Ich bin nicht der Einzige, der den Niedergang der SPD im Allgemeinen, in Nordhessen im Besonderen und mit 100-prozentiger Treffsicherheit für die Kasseler SPD schon vor vielen Jahren vorhergesagte. Und ich weiß natürlich, dass sich – vielleicht mit der Ausnahme der beiden iberischen Parteien (PSOE in Spanien und PS in Portugal, bei deren „Geburt“ 1973 die SPD übrigens zahlkräftige Hebamme gespielt hat) – auch viele andere sozialdemokratische Parteien im Niedergang bzw. im freien Fall befinden. Wenn für den Niedergang der sich sozialistisch nennenden Parteien ein Bild benötigt wird: Schon 2017 musste sich die Sozialistische Partei Frankreichs (PS) von ihrem noblen Hauptquartier am linken Ufer der Seine in der noch nobleren „Rue de Solférino“ trennen. Geldmangel aufgrund katastrophaler Wahlergebnisse und radikalem Bedeutungsverlust! Damit will ich nicht sagen, dass die SPD bald aus dem Willy-Brandt-Haus ausziehen muss: Aber bald wird massiv gespart werden müssen … Das wird noch spannend. Denn wenn die SPD bei den nächsten Wahlen im Bund vielleicht sogar unter die 10 Prozent-Marke fällt, wird sie vermutlich viele ihrer noblen Karossen nicht mehr weiterfahren können.

Das ist mehr als eine Analyse wert, führt aber hier zu weit. Sagen kann man nur jetzt schon: Wenn sich die SPD nicht bald auf Inhalt und Begriff ihres eigentlich so schönen Namens besinnt, sondern weiter irrlichtert in neoliberalen Sackgassen und weiter versucht, in der Mitte und rechts von der Mitte auf Stimmenfang zu gehen, wird sie bald in der kompletten Bedeutungslosigkeit versinken. Ob die Armen mit Bürgergeld erniedrigt werden oder mit Hartz IV, ist letztlich egal: Es käme vielmehr darauf an, dass sich SPD auf die besinnt, die hart und oft ungesichert arbeiten, die mit 1-Euro-, Minijobs, Mindestlohn und anderen unregulierten Formen der Ausbeutung gequält werden, gar keine Arbeit haben, studieren oder krank sind: Also auf alle diejenigen, die in diesem neoliberalen Land ökonomisch an den Rand gedrängt werden und die es schwer haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Völlig unabhängig davon, wie die Politiker, die Medien, die großen Unternehmen und die trotz weitverbreiteter öffentlicher Armut wachsende Zahl an Super-Reichen über die tiefe Spaltung der bundesdeutschen Gesellschaft so reden: Der Zustand der BRD ist katastrophal! Die früher mal als Partei der kleinen Leute geltende SPD traut sich nicht einmal mehr, die Vokabel Vermögenssteuer in den Mund zu nehmen oder sie in ihre Programme zu schreiben …

Das Wahlergebnis bei den letzten hessischen Wahlen im Oktober 2023 zeigt ein Bild des Jammers: Ganz Hessen, das ja mal ein rotes Bundesland war, ist nun tiefschwarz. Von den 55 Wahlkreisen gingen 52 an die CDU, 3 an die Grünen. In Kassel, wo über Jahrzehnte ohne die Zustimmung der SPD kein Sack Reis umfallen durfte, kräht kein Hahn mehr nach ebendieser SPD. Kassel ist insofern allerdings eine Besonderheit, das muss man in Erinnerung rufen, als hier der letzte Oberbürgermeister eigenhändig die Säge an den Stamm der Partei angesetzt hat. Ohne diesen Herrn Geselle, den Unsäglichen, wäre die Niederlage hier vielleicht nicht ganz so dramatisch ausgefallen. Was aber auch kein wirklicher Trost ist.

