Was hat die bundesrepublikanische Anti-Corona-Politik mit dem Tempolimit auf Autobahnen etc. zu tun? Ganz einfach: Menschenleben spielen – trotz permanenter, gegenteiliger Bekundungen – nicht die entscheidende Rolle! Wäre dem so, würde sich Regierungshandeln konsequent, also auch auf diesen beiden Politikfeldern, dem Artikel 2, Absatz (2) unterordnen. Denn dort heißt es ganz eindeutig und klar: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Wäre dem so, gäbe es einen resoluten, eisenharten, mit der übergroßen Mehrheit der einschlägigen Wissenschaften abgestimmten Lock Down – aber eben auch einen in der Wirtschaft, weil alles andere Unsinn und nervendes Theater ist. (Ohne jedoch die Tore zu demselben endlich wieder zu öffnen!) Und wäre dem so, gäbe es die dumme Raserei z.B. auf unseren Autobahnen nicht mehr und das unnötige Sterben dort hätte endlich ein Ende.

Und warum es beides nicht gibt, also kein Tempolimit und keine Zero Covid – Politik unter Einschluss der gesamten Wirtschaft, von den Teilen abgesehen, die während der Pandemie unverzichtbar sind? Ganz einfach: Große Teile der im Wortsinne systemrelevanten Wirtschaft, sprich der Automobilindustrie und der sonstigen exportorientierten Wirtschaftszeige wünschen bzw. erlauben das nicht. Die Autodeppen des Planeten machen in der BRD Urlaub, nur um sich Spuren von Restgehirn bei Tempo 200 und mehr durch den Auspuff zu pusten und die großen Konzerne jubeln über wieder steigende Exporte!

Wie viele der bis heute, am 13. April 2021, an Corona Verstorbenen, es sind bei uns ca. 78.800, bei einer konsequenten Zero Covid Strategie noch leben könnten, weiß natürlich niemand. Aber es werden viele sein. Wie viele in den letzten 20 Jahren auf Bundes- und Landstraßen und auf den Bundesautobahnen der Raserei und damit dem Tribut der Autokonzerne geopfert wurden, lässt sich auch nicht so genau sagen… Insgesamt und zusammen waren und sind es unnötig viele.

Denn es gibt nur eine relevante Logik. Und das ist die der Konzerne!

Zu Zero Covid vgl. auch Konkret 4/21, Hebelwirkung
https://www.curt.de/nbg/inhalt/artikel/14254/43/

Am fast allerletzten Tag – unmittelbar vor den vieldiskutierten Kommunalwahlen am 14. März 2021 – wird am 10. März 2021 mit großer Stimmenmehrheit das Siedlungsrahmenkonzept (SRK) des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK)* beschlossen: Bei lediglich einer grünen und einer linken Gegenstimme. Insgesamt hat damit das Gegenteil von einer Wende zum Guten oder Besseren in Bezug auf den Flächenverbrauch und die ökologischen Notwendigkeiten im Verbandsgebiet stattgefunden, auch wenn der Artikel resp. das Interview mit dem Verbandsdirektor, Herrn Bachmann, in der HNA vom 12. März 2021, genau das suggerieren soll. Geschrieben hat den Artikel Frau Lara Thiele.

Aber der Reihe nach.

Nach dem Auslaufen des Vorgängermodells, des Siedlungsrahmenkonzepts 2015, musste sich der ZRK neu aufstellen. Dazu hatten sich in den zurückliegenden Jahren die Rahmenbedingungen zu deutlich verändert, die Erkenntnisse in den betroffenen Zweigen der Wissenschaft und die Bewegungen auf der Straße für eine ökologische Wende in der Politik hatten massiv zugenommen. Entsprechende Einsichten sind inzwischen bis weit in konservative Kreise hinein auch in Politikerköpfe eingesickert.

Um nicht zu viel von meinem Artikel vom November hier in der Kassel-Zeitung wiederholen zu müssen, hier der Link dazu:
Wohin marschiert der Zweckverband Raum Kassel* mit seinem neuen Siedlungsrahmenkonzept?

