Nie würde ich sagen oder schreiben, dass das Handeln des ZRK in den vergangenen Jahrzehnten das Hagelinferno, wie es sich am vergangenen Donnerstag in Kassel abgespielt hat, direkt ausgelöst hätte. Das wäre falsch oder zumindest nicht ganz richtig. Vor allem aber zu kurz gegriffen. Dennoch, und das ist wahr und bitter zugleich, hat die Vollversammlung (VV) des ZRK jahrzehntelang ignorant agiert. Sie hat

  • die bedrohlichen Fakten von Klima- und Ökologiekrise immer wieder zur Seite geschoben,
  • es immer nur beim Reden über Innenentwicklung, Begrünung, Entsiegelung, Ressourcenschonung etc. belassen und
  • bei unzähligen Bau- und Entwicklungsprojekten immer wieder massiv gegen bessere Einsichten und wissenschaftliche Erkenntnisse und die eigenen Pläne und Ziele gehandelt.

Damit hat der ZRK sehr wohl etwas mit der dramatischen halben Stunde am 22. Juni 2023 zwischen halb 5 und 5 zu tun. Schon vor langen Jahren sind genau solche Ereignisse – Dürren, Waldbrände, Starkregen und all das immer heftiger und in immer rascherer Abfolge – für unsere Region in Nordhessen präzise prognostiziert und angekündigt worden. Gebrannt hat es gerade auch hier bei uns, in Kaufungen und am Hohen Gras. Und besagter Nachmittag am 22. Juni 2023, so besonders er in seiner meteorologischen Besonderheit und Ausformung gewesen sein mag, war dennoch keine Einzigartigkeit. Denn auch wenn das je persönliche Gedächtnis solche Ereignisse nicht zuverlässig speichert und noch schneller wieder vergisst, so sind die regionalen Wetteraufzeichnungen längst exakt genug, um klar erkennen zu lassen: Die Anzahl ungewöhnlicher und gefährlicher Wetterphänomene hat auch bei uns deutlich zugenommen. Mit entsprechenden Risiken für eine unsichere Zukunft …

Es bestünde also auf jeden Fall Anlass genug, nachdenklich zu werden und aufzuhören, die selben Fehler ewig zu wiederholen. Denn es reicht eben nicht, teils schon richtige Öko-Vokabeln im Mund zu führen und in die mehr oder weniger verbindlichen Dokumente und Pläne hehre ökologische Ziele hinein zu formulieren. Das reicht und hilft nicht, wenn bei den Beschlüssen zu beinahe jeder Flächennutzungsplan-Änderung doch wieder, also beim konkreten Handeln, das Gegenteil von alledem gemacht wird, was eigentlich notwendig wäre.

Womit wir beim Bericht über die letzte Verbandsversammlung (VV) am 21. Juni 2023, also just am Vortag des Hagelinfernos, angekommen wären, wo sich das oben Gesagte und Kritisierte wunderbar belegen lässt. Diesem Bericht soll aber noch eine kleine Episode vorweggeschickt werden.

Dieselbe Kritik, die ich am 22. Juni 2023 erneut formulierte und die ich mit dem aktuellen Kurzbericht konkretisieren möchte, habe ich im Juni 2022, laut, vernehmlich und in Überlänge ebenfalls geäußert. Die Überlänge lag vor allem an den vielen ökologischen Katastrophen, die zu der Zeit, also im Juni 2022, den Planeten erfasst hatten. Denn es brannte nahezu überall: von Brandenburg bis Florida, von der französischen Mittelmeerküste bis Australien und in Griechenland und Spanien über Monate hinweg sowieso. Dass der Po kein Wasser mehr führte und ganz Oberitalien unter Wassernot ächzte, haben die meisten vermutlich schon wieder vergessen! Aber selbst die Grünen juckte das alles kein bisschen. Man wisse das doch alles und was das denn mit dem ZRK zu tun habe? Dennoch wollte man im Juni 2022 meinem Ansinnen nicht folgen und auf den Neubau einer neuen, großen Sporthalle auf den Giesewiesen im Süden Kassels, geplant mitten hinein in eine bedeutsame Kaltluftbahn, verzichten. Ohne jeden Sinn und Verstand, gegen jede Einsicht in Bezug auf die sich in den Sommermonaten stark erhitzenden Städte, wollte man eben dort so eine Halle errichten. Dass nun die Pläne von Ex-OB Geselle für dieses Bauprojekt erst einmal aufgeschoben sind, hat leider mit der Einsicht in die Notwendigkeit, solche Dummheiten tunlichst zu unterlassen, nichts zu tun.

Wer will, kann das Ganze hier noch einmal ausführlich nachlesen:

Zurück zum Juni 2023, wo es dann ganz ähnlich wie im Juni 2022 zugehen sollte, womit auch klar wurde, dass man in dem einen Jahr nichts dazugelernt hatte:

Beispiel 1: Aldi Nord will in Vellmar an der B 83/Zum Feldlager seine Verkaufsfläche von 950 auf 1300 qm erhöhen. Davon geht meiner Meinung nach die Welt nicht unter, auch wenn es unnötig wie ein Kropf ist, denn die Versorgung mit solchen Märkten ist längst übererfüllt. Dennoch wird weder auf der Ebene der Flächennutzungsplanung noch auf der Ebene der Bebauungsplanung etwas unternommen, damit sich die Gesamtsituation in diesem Bereich ökologisch und klimatisch verbessert. So wird weder Einfluss darauf genommen, dass der zubetonierte, riesige Parkplatz mit Bäumen begrünt wird, noch darauf gedrungen, dass nach Abriss und Neubau das wieder nur eingeschossige Gebäude z. B. mit einem 2. oder 3. Geschoss für Büroflächen ergänzt und anschließend mit einem Gründach incl. Photovoltaik versehen wird. Unser Ansinnen, in eben diese Richtung zu agieren und mit Aldi zu verhandeln, wird abgeschmettert. Der ZRK muss aber endlich aktiv werden und seine Möglichkeiten ausschöpfen. Denn ohne die vorauslaufenden kommunalen Planungen – in diesem Fall eben die Flächennutzungsplan-Änderung durch den ZRK und daraus abgeleitet der Bebauungsplan der Stadt Vellmar – können Private, in diesem Fall Aldi-Nord, ihre Pläne nicht umsetzen. Aber wie immer handeln beide, ZRK und Stadt Vellmar, nicht in diesem Sinne. Vielmehr lassen sie die Dinge laufen.

Beispiel 2: Wir wollten mit einem eigenen Antrag die VV des ZRK dazu veranlassen, die Stadt Baunatal von ihrem Vorhaben abzubringen, ein über 20 Hektar großes, neues Baugebiet zwischen Lützel und dem nördlichen Siedlungsrand von Großenritte zu errichten. Es steht im Widerspruch zu allem, was sich der ZRK für die kommenden Jahre vorgenommen hat. Es liefe auf den Verlust wertvoller Ackerflächen hinaus mit entsprechend großräumigen Versiegelungen. Aber auch da gab es keine Einsicht: Es sei eben Sache der Kommune zu entscheiden, in welche Richtung Sie sich entwickeln wolle und wieviel Einfamilienhäuser sie zusätzlich noch in die Landschaft setzen möchte. Wir sehen das anders: Auch wenn die Kommunen darüber letztlich zu entscheiden haben (das regelt die Hess. Gemeindeordnung), so könnte der ZRK durchaus seinen Mitgliedskommunen eindeutig signalisieren, dass es für solche aus der Zeit gefallenen Mammutprojekte die notwendige Flächennutzungsplan-Änderung eben nicht mehr geben wird. Und alle wissen außerdem genau: Die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung auch in unserer Region zeigen, nach den Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes, eher in Richtung Bevölkerungsabnahme. Die in Baunatal imaginierten Bevölkerungszuwächse sind eine reine Fata Morgana. Aber unserem Antrag wollte dennoch niemand folgen.

Nun liegt unsere Hoffnung auf dem Widerstand vieler aktiv gewordener, kluger Baunataler BürgerInnen, die das Projekt aus guten Gründen ablehnen und auch darauf, dass einige Bauern ihr Land nicht für so einen Irrsinn hergeben. Es muss wohl auch mit Klagen gerechnet werden, sodass in diesem Fall noch Hoffnung besteht.

Beispiel 3: Wir hätten uns im Kasseler Osten, wo anstelle des Pleite gegangenen Baumarkts Max Bahr nun ein neuer Möbelmarkt entstehen bzw. einziehen soll, einen mutigeren ZRK gewünscht. Denn planungsrechtlich ist das eigentlich nicht möglich, weil im sogenannten „Entwicklungsplan Zentren“ für diesen Bereich ein Bau-, aber kein Möbelmarkt zugelassen ist. Durch Ungeschicklichkeiten der beteiligten Ämter der Stadt Kassel konnte der Investor für sein Vorhaben aber ein Schlupfloch für seine Pläne finden. Wir regten deshalb an, dass der ZRK zumindest prüfen möge, ob nicht vielleicht auf der Ebene der Flächennutzungsplanung eine Klagemöglichkeit für diese klare Fehlentwicklung besteht. Denn ein weiterer Möbelmarkt in diesem Sektor der Stadt Kassel würde nur zu einer Überversorgung und Kannibalisierung führen. Aber auch das war nicht gewünscht. Es gab auch keinerlei Bereitschaft dafür, durch weitsichtige Planänderungen eine andere Entwicklung für diesen Bereich – z. B. mit ideenreichem Wohnungsbau, gemischt mit Büroflachen und ggf. anderen Nutzungen – ins Auge zu fassen. Erneut Fehleinzeige!

Beispiel 4: Mit einem schlichten, inhaltlich leicht zu erfassenden und ähnlich leicht umzusetzenden Antrag wollten wir eine zusätzliche Offensive in Sachen Nutzung der Solarenergie im ZRK-Bereich starten. Erfreulicherweise haben Landkreis und ZRK zusammen ja schon eine Initiative ergriffen, bei der es um die Nutzung von agrarischen und anderen Frei-Flächen außerhalb der Ortslagen geht. Das wird vom Land Hessen unterstützt und ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden. So z. B. kein Verbrauch wertvollen Ackerlandes oder wichtiger Biotop-Flächen. Es gibt noch anderes, was beim Ausbau der Photovoltaik (PV) auf derartigen Arealen zu beachten wäre. Das aber würde hier zu weit führen.

Wichtig und entscheidend, in Zusammenhang mit der hier vorgetragenen Kritik, ist, dass im Prinzip alle anderen Fraktionen unseren Antrag sinnvoll fanden, liegt doch die Nutzung vorhandener Dächer von Gewerbe- und privaten Immobilien aller Art zum einen auf der Hand, zum anderen ist sie für die anzustrebende Energiewende unerlässlich. Es wollte aber keiner unseren Antrag unterstützen, obwohl wir klarmachten, dass es uns gar nicht um eine sofortige Abstimmung über diesen Antrag ging, vielmehr nur um das Anschieben einer Debatte darüber. Auch das wollte keiner. Stattdessen zog man über uns her und unterstellte uns sozialistisches Gebaren, als würden wir tatsächlich fordern, dass der ZRK par ordre du mufti die Gemeinden und Städte des ZRK zum Handeln zwingen und für alle Gemeinden ein und dieselbe Satzung für die Entwicklung der PV-Nutzung auf privaten Dächern durchsetzen solle. Was natürlich Blödsinn ist: In der Erläuterung zu unserem Antrag steht, falls man denn seine Lesefähigkeit hätte nutzen wollen, klar und unmissverständlich: „Der ZRK macht dazu (für die Muster-Satzung) die fachliche Vorarbeit, die Gemeinden sind dafür zuständig, die Satzungen zu beschließen und dafür Sorge zu tragen, dass möglichst viele Akteure mitmachen.“ Spätestens seit dem Heizungsgesetz–Chaos der Bundesregierung müssten auch die Mitglieder des ZRK wissen, dass solche in die politischen Gremien eingebrachten Anträge niemals unverändert aus dem Beteiligungsprozess herauskommen. Aber das nur nebenbei.