Ohne allzu weit in die Geschichte der SPD einzutauchen, also nicht bis zur Zustimmung zu den Kriegskrediten für den 1. Weltkrieg 1914 oder den Berufsverboten in den 70igern (wo Willy Brandt ja mehr Demokratie wagen wollte!): Bei der SPD muss auf jeden Fall ein radikaler Kurswechsel stattfinden. Der wird das Land noch intensiv beschäftigen und er muss – wenn die furchtbaren Kriege gegen die Ukraine und gegen Israel dann vorbei sind – rasch in Angriff genommen werden. Gründlich, mutig, intelligent: Sonst landet die Parteizentrale doch noch in der Spree!

Für das gesamtdeutsche Projekt dieses notwendigen Wandels wage ich jetzt noch keine Prognose, auch weil Leute wie Kevin Kühnert sich jetzt noch vor allem und nahezu ausschließlich mit dem Konfliktmanagement in der trostlosen Berliner Ampel beschäftigen müssen. Aber auch diese Etappe geht vorbei und dann stehen die angesprochenen SPD-Entscheidungen über ihre Zukunft auf der Tagesordnung …

Was die notwendigen Reformen hier bei uns in der Region anbetrifft, kann ich schon mal so was wie eine Mini-Prognose wagen: Und die sieht düster aus. Das Bild dafür stammt aus der letzten Vollversammlung des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK*), die am 20.09.2023 im Kasseler Rathaus stattfand. Angesichts des Tatbestandes, dass in den ehemaligen nordhessischen SPD-Hochburgen par excellence, Kassel und Landkreis Kassel, die Wahlergebnisse in den vergangenen Jahren immer magerer ausgefallen sind, während die CDU z.B. immer stärker wird, leider auch die AfD, hätte die SPD die Möglichkeit gehabt, bei der Nachwahl für einen stellvertretenden Vorstandsposten der CDU ein Angebot zu machen. Aber nix da! Mit ihrer aktuell noch vorhandenen Mehrheit besetzt die immer noch machtbesoffene SPD den freien Platz wieder mit einer Genossin, der SPD-Bürgermeisterin von Baunatal, Frau Manuela Strube. Obwohl die SPD genau weiß, dass das den aktuellen Machtverhältnissen in der Region überhaupt nicht mehr entspricht.

Ich, als Parteiloser auf dem Ticket der Linkspartei in diesem Parlament, habe mich darüber genauso geärgert wie die CDU-Fraktion, die mit einem respektablen Gegenkandidaten ins Rennen gegangen ist: Mit Herrn Bürgermeister Karsten Schreiber.

Daran erkennt man deutlich, wie es im Inneren der Partei aussieht: Die schwarz-grüne Welle rollt heran (Hessen hat sie ja gerade unter Wasser gesetzt!), aber hier im ZRK wird schnell noch „eine Rote“ in ein Amt gehievt. Kein Gespür für Wandel und kollegiale Gesten. Nur Klüngel und Machterhalt – wenn auch für nur noch kurze Zeit.

Was gibt es Tröstliches? Der nächste Vorstand des ZRK wird vollkommen anders aussehen. Ganz anders!

*Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Institution und Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifenden Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehörte z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden gewesen, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung (VV) der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen .

Dass Dr. Barthel dem endlich und bald Ex-OB Geselle, nach dessen vergeigter Wahl und einer zerlegt hinterlassenen Partei, mit seinem Parteiaustritt folgt und die Partei mit dem schönen Namen verlässt, muss niemanden wundern. Und bedauern muss man das auch nicht. Ein richtiger SOZIAL-Demokrat ist er ohnehin nie gewesen. Wer als zuständiger Kassenwart einer Stadt per Presseverlautbarung vom Präsidenten des Landesozialgerichts dazu angehalten werden muss, geltendes Recht bei der Auszahlung der Kosten der Unterkunft (KdU) einzuhalten und dabei die Ärmsten der Stadt nicht um ein paar Euronen zu bescheißen, der muss nicht jammern, wenn Kritiker ihm das SOZIALE absprechen. Seine vielen anderen Untaten könnte man, hätte man die Zeit dafür, in den älteren Ausgaben der LinksZeitung hier nachlesen.

