checkt, so haben ihn die Veröffentlichungen in der HNA natürlich deutlich mehr gejuckt. Denn da kommen schon jeweils einige Zig-Tausend Leserinnen und Leser zusammen. Und da ihm unsere Kritik an K+S im Bericht nicht gemundet hat, reagierte Herr Willecke entsprechend empfindsam – ebenfalls über die HNA.

Seine Reaktion hatte zwei Ebenen: Zum einen erfährt die interessierte Leser/In, dass die begründete Kritik des Beirats an den gravierenden Versäumnissen des Konzerns im Hinblick auf seine Umweltpolitik haltlos sei: Der Beirat habe in seinen Augen einfach keine Ahnung, denn die raue Wirklichkeit der Kaliproduktion sei rückstandsfrei eben nicht zu haben. Zum anderen darf die geneigte Leserschaft zur Kenntnis nehmen, dass die verantwortlichen Landkreispolitiker indirekt dazu aufgefordert werden, dem Beirat endlich einen Maulkorb zu verpassen. Nicht mehr und nicht weniger ist gemeint, wenn Willecke davon spricht, dass wir gefälligst „rein naturschutzfachlich“ zu argumentieren hätten, also im Sinne von: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Weil wir es wagten, einen politisch äußerst bedeutsamen Sachverhalt – ein Konzern verschmutzt jahrzehntelang Werra und Weser, das Grundwasser und den Untergrund mit unvorstellbaren Mengen an Salzabfällen bzw. Salzabwasser unter eindeutiger Verletzung europäischer Gesetze in Form einer rechtskräftigen Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 – soll uns der Mund verboten, politische Äußerungen untersagt werden. Das als dreist zu bezeichnen wäre noch diplomatisch!

Wie die verantwortlichen Kommunalpolitiker des Landkreises auf die unverhohlene Aufforderung von Herrn Willecke reagieren, uns einen Maulkorb umzuhängen, wissen wir nicht. In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass wir in Bezug auf die lange Liste der Umweltsünden der K+S AG und auch hinsichtlich der ins Auge gefassten überflüssigen Leitung an einem Strang ziehen, also 100%ig gleiche Auffassungen haben, gehen wir davon aus, dass wir weiterhin Kritik an K+S, seinen Unterlassungen und Versäumnissen in punkto Umwelt, üben können.

Zu den inhaltlichen Kritikpunkten sieht es wie folgt aus: Ob uns Herr Willecke für ausreichend kompetent hält, ist nicht wichtig für uns. Wichtig für uns ist vielmehr, dass sich unsere Verlautbarungen am aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik orientieren und dass sie sich decken mit den Kompetenzen z.B. der Weser-Werra-Anrainerkonferenz und der der großen Umweltverbände. Wichtig ist für uns außerdem, dass andernorts in Europa durchaus positive Erfahrungen beim Salzabfallmanagement gemacht werden.

Die wesentlichen Aspekte der aktuellen Debatte sind die geplante Abwasserleitung bis zur Weser, die propagierte Haldenbegrünung kombiniert mit einer erweiterten Aufhaldung von Salzabfällen und die Frage nach zukunftsfähiger Technik zum Abbau ebendieser Halden unter Verwertung der in ihnen enthaltenen Rohstoffe. Natürlich gibt es noch viele andere offene und mehr oder weniger komplizierte Fragestellungen in Zusammenhang mit der hiesigen Salzproduktion. Aber diese drei Problemfelder stellen die Kernfragen dar. Sie entscheiden über die Zukunft der Salzindustrie in unserer Region und die Möglichkeit, die Arbeitsplätze langfristig zu erhalten und endlich zu einer Produktion überzuleiten, die im Einklang mit der Natur und der EU-Gesetzgebung steht.

An die Sinnhaftigkeit und an die Durchsetzbarkeit der teuren Abwasserleitung glauben die Herrschaften von K+S inzwischen selbst nicht mehr. Auch wenn, nach dem Plan von K+S, vielleicht der eine oder andere Kurzarbeitstag in den nächsten heißen und trockenen Sommerphasen durch diese Leitung vermieden werden könnte: Eine millionenschwere Leitung, die politisch und rechtlich kaum bzw. nur gegen allergrößte Widerstände durchgesetzt werden kann und die dann nur eine Verlagerung der Probleme bringt, wird am Ende selbst K+S nicht bauen wollen. Der Bau der Leitung und die gigantischen Absetzbecken sind ökologisch in jedem Fall unverantwortlich.

Und dass es gelingen sollte, die gigantischen Haldenflanken zu begrünen, was bislang noch nirgends in der Welt länger als für ein paar Jahre geklappt hat: Auch daran glaubt vermutlich auch bei K+S niemand mehr. Die eigenen Versuchsflächen sind, wir haben sie Ende 2017 selbst besichtigt, ein Witz! Sie sind entweder horizontal oder nur schwach geneigt und haben mit den realen Anforderungen der riesigen Haldenhänge mit bis zu 45° Hangneigung nichts zu tun. Die Vision, sie tatsächlich begrünen und damit relevante Regenwassermengen zurückhalten zu können, ist wissenschaftlich-ingenieurtechnischer Unsinn. Bislang hat K+S mit entsprechenden Versuchen in der Realität nur Schiffbruch erlitten. Das glorreich in die Hose gegangene Beispiel in Bokeloh lässt grüßen. Das Material rutschte ab und musste von der Straße wieder abgekratzt werden. Trotz dieses Desasters schwadroniert K+S weiter davon, mit dieser nicht funktionierenden Technik in den folgenden 60 Jahren 90% Haldenlaugenreduzierung erreichen zu wollen. Ein vollkommen unmögliches Unterfangen, zumal ja die bestehenden Halden permanent weiter ausgebaut werden sollen: Um sage und schreibe 50 bis 100 Prozent!