Im Wegweiser für Kommunen im Landkreis Kassel vom April 2023, vom Landkreis Kassel und dem ZRK gemeinsam herausgegeben, wird – wie oben schon erwähnt – für die Errichtung von PV-Anlagen auf Freiflächen geworben. Nicht umsonst weisen die AutorInnen aber schon im Grußwort dieses Wegweisers darauf hin: „Insbesondere im weiteren Ausbau von PV Anlagen liegt eine große Chance. Unzählige Dachflächen eigenen sich etwa für Bebauung mit PV-Anlagen. Das hilft, den Flächenverbrauch und das damit verbundene Konfliktpotential (Gemeint ist damit das Konfliktpotential auf landwirtschaftlichen Nutzflächen) deutlich zu reduzieren.“ Genau so steht das auch in unserem Antrag.

Um zum Anfang des Artikels zurück zu kommen: Natürlich hat niemand am 22. Juni 2023 in der VV des ZRK auf einen Knopf gedrückt und damit das Unwetter am Folgetag ausgelöst. Das nicht. Aber dass der ZRK mit seinem jahrzehntelangen, ungenügenden, die evidenten Fakten der Klima- und anderer ökologischer Krisen leugnenden Handeln die aktuelle Klimasituation im Grunde mitverursacht hat (weil alle anderen Institutionen, auf welcher politischen Ebene auch immer, ja genau denselben Mist machen!), lässt sich nicht von der Hand weisen. Insofern steht der vielbeschworene Wandel, von dem alle quatschen, im ZRK noch aus.

*Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Institution und Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifenden Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehörte z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden gewesen, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung (VV) der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen …

Dass Dr. Barthel dem endlich und bald Ex-OB Geselle, nach dessen vergeigter Wahl und einer zerlegt hinterlassenen Partei, mit seinem Parteiaustritt folgt und die Partei mit dem schönen Namen verlässt, muss niemanden wundern. Und bedauern muss man das auch nicht. Ein richtiger SOZIAL-Demokrat ist er ohnehin nie gewesen. Wer als zuständiger Kassenwart einer Stadt per Presseverlautbarung vom Präsidenten des Landesozialgerichts dazu angehalten werden muss, geltendes Recht bei der Auszahlung der Kosten der Unterkunft (KdU) einzuhalten und dabei die Ärmsten der Stadt nicht um ein paar Euronen zu bescheißen, der muss nicht jammern, wenn Kritiker ihm das SOZIALE absprechen. Seine vielen anderen Untaten könnte man, hätte man die Zeit dafür, in den älteren Ausgaben der LinksZeitung hier nachlesen.

Über lange Jahre prägte dieser Dr. B., ein extrem konservativer Kämmerer, die Politik der Kasseler SPD, indem er Haushaltsdisziplin als einzige Kategorie kommunalpolitischen Handelns propagierte. Viele rot-grüne Koalitionen haben unter seiner rigiden, engstirnigen Politik gelitten. Und viele Probleme, die Kassel dem Einfluss dieses Politikers (mit-)verdankt, sind bis heute spür- und sichtbar. Manche davon haben das Image und den Ruf der SPD mehr oder weniger stark belastet. Zahlreiche Genossen wollten das seinerzeit jedoch nicht sehen, auch weil viele Dr. B. eigentlich kritisch gegenüberstehende Sozialdemokraten dann immer mehr in Barthels Fahrwasser gerieten. Exemplarisch gilt das insbesondere für Ex-OB Hilgen. Der wollte Barthel eigentlich anfangs loswerden, konnte ihn dann aber nicht mehr aus dem Magistrat werfen, weil Barthel die Stimmen der CDU bekam und so Kämmerer bleiben konnte. Das sollte fatale Auswirkungen haben. Teils bis heute …

Um nur ein Beispiel zu nennen, an dem man den unseligen Einfluss von Dr. B. ablesen kann, sei an die Zerstörung des Stadtbades Mitte erinnert. Dort, wo heute ein schlichter Büroklotz dem Lutherplatz Paroli bietet, hatte Kassel lange Jahrzehnte – genau an der richtigen Stelle und optimal an den Nahverkehr angebunden – sein zentrales Hallenbad. Mit dem Grundstück der Göttinger Diakonie und dem ehemaligen Parkplatz hinter dem Hallenbad hätte man, wäre Dr. B. nicht gewesen, ein wunderbares, modernes Stadtbad errichten können: Für Beschäftigte, Schüler und Schwimmerinnen aller Art gleichermaßen und optimal erreichbar. Stattdessen muss man heute zum Schwimmen quer durch die Stadt bis in die Karls- und Fuldaaue rammeln, wo dann am Ende Kolonnen von parkenden PKW’s Kassels grünes Herz belasten. Das Barthel’sche Spaßbad an der Fulda steht nun für lange Zeit am falschen Ort. Spätestens beim nächsten Hochwasser werden sich einige dann daran erinnern, wieviel Retentionsraum für das Bad dort vernichtet worden ist. Dann wird man wieder wissen, wo das Bad eigentlich hätte neu errichtet werden müssen!

Eine entsprechende Ausbildung, die Dr. B. qualifiziert hätte, derartige Entscheidungen begründet herbeizuführen, hat er nicht aufzuweisen, auch wenn er immer wieder mal fehlende oder abwesende Baudezernenten vertreten durfte. Leider sind weder die jeweils zuständigen Magistratsmitglieder noch die Oberbürgermeister dieser Politikperiode in der Lage gewesen, den unseligen Einfluss von Dr. B. zurück zu drängen. Es darf und muss auch daran erinnert werden, dass es nur dem außerparlamentarischen Druck und der konsequenten Politik der damaligen Fraktion der Kasseler Linken zu verdanken ist, dass das von Dr. B. beabsichtigte Zerstören und Abreißen weiterer Schwimmbäder nicht realisiert wurde. Bürgerinitiativen verhinderten das bei den Bädern in Harleshausen und Wilhelmshöhe. Das Hallenbad Mitte – wie oben beschrieben – und das Hallenbad Ost konnten der Abriss-Wut von Dr. B. jedoch nicht entgehen.

U.a. deshalb wiederhole ich: Wenn Dr. B. jetzt der Partei, die ihm seine kleine Kassenwart-Karriere ermöglicht hat, den Rücken kehrt, muss sich darob niemand grämen. Und schon gar kein Sozialdemokrat, der die beiden Worte, die im Parteinamen enthalten sind, verinnerlicht hat und ernst nimmt.

Fazit: Mit Geselles Zeit als OB geht in wenigen Tagen für die Stadt und die SPD eine Ära zu Ende. Eine tendenziell unselige. Dass zusammen mit Geselle nun auch Dr. B. die SPD verlässt, kann man durchaus als positives Omen interpretieren, auch wenn der rechte Flügel wohl eher vom Verlassen eines sinkenden Schiffes sprechen wird. Und ob Herr Merz, der es jetzt allen diesen Flügeln recht machen soll, besagtes Schiff wieder flott machen kann, wird man sehen. Denn es gibt echt viel zu reparieren …

Für welche Konsequenzen wird er z.B. beim zurückliegenden documenta-15-Debakel sorgen, das Kassel und die documenta weltweit so schwer belastet hat? Soll es nach dem Willen der Ex-OB-Triade gehen, Eichel, Bremeier, Hilgen, hat ja gefälligst alles beim Alten zu bleiben. Was bestimmt keine gute Idee ist. Denn eins ist klar: Werden keine neuen Spielregeln eingeführt, die sicher ausschließen und verhindern, dass unter dem Label von Kunstfreiheit und Antikolonialismus erneut antisemitische und gegen Israel gerichtete Exzesse auf der hoch öffentlich geförderten documenta geschehen können, was im vergangenen Jahr weltweilt für Schockwellen der Empörung gesorgt hat, ist die documenta ernsthaft gefährdet. Und das wollen nicht nur die drei Ex-OB’s nicht.

Allerdings muss man sich in Stadt, Land und Bund dem hochbelasteten und hochkomplexen Thema offen stellen. Das gilt auch für den neuen SPD-Vorsitzenden. Denn er wird sich bestimmt noch erinnern, wie im Juni 2022, bei der Eröffnung der documenta 15, ein bedröppelter OB Geselle von Bundespräsident Steinmeier Geschichtsunterricht erhielt. Mit „sich dem Thema stellen“ ist gemeint, dass verinnerlicht wird, dass die documenta 15 für die Jüdinnen und Juden in Hessen lt. RIAS (Recherche – und Informationsstelle Antisemitismus) eine Zunahme an faktischem und konkretem Antisemitismus gebracht hat. Das berichtet die HNA am 2. Juni 2023. Diese Tatsache und die im Abschlussbericht des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta 15 unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Nicole Deitelhoff herausgearbeiteten Erkenntnisse müssen zur Grundlage der Aufarbeitung des Skandals und der Neuformierung der Strukturen gemacht werden. Die in falsch verstandener Heimat- und Kassel-Liebe aufs bloße Bewahren des Bewährten gerichteten Aktivitäten, wie sie im Verhalten der schon erwähnten Ex-OB-Triade zum Ausdruck kommen, helfen nicht wirklich weiter.

Viele haben nicht richtig gelegen mit ihren Prognosen, was die OB Wahlen am 12. März 2023 angeht. Ich jedoch schon.

Bereits am 12. September 2022 habe ich in einem Artikel mit der Überschrift, OB Geselle möge seinen Job endlich an einen Profi oder eine besser dafür Geeignete abgeben, treffsicher beschrieben, wie die Ära Geselle wohl enden wird. Visionär ist dafür eher nicht das richtige Adjektiv, vielmehr die korrekte Analyse der schon im September sich abzeichnenden Ereignisse. Am Ende meines Artikels, der die wesentlichen Kritikpunkte an OB Geselles Amtszeit noch einmal zusammengefasst hat, wagte ich folgende Prognose:

„Wenn Sie (gemeint ist OB Geselle) unbedingt wissen wollen, wie beliebt Sie sind, dann können Sie ja als Solist kandidieren. Das ist ihr gutes Recht. Ich rate Ihnen allerdings davon ab, weil Ihre Eitelkeit vermutlich nach Verkündigung des Wahlergebnisses im Frühjahr 2023 Schaden nehmen könnte.“

Hier kann man das in voller Gänze noch einmal nachlesen …

Und nun, am Sonntagabend, also am Wahltag des 12. März 2023, ist es genau so gekommen. Im Prinzip zumindest. Denn eins ist glasklar: Vor allem Geselles Ego und seine Eitelkeit haben „Schaden genommen“ und sind nun erheblich geschrumpft, auf Normalmaß! Den größten Schaden allerdings trägt die „ruhmreiche“ Kasseler SPD davon. An dem in erster Linie vom Noch-OB Geselle angerichteten Flurschaden wird die SPD noch lange zu tragen haben, vermutlich schon bei den bald anstehenden Landtagswahlen in Hessen …

Als ich meine Prognose auf den Wahlausgang der OB Wahlen wagte, war noch längst nicht klar, dass aus dem parteiinternen SPD-Streit ein derartiges Debakel erwachsen würde. Aber man konnte sehr wohl erahnen, dass aus der mutwilligen Zertrümmerung von Partei und Fraktion tatsächlich eine Solokandidatur gegen die eigene Partei herauskommen könnte. Was im Übrigen andernorts schon andere Egomanen, teils mit, teils ohne Erfolg, vorexerziert hatten … Meine Prognose wagte ich nicht, weil es die Spatzen schon vom Rathausdach gepfiffen hätten! Nein, vielmehr habe ich mich zu ihr animiert gefühlt, weil eben das – die eitle Solokandidatur – genau zu Geselles egoistischem Verhalten und seiner übergroßen Selbstbezogenheit passte. Haarnadelgenau!

Nun hat Geselle am besagten Wahltag im Verhältnis zur Wahl vor 6 Jahren 25 Prozent der Stimmen verloren und nur noch einen Mini-Vorsprung vor seinem eigentlichen Herausforderer von den Grünen, Herrn Dr. Schoeller, gehabt. Da Geselle nicht blöd ist, war ihm kurz vor dem Ende der sonntäglichen Hessenschau schon klar, dass er zur Stichwahl gar nicht mehr anzutreten braucht. Niemand kann natürlich genau sagen, weil das auf reine Spekulation hinausliefe, wie das Rennen ausgegangen wäre: Aber sowohl Geselle als auch mir war klar, dass mit dem Wahlergebnis der Traum vom Solotrip zur zweiten OB-Wahl ausgeträumt war. Deshalb ist Geselle feig und flink ins Gebüsch gehüpft: Von einer bösartigen Kampagne gegen ihn schwafelnd, die es allerdings so gar nicht gab.