Über lange Jahre prägte dieser Dr. B., ein extrem konservativer Kämmerer, die Politik der Kasseler SPD, indem er Haushaltsdisziplin als einzige Kategorie kommunalpolitischen Handelns propagierte. Viele rot-grüne Koalitionen haben unter seiner rigiden, engstirnigen Politik gelitten. Und viele Probleme, die Kassel dem Einfluss dieses Politikers (mit-)verdankt, sind bis heute spür- und sichtbar. Manche davon haben das Image und den Ruf der SPD mehr oder weniger stark belastet. Zahlreiche Genossen wollten das seinerzeit jedoch nicht sehen, auch weil viele Dr. B. eigentlich kritisch gegenüberstehende Sozialdemokraten dann immer mehr in Barthels Fahrwasser gerieten. Exemplarisch gilt das insbesondere für Ex-OB Hilgen. Der wollte Barthel eigentlich anfangs loswerden, konnte ihn dann aber nicht mehr aus dem Magistrat werfen, weil Barthel die Stimmen der CDU bekam und so Kämmerer bleiben konnte. Das sollte fatale Auswirkungen haben. Teils bis heute …

Um nur ein Beispiel zu nennen, an dem man den unseligen Einfluss von Dr. B. ablesen kann, sei an die Zerstörung des Stadtbades Mitte erinnert. Dort, wo heute ein schlichter Büroklotz dem Lutherplatz Paroli bietet, hatte Kassel lange Jahrzehnte – genau an der richtigen Stelle und optimal an den Nahverkehr angebunden – sein zentrales Hallenbad. Mit dem Grundstück der Göttinger Diakonie und dem ehemaligen Parkplatz hinter dem Hallenbad hätte man, wäre Dr. B. nicht gewesen, ein wunderbares, modernes Stadtbad errichten können: Für Beschäftigte, Schüler und Schwimmerinnen aller Art gleichermaßen und optimal erreichbar. Stattdessen muss man heute zum Schwimmen quer durch die Stadt bis in die Karls- und Fuldaaue rammeln, wo dann am Ende Kolonnen von parkenden PKW’s Kassels grünes Herz belasten. Das Barthel’sche Spaßbad an der Fulda steht nun für lange Zeit am falschen Ort. Spätestens beim nächsten Hochwasser werden sich einige dann daran erinnern, wieviel Retentionsraum für das Bad dort vernichtet worden ist. Dann wird man wieder wissen, wo das Bad eigentlich hätte neu errichtet werden müssen!

Eine entsprechende Ausbildung, die Dr. B. qualifiziert hätte, derartige Entscheidungen begründet herbeizuführen, hat er nicht aufzuweisen, auch wenn er immer wieder mal fehlende oder abwesende Baudezernenten vertreten durfte. Leider sind weder die jeweils zuständigen Magistratsmitglieder noch die Oberbürgermeister dieser Politikperiode in der Lage gewesen, den unseligen Einfluss von Dr. B. zurück zu drängen. Es darf und muss auch daran erinnert werden, dass es nur dem außerparlamentarischen Druck und der konsequenten Politik der damaligen Fraktion der Kasseler Linken zu verdanken ist, dass das von Dr. B. beabsichtigte Zerstören und Abreißen weiterer Schwimmbäder nicht realisiert wurde. Bürgerinitiativen verhinderten das bei den Bädern in Harleshausen und Wilhelmshöhe. Das Hallenbad Mitte – wie oben beschrieben – und das Hallenbad Ost konnten der Abriss-Wut von Dr. B. jedoch nicht entgehen.