Das Fazit des Artikels war, dass die ZRK-Rhetorik zwar deutlich besser geworden ist, in die Richtung, dass der Bodenverbrauch an den Rändern von Städten und Kommunen minimiert, dass die Innenentwicklung priorisiert und dass generell der Verbrauch von Ressourcen und Naturpotentialen dramatisch eingeschränkt werden muss. Derartiges gibt es zu lesen in den nun beschlossenen, erläuternden Texten des ZRK. Wer sich das in ausführlicher Form anschauen möchte, kann das hier tun:

https://www.zrk-kassel.de/media/files/srk/zrk-srk-2030.pdf

Insoweit decken sich die Ansichten des Autors in mancher Hinsicht durchaus mit den planerischen Grundlagen und Vorgaben des ZRK in seinem neuen SRK. Als neuer Wein in alten Schläuchen stellt sich das Konzept jedoch dann heraus, wenn die Flächenansprüche aller ZRK Mitglieder – also Kassel incl. Speckgürtelgemeinden – aufaddiert werden. Denn dabei kommen dann nicht nur ein paar Hektar (unvermeidlicher) neuer Flächenverbrauch heraus, vielmehr allein für neue Wohnbauflächen 630 zusätzliche Hektar… Um sich das besser vorstellen zu können, hilft vielleicht ein Vergleich: Diese völlig überzogene Dimension neuer Wohnbauflächen, die Hälfte in etwa davon an den Rändern der besiedelten Gebiete, entspricht über den Daumen der Fläche von sage und schreibe 900 Sportplätzen!

Das ist, umgerechnet auf einen Flächenverbrauch pro Einwohner und Jahr deutlich mehr, als sich die Bundesrepublik und auch das Land Hessen an Verbrauch dieser unersetzlichen Ressource vorgenommen haben. Mit anderen Worten: Während im Intro des Konzepts viele wohlklingenden Forderungen und Grundsätze zu Papier gebracht werden, zeigt die tabellarische Auflistung dessen, was man in den kommenden Jahren der Landschaft, der Landwirtschaft und den bei uns durchaus noch vorhandenen Naturräumen entreißen und neu bebauen will, die unschöne Realität: Damit wird die Propaganda mit der Nachhaltigkeit zur leeren Floskel. Vielmehr bleibt erst mal alles beim Alten.

Die Aufgabe von gutem Journalismus wäre es nun zuerst, sich mit dem Basis-Thema Flächenverbrauch intensiv auseinander zu setzen. In Anbetracht des unstrittigen Klimawandels, der hier bei uns einhergeht mit extremen Trockenphasen und urbanen Überhitzungen, was wiederum viele negative Konsequenzen hat für Menschen (wo auch immer sie wohnen) und Ökosysteme (vor allem jedoch den Wald, aber natürlich auch die Landwirtschaft), wäre die Auseinandersetzung mit diesem Thema erste Journalist*innenpflicht, zumal es in diesem Jahrhundert sicher nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden wird. Aber nicht nur das.

Zu einem qualifizierten Bericht über den besagten Themenkomplex gehört eben auch, neben der Schilderung dessen, was der Verbandsdirektor des ZRK, Herr Bachmann, via HNA über das neue Werk berichtet, die Schilderung der Debatte im Plenum, das Für und Wider der Argumente von Planbefürwortern und Gegnern, denen der Plan in seinem Anspruch auf Nachhaltigkeit eben längst nicht weit genug geht. Das Plenum ist – wenn ich das erläuternd hinzufügen darf, sehr geehrte Frau Thiele – nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Legislative dieser wichtigen Institution Zweckverband. Und die Abgeordneten und ihre Argumente sollten doch, wenn der Zeitungsbericht den Anspruch auf journalistische Professionalität erhebt, zumindest den elementaren Regeln der Berichterstattung gerecht werden. Und deshalb sollte auch das Pro und Contra der Abgeordneten in so einem Bericht vorkommen? Sie aber, Frau Thiele, verzichten gänzlich darauf und beschränken sich auf das, was man in so einem Fall als Hofberichterstattung bezeichnet. Das ist sehr bedauerlich, zeigten sich doch im Verlauf der Debatte hochinteressante Differenzen in der Bewertung des besagten Themas.