Das anonyme Schreiben eines nicht existierenden „Frauen-Widerstandes“, verteilt ausschließlich im Kasseler Rathaus, verdient nicht, dass man sich damit näher beschäftigt. Durch Geselles Selbstanzeige beim RP als Kommunalaufsicht ist das Machwerk quasi aus der Welt. Es hatte weder einen Beitrag zum Wahlkampf geleistet, noch das Image des Oberbürgermeisters wirklich angekratzt. Alle Parteien und alle OB KandidatInnen haben sich von dem Machwerk klar, eindeutig und sofort distanziert. Weitere Verleumdungen oder Diffamierungen hat es schlicht nicht gegeben.

Dass Geselle und seine Fan-Gruppe dennoch so sehr auf Diffamierungskampagne machten, hat einen ganz anderen Grund: Die Internetseite „geselligeWahrheiten.de“, dessen Impressum die Herausgeber korrekt benennt und damit den Standards des Presserechts im Internet genügt, hat objektiv den Wahlkampf bereichert. Zu 18 Themenfeldern werden hier – vom vergeigten Verfahren um das documenta Archiv über den ausmanövrierten Radentscheid bis hin zum Versagen in der Klimapolitik viele Kritikpunkte faktenreich und korrekt aufgelistet, belegt und bewertet. Damit diese Veröffentlichung im Netz seine aufklärerische Wirkung erst gar nicht entfalten konnte, musste massiv mit Dreck geworfen und mit bösartigen Unterstellungen gearbeitet werden. Genau dafür musste die Boy- und Girl-Gruppe der Geselle Fans herhalten! So konnte diese auf Fakten und Informationen beruhende Seite ihre Wirkung möglicherweise gar nicht erst entfalten. Was aber Spekulation ist.

Fest steht, dass diese fleißige und facettenreiche Aufarbeitung Gesellescher Politik nichts, aber auch gar nichts mit Verleumdung oder Diffamierung zu tun hat. Auch die Familie des OB’s spielte hier (natürlich) keine Rolle. Dass die hohe Qualität der Beiträge dennoch ohne AutorInnen – Nennung veröffentlicht worden ist, wirft ganz andere Fragen auf, als es die Geselle Verteidiger sich vielleicht träumen lassen. Da es sich bei den AutorInnen vermutlich meist um MitarbeiterInnen des Rathauses, der Universität und/oder Rathaus affiner Unternehmen handelt, haben sie sich – der Arm eines OB’s kann lang sein (!) – vielleicht einfach nicht getraut, sich mit ihrer Kritik zu outen. Ich frage Sie als LeserInnen der Kassel-Zeitung: Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen für einen OB, wenn dem so sein sollte? Ich meine jedenfalls, dass – hätten alle WählerInnen vom letzten Sonntag diese Texte auf der „geselligeWahrheiten.de“ Seite tatsächlich gelesen – Geselles Wahlergebnis noch viel schlechter ausgefallen wäre …

Im Übrigen muss jeder Mensch, Mann oder Frau, die oder der sich in diesem Land für ein so herausgehobenes öffentliches Amt zur Verfügung stellt, mit Kritik und Anfeindungen unterschiedlichster Art rechnen. Das ist leider ein bedauerlicher Tatbestand, der durch die Umtriebe im Internet an Widerwärtigkeit noch deutlich zugenommen hat. Während andere PolitikerInnen jedoch tatsächlich bedroht wurden und sogar oft schon physisch angegriffen und sogar verletzt wurden (Beispiel Köln) oder brutal bedroht und beschimpft worden sind (Bespiel NSU 2.0), hat Geselle nur den o.a. anonymen „Frauen-Widerstandsbrief“ erhalten bzw. ertragen müssen. Der Besuch von vermummten Gestalten vor Geselles Privatgrundstück ist, zugegeben, unangenehm und natürlich zu verurteilen, aber in der kolportierten Form auch eher harmlos. Wo hier eine Familie der realen Bedrohungen ausgesetzt bzw. ein Kommunalpolitiker durch eine Diffamierungskampagne zur Aufgabe seiner Karriere gezwungen sein sollte, bleibt schlicht ein Geheimnis des baldigen Ex-OB‘s.

Fazit, falls eins nötig ein sollte: Geselle hat den Wahlkampf verloren, weil er keine Mehrheit in der Bevölkerung für eine Fortsetzung seiner Art von Politik gefunden hat. Das ist ein gutes Zeichen für Kassel. Denn nun könnte es – vielleicht – endlich auch mal mutigere Veränderungen, sogar in Kassel, geben? Statt einer tendenziell dem Auto verpflichteten, dem Klima schadenden und einer sozial immer noch an den eher Wohlhabenden und den unternehmerisch Tätigen ausgerichteten SPD Politik könnten nun neue Ufer angestrebt werden. Eigentlich. Inwieweit derartige Hoffnungen allerdings berechtigt sind, muss sich erst noch zeigen. Denn: Allzu ideenreiche ökologisch-soziale Veränderungen werden die jahrzehntelang eher zahmen und einfallslos agierenden GRÜNEN, mit einer Koalition von FDP und CDU im Schlepptau, sich wohl kaum trauen.

Zu gerne würde ich mich irren …

Wäre Kommunalpolitik bloß Kirchturm – Politik, müsste man sich als Ahnataler nicht darum kümmern, welchen OB sich die Kasseler BürgerInnen am Sonntag aussuchen. Aber die Kommunalpolitik in Kassel ist wichtig, auch für die BewohnerInnen des Speckgürtels um das Oberzentrum Kassel herum. Fallen hier doch wichtige Entscheidungen in der Mobilitäts-, Klima-, Kultur- und Bildungspolitik, die unmittelbaren Einfluss auf die Umlandgemeinden des Landkreises haben. Deswegen ist es alles andere als egal, wer in den ausgesprochen wichtigen nächsten Jahren in Kassel auf dem OB – Sessel sitzt.

Ich sage es ganz offen, mit Namen und Adresse: Geselle hat auf keinen Fall das Zeug, ein guter Oberbürgermeister für Kassel zu sein und er verdient es nicht, dass man ihm erneut das Vertrauen für ein derart wichtiges Amt ausspricht.

Dazu habe ich mich in den vergangenen zwei Jahren schon verschiedentlich kritisch geäußert. Wer Lust und Zeit, kann das – den beigefügten Links folgend – hier noch einmal nachlesen.

Treten Sie zurück, Herr Geselle und überlassen Sie das Amt einem Profi!

Und sie wollen nicht hören! Debakel in der Verbandsversammlung des Zweckverbandes Raum Kassel/ZRK

Antisemitismusauf der documenta fifteen d15 oder Nachhilfeunterricht für einen Oberbuergermeister

OB-Geselle-überfordert

Das Mobilitätsdrama der Kasseler SPD und kein Ende!

Alle warten auf das Ergebnis eines OB Solos in Sachen documenta Institut

Entscheidend für mich – weil man die lange Liste Geselleschen Versagens gar nicht mehr aufzählen mag – ist sein Handeln in der Umwelt- und Klimapolitik (beispielhaft sei hier nur der unsinnige Versuch erwähnt, die zweite Eisporthalle in eine Frischluftschneise auf den Giesewiesen zu bauen), in der Stadtentwicklung (das Drama um den Standort für das documenta Institut hat man noch gut in Erinnerung) und in der Verkehrspolitik (beispielhaft sei hier nur sein Großversagen in der Radverkehrspolitik erwähnt) … Auch wie Geselle in aller Öffentlichkeit seinen Magistratskollegen Nolda von den Grünen in der Presse durch den Dreck gezogen hat, ist ganz ohne Frage ein Nachweis dafür, dass so ein Politiker-Typ ungeeignet ist für den Job als OB. Sein Verhalten der eigenen Partei gegenüber, als ihm wegen seines üblen Politikstils nicht mal mehr Partei und Fraktion folgen wollten, zeigt ein vollkommenes Unverständnis für parlamentarische Spielregeln und Gepflogenheiten. Er stellt sich schließlich gegen die eigene Partei, ohne die er heute vermutlich noch Polizist wäre. Denn die eröffnet ihm eine kleine Karrieremöglichkeit: vom Kämmerer zum OB Kandidaten. Ohne die SPD wäre er nie OB geworden.

Den allerletzten Beweis für seine geballte Inkompetenz liefert Geselle in der Antisemitismus Krise während der d 15: Hätte er auf die Hinweise des Bündnisses gegen Antisemitismus schon im Januar 2022 gehört, wäre möglicherweise alles anders gekommen. So aber musste er sich, wie ein Klippschüler vom aus Berlin angereisten Bundespräsidenten die Leviten lesen lassen. Ich werde nie vergessen, wie während der Eröffnungszeremonie Geselle angesichts der Kritik des deutschen Staatsoberhaupts die Gesichtszüge entgleisten … Nach der Enthüllung des Taring Padi – Kunstwerks auf dem Friedrichsplatz war es dann ohnehin vorbei mit lustig und Kassel stand monatelang und weltweit in der Kritik.

Und nun, nachdem aufgrund seiner Fehler und seines Versagens auf nahezu allen relevanten Politikfeldern Kassel inzwischen von Grün/Schwarz/Gelb regiert wird, bläst er zum letzten Gefecht und bittet seine UnterstützerInnen um Schützenhilfe. Und das bedauerlicherweise scheint nur mit Diffamierungen zu gehen.

Insgesamt, wenn man Wahlkampf-Schlamm-Schlachten in anderen Teilen der Republik oder gar der Welt anschaut, ging es im Kasseler Wahlkampf eher gemütlich, brav provinziell und alles in allem gesittet zu. Von Schmutzkampagnen, wie in der Hauspostille HNA zu lesen war, kann eigentlich keine Rede sein. Ein einziger anonymer Brief (von einem sog. Frauenwiderstand!?), von dem sich alle Parteien und alle Gegenkandidaten glasklar distanziert haben, ist eigentlich kein Grund, die Geselle-Fans in den Empörungsmodus oder gar in Wallung zu versetzen. So was ignoriert man. Anonym jemanden – egal wen – zu beschimpfen ist zwar ein Zeichen unserer Zeit, weil das im Internet und den sozialen Medien weite Verbreitung gefunden hat, muss aber nicht über Gebühr kommentiert werden.

Ganz anders verhält es sich mit der mit einem Impressum versehenen Internetseite „geselligeWahrheiten.de“. Auf dieser Seite finden sich kritische Würdigungen von Geselles Leistungen, Fehlern, Versäumnissen, Lügen und Halbwahrheiten in seiner Amtszeit. Derartige Kritik ist natürlich erlaubt, nötig und dient der Information von WählerInnen.

Wer irgend die Zeit bis zum Wahltermin noch hat, sollte diese Seite und die dort zusammen getragenen Artikel unbedingt lesen und studieren. Ein sehr interessantes Informationsmaterial zu den OB Wahlen: erstklassig recherchiert und gut in Szene gesetzt. Dass diese ausgesprochen faktenorientierte Seite den Jubel-PerserInnen von Geselle nicht gefällt, ist klar. Statt sich aber mit den auf „GESELLIGE WAHRHEITEN“ ausgebreiten Inhalten und Fakten zu beschäftigen, werden die AutorInnen dieser Seite pauschal und übelst beschimpft.

Ich hoffe, dass mit dem kommenden Sonntag diese unrühmliche OB Episode beendet werden kann und Geselle hoffentlich bald was anderes macht, als die Mehrheit der Kasseler BürgerInnen zu nerven.

Ja, die Zeiten sind gerade alles andere denn erfreulich: Es tobt der kranke Angriffskrieg auf die Ukraine, die Pandemie ist noch nicht vorüber, die hauptsächlich selbstverschuldete Energiekrise kostet Kraft und Nerven und die Klimaerwärmung wird immer noch nicht ernst genug genommen. Notwendige Lösungen werden auf die lange Bank geschoben. Aber da und dort gibt es, dennoch oder trotz alledem, auch Erfreuliches. Und darüber sollten dann und wann auch mal ein paar Zeilen aufgewendet werden.