U.a. deshalb wiederhole ich: Wenn Dr. B. jetzt der Partei, die ihm seine kleine Kassenwart-Karriere ermöglicht hat, den Rücken kehrt, muss sich darob niemand grämen. Und schon gar kein Sozialdemokrat, der die beiden Worte, die im Parteinamen enthalten sind, verinnerlicht hat und ernst nimmt.

Fazit: Mit Geselles Zeit als OB geht in wenigen Tagen für die Stadt und die SPD eine Ära zu Ende. Eine tendenziell unselige. Dass zusammen mit Geselle nun auch Dr. B. die SPD verlässt, kann man durchaus als positives Omen interpretieren, auch wenn der rechte Flügel wohl eher vom Verlassen eines sinkenden Schiffes sprechen wird. Und ob Herr Merz, der es jetzt allen diesen Flügeln recht machen soll, besagtes Schiff wieder flott machen kann, wird man sehen. Denn es gibt echt viel zu reparieren …

Für welche Konsequenzen wird er z.B. beim zurückliegenden documenta-15-Debakel sorgen, das Kassel und die documenta weltweit so schwer belastet hat? Soll es nach dem Willen der Ex-OB-Triade gehen, Eichel, Bremeier, Hilgen, hat ja gefälligst alles beim Alten zu bleiben. Was bestimmt keine gute Idee ist. Denn eins ist klar: Werden keine neuen Spielregeln eingeführt, die sicher ausschließen und verhindern, dass unter dem Label von Kunstfreiheit und Antikolonialismus erneut antisemitische und gegen Israel gerichtete Exzesse auf der hoch öffentlich geförderten documenta geschehen können, was im vergangenen Jahr weltweilt für Schockwellen der Empörung gesorgt hat, ist die documenta ernsthaft gefährdet. Und das wollen nicht nur die drei Ex-OB’s nicht.

Allerdings muss man sich in Stadt, Land und Bund dem hochbelasteten und hochkomplexen Thema offen stellen. Das gilt auch für den neuen SPD-Vorsitzenden. Denn er wird sich bestimmt noch erinnern, wie im Juni 2022, bei der Eröffnung der documenta 15, ein bedröppelter OB Geselle von Bundespräsident Steinmeier Geschichtsunterricht erhielt. Mit „sich dem Thema stellen“ ist gemeint, dass verinnerlicht wird, dass die documenta 15 für die Jüdinnen und Juden in Hessen lt. RIAS (Recherche – und Informationsstelle Antisemitismus) eine Zunahme an faktischem und konkretem Antisemitismus gebracht hat. Das berichtet die HNA am 2. Juni 2023. Diese Tatsache und die im Abschlussbericht des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta 15 unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Nicole Deitelhoff herausgearbeiteten Erkenntnisse müssen zur Grundlage der Aufarbeitung des Skandals und der Neuformierung der Strukturen gemacht werden. Die in falsch verstandener Heimat- und Kassel-Liebe aufs bloße Bewahren des Bewährten gerichteten Aktivitäten, wie sie im Verhalten der schon erwähnten Ex-OB-Triade zum Ausdruck kommen, helfen nicht wirklich weiter.

Viele haben nicht richtig gelegen mit ihren Prognosen, was die OB Wahlen am 12. März 2023 angeht. Ich jedoch schon.

Bereits am 12. September 2022 habe ich in einem Artikel mit der Überschrift, OB Geselle möge seinen Job endlich an einen Profi oder eine besser dafür Geeignete abgeben, treffsicher beschrieben, wie die Ära Geselle wohl enden wird. Visionär ist dafür eher nicht das richtige Adjektiv, vielmehr die korrekte Analyse der schon im September sich abzeichnenden Ereignisse. Am Ende meines Artikels, der die wesentlichen Kritikpunkte an OB Geselles Amtszeit noch einmal zusammengefasst hat, wagte ich folgende Prognose:

„Wenn Sie (gemeint ist OB Geselle) unbedingt wissen wollen, wie beliebt Sie sind, dann können Sie ja als Solist kandidieren. Das ist ihr gutes Recht. Ich rate Ihnen allerdings davon ab, weil Ihre Eitelkeit vermutlich nach Verkündigung des Wahlergebnisses im Frühjahr 2023 Schaden nehmen könnte.“

Hier kann man das in voller Gänze noch einmal nachlesen …

Und nun, am Sonntagabend, also am Wahltag des 12. März 2023, ist es genau so gekommen. Im Prinzip zumindest. Denn eins ist glasklar: Vor allem Geselles Ego und seine Eitelkeit haben „Schaden genommen“ und sind nun erheblich geschrumpft, auf Normalmaß! Den größten Schaden allerdings trägt die „ruhmreiche“ Kasseler SPD davon. An dem in erster Linie vom Noch-OB Geselle angerichteten Flurschaden wird die SPD noch lange zu tragen haben, vermutlich schon bei den bald anstehenden Landtagswahlen in Hessen …

Als ich meine Prognose auf den Wahlausgang der OB Wahlen wagte, war noch längst nicht klar, dass aus dem parteiinternen SPD-Streit ein derartiges Debakel erwachsen würde. Aber man konnte sehr wohl erahnen, dass aus der mutwilligen Zertrümmerung von Partei und Fraktion tatsächlich eine Solokandidatur gegen die eigene Partei herauskommen könnte. Was im Übrigen andernorts schon andere Egomanen, teils mit, teils ohne Erfolg, vorexerziert hatten … Meine Prognose wagte ich nicht, weil es die Spatzen schon vom Rathausdach gepfiffen hätten! Nein, vielmehr habe ich mich zu ihr animiert gefühlt, weil eben das – die eitle Solokandidatur – genau zu Geselles egoistischem Verhalten und seiner übergroßen Selbstbezogenheit passte. Haarnadelgenau!

Nun hat Geselle am besagten Wahltag im Verhältnis zur Wahl vor 6 Jahren 25 Prozent der Stimmen verloren und nur noch einen Mini-Vorsprung vor seinem eigentlichen Herausforderer von den Grünen, Herrn Dr. Schoeller, gehabt. Da Geselle nicht blöd ist, war ihm kurz vor dem Ende der sonntäglichen Hessenschau schon klar, dass er zur Stichwahl gar nicht mehr anzutreten braucht. Niemand kann natürlich genau sagen, weil das auf reine Spekulation hinausliefe, wie das Rennen ausgegangen wäre: Aber sowohl Geselle als auch mir war klar, dass mit dem Wahlergebnis der Traum vom Solotrip zur zweiten OB-Wahl ausgeträumt war. Deshalb ist Geselle feig und flink ins Gebüsch gehüpft: Von einer bösartigen Kampagne gegen ihn schwafelnd, die es allerdings so gar nicht gab.

Das anonyme Schreiben eines nicht existierenden „Frauen-Widerstandes“, verteilt ausschließlich im Kasseler Rathaus, verdient nicht, dass man sich damit näher beschäftigt. Durch Geselles Selbstanzeige beim RP als Kommunalaufsicht ist das Machwerk quasi aus der Welt. Es hatte weder einen Beitrag zum Wahlkampf geleistet, noch das Image des Oberbürgermeisters wirklich angekratzt. Alle Parteien und alle OB KandidatInnen haben sich von dem Machwerk klar, eindeutig und sofort distanziert. Weitere Verleumdungen oder Diffamierungen hat es schlicht nicht gegeben.