Wer mit unserer Skepsis gegenüber K+S und der von dort lauthals propagierten Haldenbegrünungsstrategie möglicherweise nicht einverstanden ist, wer vielleicht nicht glauben will, dass auch mit dieser Kampagne wieder nur Zeit gewonnen werden soll, der kann sich ja die folgende Internetseite von der K+S AG zu Gemüte führen:

http://www.k-plus-s.com/de/news/presseinformationen/2018/presse-180920.html

Wenn es nicht so traurig wäre, wär’s zum Lachen. Auf dieser Seite darf die geneigte Leser/in zur Kenntnis nehmen, dass die K+S AG nun, im September 2018, einen weltweiten Crowdsourcing-Wettbewerb zur Haldenabdeckung ausgeschrieben hat. Während man landauf landab, auch gegenüber den drei mit dem Salzthema befassten Ministerien, verkündet, was für eine geniale Idee das Abdecken der Halden doch sei, während man alle Kritiker und Experten, die von solchen Begrünungsmaßnahmen etwas verstehen, versucht, der Lächerlichkeit preiszugeben, muss K+S nun vor einem weltweiten Publikum eingestehen, dass sie bei diesem wichtigen Thema außer Nebelkerzen nichts im Köcher hat. Auf der Seite wimmelt es dann wieder von Versprechungen, die alle nichts kosten und in Anbetracht der realen Politik von K+S wie ein Lügengebilde anmuten. „Das Wissen vieler nutzen – für Innovation und Nachhaltigkeit“…, „K+S hat sich ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt“…, K+S „sucht nach neuen Ansätzen, Konzepten und Impulsen, um die Salzabwässer der Rückstandshalden deutlich zu reduzieren“. Diese Suche nach neuen Konzepten könnte, so gewollt, deutlich abgekürzt werden, weil sie längst vorliegen, diese „Konzepte“…

Während das Salzbergwerk in Katalonien bei Barcelona nach dem von der EU-Kommission ausgeübten Druck 2016 eine moderne Salzaufbereitungsanlage gebaut hat, ist nun, nachdem die EU-Kommission im Januar 2018 erneut mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gedroht hat, eine weitere Anlage in Bau. Näheres kann im Salz-Blog der Weser-Werra-Anrainerkommission (www.wasser-in-Not.de) nachgelesen werden. Solche Schritte sind in den Plänen von K+S, die in Abstimmung mit 3 Länderministerien geschmiedet werden, immer noch nicht vorgesehen. Es bleibt festzustellen, dass die von K+S Anfang 2018 in Betrieb gegangene KKF Anlage weit hinter den Erwartungen zurück bleibt und dass außerdem die erneuten Betriebsstillegungen von Sommer und Herbst 2018 damit nicht verhindert werden konnten.

Wir stellen abschließend fest: Die überfälligen Investitionen in die Zukunft der Salzproduktion in unserer Region stehen noch aus. Dass sie möglich wären, weiß auch die K+S AG und ihr Pressesprecher, Herr Willecke. Dazu müssen keine Naturgesetze geändert und es muss auch nicht permanent verlautbart werden, dass es eine abstoßfreie Salzproduktion nie geben könne: Vielmehr muss klug, rasch und konsequent in vorhandene Technik investiert werden. Seit 2012 liegen solche Konzepte der Ingenieurgesellschaft K-Utec vor. Sie wurden übrigens auf Anregung der Weser-Werra-Anrainerkonferenz erarbeitet und inzwischen sogar mehrfach aktualisiert. Die technische Qualität und wirtschaftliche Umsetzbarkeit dieser Konzepte sind von Prof. Dr. Quicker (RWTH Aachen) und vom Umweltbundesamt längst bestätigt. Und wäre ein weiterer Beweis nötig: Im Jahre 2014 lehnt K+S das Angebot der Stadtwerkeunion Nordhessen (SUN) und der Anlagenbauer General Electric (GE) ab, über einen Dienstleistungsvertrag aus den Abwässern von K+S Wertstoffe zurück zu gewinnen und die dann noch verbleibenden Reststoffe für einen gefahrlosen untertätigen Versatz, sprich Einbau in die Stollen, vorzubereiten. Der Plan seitens SUN bestand darin, aus Energieüberschüssen bei der regenerativen Stromgewinnung die notwendigen Energiemengen abzuzweigen, um das oben beschriebene Verfahren wirtschaftlich zu betreiben. Die neue Fabrik hätte 300 sichere Arbeitsplätze gebracht und wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Genau solche Schritte müssen jetzt eingeleitet werden, Herr Willecke!

Wer sich mit der Anzahl der Verkehrstoten im Straßenverkehr beschäftigt, auch nur im Vorbeiflug, versinkt in einem statistischen Nebel. Es gibt dennoch viele interessante, abgesicherte Daten dazu: Und diese Daten und Fakten haben eine Menge zu tun mit den aktuellen Diskussionen um eine Verkehrswende und um die vom Verkehr ausgehenden Umweltbelastungen.

So starben z.B. im Jahr 2011 weltweit ungefähr 1,24 Millionen Menschen an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Das sind 3.400 Menschen täglich. Damit sind Verkehrsunfälle die neunthäufigste Todesursache weltweit. Die Zahl der Verkehrstoten liegt weit über den Opferzahlen von Krieg, Genozid oder Terrorismus. Um die 22 Prozent der Verkehrstoten waren Fußgänger, weit über die Hälfte “weiche” Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Radfahrer und Motorradfahrer. Zwar konnten seit 2007 88 Länder die Zahl der Verkehrstoten spürbar reduzieren, in 87 Länder stieg sie jedoch weiter an. Die Zahl der Verkehrstoten sinkt in entwickelten Ländern, während Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen weiterhin steigende Zahlen an Verkehrstoten zu verzeichnen haben. Und dazu kommen noch unglaublich viele Verletzte: Ihre Anzahl wird auf jährlich etwa 40 Millionen geschätzt… Ein wahres Blutbad!