So wie ich mich 2020 sehr darüber freute, dass es gelungen ist (vielleicht auch mit diesem treffsicheren, kleinen Artikelchen hier), einen städtebaulichen Kardinalfehler zu verhindern – den Karlsplatz nämlich mit einem für den Ort zu groß geratenen Archivgebäude für die documenta zu überfordern und außerdem die immer noch hugenottisch geprägte Oberneustadt damit schwer zu beschädigen – so freue ich mich jetzt darüber, dass die am Standort Giesewiesen geplante zweite Eissporthalle von der neuen Koalition in Kassel aus Grünen, CDU und FDP verhindert und gecancelt worden ist. Eine große Niederlage für den noch nicht parteilosen Geselle, aber bald und sicher Ex-OB. Dieser Niederlage werden für ihn weitere folgen.

Hier kann man noch einmal nachlesen, wie falsch es gewesen wäre – und aus welchen Gründen – diese zweite Halle, gleichsam als Pfropfen für die im Sommer kühlere Luft aus Richtung Park Schönfeld, in diese wichtige Kaltluftbahn in der mikroklimatisch ohnehin sehr gestressten Südstadt hinein zu bauen und dabei auch noch das für die ganze Stadt bedeutsame, grüne Kulturdenkmal Karlsaue zu bedrängen. Hier der entsprechende Artikel.

Die herrliche Karlsaue: Kassels wertvolle grüne Lunge …

Dass nun diese Verhinderung mit einer städtebaulich guten Idee verknüpft wird und der vorhandene Eissporthallenparkplatz als Bauplatz für die für die Huskies und den Jugendsport benötigte zusätzliche Halle incl. Parkhaus genutzt werden soll, das Ganze stark begrünt und mit Photovoltaik auf den Dachflächen ausgestattet, befriedigt mich und ist Anlass zur Freude. Nicht nur, weil ich selbst Vorschläge in diese Richtung in der Vergangenheit schon mehrfach unterbreitet hatte, sondern weil er schlicht das in dieser Situation und Gemengelage Richtige ist: So werden die Potentiale des Standorts richtig genutzt, so wird Spitzensport mit Breitensport sinnvoll verknüpft und so wird die vorhandene Halle aufgewertet.

Ich hoffe, dass das, was darüber kürzlich in der HNA – ausführlich bebildert und erläutert – zu lesen war, dann in etwa auch so kommt. Es wäre nicht die erste gute Idee, die in Kassel nicht realisiert oder am Ende dann „vergeigt“ worden wäre … Dafür steht z.B. das unsägliche, langweilige Finanzamt an der Fulda, am Altmarkt. Hässlich, öde, monofunktional! So darf eine Stadt mit ihren Chancen und Potentialen nicht umgehen.

Am meisten aber sollten sich die Südstädterinnen darüber freuen, dass es zu dieser kommunalpolitischen Dummheit ersten Ranges, dem Hallenneubau auf den Giesewiesen, nun nicht gekommen ist. Sie werden es möglicherweise schon in der nächsten Hitzewille im kommenden Sommer positiv wahrnehmen. Vielleicht lindernd.

Das Maß ist voll. Der Nachweis, dass Oberbürgermeister Geselle mit dem Amt, das er seit geraumer Zeit versucht auszufüllen, heillos überfordert ist, dürfte mehr als erbracht sein. Wer vergesslich ist oder die Eklats der letzten Monate nicht alle im Detail mitbekommen hat, für den sei es hier noch einmal kurz zusammengefasst:

• Wegen eines Verkehrsversuchs im Bereich des Steinwegs – im Windschatten der documenta 15 sozusagen – wird im Frühsommer Herr Nolda, Dezernent für Verkehr, Umwelt, Stadtentwicklung und Bauen, öffentlich an den Pranger gestellt. In einer geradezu unverschämten, alle Regeln unter Koalitionspartner verletzenden Art und Weise, rügt OB Geselle seinen Partner im Magistrat und breitet über die HNA die schmutzige Wäsche innerhalb der grün-roten Koalition aus. Auch den Entzug der Aufgaben für die Verkehrsplanung, die ab sofort vom farb- und einfallslosen Herrn Stochla im Sinne des OB’s ausgeführt werden sollen, diskutiert und exekutiert er über die Zeitung. In Bezug auf die Verkehrswende ein schlechtes Omen: Während der grüne Stadtbaurat in der Koalition von grün-rot zumindest für zaghafte Versuche in Richtung einer Verkehrswende stand, die ohne einen Zuwachs an Fläche für die umweltverträglicheren Verkehrsarten nun mal nicht zu machen ist, steht die SPD und auch Herr Stochla für eine solche Wende ausschließlich auf dem Papier bzw. verbal. Sobald es konkret wird, fällt die SPD in alte Verhaltensmuster zurück und schwört auf den ungehinderten (Auto-) Verkehrsfluss als oberste Priorität. Auch wenn die SPD in der nun zurückliegenden kommunalpolitischen Etappe schon zum Juniorpartner der GRÜNEN geschrumpft war, bläst sich der OB immer noch so auf, als hätte die SPD respektive er selbst 50 Prozent der Wählerstimmern im Kreuz. Wovon natürlich keine Rede mehr sein kann.

• Zu dieser Lektion in Sachen Verkehrspolitik und zum Umgang mit Amtskollegen passt haarnadelgenau, dass OB Geselle die Critical Mass, ein seit 2013 in Kassel, am jeweils letzten Freitag im Monat, durchgeführtes basisdemokratisches und durch die Straßenverkehrsordnung in § 27 StVO gedecktes Experiment, ein Dorn im Auge ist. So sollte in seinem Auftrag die Polizei die letzte Radlerdemo für eine bessere verkehrs- und umweltpolitische Zukunft unserer Stadt an die Kandare und ihr damit das Recht nehmen, den Kurs des Demonstrationszuges spontan selbst zu bestimmen. Das klappte aber am 26. August 2022 nicht, weil die zwischen vier- und fünfhundert Radler*innen an der Polizei einfach vorbeifuhren und das Heft des Handelns in die eigenen Hände nahmen. Das Motto der Critical Mass Radler – Wir behindern nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr – dürfte diesem OB damit weiter schlaflose Nächte bereiten. Aber auch solche OB’s müssen sich an den Wandel gewöhnen. Er wird kommen, auch wenn sie sich noch so sehr dagegen stemmen und ihn sich partout nicht vorstellen können.

• Dass der D15 Eklat vor den Augen der Weltöffentlichkeit in einem dilettantischen Desaster endete, hat, auch wenn ein erstes personelles (Bauern-) Opfer, Frau Sabine Schormann, dargebracht worden ist, Kassel und seine documenta bis auf die Knochen blamiert. Gerade diejenigen, die sich so verbissen gegen jede Kritik an der documenta 15 bis heute verwehren (wie z.B. das Oberbürgermeister Quartett aus Geselle, Hilgen, Bremeier und Eichel), haben dem Fortbestand der documenta möglicherweise einen Bärendienst erwiesen. Das kann man hier nachlesen. Dass nun das wissenschaftliche Begleitgremium, die von der Stadt Kassel und dem Land Hessen eingesetzte Expertenkommission zur Überprüfung der Antisemitismus Exzesse auf der D15 ganz aktuell die Verantwortlichen der documenta gGmbH, also OB Geselle als Aufsichtsratsvorsitzenden und die anderen Verantwortlichen von Land und Bund (wobei der seine Plätze im Aufsichtsgremium aktuell nicht besetzt hat!) wie auch die ausgewählten Kuratoren von Ruangrupa einer vernichtenden Kritik unterzieht, zeigt, dass der OB auch bei dieser Aufgabe kläglich versagt hat und er der Mann am falschen Platz ist. Auch wenn dieser documenta ein paar Tage vor Toresschluss niemand mehr das Licht wird ausblasen können: Ein Großversagen der Verantwortlichen in Kassel – vorneweg dieses OB’s als Vorsitzendem des Aufsichtsrats – kann schon jetzt festgestellt werden.

• Dasselbe gilt für die Klimapolitik: Auch hier kann nur von Großversagen gesprochen werden. Ohne fundierte Standortanalyse kommt Geselle und seine Planer zum Ergebnis, meiner Meinung nach aus falsch verstandener Unterstützung des Breitensports (an sich natürlich eine gute Sache!) und möchte eine 2. Eissporthallte mitten in eine wichtige Frischluftschneise bauen. Auch wenn ein Klima-Gefälligkeitsgutachten dem direkt nicht entgegen zu stehen scheint, genügt ein Blick auf die Stadtkarte, um festzustellen, dass diese riesige Halle in heißen Sommern eine fatale Auswirkung auf das Mikroklima in der Südstadt haben wird. Näheres kann hier nachgelesen werden. Die Inkompetenz und Uneinsichtigkeit eines Oberbürgermeisters, der da und dort durchaus laut von klimapolitischen Zielen schwadroniert und immer dann, wenn es darum geht, Farbe zu bekennen, das Gegenteil von guter Umweltpolitik praktiziert, ist frappierend. Dass diese besagte Halle nun erst einmal nicht realisiert wird, hat leider nichts mit Einsichten beim OB zu tun, vielmehr mit gestiegenen Baupreisen.

• Als (vorläufiger?) Schlusspunkt dieser unvollständigen Aufzählung darf das bislang klägliche Scheitern bei der Realisierung eines documenta Archivs nicht fehlen. Seit Jahr und Tag wird darüber in Kassel debattiert. Ungeeignete Standorte – Unigelände am Holländischen Platz, Karlsplatz in Rathausnähe – sind verbrannt und inzwischen aufgegeben. Das Projekt scheint letztlich gefährdet, weil die zugesagten Fördermittel natürlich nur zeitlich begrenzt gewährt werden. Auch da spielten Differenzen zwischen den grün-roten Koalitionären und weitere Inkompetenzen eine Rolle (Details können hier nachgelesen werden). Damit geht auch dieses riskante Rumgeeiere um eine für Kassel so bedeutsame Investition auf das Konto dieses OB’s. Nicht allein vielleicht, jedoch zu einem erheblichen Anteil.

Zur Abrundung des Ganzen bzw. um den Aufruf an den noch amtierenden OB, sein Amt endlich nieder zu legen, noch fundierter zu begründen, hier eine kurze Bewertung des hoffentlich letzten Aktes der Ära Geselle:

Die Art und Weise wie dieser OB mit seiner eigenen Partei und seiner Fraktion umgeht, spottet jeder Beschreibung. Er liefert damit den Nachweis dafür, dass er die Prinzipien und Grundregeln der parlamentarischen und Parteiendemokratie nicht beherrscht und setzt damit seinem sonstigen Versagen auf breiter Front die Krone auf: Ein professoraler Mediator muss nun herbei, um ihm zu erklären, dass sowohl sein Parteivorstand als auch der Vorstand der Fraktion eigenständig und demokratisch gewählt sind. Diese Gremien sind ggf. zur Kooperation mit dem Oberbürgermeister verpflichtet, sie gehören ja derselben Partei an wie Geselle, nicht jedoch dazu, von ihm Befehle entgegen zu nehmen. Anstelle selbstkritisch darüber nachzudenken, wie es zu einer solch tiefgreifenden Entfremdung und Entfernung zu seinen Partei- und Fraktionsgenossen überhaupt kommen konnte, fällt er mit teils hanebüchener Kritik qua Presse über seine Genoss*innen her, die gefälligst seinen Anweisungen und Wünschen zu folgen hätten.

Wenn es schon so weit gekommen ist, dass Geselles Hau-Ruck- und Schlag-Drauf-Politik in der eigenen Partei nicht mehr akzeptiert wird und Moderatoren von außen ihm die politischen Spielregeln erklären müssen, ist ein Rücktritt überfällig.

Zurück zur Überschrift und zum Sie: Räumen Sie Ihren Platz, Herr Geselle und eröffnen Sie Ihrer Partei hier in Kassel neue Chancen. Wenn Sie unbedingt wissen wollen, wie beliebt Sie sind, dann können Sie ja als Solist kandidieren. Das ist ihr gutes Recht. Ich rate Ihnen allerdings davon ab, weil Ihre Eitelkeit vermutlich nach Verkündigung des Wahlergebnisses im Frühjahr 2023 Schaden nehmen könnte.

Schon die über die Presse öffentlich vollzogene Degradierung und Herabwürdigung Ihres Kollegen Nolda hat die Grenzen des guten Geschmacks weit überschritten. Und dass Sie jetzt noch meinen, die demokratisch gewählten Genoss*innen ihrer eigenen Partei, aus dem Unterbezirk und der Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, nur weil sie Ihrer Linie (Kooperation mit der CDU-Fraktion, selbst wenn das zusammen nicht für eine Mehrheit in der StaVo reicht) nicht folgen wollen, über die Presse vor der Öffentlichkeit in den Dreck ziehen zu müssen, ist unerträglich.