Wie sollen sich sonst die Leser*innen ein objektives Bild darüber machen, wie ihre Vertreter*innen in der Vollversammlung den neuen SRK und den mit ihm nun einhergehenden exorbitanten Flächenverbrauch beurteilen? Deshalb gehört es selbstverständlich dazu, über die teils intensiven, inhaltlichen Auseinandersetzungen, die sich über fast 2 Stunden hin gezogen haben, qualifiziert zu berichten. Denn auch wenn es am Ende nur 2 Gegenstimmen gegeben hat, eine aus der Fraktion der Grünen und meine eigene (parteilose) aus der Fraktion der Linken, so waren die Argumente gegen diesen Plan und gegen seinen enormen Flächenverbrauch dennoch durchaus erwähnens- und berichtenswert.

Wer so über wichtige und gleichzeitig komplexe Themen berichtet, aber nur die Befürworter und deren Philosophie zu Gehör bringt, verpasst die Chance, Interesse für ökologische Gesamtzusammenhänge bei den Leser*innen zu wecken. Gerade in der Berichterstattung über die Kontroverse kann die hohe Komplexität ökologischer Fragestellungen verdeutlicht werden. Mit Hofberichterstattung erreicht man das genaue Gegenteil. Es wird vielmehr der Eindruck erweckt, als hätten die handelnden Institutionen die allein selig machenden Konzepte in der Hand und alles würde gut werden oder gut bleiben. Glauben Sie mir, sehr geehrte Frau Thiele: Dem ist nicht so!!

Letzter Satz: Das, worüber Sie in Bezug auf den 10.03.2021, also den o.a. Beschluss zum SRK des Zweckverbandes, jetzt berichtet haben, wird nicht das letzte Wort dazu sein. Vielmehr verspreche ich Ihnen schon jetzt, dass Sie bald erneut Gelegenheit haben werden, über das fragwürdige Zahlenwerk dieses Planes zu schreiben. Denn der Widerspruch zwischen eloquent vorgetragener Pseudo-Nachhaltigkeit und ökologischen Notwendigkeiten wird sehr bald wieder Thema sein. Vielleicht werden Sie dann ja umfassender und angemessener zu berichten?

*Was ist der Zweckverband Raum Kassel eigentlich genau?

Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifende Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehört z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen… Ein neues Aufgabenfeld, der sog. Landschaftspflegeverband für den Landkreis Kassel, wird im kommenden Jahr vermutlich auch beim ZRK mit angedockt, was sicherlich zu einem weiteren Bedeutungszuwachs führen wird…

Auch wenn Eigenlob schlecht beleumundet ist: Den Verlust der Mehrheit für die SPD in der neuen StaVo habe ich just hier in diesem Blog schon vor Wochen, Ende November 2020, treffsicher vorhergesagt… Keine Kunst!
Alle warten auf das Ergebnis eines OB Solos in Sachen documenta Institut

In Bezug auf das ultraschlecht und überaus dilettantisch gemanagte documenta-Archiv-Projekt im Herzen der Stadt meinte ich, dass sich der OB vielleicht verkalkuliert, „falls er sich Wahlergebnisse vorstellen sollte, die ihm (nach den Wahlen) neue Handlungsspielräume bringen“. Genau diese neuen Spielräume hat er nun nicht! Denn jetzt, wo sich die Grünen, ganz dem Zeitgeist entsprechend, mit deutlicher Mehrheit durchgesetzt und zur stärksten Fraktion gemausert haben, hat der sich gerne als Alleinentscheider gebende, oft hemdsärmlig agierende OB ein Problem: Die „Pole–Position“ im Rathaus hat die SPD nach vielen Jahrzehnten nun zum 2. Mal nach dem Krieg verloren und die Grünen werden sich die Butter hoffentlich nicht mehr ganz so leicht vom Brot nehmen lassen. Aber nur falls oder wenn sie aus den vielen bitteren Erfahrungen aus den vorangegangenen rosa-grünen Kooperationen hier im Kasseler Rathaus endlich gelernt haben!