Dass Geselle und seine Fan-Gruppe dennoch so sehr auf Diffamierungskampagne machten, hat einen ganz anderen Grund: Die Internetseite „geselligeWahrheiten.de“, dessen Impressum die Herausgeber korrekt benennt und damit den Standards des Presserechts im Internet genügt, hat objektiv den Wahlkampf bereichert. Zu 18 Themenfeldern werden hier – vom vergeigten Verfahren um das documenta Archiv über den ausmanövrierten Radentscheid bis hin zum Versagen in der Klimapolitik viele Kritikpunkte faktenreich und korrekt aufgelistet, belegt und bewertet. Damit diese Veröffentlichung im Netz seine aufklärerische Wirkung erst gar nicht entfalten konnte, musste massiv mit Dreck geworfen und mit bösartigen Unterstellungen gearbeitet werden. Genau dafür musste die Boy- und Girl-Gruppe der Geselle Fans herhalten! So konnte diese auf Fakten und Informationen beruhende Seite ihre Wirkung möglicherweise gar nicht erst entfalten. Was aber Spekulation ist.

Fest steht, dass diese fleißige und facettenreiche Aufarbeitung Gesellescher Politik nichts, aber auch gar nichts mit Verleumdung oder Diffamierung zu tun hat. Auch die Familie des OB’s spielte hier (natürlich) keine Rolle. Dass die hohe Qualität der Beiträge dennoch ohne AutorInnen – Nennung veröffentlicht worden ist, wirft ganz andere Fragen auf, als es die Geselle Verteidiger sich vielleicht träumen lassen. Da es sich bei den AutorInnen vermutlich meist um MitarbeiterInnen des Rathauses, der Universität und/oder Rathaus affiner Unternehmen handelt, haben sie sich – der Arm eines OB’s kann lang sein (!) – vielleicht einfach nicht getraut, sich mit ihrer Kritik zu outen. Ich frage Sie als LeserInnen der Kassel-Zeitung: Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen für einen OB, wenn dem so sein sollte? Ich meine jedenfalls, dass – hätten alle WählerInnen vom letzten Sonntag diese Texte auf der „geselligeWahrheiten.de“ Seite tatsächlich gelesen – Geselles Wahlergebnis noch viel schlechter ausgefallen wäre …

Im Übrigen muss jeder Mensch, Mann oder Frau, die oder der sich in diesem Land für ein so herausgehobenes öffentliches Amt zur Verfügung stellt, mit Kritik und Anfeindungen unterschiedlichster Art rechnen. Das ist leider ein bedauerlicher Tatbestand, der durch die Umtriebe im Internet an Widerwärtigkeit noch deutlich zugenommen hat. Während andere PolitikerInnen jedoch tatsächlich bedroht wurden und sogar oft schon physisch angegriffen und sogar verletzt wurden (Beispiel Köln) oder brutal bedroht und beschimpft worden sind (Bespiel NSU 2.0), hat Geselle nur den o.a. anonymen „Frauen-Widerstandsbrief“ erhalten bzw. ertragen müssen. Der Besuch von vermummten Gestalten vor Geselles Privatgrundstück ist, zugegeben, unangenehm und natürlich zu verurteilen, aber in der kolportierten Form auch eher harmlos. Wo hier eine Familie der realen Bedrohungen ausgesetzt bzw. ein Kommunalpolitiker durch eine Diffamierungskampagne zur Aufgabe seiner Karriere gezwungen sein sollte, bleibt schlicht ein Geheimnis des baldigen Ex-OB‘s.

Fazit, falls eins nötig ein sollte: Geselle hat den Wahlkampf verloren, weil er keine Mehrheit in der Bevölkerung für eine Fortsetzung seiner Art von Politik gefunden hat. Das ist ein gutes Zeichen für Kassel. Denn nun könnte es – vielleicht – endlich auch mal mutigere Veränderungen, sogar in Kassel, geben? Statt einer tendenziell dem Auto verpflichteten, dem Klima schadenden und einer sozial immer noch an den eher Wohlhabenden und den unternehmerisch Tätigen ausgerichteten SPD Politik könnten nun neue Ufer angestrebt werden. Eigentlich. Inwieweit derartige Hoffnungen allerdings berechtigt sind, muss sich erst noch zeigen. Denn: Allzu ideenreiche ökologisch-soziale Veränderungen werden die jahrzehntelang eher zahmen und einfallslos agierenden GRÜNEN, mit einer Koalition von FDP und CDU im Schlepptau, sich wohl kaum trauen.