Und, liebe Grünen: Nach den unendlich langen Phasen der Desavouierung durch die SPD in den verschiedenen grün-roten oder rot-grünen Konstellationen ist die Zeit nun reif, das Ruder in Kassel in die Hand zu nehmen. Wählt Euch einen guten OB-Wahl-Kandidaten, am besten jedoch eine tolle, junge, kompetente und kämpferische Frau und macht endlich das Rennen bei der kommenden OB Wahl. Nun habt Ihr Euch, just an diesem Wochenende, für Sven Schoeller entschieden. Auch wenn nicht nur ich, sondern offenbar viele grüne Parteimitglieder, lieber die oben beschriebene Frau in die OB-Wahl-Arena geschickt hätten: Die Kandidatur ist entschieden und nun muss es Sven Schoeller richten. Aber auch dann, nach der gewonnenen OB-Wahl, müssen endlich Taten folgen! Wir wollen nicht immer neue Ausreden aufgetischt bekommen, dass es wegen des konservativen SPD Partners oder falscher Konstellationen in Land und Bund alles nicht geht, alles aufgeschoben werden muss bis auf den Sankt Nimmerleinstag …

Adelante!

Der folgende Artikel wird im Mai 2023 im Euregio Verlag erscheinen.

Was gegen Ende der 80iger Jahre bis zur Jahrhundertwende und noch einige Jahre danach in Zusammenhang mit der Wiedergründung der Unterneustadt, also dem Wiederaufbau des Kerns der zerstörten Unterneustadt „Leben am Fluss“ genannt wurde, war eingängige, bildhafte Werbung für den Verkauf von Grundstücken durch die Projektentwicklungsgesellschaft Unterneustadt. Heute muss eine erneute Hinwendung zur Fulda, aus vielen Gründen, in ganz anderen Dimensionen gedacht und angegangen werden. Dass Kassel mit dem Schritt für den Wiederaufbau rechts der Fulda ein wichtiges Stück Stadtreparatur gelungen ist und damit gleichzeitig die östliche Stadtseite erfolgreich wieder an den Fluss zurück geführt hat, ist das eine. Dass Kassel andererseits seine vielfältigen und spannungsreichen Flusspotentiale bislang nur unzureichend nutzt, ist weniger Kritik denn offenes Geheimnis.

Umso erfreulicher sind die neuen Initiativen der Stadt: Man spricht davon, dass der Fluss wieder „in den Blick“ rücken soll. Auch dieses Buch, in dem auch an das Unterneustadt Projekt erinnert wird, ist ein Zeichen dafür, dass die Fulda wieder zum Thema wird. Offensichtlich will man die noch ungenutzten Potentiale erschließen und nutzen. Kassel, durchaus in Konkurrenz mit anderen Städten, kann es sich nicht leisten, derartige Entwicklungspotentiale ungehoben zu lassen. So wie es sich keine Stadt leisten kann, auch nur ein Potential nicht auszuschöpfen, angesichts der ultrakomplexen Herausforderungen, denen sich heute die Stadtplanung gegenüber sieht. Deshalb darf es auch in Kassel nicht dabei bleiben, dass es nach den Fluss-Kontakten im Bereich von Karls- und Fuldaaue und nach dem kurzen urbanen Intermezzo zwischen Draht-, Walter-Lübcke-Brücke und Schleuse im Bereich der wiedergegründeten Unterneustadt, nach dem Vorbeifließen am Finkenherd und am Schleusenpark, schon wieder vorbei ist mit dem Beieinander von Stadt und Fluss. Allzu schnell lassen sie wieder voneinander ab. Oder anders: Schon gerät die Fulda wieder „aus dem Blick“.

Die erste Reihe, von der schönen neuen Brücke aus gesehen …

In ganz naher Zukunft gilt es für die Stadt, in eine intensive Untersuchungsphase einzutreten, in der herauszufinden wäre, welchen Beitrag Kassels Flusslandschaft zur Lösung ökologischer, klimatischer und sozialer Herausforderungen beisteuern kann. Dazu müssen die hier noch schlummernden Potentiale identifiziert, beschrieben und planerisch ausgestaltet werden: als Vorbereitung für eine zeitnahe Realisierung. Das gilt natürlich vor allem für den Hafen, wo sich die Stadt und ihr Planungsamt mit Voruntersuchungen und einem Rahmenplan unter aktiver Beteiligung der dortigen Eigentümer schon auf den Weg gemacht haben, eben diese schlummernden Potentiale auszuloten.

Das große, späte Wiederaufbauprojekt am Ostufer der Fulda

Zuerst aber noch einmal ein Blick zurück auf das Projekt, das für die Stadt als Erfolg bezeichnet werden darf. Davon zeugen nicht zuletzt Preise und Ehrungen, die sie insbesondere 2002 in Empfang nehmen durfte. Da aber bei städtebaulichen Projekten dieser Komplexität und diesem Anspruch, trotz des angesprochenen Erfolgs, am Ende doch nicht alles wie geplant geklappt hat, muss auch ein kritischer Blick zurück erlaubt sein.

Mit dem Wiederaufbau des Kerns der 1943 zerstörten der Unterneustadt, gestützt auf mehrere einstimmige Beschlüsse der Stadtverordneten im Jahr 1994, macht sich die Stadt auf, seiner während des Zissels alljährlich gefeierten Fulda, wieder näher zu kommen. Am Ende des Wiederaufbaus, auch wenn er etwas länger als geplant gedauert hat, ist die Fulda nicht mehr die „alte“. Vielmehr ist sie, und das lässt sich heute wunderbar besichtigen und im Sommer sogar vom Rondell aus tanzend erleben, zu einem urbanen Fluss geworden, zu einem echten Ereignis: zu einem Fluss, der sich – zumindest hier – in innigem Kontakt und Austausch mit seiner Stadt befindet.

Das Luftbild zeigt die Zerstörung, die die Bombenangriffe in der Nacht vom 22. Oktober 1943 hinterlassen haben

Am Anfang des neuen Jahrtausends, im Mai 2001, erscheint der erste Architekturführer zum Unterneustadtprojekt. Zu diesem Zeitpunkt sind wesentliche Projektziele schon verwirklicht: Die Brücke über die Fulda ist geschlagen, der Messeplatz verlagert und die Leipziger Straße erfolgreich auf vier Spuren reduziert. Auch wichtige Gebäude stehen schon: so einige der Stadtvillen, die sogenannte „erste Reihe“ direkt an der Fulda und das „autofreie“ Quartier. Im Dezember 2009 legen Stadt und Projektentwicklungsgesellschaft bereits den zweiten Architekturführer vor. Das wird zum Anlass genommen, eine erste Bilanz zu ziehen.

Rahmenbedingungen und Hintergründe

Um das Besondere des Unterneustadt-Projekts zu verstehen, muss an die Wiederaufbaugeschichte erinnert werden. Nach der nahezu totalen Zerstörung der Innenstadt im Oktober 1943 dauerte es bis 1951, als der Beschluss für einen Wiederaufbauplan gefasst wurde. Dieser war strukturell so radikal wie in kaum einer anderen deutschen kriegszerstörten Stadt: Neben überbreiten Straßentrassen, über die alten Strukturen hinweg, war vor allem die weitgehende Zusammenfassung der ehemaligen kleinteiligen Einzelgrundstücke zugunsten einer Neuordnung und die folgende einheitliche neue Bebauung nach dem Motto „Neue Stadt auf altem Grund“ dafür prägend, dass Kassels ehemaliges Altstadtareal heute ein ausgesprochen atypisches Erscheinungsbild bietet: mit klassischem Siedlungsbau bis ins Herz der Stadt. „Stadtkern neuer Gattung“ (Heinicke) hieß einer der Slogans in der Wiederaufbaudebatte. Was davon in den Nachkriegsjahren umgesetzt wurde, daran und darunter leidet Kassels Innenstadt bis heute.

Besonders radikal fiel die Entscheidung für die mittelalterliche Unterneustadt auf der östlichen, flacheren Fuldaseite aus: Statt ehemals ca. 250 bebauter Grundstücke präsentierten sich beim Projektstart ein kostenloser Großparkplatz, mehrmals im Jahr für die Kirmes genutzt und ein Verkehrsschulgarten. Beides getrennt durch die großzügig ausgebaute Leipziger Straße, die erst Mitte der 1980er Jahre noch einmal auf sechs Fahrspuren verbreitert wurde.

Obwohl die Kasseler Stadtgesellschaft die untergegangene Altstadt betrauerte, verteidigte sie andererseits die neu entstandene Freifläche in der Unterneustadt bis zum Anfang der 90er Jahre gegen gelegentliche Impulse zur baulichen Nutzung. Diese kamen entweder aus dem Bereich der Hochschule oder der Kunst. Für die Befürworter eines Wiederaufbaus kam die Gunst der Stunde erst mit der Wiedervereinigung und einer verstärkten Nachfrage nach innenstadtnahem Wohnraum.

Die Ausgangsbedingungen waren psychologisch durchaus günstig, ökonomisch allerdings eher schwierig, da Kassel auch in dieser Phase hoch verschuldet war. Die politische Vorgabe Anfang der 1990er Jahre fiel von daher klar aus: Planung und Realisierung des Projekts nur haushaltsneutral!

Entwicklung der Planung und erste Realisierungsschritte

Ein erster Impuls ging 1990 von der Hochschule aus. Er beinhaltete die Aufforderung an Politik, Wohnungswirtschaft und Fachwelt, die Entscheidung für den späten Wiederaufbau nicht über einen Wettbewerb, sondern über eine breite öffentliche Diskussion herbeizuführen. Der sich anschließende „Check“ der Realisierungsbedingungen – von der Verlagerungsthematik, der Gründungs-, Überschwemmungs- und Altlastenproblematik, Bombensuche bis hin zum flächenhaften Bodendenkmal unter dem Trümmerschutt des Messeplatzes – brachte ein positives Ergebnis: Auch unter ökonomischem Blickwinkel schien eine Realisierung möglich, bei der die Stadt aus dem Erlös für den Verkauf der in städtischer Hand befindlichen Grundstücke – ca. 50.000 m2 Nettobauland – die technische Infrastruktur, den Bau einer neuen Brücke und die Kosten für die Verlagerung von Kirmes und Verkehrsschulgarten würde finanzieren können.

Ende 1992 bis Mitte 1993 fand eine Serie von Fachbeirat-Sitzungen statt, in denen die Stadt mit renommierten Experten aus dem In- und Ausland nach einer Leitidee, nach einer Methode für den Wiederaufbau suchte. Dieser Weg eines kreativen Diskussions- und Denkprozesses, in den von Anfang an Politik und Wohnungswirtschaft eingebunden waren, stellte sich als fruchtbar heraus: Schon in der zweiten Sitzung wurde von der Kritischen Rekonstruktion als dem in Bezug auf Ort und Zeit richtigen Weg gesprochen. Der alte, bis ins frühe Mittelalter zurückreichende Stadtgrundriss, sollte als Folie für den Wiederaufbau dienen. Straße, Block und möglichst viele und kleine Parzellen sollten die städtische Grundstruktur bilden. Die Mischung der Nutzungen sollte die Lebendigkeit des neuen Quartiers sicherstellen. Damit sollte eine bewusste Antithese zur Kasseler Nachkriegsmoderne die Grundlage für den Unterneustädter Wiederaufbau sein. Das Motto lautete: Nicht Siedlung bauen, sondern Stadt. In diesem Zusammenhang muss insbesondere Dieter Hoffmann-Axthelm genannt werden, der als Spiritus rector der Kritischen Rekonstruktion bezeichnet werden darf.