Aber was heißt das nun, dass die Grünen die stärkste Fraktion stellen in der kommenden Legislaturperiode? Werden wir nun einen raschen Aufbruch zu einem neuen, grünen (im Wortsinne), verkehrsberuhigten und Radfahrer*innen bevorzugenden Kassel erleben? Wird es ein gegen den beSCHEUERten Andi in Berlin durchgesetztes Tempo-30-Gebot für die ganze Stadt geben ohne Angst vor dem juristischen Gezerre, das das nach sich ziehen könnte? Werden die teils krassen sozialen Ungerechtigkeiten angegangen, soweit die Stadt selbst darüber entscheiden kann? Wird es zum Beispiel endlich das andernorts schon längst realisierte Sozialticket für den vom Einkommen her schwachen Teil der Kasseler Bevölkerung geben? Wird der soziale Wohnungsbau angekurbelt oder werden weiterhin einfallslose Eigentumswohnungs-Würfel für Betuchte in alle Stadtteile geballert? Wird das weiter oben angesprochene documenta Archiv in Zusammenarbeit mit der interessierten und fachlich engagierten Bürgerschaft endlich auf die Erfolgsschiene gesetzt, jetzt, wo der OB seinen großspurig angekündigten Plan B dem Klosett anvertrauen muss? Oder anders gefragt, um die Aufzählung nicht allzu lang werden zu lassen: Wird es, die vielfältige und auch von mir schon seit vielen Jahren geforderte sozial-ökologische Wende, soweit sie in kommunalpolitscher Macht steht, kommen oder wird weiterhin verwaltet, weggeredet, hinausgeschoben und nur da und dort mal ein Bäumchen gepflanzt?

Auch wenn es keinen großen Einfluss haben wird, was ich dazu meine, beantworte ich die aufgeworfene Frage wie folgt: Es wird erst einmal überhaupt nichts Großartiges, weithin Sichtbares passieren! Vielmehr wird es eher weitergehen wie bisher. Es werden, jetzt in grüner Sprechweise, viele Ankündigungen kommen, aber – wie früher – weiterhin tendenziell wenig überzeugende Taten folgen.

Und das aus einer ganzen Reihe von Gründen: Die AfD ist fast schon pulverisiert und auf das normale Maß der Dumpfbacken-Prozente zusammengeschrumpft, die es hier wie überall immer schon gab. Der einzige Unterschied zur Vor-AfD-Zeit: Diese Klientel hat nun eine Partei, quasi eine Adresse, an die sie sich bei Wahlen wenden kann. Sie wird die eigentlich nötige Wende nicht erzwingen helfen. Die CDU hat, aus vielen ganz unterschiedlichen Gründen, keinen Gewinn aus der Schwäche der SPD ziehen können. Es reicht eben nicht, einfach nur wieder mal mitregieren zu wollen. Auch sie wird einer grünen Fraktion keine Brücken für eine Wende hin zu einer grünen Zukunft bauen helfen.

Was die SPD anbetrifft: Deren Abwärtstrend ist nun auch, leicht vorhersehbar, in einer ihrer großstädtischen Hochburgen im Norden Hessens angekommen. Das Ergebnis des neuen Landrats Siebert ist nur ein zeitlich begrenzter Ausreißer, denn auch der Landkreis wird, wenn die Alt-SPD-Wähler*innen nicht mehr zur Wahlurne gehen können, den Trend des Niedergangs der SPD zu spüren bekommen. Der wird erst dann zu stoppen sein, wenn sich die SPD – ihrem wunderschönen Namen entsprechend – wieder den vielen vielfältig benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen in diesem Land zuwendet, das sich ökologisch gerade neu erfinden muss: Und das Ganze auf glaubwürdige, vertrauensbildende und überzeugende Art und Weise. Denn, das zeigen Mitgliederentwicklung und Wahlergebnisse der SPD seit vielen Jahren überdeutlich: Die Schröder’schen Deregulierungen zu Lasten der kleinen Leute haben die SPD wie auch die Sozialisten Frankreichs an den Rand des Ruins gebracht, teilweise schon marginalisiert. Malu Dreyers Wahlergebnis ist, wie der Erfolg des neuen Landrats Siebert hier bei uns, nur eine Ausnahme, nicht (mehr) die Regel. Mit den Hartz IV Gesetzen hat die SPD auf brutale und rücksichtslose Weise beendet, was ihr eigentliches Kerngeschäft, Auftrag, historisches Erbe und Aufgabe war: Die Ungerechtigkeiten einer turbokapitalistischen Bundesrepublik ein wenig auszugleichen und zusammen mit den Gewerkschaften die Interessen der abhängig und oft prekär Beschäftigen in den Mittelpunkt ihres Handelns und Agierens zu stellen. Nimmt die SPD die Hartz IV Gesetze aber nicht zurück, kehrt sie nicht zurück zum Versuch, die soziale Schieflage und die sich immer weiter spreizenden Vermögensverhältnisse ändern zu wollen, wird die SPD die Geschicke der Republik immer weniger mit beeinflussen können. Das gilt nun auch für Kassel.