Auch für Deutschland gibt es genug Statistiken zum Thema. Selbst wenn es innerhalb dieser Zahlenkolonnen einiges an Widersprüchen gibt, so ist das Meiste gesichert und unstrittig: Auf allen deutschen Straßen sind seit 1950 780.000 Menschen gestorben! Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Frankfurt (SZ, 16.11.2018).
In den letzten 26 Jahren, zwischen 1992 und 2017, sind bei Verkehrsunfällen allein auf deutschen Autobahnen ca. 18.267 Menschen – Männer, Frauen, Kinder, Alte – gestorben. Schwerverletzte im selben Zeitraum gab es dort ungefähr 181.539. Die Zahl der leicht bis mittelschwer Verletzten liegt ungefähr 3 bis 4 Mal so hoch. Interessant ist jetzt, aus aktuellem Anlass, die Zahl der Toten auf deutschen Autobahnen, die aufgrund überhöhter Geschwindigkeit ihr Leben lassen müssen. D.h. aufgrund staatlich erlaubter Raserei! Was fast überall verboten ist, darf bei uns weiter praktiziert werden: das Rasen! Verschiedene Statistiken geben hierzu teils abweichende Prozentzahlen an. Geht man von den niedrigeren Zahlen aus, kommt man auf ungefähr 2.375 getötete Verkehrsteilnehmer im besagten Zeitraum, also in den besagten letzten 26 Jahren. Das sind, von all den vielen Verstümmelten und Verletzten abgesehen, nur diejenigen, die auf dem Altar einer falschen Verkehrspolitik, einem falschen Verständnis von Mobilität ausschließlich auf den Autobahnen geopfert worden sind.

Die Zahl der Toten ist in den letzten Jahren allerdings beachtlich gesunken. Hauptursache dafür ist die verbesserte, in den Autos direkt verbaute Schutztechnik wie Airbags etc.. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese 2.375 Toten zu viele sind.

Trotz der eindeutigen Faktenlage ist es jedoch nicht so, dass für das beschriebene Szenario allein die Autokonzerne und ihre lobbyorientierten PolitikerInnen verantwortlich sind. Vielmehr muss angemerkt werden, dass zum Druck der Konzerne und dem politischen Großversagen der regierenden Parteien noch kritikwürdige Einstellungen bei Autofahrern hinzukommen. Die sogenannte freie Fahrt für freie Bürger, angesichts der vielen negativen Folgewirkungen eines ausufernden Individualverkehrs, war immer schon ein großes Missverständnis. Dennoch hat sich dieser Leitspruch tief in die bundesdeutschen Gehirne eingegraben. Leider bis heute. All das zusammen führt zu einem nicht mehr entschuldbaren, unverständlichen Fehlverhalten, das in Verkehrsminister Scheuer seinen perfekten Ausdruck findet… Scheuer, wieder einmal drängt sich das Adjektiv beSCHEUERt auf, ist, wenn man ihn sprechen hört, der größte anzunehmende Verkehrs-Unfall im aktuellen Kabinett. Leider ist das ganze Kabinett auf diesem Politiksektor kein Glanzlicht. Scheuer jedenfalls sollte besser auf die bundesdeutsche Polizei hören, konkret auf Herrn Mertens, den Vizebundeschef der Gewerkschaft der Polizei, der ihn unmissverständlich darauf hinweist, dass ein Tempolimit auf Autobahnen sehr wohl mehr Sicherheit bringt und damit auch weniger Tote. Er lässt es gegenüber dem Unbelehrbaren an Deutlichkeit nicht fehlen: Während Scheuer die Forderung nach einem Tempolimit als „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet empfindet, hält ihm Mertens entgegen, dass so ein Limit Menschenleben rettete, weniger Schwerverletzte bedeutete und Staus verhinderte. Scheuer, ganz offensichtlich von der Kenntnis aller Fakten unbeleckt, läuft weiter Amok, indem er regulatorische Eingriffe in die weiterhin erlaubte Raserei als „Wahnsinn“ bezeichnet. Dass andere europäische Länder, wie z.B. Italien und Frankreich – auch sie verfügen mit Fiat, Renault, Peugeot u.a. über eine mächtige und leistungsfähige Autoindustrie – seit vielen Jahren gut mit ihren Tempolimits fahren, weiß jeder. Nur eben Scheuer nicht.

Mit einem Ende der Raserei auf den Autobahnen könnten, außer Menschenleben zu retten, noch große Mengen an klimarelevanten Gasen zurückgehalten werden. Damit haben wir die Überleitung zum nächsten Verkehrsministerversagen. Lt. Umweltbundesamt sinken bei einem Tempolimit von 120 km/h die CO2-Emissionen der Pkw‘s auf deutschen Autobahnen um ca. 9 %. Dies entspricht einer Menge von jährlich rund 3 Millionen Tonnen CO2. Mit seiner sturen, unbelehrbaren Politik sorgt er nicht nur für weiteres, unnötiges Sterben und Leiden auf den Autobahnen. Er verhindert auch die Chance mit leicht umzusetzenden Maßnahmen, positive Signale in Richtung Klimaschutz zu geben. Außerdem überlässt er Millionen von Stadtbewohnern ihrem Schicksal. Zu diesen Millionen Stadtbewohnern gehören insbesondere Kinder, Alte und Kranke und viele Menschen mit Atemwegserkrankungen. Auch wenn bei einer Überschreitung des Grenzwerts von 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft niemand gleich und auf der Stelle tot umfällt – genauso wenig wie ein Raucher nach dem Genuss einer Zigarette auf der Stelle stirbt – so ist Rauchen genau so schädlich wie das Einatmen stickoxid-belasteter Luft. Die häufigen Grenzwertüberschreitungen in vielen Ballungsräumen, gegen die Gerichte immer konsequenter vorgehen, müssen unbedingt beendet werden.