Der Weg von den positiven Voruntersuchungsergebnissen und der als tragfähig eingeschätzten Aufbaumethode bis hin zum Grundsatzbeschluss der Kasseler Stadtverordneten im Sommer 1994 dauerte nur etwas mehr als ein Jahr. Viele Veranstaltungen, u. a. zum 50sten Jahrestag der Zerstörung der Kasseler Innen- und Unterneustadt in der Brüderkirche, eine denkwürdige Architekturwerkstatt und mehrere öffentliche Hearings und Ausstellungen sorgten für eine positive Aufbruchstimmung im Hinblick auf den überfälligen Wiederaufbau. Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des Fachbeitrages „Wie baut man eine Stadt – Wege zur Unterneustadt“ fiel der einstimmige Beschluss der Stadtverordneten für einen Wiederaufbau nach der Methode der Kritischen Rekonstruktion. Damit war das Tor für ein ausgesprochen ambitioniertes städtebauliches Projekt im letzten Jahrzehnt des ausgehenden Jahrhunderts aufgestoßen. Allerdings gaben die Stadtverordneten mit ihrem Beschluss den Planern noch Aufgaben mit auf den Weg: Zur Präzisierung des Wiederaufbaukonzepts sollte ein städtebaulicher Rahmenplan erstellt und für die Realisierung und Umsetzung des Projekts eine Public Private Partnership – Gesellschaft gegründet werden. Beides, den Rahmenplan und die Verträge zur Gesellschaftsgründung, beschlossen die Stadtverordneten noch im November 1994.

Politisch umstritten war lediglich die Übertragung der städtischen Grundstücke, die für den Rückbau der Leipziger Straße benötigt wurden. Der Rückbau dieser damals mit 40.000 Fahrzeugen hoch belasteten Ausfallstraße Richtung Osten von sechs auf vier Fahrspuren stieß bei Teilen von Politik und Öffentlichkeit auf Widerstand. Diese Straße trennte nicht nur die beiden Teile des Wiedergründungsprojekts, sondern schon seit Jahrzehnten die ganze Unterneustadt. Am Ende obsiegten die stichhaltigen Argumente und die Konsistenz der Verkehrsgutachten. Die Unterstützung von engagierten, von Projekt und Wiederaufbaumethode überzeugten Bürgern trug mit zu diesem Erfolg bei.

Zügig nahm die Projektentwicklungsgesellschaft (PEG) die Arbeit auf. Insgesamt hatte sie drei Gesellschafter: LBB, Kasseler Sparkasse und Stadt Kassel. Zeitgleich entstanden Erschließungs-, Bebauungs- und Parzellenpläne. Die Werbung für den Verkauf der Grundstücke lief an. Die ersten Wettbewerbe für die neue Fußgänger- und Radfahrerbrücke und die Stadtvillen wurden vorbereitet, die Ausschreibungen für die Verlagerungen von Messeplatz und Verkehrsschulgarten geplant und umgehend baulich in Angriff genommen. 1997 kam es zum Spatenstich bei der ersten Stadtvilla, 1997 begann auch der Ausbau der technischen Infrastruktur für den übrigen Neubaubereich, der innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden konnte. Das erste Luftbild vom Sommer 1998 zeigt den „Point of no return“ für das ambitionierte Projekt: Das neue Netz der Baustraßen lässt ein fast vergessenes Straßen- und Platzgebilde aufscheinen. Es ähnelt zum Verwechseln, was nicht verwundert, dem Grundriss von 1943.

Rahmenplan, Akteure, Forum Unterneustadt

Die Kritische Rekonstruktion und der Rahmenplan erforderten – über die engagierten Aktivitäten der PEG hinaus – für die erfolgreiche Umsetzung der parzellengestützten Wiedergründung zahlreiche motivierte Akteure: Einzelbauherren, Investoren und Wohnungsbaugesellschaften. Sie wurden Stadtgründer genannt und hatten, je nach Parzellengröße und Lage im Quartier, ganz unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen.

Im Rahmenplan wurden die einzelnen Parzellen in Blöcke zusammengefasst und nach Vergabeverfahren, Art und Maß der Nutzung, Geschossigkeit, Anzahl der Wohneinheiten etc. beschrieben. Entsprechend ordnete man sie einer bestimmten Art oder Gruppe von Stadtgründern zu. Die Auswahl der Erwerber für den Verkauf der Grundstücke erfolgte nicht nach Höchstpreisen, sondern nach der Qualität der Entwürfe und der Nähe zum Rahmenplan.

Das Forum Unterneustadt, ein neu geschaffenes Gremium der Bürgerbeteiligung, ist zeitgleich mit der Gründung der PEG entstanden. Man kann seine Existenz auch im Nachhinein nur als Glücksfall begrüßen. Auch wenn es gegen Projektende nur noch selten tagte, so hat sich das Forum mit seinem konstruktiven Eingreifen in die Debatten für Stadt und PEG mehr als bewährt. Dies gilt auch für den Fachbeirat, der mit seiner Autorität in schwierigen Phasen dazu beigetragen hat, das Projekt „auf Kurs“ zu halten. So etwa als es zwischen den Planern der Stadt und den Grundstücksentwicklern der LBB zu gravierenden Konflikten über die Größe der Parzellen, das Tempo der Realisierung und nicht zuletzt die Auswahl der Baupartner kam.

Kosten des Projekts und Finanzierung

Zu Beginn lag für das Projekt eine stadtwirtschaftliche Kalkulation vor, die bei Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen war. Zum Zeitpunkt des Beschlusses der Kasseler Stadtverordneten 1994 lag diese Kalkulation bei 27 Mio. DM. In ihr waren im Wesentlichen die grob kalkulierten Baukosten enthalten, wie z.B. für die neue Brücke. Beim Start der PEG lag die Kalkulation dann bei rund 35 Mio. DM. Die Erhöhung der Kosten erklärte sich mit Preissteigerungen u.a. bei den Verlagerungsprojekten für die Kirmes und den Verkehrsschulgarten. Dazu kamen noch die Personalkosten für die PEG. Nach dem für 2010 vorgesehenen planmäßigen Ende der Gesellschaft und der davor erfolgten Umstellung auf Euro gab es schließlich einen gewissen Zuschussbedarf auf Seiten der Stadt Kassel, der in Form von Erschließungsleistungen aufgebracht wurde und wird. Dieser Bedarf wird jedoch nur wenige Prozentpunkte der Gesamtinvestitionen ausmachen. Das der PEG mit den schon angeführten Beschlüssen der Stadtverordneten überlassene Grundstück hat mit rund 25 Mio. DM bzw. 12,5 Mio. Euro den größten Teil der Finanzierung gedeckt. Die noch fehlenden Mittel zur Deckung der Gesamtkosten kamen aus Förderprogrammen der EU bzw. des Landes Hessen.

Auch wenn eine über den städtischen Haushalt und die Bilanz der PEG hinausgehende stadtwirtschaftliche Gesamtkalkulation noch aussteht, lässt sich angesichts der ungebrochenen Beliebtheit des neuen Wohnstandorts bereits jetzt erkennen, dass eine stadtwirtschaftliche Gesamtbilanz vermutlich positiv ausfallen würde.

Die weitere Entwicklung

Ob und inwieweit die komplexen Ziele, die mit der Wiedergründung insgesamt verbunden waren wie Wiederentdeckung des Flusses, urbane Vielfalt, Linderung der mit dem Ausbau der Leipziger Straße verbundenen Trennwirkung tatsächlich erreicht wurden, kann inzwischen abschließend beantwortet werden. Es ist davon auszugehen, dass die neue Unterneustadt mit ihrer attraktiven Lage, ihrem guten Mix an Nutzungen und der gezielt herbeigeführten sozialen Vielfalt – erreicht durch eine gelungene Mischung öffentlich geförderter und frei finanzierter Miet- bzw. Eigentumswohnungen – gut innerhalb der Stadtteilkonkurrenz bestehen kann. 262 öffentlich geförderten standen 2009 210 privat finanzierte Wohnungen gegenüber. Der erreichte Nutzungsmix liegt damit, wie angestrebt, bei ca. zwei Drittel Wohnen (je zur Hälfte gefördert bzw. frei finanziert) und einem Drittel Büro, Handel und Gewerbe. Durch die nach 2009 hinzugekommenen Gebäude hat sich dieses Verhältnis nicht geändert.

Die Tradition der Unterneustadt als Standort verschiedener sozialer Einrichtungen lebt z.B. in einer Kindertagesstätte fort. Sie wird vom selben Verein getragen, der bis zur Kriegszerstörung das dortige Waisenhaus geleitet hat. Darüber hinaus gibt es am Holzmarkt heute eine nach zeitgemäßen Erkenntnissen konzipierte Sozialstation für Demenzerkrankte. 2010 wird das vorletzte freie Grundstück am Unterneustädter Kirchplatz, ganz wie in der Rahmenplanung vorgesehen, für ein anspruchsvolles Wohnprojekt für ältere Menschen gebaut. Ein gelungenes Gebäude, das aus einem Architektenwettbewerb hervorging. Damit ist der „Elwe“ gegenüber, die früher Unterneustädter Gefängnis war, ein gleichgewichtiges Gebäude entstanden. Nach einem Intermezzo als Hotel zur documenta 14 wurde die „Elwe“ inzwischen zu einem interessanten Wohnkomplex mit insgesamt 49 Wohnungen umgebaut.

Besonders hervorzuheben ist das Baugemeinschaftsprojekt „Anders Wohnen an der Fulda“. Hier, direkt an der Leipziger Straße, ist ein Passivhaus mit 32 Wohnungen entstanden. Es geht auf einen Impuls der PEG zurück, die im Sommer 2003 viele Interessierte in den Magistratssaal des Rathauses einlud. Auch wenn von den damaligen Teilnehmern nur ein Ehepaar noch zu den heutigen Baugemeinschaftlern gehört, die 2008, nach durchaus schwierigen Jahren der „Partnersuche“, in das spektakuläre Wohnprojekt eingezogen sind, so sind doch bis heute alle Projektbeteiligten fest davon überzeugt, dass die Wohnform Baugemeinschaft eine große Zukunft hat: auch in Kassel.

Innovation und Kritik

Der Ansatz, die Methode für den Wiederaufbau der Unterneustadt diskursiv zu entwickeln statt mit einem städtebaulichen Wettbewerb, hatte nicht nur Freunde. In der Nachbetrachtung hat sich der intensive Dialog zu Projektbeginn jedoch bewährt, weil die Ergebnisse des Planungs- und Realisierungsprozesses breit mitgetragen wurden. Das gilt im Prinzip noch heute, auch wenn im Verlauf des Projekts eine Reihe von Abstrichen am Konzept vorgenommen und durchaus schmerzliche Kompromisse geschlossen werden mussten. Dennoch sind – neben dem Bürgerbeteiligungsmodell – eine ganze Reihe innovativer Beiträge erwähnenswert. Hierzu gehört u. a. der kleine Teilbereich „Wohnen ohne Auto“ mit seinen 62 Wohneinheiten. Das erste „autofreie“ Wohnquartier in Kassel funktioniert, auch wenn es sicherlich einige „schwarze Schafe“ gab und gibt, die inzwischen wieder ein eigenes Auto haben. Das flächenhafte Bodendenkmal machte, über das kleine „autofreie Quartier“ hinaus, zahlreiche innovative bauliche Parkierungslösungen notwendig, die jedoch nur punktuell zum Einsatz kamen. Insgesamt gibt es, muss selbstkritisch angemerkt werden, viele wenig befriedigende Parterrelösungen für den ruhenden Verkehr, sogar in ausgesprochen heiklen Lagen direkt an der Fulda.

Städtebauliche Rahmen- und Zielkonzepte, deren Umsetzung sich zum Teil über Jahrzehnte erstrecken, in denen sich wiederum Betrachtungsweisen verändern, können auch unter günstigsten Bedingungen nicht 1 zu 1 umgesetzt werden. So war es auch hier. Das Projekt wurde früh „geadelt“ durch die EXPO-Beteiligung in 2000, hoch gelobt 2002 mit dem Sonderpreis des Deutschen Städtebaupreises für den Mut, eine stark befahrene Ausfallstraße in ihrer Dimension aus städtebaulichen Gründen zu reduzieren, erneut ausgezeichnet 2002 mit dem DIFA-AWARD und auch noch prämiert mit dem „traffic design award“ für die gelungene Fußgängerbrücke.

Dennoch bleiben bis heute noch unerledigte Aufgaben, vor allem im öffentlichen Raum. So fehlen immer noch die Bebauung eines Schlüsselgrundstücks am Unterneustädter Kirchplatz sowie die Fertigstellung der letzten bislang nur provisorisch hergestellten Wohnstraßen sowie die Realisierung der beiden Plätze, Holzmarkt und Unterneustädter Kirchplatz. Die Arbeiten daran sind bei Erscheinen dieses Buches bereits in Gang, sollen 2022 noch andauern und 2023 abgeschlossen werden.

