Mobilitäts- oder Stellplatzpolitik

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Neue Projekte mit Chancen

Gerade bei den Projekten Umbau Friedrich-Ebert-Straße (FES) und Entenanger wird deutlich, dass es in Kassel seit Jahren keine Verkehrspolitik mehr aus einem Guss gibt. Oder anders formuliert: es gibt seit Jahren keine Politik, die anknüpft an dem Prozess, der in den 80iger Jahren zum Generalverkehrsplan geführt hat. Und es gibt erst recht keine Politik, die auch nur im Entferntesten den Namen Mobilitätspolitik verdiente. Aber genau darum geht es eigentlich: Das kommunalpolitische Oberziel dessen, was in Kassel immer verkürzt Verkehrspolitik genannt wird, ist eine optimale, d.h. sichere, umweltfreundliche, platzsparende und Ressourcen schonende Mobilitätspolitik. Eine solche Form von Verkehrspolitik sieht im Mittelpunkte aller Raum in Anspruch nehmenden planerischen Aktivitäten nicht das Auto und seine Halter, sondern vielmehr alle Menschen, die sich im urbanen System bewegen wollen und müssen: zu Fuß, mit dem Rad, den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Auto. Wie die Debatte über die beiden eingangs erwähnten Projekte zeigt, ist unsere Stadt, im Gegensatz zu vielen anderen Städten in der Bundesrepublik, von Skandinavien, Holland etc. ganz zu schweigen, weit entfernt von einem solchen Verständnis von Mobilität.

Mobilitätspolitik ist mehr als Verkehrspolitik

Verkehrspolitik in Kassel reduziert sich leider all zu oft auf die kompromisslose Forderung nach einer ausreichenden Zahl von Stellplätzen in allen Projektphasen. Häufig sind diese Forderungen regelrechte „Totschlags-Argumente“, Argumente, die den Status quo zementieren. Und häufig sind sie, je nach Planungsbereich, gekoppelt mit Forderungen nach Qualitätsverbesserungen auch für den fließenden Individualverkehr. Beide Projektbereiche – FES und Entenanger – leiden aber weder unter Stellplatzmangel noch an Platz und Raum für den Individualverkehr, vielmehr unter einem Geflecht ganz unterschiedlicher Defizite. Geringe Aufenthaltsqualitäten haben aber beide und zwar in erster Linie deshalb, weil bestimmte positive Potentiale – gerade wegen der einseitigen Orientierung auf den Individualverkehr – nicht oder fast nicht zur Geltung kommen. Während der Entenanger förmlich zugestellt ist mit Autos, deren Insassen hauptsächlich zum Shoppen in die Obere Königsstraße enteilen (obwohl mehr als genügend Stellplätze in der Kasseler Innenstadt zur Verfügung stehen), leidet die FES zusätzlich daran, dass ein großer Teil des Individualverkehrs hier ausschließlich „durchrauscht“. Es ist in beiden Fällen, so unterschiedlich die räumliche Ausgangs- und Problemlage auch sein mag, gerade die mangelnde Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Interessen anderer am Verkehrsgeschehen Beteiligter, die dazu führt, dass neue Freiraum- und Aufenthaltsqualitäten nicht erreicht werden. Wenn es nämlich gelänge, die FES und den Entenanger wie z.Z. vorgesehen und geplant, zum baumüberstandenen, interessanten Boulevard einerseits und zur multifunktionalen grünen Oase im Herz der Stadt andererseits umzuwandeln, wären die Probleme mit den unwirtlichen und wenig einladenden Leerständen der Geschäfte schnell Vergangenheit. Diejenigen, die sich häufig am lautesten und am heftigsten gegen einen Umbau sträuben, die Geschäftsleute, sind am Ende – nach den realisierten Verbesserungen – die Gewinner. Und mit ihnen auch die Eigentümer der Immobilien, die von weiterem Wertverlust verschont bleiben. Und so verrückt es klingt: diejenigen, deren Interessen bei Straßen- und Platzplanungen oft genug nicht ausreichend gewürdigt werden – seien es Fußgänger, Radfahrer, Kinder und/oder Behinderte – müssen ihre Interessen durchsetzen lernen gegen den lauten und professionellen Widerstand der Eigentümer und Gewerbetreibenden. Auch wenn die am Ende – ökonomisch zumindest – mit profitieren.

Schluss mit der bornierten Stellplatzzählerei

Damit es aber zu den geplanten Verbesserungen auch wirklich kommt und damit nicht wieder die Autolobby das Rennen macht bzw. die sich durchsetzen, deren begrenzter Horizont den Pegelstand der Ladenkasse mit der Anzahl von Stellplätzen gleichsetzt, bedarf es deutlich mehr Mut, Transparenz und Durchhaltevermögen im Magistrat und im OB Büro, als das im Moment gegeben ist. Und die Führungsmannschaft im Rathaus und der Stadtbaurat müssen klar machen, dass städtische und urbane Qualität das Oberziel, die Anzahl von Stellplätzen untergeordnet ist.

(aus LinksZeitung Jahrgang 3 – 2/09)