Auch wenn nun kürzlich eine Hundertschaft von Lungenfachärzten für Scheuers Politik in die Bresche gesprungen ist, die Luftqualität in den Städten für unbedenklich erklärt und Entwarnung für die Schädlichkeit von Stickoxiden jenseits der 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft* gegeben hat, sind diese Grenzwerte trotzdem ausgesprochen sinnvoll, richtig und notwendig. Sie beruhen auf den Erkenntnissen nicht nur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sondern sie gehen zurück auf die Expertisen Tausender Fachleute und zahlreicher Umweltorganisationen der ganzen Welt. Und die wissen ausgesprochen gut, worum es geht. Ein Lungenfacharzt hingegen ist in keiner Weise kompetent für diese Fragestellung, bei der es in erster Linie um die Abschätzung der Folgen der Nicht-Einhaltung von Grenzwerten von Luftschadstoffen geht.

Was wir brauchen ist eine neue Mobilitätspolitik, die sich an den Gesundheitsbedürfnissen aller Stadtbewohner orientiert, die den Klimawandel im Auge behält und die dem unnötigen Sterben auf den Autobahnen rasch ein Ende setzt. Die Konzerne müssen gezwungen werden, die durch europäische Gesetze festgelegten Grenzwerte beim Verkehr (beschlossen 1999, seit 2008 in Kraft!!) einzuhalten und die Dieselflotten schleunigst so umzurüsten, damit die Betrügereien durch wirksame Hardware-Nachrüstungen ein Ende haben. Die Kosten dafür tragen die Betrüger und Gesetzesbrecher bei VW, Mercedes, Audi und BMW. Dazu muss eine Ministerin oder ein Minister die Arbeit aufnehmen, die oder der die komplexe Gesamtproblematik erfassen und die Probleme rasch lösen kann. Scheuer darf sich demnach als entlassen betrachten.

Um bei der hochgradig aufgeladenen Verkehrspolitik einen Durchbruch zu erreichen, müssen sich allerdings auch die Grünen endlich wieder konsequent einmischen. Nach ihren Vorschlägen eines von oben verordneten vegetarischen Zwangstages, einer schnellen Spritpreiserhöhung auf 5 Euro etc. (was keine Gegenliebe ausgelöst hat), haben sich die Grünen lange nicht mehr getraut, bei einer so heiklen Frage wie dem Tempolimit Farbe zu bekennen. Bei derartigen Themen – Tempolimit auf Autobahnen, Fahrverboten in Städten für Diesel etc. – ist schnell Schluss mit lustig. Da kann es, wenn man ungeschickt agiert, mächtig Gegenwind geben. Auch wenn sich in den aktuellsten Umfragen eine knappe Mehrheit für ein Tempolimit abgezeichnet: Die Autokonzerne und unbelehrbare Autofahrer werden heftig zum Gegenangriff blasen. Aber zu einem Aufbruch zu neuen Ufern in Sachen zukunftsorientierter Mobilitätspolitik gibt es keine Alternative: Sie ist nötig und möglich.

Aber sie muss überall stattfinden. Natürlich und vor allem in den Städten. Und auch wenn es Kassels Oberbürgermeister Geselle nicht gerne hört: Dazu gehört Mut und Phantasie und – als ein Schritt zu Beginn – die konsequente Förderung des Radverkehrs, wo Kassel noch ganz besonders viel nachzuholen hat. Die von weit mehr als 21.000 BürgerInnen unterschriebene Petition in Zusammenhang mit dem Radentscheid für eine neue, umweltorientierte und sicherere Fahrradpolitik muss jetzt beginnen, nicht irgendwann! Deshalb ist die Ablehnung dieses Entscheids bestimmt nicht der richtige Weg.

*Die EU hat nicht nur den besagten Grenzwert von 40 Mikrogram pro Kubikmeter festgelegt, sondern außerdem, dass höchstens 18 Mal pro Jahr an einer Messstation ein Stundenmittelwert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten werden darf. Genau an dieser Stelle setzen die Klagen der Deutschen Umwelthilfe und die inzwischen in vielen Städten ergangenen Urteile an. Diese Werte gehen zurück – wie viele andere Grenzwerte auch – auf die begründeten Empfehlungen der WHO. Der maximale Stundenmittelwert basiert auf der gesicherten Erkenntnis, dass bestimmter Personengruppen (Kinder, Asthmatiker etc.) bei noch höheren Werten gesundheitliche Probleme bekommen…