Auch wenn die Wiedereingliederung des ovalen, barocken Kirchplatzes als Pendant zum runden Königsplatz auf der anderen Seite der Fulda eine geschichtsbewusste städtebauliche Entwicklung darstellt, so erfüllt die neue Randbebauung im unteren, süd-westlichen Platzteil nicht überall die erwünscht hohen Architekturansprüche an diesen besonderen Ort. Auch die kleinteilige Parzellierung konnte hier nicht realisiert werden. So musste z. B. der größte Baublock am Kirchplatz, der im Rahmenplan noch für sieben Eigentümer vorgesehen war, nach zehnjähriger vergeblicher Käufersuche „am Stück“ an einen Investor veräußert werden. Immerhin ist es gelungen, das dort errichtete Callcenter mit dem ursprünglich intendierten hohen Gestaltanspruch zu verwirklichen.

Ein wesentlicher Grund für die langsamer als vorgesehen ablaufende Entwicklung und für manche Kompromisse lag u. a. in der Gleichzeitigkeit zweier von Größenordnung und Ausrichtung her ähnlicher Projekte: Neben der Unterneustadt wurde das im Stadtteil Wilhelmshöhe, in der Nähe vom ICE-Bahnhof gelegene Stadtquartier Marbachshöhe konzipiert. Eine bundesweit modellhafte Kasernenkonversion mit ca. 600 Wohneinheiten. Das dort fündig gewordene Stadtgründerpotential hätte teilweise auch in der Unterneustadt investieren und bauen können. Da sich der Wiedervereinigungsboom jedoch bereits Mitte der neunziger Jahre abschwächte, war die gleichzeitige Durchführung – zu der es keine Alternative gab – eine große Herausforderung für die Stadt.

Die unmittelbare und erhoffte Beispielwirkung des Unterneustadtprojekts ist, zumindest bislang, nicht eingetreten. Der Abriss des Polizeipräsidiums auf der anderen Flussseite und der folgende Neubau des Finanzamtes erfolgten ganz ohne Bezugnahme auf stadthistorische und denkmalpflegerische Aspekte. Und so etwas wie Kritische Rekonstruktion war überhaupt kein Thema. Es wurde auch nicht der Weg über einen Architekturwettbewerb gewählt. Außerdem ist wegen eindeutiger Landesvorgaben ein Konzept mit Nutzungsmischung, z.B. Gastronomie und Wohnen, erst gar nicht angestrebt worden. Damit ist eine Großchance zur Aufwertung dieses Teils des Flussufers verspielt worden. Und auch auf Sanierungsaspekte von Innenstadt und Pferdemarkt färbte die Wiedergründung der Unterneustadt bislang noch nicht ab. Vielleicht braucht es dafür noch Geduld.

Guter Städtebau hat nicht zwingend und immer gute Architektur zur Folge

Auch wenn ansprechende Architektur auf der Agenda der PEG nicht an erster Stelle stand, ist die Freude über die vielen gelungenen Architektenleistungen groß. Ganz zufällig ist dieses erfreuliche Ergebnis nicht: Denn bewusst setzte die PEG von Anfang an bei wichtigen Architekturleistungen auf Wettbewerbe und Workshops. So z. B. bei der Brücke, den Stadthäusern am Park und dem „autofreien Quartier“.

Für die Stadthäuser „extra muros“, vor der Zollmauer, direkt am Fluss und unmittelbar in der Nähe des ehemaligen Parks, wurde schon 1996 ein Realisierungswettbewerb mit zusätzlichen Einladungen ausgelobt. Es wurden acht erste Preise vergeben. Das letzte der acht Stadthäuser ist 2008 bezogen worden. Insgesamt ein ausgesprochen sehenswertes und vorzeigbares Ergebnis.

Auch für die neue Brücke gab es einen Wettbewerb. Zahlreiche Bürogemeinschaften aus Architekten und Ingenieuren reichten ihre Entwürfe ein. Die Entscheidung des Preisgerichts fiel auf ein Architekturbüro aus Berlin und ein Ingenieurbüro aus München. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde die neue Brücke im September 2000 eingeweiht und auf den Namen Karl-Branner-Brücke getauft. Sie heißt heute anders und ist nach dem 2019 von einem Rechtsextremen ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, benannt. Dass diese wichtige Verbindung zwischen der Unterneustadt und der Kasseler Innenstadt mehr ist als nur die optimale Verbindung zwischen zwei Stadtteilen, haben die vergangenen Jahre eindrücklich unter Beweis gestellt: Die neue Brücke ist ein Stück Wiedergutmachung sowohl dem fast aufgegebenen Fluss als auch dem Kasseler Osten gegenüber. Letztlich ist das gelungene Brückenbauwerk ein Gewinn für die ganze Stadt.

Für den zentralen Bereich des ehemaligen Waisenhausgrundstücks mit der wichtigen Kindertagestagestätte wurde in enger Kooperation mit den drei Wohnungsbaugesellschaften und fünf ausgewählten Architekturbüros eine Serie von Workshops durchgeführt. In einem beispielhaften Diskurs wurden ab September 1997 zahlreiche Entwurfvarianten erörtert und aufeinander abgestimmt. Zwei zentrale Blöcke wurden parzelliert und unter den drei Gesellschaften aufgeteilt. Die Ergebnisse der Workshops flossen in den Bebauungsplan ein. Das Gesamtergebnis war ein qualifiziertes städtebauliches und architektonisches Konzept, das dem Rahmenplan mit seiner Parzellierungsphilosophie Rechnung trug, die Vorgeschichte des Grundstücks modern interpretierte und den öffentlich geförderten Wohnungsbau in seiner (damals noch) gegebenen Bandbreite hochwertig repräsentierte.

Für den städtebaulich und in Bezug auf das Gesamtprojekt bedeutsamen Kirchplatz fand im März 2000 ebenfalls ein Workshop statt. In diesem Verfahren wurden die Grundprinzipien der Gestaltung des Kirchplatzes und der ihn umgebenden Gebäude erarbeitet. Das Workshopverfahren war deshalb von Bedeutung, weil die Wiederherstellung des Platzes durch das Heranrücken der geplanten Bebauung an die Platzkanten nicht nur eine Veränderung der Raumstruktur mit sich brachte, sondern auch eine Bezugnahme auf die barocke, in Kassel vor allem durch Simon Louis du Ry inspirierte und repräsentierte Planungsphilosophie. Man kann, salopp formuliert, sagen, dass es nach dem Krieg offenbar eines zweiten Anlaufes bedurfte, um diesen Platz, der für mehr als fünf Jahrzehnte aus dem städtischen Grundriss verschwunden war, wieder ins Stadtbild einzufügen. Mit dem Ergebnis des Workshops und der bis heute realisierten Bebauung konnte die aus dem Barock überkommene städtebauliche Grundform gewahrt werden. Während im Barock meist nur verbindliche Gebäudehöhen vorgegeben waren, legten Workshop und Bebauungsplanung darüber hinaus noch eine besonders gestaltete Erdgeschosszone als verbindendes Architekturelement fest. Diese Vorgabe ist allerdings nur unvollkommen umgesetzt worden. Bislang letztes Gebäude am Kirchplatz ist das schon erwähnte Gebäude für eine Pflegeinrichtung mit sehr befriedigender Architekturqualität. Zusammen mit dem Callcenter ist der Platz damit gut gefasst.

Dass die Unterneustadt trotz ihrer Dichte so positiv aufgelockert, häufig grün, stellenweise sogar parkartig daherkommt, dass sogar auf den Straßen Kinder spielen können – und das nicht nur im „autofreien Quartier“ – ist kein Zufall. Das liegt zum einen an der Struktur von Straßen und Plätzen, die mit der Kritischen Rekonstruktion Projektgrundlage geworden ist, zum anderen auch an den planerischen Leistungen eines sehr qualifizierten Büros für das Freiraumkonzept. Es hat die verschiedenen Straßentypologien aus den vergangenen stadthistorischen Epochen analysiert und modern, mit entsprechenden Belägen, neu interpretiert. So ist es gelungen, den hohen Anforderungen unterschiedlicher Nutzerinteressen und den angesagten Fortbewegungsformen Rechnung zu tragen. So findet sich in der Unterneustadt an einigen Stellen das historische, bei Erschließungsarbeiten vorgefundene Basaltpflaster neben modernen Beton- und Pflasterbelägen. Damit ist der Bezug zur Geschichte hergestellt und auf die spezifischen Bedürfnisse von Inlineskatern, Rollstuhlfahrern, Behinderten und Radfahrern wird gleichermaßen Rücksicht genommen. Die große Qualität der Freiraumplanung wird sich allerdings erst in den kommenden Jahren vollends zeigen, wenn die beiden Plätze – Holzmarkt und Unterneustädter Kirchplatz – wieder Stadt und Stadtteil prägen und den Schlusspunkt unter die Wiedergründung setzen werden.

Apropos Schlusspunkt: Als Pyramidion wird in der Archäologie der letzte Stein einer Pyramide bezeichnet. Pyramidia von Pyramidenbauwerken haben ganz ähnliche Proportionen wie diese und stellen sie als verkleinerte, verdichtete Form dar. Da wir vermutlich einen solchen Schlussstein in der Unterneustadt für die Vollendung des Projekts nicht so einfach werden einsetzen können – dazu weist die Unterneustadt zu wenig Pyramidencharakter auf – sollte angesichts der immer noch unfertigen Situation, die vor allem am Unterneustädter Kirchplatz sichtbar und schmerzhaft ins Auge fällt, über eine andere Lösung nachgedacht werden.

Möglich wäre hier z.B. ein Rekurs auf einen Vorschlag Prof. Burelli. Burelli ist Prof. für Architektur in Venedig und hat in der oben schon erwähnten Architekturwerkstatt im Dezember 1993 eine interessante Auseinandersetzung mit dem Kirchplatz, seinen Proportionen und Herausforderungen, geliefert. Auch wenn viele seiner Anregungen heute nicht mehr umsetzbar sind, auch wegen der am Kirchplatz stark vom Konzept abweichenden Parzellengrößen, bleibt seine Turm-Idee eine wichtige Anregung. Diese Idee steht im Zentrum seines Entwurfs, die nordwestliche Ausfahrt der Leipzigerstraße aus dem großen Oval mit einem Gebäudekomplex zu betonen, dessen markantes Kennzeichen ein Wohnturm ist. Ganz nah an der Stelle, wo im heutigen Kirchplatz eine wohlproportionierte Autowaschanlage den Blick des Betrachters irritiert. Sie so hässlich wie überflüssig und verhindert bis heute die Herstellung und Vollendung der ovalen Platzform.

Den großen ovalen Platz durch und mit einem Quasi-Pyramidion aufzuwerten und damit den Schlussstein für das Gesamtprojekt zu setzen, nachdem der Kirchplatz zu lange aus dem Stadtbild verschwunden war, wäre nicht nur ein würdiger Schlussakkord für die Wiedergründung, sondern auch eine Ehrerweisung an Simon Louis du Ry, den wahrscheinlichen Schöpfer dieser großen Stadtfigur. Mag er auch in Historikerkreisen nicht ganz eindeutig der Entwerfer sein, weil möglicherweise einer seiner Vorgesetzten, ein Obrist mit dem Namen Johann Wilhelm von Gohr, den Entwurfsstift führte, so darf er dennoch als geistiger Vater auch dieses Platzes gelten. Denn der Schöpfer der drei großen Plätze auf der westlichen Seite von Kassel – wir haben ihm u.a. den Königs-, Friedrichs- und Schlossplatzplatz, wobei zumindest die beiden ersteren bis heute Kristallisationskerne der Stadtmitte sind, zu verdanken – sondern zumindest ideell eben auch den beeindruckenden ovalen Kirchplatz.

Mit einem passgenauen, gelungenen Entwurf, aus einem Architektenwettbewerb hervorgegangen, könnte dem Anspruch der du Ry’schen Großfigur Rechnung getragen und gleichzeitig an den spannenden Entwurfsbeitrag von Prof. Burelli erinnert werden.