Wie aber wollen die Kasseler Grünen nach diesem Wahlergebnis, mit dieser angeschlagenen, vermutlich tief verletzten SPD im Schlepptau, neue kommunalpolitische Horizonte anvisieren und erfolgreich für einen raschen, sozial gerechten ökologischen Wandel eintreten? Denn auch wenn sie nun ein bisschen mit im Lokomotivführer-Häuschen sitzen dürfen, da ja Geselle – mit oder ohne hochgekrempelten Hemdsärmeln – immer noch der direkt gewählt OB ist, haben sie ja das Steuer nicht in der Hand? Von einer absoluten Mehrheit sind die Grünen noch weit entfernt. Selbst mit den Linken, wo es eine ganze Reihe inhaltlicher Überschneidungen gäbe, ist keine Mehrheit zu beschaffen, weil die Grünen zu einer Minderheitsregierung mit den Linken nie bereit wären. Aber es reichte ja auch nicht, weil SPD und CDU zusammen mehr Sitze in der StaVo hätten denn Grüne plus Linke.

Deshalb wird es, trotz alledem – Grüne im Aufwind und mit stärkster Fraktion, Linke stabilisiert und gestärkt, aber eben nicht stark genug – hier in Kassel erst mal keine nennenswerten Veränderungen geben. Die SPD hat ja auch noch eine auf ihrer Seite stehende Verwaltung (das ist das Beharrende, also das was bleibt, egal wie gewählt wird) und immer noch ein Viertel der Stimmen. Den Magistrat umzubauen, werden sich die Grünen nicht trauen, denn das kostet viel Geld. Dass Herr Nolda als blasser, schwacher Baudezernent den Rückenwind des Wahlergebnisses nun plötzlich nutzt, um sich wie ein Phönix aus der Asche zu einem mutigen, ideenreichen, grünen Vorkämpfer zu wandeln, danach sieht es nicht aus. Erinnern Sie sich noch, wie er den vielen tausend lärmgeplagten Bürger*innen dieser Stadt versprochen hat, ihnen mit sogenannten Ruheoasen Erleichterung zu verschaffen statt Tempo 30 zu verordnen? Oder seine halbherzigen Bemühungen, den sozialen Wohnungsbau ein ganz kleines bisschen anzukurbeln? Denn gerade preiswerte Wohnungen fehlen, für die vielen Leute mit kleinem Geldbeutel, also genau die, die sich weder in Vellmar Nord ein Reihen- oder Einfamilienhaus leisten, geschweige denn in ein Penthouse in einem dieser einfallslosen Eigentumswürfel in Kassel einziehen können…

Es bleibt also festzustellen, dass es weder in der Ökologie-, noch in der Verkehrs-, noch in der Sozialpolitik (die grüne Wählerschaft hat ja ganz andere Bedürfnisse als viele der „kleinen Leute“), eine rasche Kurswende geben wird. Es werden auch die Anzahl der Erzieher*innen nicht erhöht. Kein Geld dafür. Und so wird sich das Sparen auf dem Rücken der Kleinsten fortsetzen. Die Koalition, ja, das stimmt, die wird statt wie zuvor rosa-grün nun grün-rosa heißen. Aber das macht eben noch keinen Unterschied.