Was für eine Geschichte! Zum Weinen schön! Fast so rührend wie das Tellerwäscher-Märchen: Ein kleiner, dörflicher Kommunalpolitiker aus Ahnatal, diesem kleinen Weiler hinterm Wald, am Nordwestrand des Oberzentrums Kassel, wird zum Chef-Lobbyisten der Bayer AG, die just in 2018 Monsanto incl. Glyphosat-Geschäft geschluckt und sich damit zum größten Agro-Chemie-Konzern der Welt aufgeschwungen hat. Einfach phantastisch! Ob Matthias Berninger (MB) früher vielleicht tatsächlich mal grün angehaucht war, spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Nun wird sich also MB zukünftig statt um das zuckersüße Geschäft von Mars Incorporated um das des Chemiegiganten Bayer kümmern. Er wird also den EU Abgeordneten – auch den dortigen Grünen – auf die Pelle rücken und ihnen einreden wollen, wie gesund und gut Glyphosat für die Umwelt und die Bayer-Bilanz ist. Was er dann dort machen wird, hat also gar nichts mit Bayer Leverkusen und dem Fußball zu tun, er wird auch Rudi Völler nicht unter die Arme greifen, nein, er wird vielmehr und ausschließlich versuchen, den Aktionären des Chemiegiganten Bayer Glücksgefühle mit steigenden Aktienkursen zu verschaffen. Dafür brauchen solche großen Unternehmen heute tüchtige Lobbyisten. Das wissen wir alle nur zu gut. Das Insektensterben und die vielen bei der Anwendung von Glyphosat, Round up etc. inzwischen Erkrankten werden MB nicht aufhalten: So jemand wie MB lässt sich von gar nichts auf seinem Weg nach oben aufhalten.

Und so wie er 2006 bei seinem Ausstieg aus der hiesigen Politik als kleiner, grüner Überflieger – gefördert und protegiert von Joschka, dem Fischer – bei seinem Wechsel aus der bundesdeutschen Politik zu Mars Incorporated der HNA gegenüber meinte, „…meine Biografie ist glaubwürdig…“, genau so wird er auch jetzt wieder, das ist nur ein Frage der Zeit, verlautbaren lassen: „…auch mein Wechsel zur Bayer AG ist glaubwürdig und passt wunderbar zu meiner Biografie…“! Wir finden das auch, allerdings aus durchaus anderen Gründen!

Aber zuerst wollen wir uns noch mal den Sidestep vom Bundestagsabgeordneten und Staatssekretär für Verbraucherschutz in der Schröderregierung (unter der grünen Agrarministerin Künast) genauer ansehen. Für ihn, als grünem Realo, war (und ist) es kein Schatten auf der Biografie, wenn er quasi vom Verbraucherschützer zum Mars-Verkäufer in gehobener Position mutiert. Dass da eigentlich was faul ist und etwas eher nicht zu einer grünen Biografie passt, wird erst verständlich, wenn man erkennt, dass MB damit vom Verbraucherschützer zum Lobbyisten eines der größten Feinde guter Ernährung geworden ist: der Zuckerindustrie nämlich. Denn spätestens seit den frühen 60iger Jahren ist klar, dass man es bei und mit der US-Zuckerindustrie – die Zuckerindustrien in den anderen Teilen der Welt sind auch nicht besser – im Prinzip mit Verbrechern zu tun hat. Es soll hier nur daran erinnert werden, dass es die Sugar Research Foundation war, eine Vorläuferin des heutigen Industrie¬verbands der US-Zuckerindustrie, die wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse in den 1960iger Jahren über ernährungsbedingte Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im New England Journal of Medicine verdreht und regelrecht gefälscht hat. Sie hat damit erfolgreich von den Risiken des Zuckerkonsums abgelenkt. Das versucht sie bis heute.

Diese damals verlorene Schlacht – auf der einen Seite verantwortungsvolle und engagierte Wissenschaftler, auf der anderen eben diese überaus mächtige Zuckerindustrie – ist aber bis auf den heutigen Tag noch nicht endgültig entschieden. Aber nicht, weil es wissenschaftliche Unsicherheiten gäbe. Vielmehr ist ganz unstrittig, dass das, was die Überzuckerung vieler Lebensmittel anrichtet, nach wie vor ein gigantisches Problem der Welternährung darstellt. Weiter drauf einzugehen, sprengt hier aber den Rahmen. Dass die Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit Zucker in Nahrungsmitteln, mit den vielen Folgewirkungen wie stark zunehmender Adipositas, Herz-Kreislauferkrankungen etc. vor allem in den entwickelten Ländern noch voll am Laufen ist – mit Siegen und Niederlagen – sieht man an den aktuellen politischen Auseinandersetzungen, z.B. in Großbritannien, aber auch bei uns in Deutschland. In Großbritannien sind neue Gesetzte gegen den Zuckerkonsum und übersüßte Softdrinks verabschiedet worden, die zu Steuererhöhungen und Werbeverboten geführt haben. Das hat, ganz nebenbei, auch etwas mit dem positiven Einfluss des genialen britischen Spitzenkochs, Jamie Oliver, zu tun. Und bei uns läuft seit Langem eine Auseinandersetzung um Kennzeichnungspflichten bei Lebensmitteln, die auch mit der Zuckerproblematik zu tun haben und deshalb von der Zuckerindustrie massiv bekämpft werden. Im Moment sieht es nicht so aus, als wäre das CSU-geführte Ministerium bereit, der Zuckerindustrie das Fürchten beizubringen. Dort – wie auch im Verkehrsministerium des smarten Herrn Scheuer (da weiß man nie so genau, ob dessen Name vielleicht sogar von der Vokabel beSCHEUERt abgeleitet ist?) – haben es die Lobbyisten im Moment offenbar besonders leicht, wie die Dieseldebatte so überaus deutlich zeigt. Denn so wie einst Kanzler Schröder sich als Freund der Autobosse aufführte, so ist es heute Scheuer, der den Beschützer eben dieser Bosse mit so großer Überzeugungskraft gibt!

Zurück zum Zucker: Zucker ist und bleibt einer der „Hauptübeltäter“ in unserer Nahrung: Schädlich, dick und süchtig machend und am Ende die Gesundheitssysteme stark belastend! Und das Zwischenfazit: Wohl dem, der bei der Mars AG Chef-Lobbyist sein darf, einer der größten Monster-Zucker-Küchen des Planeten mit einer Produktpalette, die von den Zuckerbomben Amicelli, Balisto, Banjo, Bounty, Celebrations, Dove, M&M’s bis hin zu Maltesers, Mars, Milky Way, Snickers, Twix reicht. Wohl dem auch, der keinen Widerspruch empfindet beim Schritt vom Verbraucherschützer zu einem der machtvollsten Zucker- und Süßwarenverkäufer. Hochbezahlt natürlich und völlig mit sich im Reinen.