Apropos Kritik: Die Konsequenzen des Eingehens auf die Vorgaben der Denkmalpflege – die historische Schichtenfolge unterhalb des Trümmerschutts vom Mittelalter über den Barock bis 1943 unter keinen Umständen anzutasten – sind vielfältig und teils ausgesprochen problematisch. Sichtbar bis heute, und das vermutlich für immer. Für die Grundidee der kritischen Rekonstruktion, die Bezugnahme auf den alten Stadtgrundriss als Folie für einen modernen Wiederaufbau, waren die Vorgaben der Denkmalpflege noch verträglich und einlösbar. Eben weil die neuen Straßen mehr oder weniger passgenau auf den alten Straßen lagen. Da jedoch Keller und damit Tiefgaragenlösungen ausschließlich und nur dort erlaubt waren, wo aus historischen Plänen erkennbar war, dass mit baulichen Relikten nicht zu rechnen sei, konnten Lösungen für das Abstellen der Autos auf dem jeweiligen Grundstück nach der Stellplatzsatzung oft nur mit unbefriedigenden Kompromissen gefunden werden. So stehen heute in vielen Gebäuden direkt an der Fulda Autos privilegiert im Parterre. Mit Flussblick sozusagen. Erst spät wurde erkannt, da waren alle politischen Beschlüsse längst bindend gefasst, welche Tragweite dieses aus heutiger Sicht problematische Verdikt haben würde. Denn schon im Zuge der verabredeten und von der PEG finanzierten archäologischen Grabungen durch das IBD Marburg/Freies Institut für Bauforschung und Dokumentation e.V., so in der Alten Bettenhäuser Straße und im Bereich der ehemaligen Zollmauer, stellte sich heraus, dass im Untergrund der Unterneustadt mitnichten Schätze à la Pompei vorzufinden waren. Vielmehr sind nur wenige, vollkommen uninteressante Reste von Alltagsgegenständen gefunden worden, die nie in das Licht irgendeines Museums gelangen werden. Mit den Fundstücken aus Pompei war das bekanntlich anders. Politik und PEG hätten, heute ist das leicht zu formulieren, beim Landesamt für Denkmalpflege auf weitgehende Ausnahmegenehmigungen drängen müssen. Die aktuellen Fotos zeigen das Dilemma allzu deutlich: Privilegien für parkenden „Blech“ in allerbester Lage! Der schon erwähnte Slogan „Leben am Fluss“ wird so ein Stückweit in sein Gegenteil verkehrt, weil sich eigentlich die neuen Bewohner der Unterneustadt ihren Fluss aneignen, ihm nahe sein sollten. Nicht aber deren abgestellte Autos.

Das aktuellste Gebäude: Erst 2019 wird eins der Schlüsselgrundstücke bebaut.

Damit sollte es fast 30 Jahre dauern von den ersten Überlegungen zu einer Bebauung des ehemaligen Messeplatzes bis hin zum schwierigen Lückenschluss an der großen Fuldabrücke. Eine wirklich knifflige, sehr anspruchsvolle architektonische Aufgabe war hier zu lösen. Nun, nachdem sich das planende Architekturbüro dieser Aufgabe mit Bravour, mit einem spektakulär gelungenen Entwurf entledigt hat, werden alle Besucher unmissverständlich mit der Tatsache konfrontiert, dass spätestens hier die Stadt beginnt! Wie zur Begrüßung ragen die beiden fünf- und sechsgeschossigen Gebäudeteile in den Himmel! Die Fuldalofts genannten Gebäude haben eine Nutzfläche von ca. 4.200 m² mit 18 attraktiven Wohnungen, acht Büros und begrünten Dächern.

 

Mit einer 19.999 Euro Initiative je Grundstück macht sich die Stadt auf, dem in Zukunft noch zunehmenden Hitzestress in der City entgegenzuwirken. Im Wesentlichen bezieht sich das Vorhaben mit dieser kleinen Finanzspritze auf das Innenstadtgebiet, die Frankfurter Straße und den Schönfelder Park. Im Kern jedoch …

Am Frühlingsanfang 2022 macht die HNA mal nicht mit dem Krieg in der Ukraine auf, sondern mit dem Seepferdchen. Es wird berichtet, dass der Rotary-Club Kassel mit 20.000 Euro Spendengeld dazu beitragen möchte, dass Kassels Kinder, deren Schwimmfähigkeit sich nach Experteneinschätzung in der Coronazeit noch einmal deutlich verschlechtert hat, das Schwimmen erlernen können.

Es gibt Menschen, die mit der Bundestagswahl im September bestimmte Hoffnungen verbinden werden. Viele werden das inzwischen aber eher nicht (mehr) tun. Einige der Letzteren auch deshalb, weil trotz des vielen Redens über die Klimawandel-Bekämpfung, über immer neue Volten in der Energie-, Landwirtschafts- und Verkehrspolitik, inzwischen die Glaubwürdigkeit der Politik auf der Strecke geblieben ist. Wer, wie CDU und SPD, die die Hebel der Macht seit Jahrzehnten richtig fest in der Hand hielten – sie stellten schlicht alle Regierungen seit Bestehen der BRD, in welcher Farbkombination auch immer – jetzt plötzlich derart geläutert und handlungsbereit auftritt, nur weil ein Gerichtsurteil den beiden Parteien ordentlich die Leviten las, ist alles andere als glaubwürdig. Und wer sollte z.B. einem Herrn Laschet Vertrauen entgegen bringen gerade in Umweltbelangen, wenn der vielleicht im Oktober in enger Umarmung mit Herrn Merz die neue Umweltpolitik der BRD bestimmt? Und wer sollte Herrn Scholz Glauben schenken, der sich um das Wohl der Hamburger Banken mehr gekümmert hat als um arme Hamburger*innen, obwohl er doch damals auch schon sehr genau wusste, dass CumEx-Geschäfte verbrecherischer Steuerbetrug in großem Stil sind? Und auch seine Rolle im Wirecard-Skandal macht ihn nicht vertrauenswürdiger, auch wenn er weiterhin unter dem Label ‚sozial und demokratisch‘ für sich wirbt.

Wollen, sollen wir wirklich glauben, dass Herren wie Scholz und/oder Laschet, in welcher Kombination auch immer sie eine neue Regierung nach den September-Wahlen bilden werden, dann die einschlägigen Konzerne und die wirklich Mächtigen und Reichen dieses Landes in die Schranken verweisen? Dieser Gedanke nötigt mir nur ein müdes Lächeln ab. Denn: Wie immer werden sie weiterhin nahezu jede ökologische Schandtat begehen, jedes weitere Stück neuer Autobahn mit Zähnen und Klauen durchprügeln, wie wir es gerade am Dannenröder Forst live beobachten durften. Sie werden uns sicherlich weitere Jahre mit Glyphosat bescheren, weiter ihre Hand schützend über K+S halten, damit dieser unbelehrbare Salzgigant weiterhin Flusssysteme und Grundwasser vergiften und zerstören kann. Und sie werden bis 2038 nicht nur hier bei uns weiter Braunkohle verfeuern lassen, sondern ebensolche Kraftwerke mit Bundesbürgschaften und entsprechenden Gewinnen bei den Produzenten solcher Anlagen an andere Länder verkaufen. Ja, all das um der Arbeitsplätze willen und damit der Aktienmarkt die Reichen, Mächtigen und Schönen der Republik immer wieder aufs Neue beglückt. Und Herrn Scheuer, dem beScheuertsten Verkehrsminister ever, wird mit großer Sicherheit wieder eine neue Spitzenkraft aus der CSU-Riege folgen, der/die es nicht viel besser machen wird als eben dieser unser Andi.

Und das bringt uns zurück nach Kassel und auf das hiesige kommunalpolitische Parkett. Hier haben wir es zwar nicht mit einer schwarz-roten Kombination zu tun, vielmehr mit einer seit Jahrzehnten die Kommunalpolitik dominierenden SPD. Erst in den letzten Jahren musste sie, widerwillig und sich sträubend zwar, einiges ihrer quasi-feudalen Macht an die Grünen abgeben. Dennoch blieb im Wesentlichen alles beim Alten. Und in Vielem ähnelte die SPD Politik in Kassel dem, was wir in den letzten Jahrzehnten im Bund und auch im Land erleben durften: Ein Manko an Phantasie, an Mut, an Ideen und an Sachverstand bei fast allem, wenn man ökologisch-politisches Handeln näher betrachtet. In ich-weiß-nicht-wie-vielen Artikeln bin ich diesem Großversagen in den letzten Jahren nachgegangen. Zugegeben meistens erfolglos, aber auch nicht immer, wie die schöne Geschichte und das gute Ende mit dem documenta-Archiv auf dem Karlsplatz gezeigt hat. Denn dort haben schließlich auch meine guten Argumente mit dazu beigetragen, der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen …

Nun vernimmt die verkehrsplanerisch interessierte Fachwelt und viele verkehrspolitisch engagierte Bürger*innen und Bürgerinitiativen, dass sieben Städte austesten sollen, ob Tempo 30 stadtweit und regelhaft gut sein soll: Also helfen soll, weniger CO2 in die Atmosphäre zu pusten, weniger Lärm* und weniger Verkehrstote und –verletzte zu produzieren, mehr Lebensqualität für alle in die Städte zu bringen und vor allem: Mehr Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer zu erzeugen. Was für ein blödsinniger Test! Warum? Ja, genau, weil man das alles schon seit Jahrzehnten bestens weiß! Dafür braucht es keinen „7-Städte-Test“, vielmehr Konsequenz und Mut, das endlich umzusetzen!

Dass sich Kassel natürlich nicht für eine Schlüsselrolle dieser unnötigen Testerei beworben hat, muss nicht verwundern. Wir haben seit den letzten Kommunalwahlen zwar eine (verbal) grün eingefärbte Kommunalpolitik und sogar (wieder) einen grünen Verkehrsdezernenten, aber leider immer noch keine Wende in Sachen Ökologie und Verkehr. Das ist sehr bedauerlich, denn Kassel hat im Gegensatz dazu eine ausgesprochen bewegte und engagierte Bürgerschaft und darüber hinaus eine fleißige und überaus kompetente Oppositionsfraktion: Sie nennt sich nach den letzten Wahlen nun Linksfraktion und setzt das fort, was die Kasseler Linke über viele Jahre an vorbildlicher Oppositionsarbeit geleistet hat: Eine beachtenswerte Performance im Parlament für ökologische und soziale Ziele, gut vernetzt mit der vielfältigen und sehr aktiven außerparlamentarischen Opposition …

Und die war in der jüngsten Vergangenheit wahrhaft mehr als rege. Ganz besonders ragt hier die Initiative der Radler*innen für ein Bürgerbegehren zu einem Radentscheid heraus, für das 2018 über 22000 Unterschriften gesammelt worden sind. Aber auch die Proteste gegen die völlig hirnrissigen Einsparungen bei der KVG haben Eindruck hinterlassen, ebenso wie erster Widerstand gegen die städtische Wohnungspolitik, die immer die Betuchten im Auge hat, viel weniger jedoch die, die aus sozialen Gründen auf die Unterstützung der Stadt angewiesen sind.

Es wäre an der Zeit, ganz ohne abzuwarten, was bei dem Groß-Test in den sieben ausgewählten Städte in Sachen stadtweites Tempo 30 herauskommt, Tempo 30 schlicht und einfach sofort zu realisieren. Dafür braucht es nur klare Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung auf der Basis eines klugen und ausgereiften Konzepts, mit der klaren Mehrheit der Stimmen von SPD, Grünen und Linken. Niemand käme ins Gefängnis, niemand würde verurteilt, niemand würde gerügt: Denn Tempo 30 kommt so oder so! Und weil das alle wissen, kann auch auf die Testerei verzichtet werden. Tempo 30 rettet Leben, Tempo 30 verbessert die Luft, Tempo 30 macht Gehen und Radeln sicherer und Tempo 30 verringert den Lärm für Abertausende, die an den großen Hauptverkehrsstraßen Gesundheitsschäden in Kauf nehmen müssen … Natürlich auch mit der einen oder anderen begründeten Ausnahme, wie z.B. der vierspurigen Dresdner Straße. Am Ende kommt dann auch das Tempolimit auf den Autobahnen. Und wenn die Bundesrepublik Deutschland endlich die Raserei dort aufgibt, bleibt nur noch Nordkorea ohne ein vergleichbares Tempolimit übrig …

Also: Auf geht’s, Herr Nolda! Zeigen Sie Mut und engagieren Sie sich in Sachen Verkehrsberuhigung. Das ist nun ja wieder Ihr Job. Und kommen Sie bitte nicht noch einmal mit den Ruheoasen. Die sind auch gut, haben aber mit Verkehrslärm nichts zu tun. Wie man in meinem Artikel vom letzten Sommer hier lesen kann: Ruheoasen als Lärmschutz? Was für ein Unsinn!