Zu gerne würde ich mich irren …

Es ist das alte Lied, nur die Strophen sind jedes mal neu: Anträge der Kasseler Linken werden erst abgeschmettert und dann von denen, die dagegen gestimmt haben, umgesetzt und auf die eigenen Fahnen geschrieben. Häufig kaum oder gar nicht abgewandelt! Am besten kann das die SPD.

Am 11. September 2006 wird so mit dem Antrag unserer Fraktion, den öffentlichen Raum zwischen Annastraße und Ständeplatz neu zu strukturieren und entsprechende Planungen anzugehen, umgegangen. Er wird – wie so oft – kühl abgelehnt: Bei Enthaltung der Grünen stimmt die Phalanx von SPD, CDU und FDP gegen unseren Antrag, obwohl kommunales Handeln angesichts der augenfälligen Probleme in der Friedrich-Ebert-Straße überfällig ist. Die vielen, häufig wechselnden Leerstände der Ladengeschäfte sind nun wirklich nicht zu übersehen! Die logischen und verständlichen Argumente unserer Antragsbegründung verfangen jedoch ebensowenig wie die stichhaltigen Inhalte des Antrages selbst. Auch wenn die Nutznießer einer Aufwertung – Fußgänger, Radfahrer und Gewerbetreibende und letztlich auch die Immobilieneigentümer – gleichermaßen benannt werden, können sich die genannten Fraktionen dem Thema nicht ernsthaft zuwenden. Sie wissen natürlich genau, dass ein Handeln seitens der Stadt nicht mehr länger hinausgeschoben werden kann und dass der Ortsbeirat zusammen mit einigen Aktivisten der Gewerbetreibenden im Hintergrund schon „am Basteln“ ist. Es besteht, darüber waren sich auch 2006 schon alle einig, erheblicher Handlungsdruck. Aber das alles reicht trotzdem nicht, einem solch „harmlosen“ Antrag der Kasseler Linken zuzustimmen. Da half es auch nicht, sich mit Kritik an der langjährigen Taten- und Phantasielosigkeit von Magistrat und Verwaltung in dieser Frage zurück zu halten.

Inzwischen gibt es, was gut ist, einen runden Tisch, der sich der komplexen Problematik annimmt und wir können, was uns freut, davon ausgehen, dass die Stadt und Verwaltung den von uns geforderten wichtigen Programmpunkt stadtplanerischen Handelns auf die Agenda genommen und in den Haushalt eingestellt haben. Warum man aber unseren Antrag zuvor erst ablehnen muss, vermögen wir nicht zu verstehen. Die Damen und Herren in der StaVo wissen doch inzwischen, dass wir uns so leicht die Butter nicht vom Brot nehmen lassen! Außerdem fällt das doch auf, weil viele in der Stadt kein so schlechtes Gedächtnis haben.

Wir hoffen, der Tatbestand, dass in den kommenden Monaten im hessischen Landtag ohne die Stimmen der Linkspartei kein einziger wichtiger programmatischer Punkt der Wahlversprechen von Grünen und SPD Chancen auf Umsetzung hat, die Situation auch in der Kasseler Stadtverordnetenversammlung verändern wird. Denn wenn sich in der hessischen Bildungs- und Hochschulpolitik Veränderungen nur mit den Stimmen der Linken verwirklichen lassen, dass lässt sich vielleicht ja in Zukunft auch mal eine Straße in Kassel auf die Initiative unserer Fraktion hin zukunftsfähig umbauen?

E. Jochum
(Aus LinksZeitung 2 1/08 S. 4)