Nun aber kommt MB’s entscheidender Schritt: der von Mars zu Bayer. Hat MB vorher noch dazu beigetragen, dass Millionen von Kindern auf der ganzen Welt beim Essen und Naschen von Mars-Produkten wenigstens noch die zuckrige Schokolade wohlschmeckend auf der Zunge zergangen ist (die Folgen kommen ja meist erst viel später in Form von schlechten Zähnen, Gewichtszunahme und diversen Krankheiten), so zahlen die Käufer, Anwender und Lebensmittel-Konsumenten auf der ganzen Welt für den Einsatz bestimmter Bayer-Produkte (Glyphosat ist ja nur eins der Flaggschiffe) mehr oder weniger sofort: Mit einem inzwischen globalen Insektensterben, mit einer rasanten Abnahme der Artenvielfalt und der gleichzeitigen Zunahme vieler Krankheiten beim Menschen – bis hin zu Krebs. Natürlich gibt es Untersuchungen, die direkt von Monsanto und heute von Bayer beeinflusst sind und die immer noch das Gegenteil behaupten. Unabhängige Gutachter hingegen kommen sowohl in Bezug auf das Insektensterben als auch auf die Auslösung schwerer Krankheiten zu gänzlich anderen Ergebnissen. Dass wir es einem Agrarminister von der CSU zu verdanken haben, dass der Glyphosat-Einsatz in der EU 2018 noch einmal für 5 Jahre verlängert wurde (weil er sich nicht an den im Merkel’schen Kabinett verabredeten Abstimmungsmodus gehalten hat), sei hier nur nebenbei angemerkt. Ganz unabhängig davon laufen in den USA tausende Klagen und Prozesse gegen Monsanto resp. die Bayer AG, die dem Konzern noch teuer zu stehen kommen können. VW wird sich an die 25 Milliarden noch gut erinnern, die die Betrügereien dort gekostet haben. Auch bei Bayer könnte die US-Justiz noch große Löcher in die Bilanzen reißen.

All das wird den Ex-Grünen MB aber nicht beeindrucken, denn er wird sich nun das ganze Szenario durch die Bayer-AG-Brille anschauen. Und mit diesem völlig veränderten Blick wird er seinen erneuten Seitenwechsel damit rechtfertigen, dass es eben nicht um den einen oder anderen Erkrankten und Toten gehen könne und auch nicht um das (Aus-)Sterben bestimmter Tierarten, vielmehr um die Ernährung der steigenden Weltbevölkerung und deren Gesunderhaltung. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau dafür braucht es eben all das, was die wunderbare Produktpalette von Bayer so hergibt: Pharmazeutische Produkte für Mensch und Tier, genetisch modifizierte Saatgutproduktion (die vor allem in den Entwicklungsländern für große Probleme sorgt), Pflanzenschutz und Kundenservice für die globale Agrarwirtschaft. Der so geweitete, in Wirklichkeit jedoch verengte Blickwinkel, wird MB die Argumentationsbasis für die erneute Kompatibilität mit seiner einst grün eingefärbten Biografie liefern. Wer ihm und seinen Karrierebedürfnissen also gerecht werden will, muss ihm argumentativ folgen und ebenfalls den Planeten und die ganze Menschheit in den Blick nehmen. Vieles aber spricht dafür, dass Bayer und seine Aktionäre, zusammen mit vielen anderen Giganten einer entfesselten Marktwirtschaft, nicht die Probleme der Menschheit lösen wird, vielmehr Teil des Problems ist. Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sieht es so aus, dass Bayer und Co. die Hauptverantwortlichen dafür sind, dass der Planet in möglicherweise überschaubaren Zeithorizonten für uns unbewohnbar gemacht wird.

Die wohlklingenden Werbeslogans von Bayer „…die wachsende und zunehmend älter werdende Weltbevölkerung verlangt nach einer immer besseren medizinischen Versorgung und einer ausreichenden Ernährung. Bayer erhöht die Lebensqualität von Menschen durch die Vorbeugung, Linderung und Heilung von Krankheiten….“, die genau so klingen wie die verlogenen Werbeslogans von VW „…Unser Diesel ist clean…“ oder die seltsam ehrlichen von BMW „Gebaut, um den Atem zu rauben“, zeigen deutlich, dass Anspruch und Werbung dieser Konzerne mit den Folgewirkungen nichts zu tun haben. Bei Bayer ist das am Signifikantesten: Sie geben vor, im Dienste der Menschheit tätig zu sein, tragen aber in Wirklichkeit wesentlich mit dazu bei, dass deren Chancen auf dem Planeten Erde zu überleben, systematisch untergraben werden…

Wer das nicht sieht und statt dessen nur auf den eigenen Einfluss, die Karrierebeschleunigung und weiter steigende Bezüge achtet, muss sich überhaupt nicht darauf berufen, irgendwann mal vielleicht einen grünen Gedanken gehabt zu haben. Der Aufstieg vom Ahnataler Kommunalpolitiker zum Cheflobbyisten bei Bayer ist das konsequente Nutzen aller Möglichkeiten, die sich MB geboten haben. Eindeutig: Er hat keine sich ihm bietende Chance verpasst, schnell voran zu kommen…

Möglicherweise hat MB schon früh gewusst, dass er nicht in Nordhessen bleiben will. Allein die Wahl der Partei ist für seinen späteren Lebensweg schon positiv gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, in einer der beiden damals noch großen Parteien SPD oder CDU so schnell aufzusteigen, wäre nicht gegeben gewesen. Bei den Grünen und der FDP ist das Verhältnis von Parteimitgliedern zu verfügbaren und aussichtsreichen Posten einfach günstiger. Und sich im Windschatten von Fischer nach oben auf den Weg zu machen, war auch klug. So früh und so jung schon einen Spitzenposten in einer Bundesregierung zu haben und für Mars liegen zu lassen: Das spricht Bände! Ebenso wie der Wechsel zu Bayer. Das alles hat mit Karriereplanung und was weiß ich zu tun, aber nichts damit, dass vielleicht noch etwas von grünen Denkresten im Kopf von MB übrig geblieben ist. Und ob er noch Mitgliedsbeitrag bei den Grünen bezahlt, wonach sich die HNA neulich noch so interessiert und neugierig erkundigte, ist einfach wurscht.

MB ist mit einem angegrünten Ticket in den frühen 90igern in Nordhessen gestartet und jetzt dort angekommen, wo er hin wollte und hin gehört. Ganz weit oben. Den Autor erinnert sein Werdegang ein wenig an ein Lied von F. J. Degenhardt. Der singt 1977 über einen befreundeten sozialdemokratischen Karrieristen, den er ‚Wildledermantelmann‘ nennt. Am Schluss des Liedes fragt er ihn: “…und wie ist das Gefühl, wenn man so langsam, langsam, langsam driftet nach rechts…“? MB könnte man fragen, ganz ohne Gesang: Und wie ist das Gefühl, wenn man jedes grüne Denken aufgibt und verrät, allein für die private Karriere und das Verkaufen von Glyphosat?

Damit stimmt möglicherweise auch der schlichte Satz, den die Bayer Pressestelle in Bezug auf die Karriere von MB kürzlich twitterte, wie man der HNA entnehmen konnte: Er sei eben „der richtige Mann zu richtigen Zeit am richtigen Ort“. Genau so ist es.

Wären die BMW’s bzw. ihre Abgase nicht so ungesund (wie die der Autos der anderen Konzerne auch), wär’s zum Lachen: Das ganze seit vielen Jahren andauernde Diesel-Theater und das Ringen um bessere Atem-Luft von Millionen, Atem-Luft, die wir alle bekanntlich nicht nur zum Atmen, vielmehr zum Leben und zum Gesundbleiben dringend brauchen, insbesondere in den großen Städten und Ballungsräumen, wird durch den Slogan für die neue 8er Serie von BMW knackig auf den Punkt gebracht: Gebaut, um den Atem zu rauben! Gekonnter kann man es wirklich nicht ausdrücken!

Man versteht die Welt nicht mehr: Die EU verklagt die Bundesrepublik wegen Nicht-Einhaltung vorgegebener Auto-Abgas-Grenzwerte, die Bundesregierung – statt auf die Einhaltung ebendieser Gesetze zu drängen – schützt seit Auffliegen eines der größten industriellen Betrugsmanöver aller Zeiten die gangsterhaften Autokonzerne und die wiederum weigern sich in aller Offenheit immer noch hartnäckig (aber sehr erfolgreich), für die erforderlichen Hardware Nach- und Umrüstungen aufzukommen. Eine lehrreiche Geschichte, fast eine Fabel, aber ganz ohne den fabel-üblichen moralischen Schlussakkord: Denn von Moral kann hier beileibe keine Rede mehr sein, denn die Zeche werden am Ende zum einen die getäuschten Autokäufer und zum anderen die um bessere Luft zum Atmen betrogenen Abermillionen Bundes- und Stadtbürger zahlen.

Und die Krönung? Die Geschwister Stefan Quandt und Susanne Klatten erhalten von BMW mehr als eine Milliarde Euro Dividende. Der Autokonzern hat in 2017 6,9 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Nach dem Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat sollte genau ein Drittel davon als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Da die Familie Quandt 46,7 Prozent der BMW-Stammaktien hält, bekommt sie von BMW von den 2,3 Milliarden Euro schlappe 1,1 Milliarden Euro auf ihr Konto überwiesen. Von daher ist mehr als einleuchtend, dass – weil ja auch noch die Kosten für die teure o.a. Werbung (Gebaut, um den Atem zu rauben) beglichen werden musste – nix mehr übrig bleibt für die Hardware Nachrüstung. So gute und bestimmt ebenso gewichtige Gründe haben die anderen Konzerne – VW, Audi, Daimler… – sicher auch.

Ob das gut ist für ein Land, wenn 5,4 Millionen Kinder arm sind bzw. aus der Armutsfalle schlecht oder gar nicht wieder heraus finden und ein Bruderpaar – neben den anderen Milliarden, die es ohnehin schon hat – für 2017 etwa 1,1 Milliarde zusätzlich bekommt, mag entscheiden, wer will. Aber gut für gar nichts ist es, dass sich ein derartiger Reichtum in privaten Händen zusammenballt, während viele Schulen mehr als marode sind, Lehrer und Altenpfleger an allen Ecken und Kanten fehlen, das Geld für Frauenhäuser nicht da sein soll. Die Liste der vielen weiteren, mehr oder weniger gravierenden Defizite in unserem eigentlich reichen Land ist lang und schmutzig, sprengt aber hier definitiv den Rahmen. Es beruhigt mich deshalb sehr, dass allein 2017 noch einmal 250.000 neue Millionäre dazu gekommen sind. Eine schöne Nachricht: Dann sind die Quandts und Klattens nicht mehr so allein.

Das ist alles ist nicht das Resultat der Kontinentalverschiebung, vielmehr das Ergebnis von falscher und inkompetenter Politik, die alles andere denn alternativlos ist.

Nun ist es so weit: Jeder kann sich anschauen, dass den Planern des Landes bzw. denen des Justizministeriums und den Verantwortlichen der Stadt – Letztere, weil sie es nicht verhindert haben – tatsächlich nichts Besseres eingefallen ist als der befürchtete, beschissene, asphaltierte und vollkommen kahle Parkplatz – mitten im Herzen des Vorderen Westens! Ich habe es kommen sehen und muss nun, zu meinem Bedauern, feststellen, mit meinen Befürchtungen richtig gelegen zu haben… Wer will, kann sich das hier
Wichtige Städtebauprojekte: Wann endlich emanzipiert sich die Stadt dem Land gegenüber?
und/oder hier, auf der Seite 6 der Ausgabe Nr. 23 der Kasseler Linkszeitung…
https://kasseler-linke.de/images/stories/pdf/linKSzeitung_23.pdf

gerne noch mal ansehen…

Worum geht’s? Von bis 2015 bis 2018, nach dem Auszug des Finanzministeriums und langem Leerstand, ist das schöne Gebäude an der Kreuzung Goethestraße/Germaniastraße/Reginastraße zu einem weiteren Justizzentrum um- und ausgebaut worden: für den Verwaltungsgerichtshof und das Verwaltungs- und Sozialgericht. Das Gebäude hat großen Reiz und ist perfekt in Szene gesetzt, auf jeden Fall von außen. Damit hat der Westen ein weiteres Juwel im Stadtteil. Von Anfang an aber stand zu befürchten, dass das Grundstück neben diesem Gebäude – das auch dem Land gehört – für einen hässlichen Parkplatz für die Bediensteten missbraucht wird. Und genau so ist es nun gekommen. Dieses herrliche Grundstück ist damit krass unternutzt und mutiert zum Schandfleck: Damit gerät das Ganze stadtklimatisch, städtebaulich, wohnungspolitisch und verkehrsplanerisch zu einer formidablen Bankrotterklärung. Und leider reiht sich dieses Totalversagen der politisch für dieses Desaster Verantwortlichen ein in eine ganze Serie von Fehlschlägen in der Kooperation von Stadt und Land. Alle Anforderungen für diesen städtebaulich so bedeutsamen Ort werden damit nicht eingelöst.

An dieser stadtgestalterisch prägnanten Stelle hätte es vielmehr einer klaren Intervention von Seiten der Stadt bedurft! Mit unmissverständlicher Klarheit hätten die städtischen Vertreter den entsprechenden Landesbehörden klarmachen müssen, dass für die Stadt hier eine möglicherweise langjährige Stellplatzorgie nicht in Frage kommt. Auch keine jahrzehntelange Hängepartie für vielleicht weitere Justizprojekte in irgendeiner fernen Zukunft. Die planungsrechtlichen Instrumente liegen bereit und könnten eingesetzt werden. Dafür und dazu ist aber, seit Jahren, das zeigen viele Beispiele, die Stadt offensichtlich nicht willens und nicht bereit. Zu komplex und vielfältig sind ganz offensichtlich die Abhängigkeiten zwischen Land und Stadt. Eins von diesen Beispielen ist das trostlose Finanzamt, das in den Wintermonaten schon ab 16 Uhr als monotoner Klotz dunkel, düster und monofunktional an der Fulda herumsteht. Nur wenige Meter entfernt davon liegt die neue, recht lebendige Unterneustadt. Mit ihr hat die Stadt den Beweis angetreten, dass sie weiß sowohl um Innenentwicklung als auch Nutzungsmischung; das sind nämlich keine stadtplanerischen Modeworte, vielmehr wichtige Lehren u.a. auch aus den Fehlern des desaströs missglückten Wiederaufbaus westlich der Fulda unmittelbar nach dem Krieg. Die Wiedergründung des Kerns der Unterneustadt ist im Übrigen auch vom Land mitfinanziert worden, zumindest in den Anfängen: Um einen erfolgreichen Start des Projekts zu ermöglichen. Umso unverständlicher ist es heute, wo doch hier in Kassel grün/rot und im Land seit geraumer Zeit grün/schwarz „am Drücker“ sind, dass man sich auf „grünen Gleisen“ nicht verständigen kann darüber, dass so ein städtebaulicher Schwachsinn im Herzen des Vorderen Westens unterbleibt und damit nicht am Ende aller Sanierungsbemühungen ein grottenhässlicher Parkplatz das Ganze krönt…

Auf dem in Rede stehenden Standort muss ein Gebäude errichtet werden, das – der historischen Bebauung kritisch folgend und modern umgesetzt – vor allem Wohnen im unteren, günstigen Preissegment realisiert. In einer Tiefgarage kann das Land, wenn sich im öffentlichen Raum keine verträglichen Doppelnutzungen finden sollten, per Vertrag seine stark reduzierten Stellplatzbedürfnisse realisieren: Behindertenstellplätze und Plätze für unerlässliche Dienstwagen. Alles andere lässt sich mit Jobtickets und öffentlichem Verkehr regeln. Darüber hinaus könnte hier auch ein minimierter Stellplatzbedarf für die Wohnungen obendrüber befriedigt werden… Im Erdgeschoss wären ein oder zwei Ladengeschäfte sinnvoll; im 1. OG Büros. Darüber nur noch die besagten günstigen Wohnungen. Um auch gestalterisch das Optimum zu erreichen, sollte die Stadt einen Architekturwettbewerb vorschreiben.
Die jetzige Lösung ist keine bzw. von allen denkbaren Lösungen die Schlechteste. Und deswegen kann das auch so nicht bleiben! Ich wiederhole mich, wenn ich sage resp. schreibe: Übernehmen Sie, Herr Stadtbaurat: Das ist Ihr Part!