Wenn ich mich irren sollte, dass es also doch anders kommt und je 1 der Spuren der Wilhelmshöher Allee in jede Richtung für Radfahrer*innen noch dieses Jahr reserviert wird – als weithin sichtbares Symbol der Veränderung im Angesicht des wilhelminischen Schlosses – dann irre ich mich gern.

Aber so wird es nicht kommen.

So long

Klar: Der Schnee taut irgendwann und dann ist wieder alles in Ordnung? Für so blöd hält die Kasseler SPD offensichtlich alle diejenigen, die sich – mal wieder – mächtig über die unfassliche Ignoranz und Rücksichtlosigkeit der SPD gegenüber den schwächeren und nicht mit einem Auto „gesegneten“ Verkehrsteilnehmer*innen geärgert haben. Auch wenn, zugegeben, nicht in jedem Winter derart viel Schnee fällt wie kürzlich Anfang Februar, gehört doch Schnee immer (noch) und immer mal wieder zum Winter dazu. Dass dann über eine ganze Woche der gesamte öffentliche Verkehr vollständig zum Erliegen kommt, dass die Fuß- und Radwege mit Schneebergen, die von den Autostraßen weggeschafft wurden, zugeschüttet werden, haut einen um. Und die Ausreden hören nicht auf…

Statt wie überall auf der Welt, wo es im Winter zu Schneeereignissen kommt – im Norden und Osten Europas haben viele Länder dann ganz andere Dimensionen von Problemen zu lösen – konsequent und problemlösend zu handeln, passiert hier in Kassel im Prinzip nichts, wenn man davon absieht, dass sich die Schneeräumung und das Freimachen der Schienen weit über eine Woche hinzog… Kassel hat es mit Schneeereignissen eigentlich richtig gut, aber, wie so oft, hat hier niemand einen Plan! Es gibt keine Ambition, keinen Ehrgeiz, keine Phantasie, wie man so ein Wetterereignis bewältigt, ohne dass alle Nutzer*innen der Busse und Straßenbahnen im Stich gelassen werden. Auch nicht, wie man verhindert, dass Radfahrer- und Fußgänger*innen rechtlos, rücksichtlos, planlos einfach ihrem Schicksal überlassen werden. Nicht einmal um Behinderte, Alte und Kranke, auch nicht um Rollstuhlfahrer- und Rollatoren-Nutzer*innen hat man sich gekümmert. Eine Schande.

Im Mittelpunkt allen mobilen Denkens, wie seit Jahrzehnten unverändert, steht bei der hiesigen SPD, in Kassel und Nordhessen, das AUTO. Fahrend und parkend. Inzwischen, mit dem cw-Wert eines Schlafzimmerschrankes, 4-rad-angetrieben, übermotorisiert, spritschluckend und überbreit, bestimmen die SUV’s das Straßenbild. Fahrzeughalter*innen derartiger Vehikel mussten sich selbst am Montag, den 8. Februar, also direkt nach den ersten massiven Schneefällen, keinerlei Gedanken machen, wie sie in die Stadt oder von da nach dort kommen. Für sie war gesorgt. Sowohl Herr Stochla, Autodezernent von Kassel als auch OB Geselle, Experte in und von allem, garantierten derartigen Gefährten ein sicheres Vorankommen. Für sie war großzügig, schnell und unkompliziert, nahezu überall geräumt worden. Alle anderen hatten das Nachsehen. Dafür sind genau diese beiden Herren verantwortlich.

Sie sind außerdem verantwortlich, und da passt wieder alles wunderbar zusammen, dass die versprochene Entwicklung zu mehr und konsequenterem Straßenumbau für Radler und Fußgänger, beim ersten nennenswerten Projekt, wo es sich lohnte, Farbe zu bekennen und konsequent Radwege zu bauen, genau nicht stattfindet. Gemeint ist hiermit der aktuelle Plan, die Ysenburgstraße komplett zu erneuern, dergestalt, dass alles beim Alten bleibt. Also 4 Spuren für die Autofahrer*innen und schmale Wege für alle anderen. Die Radfahrer bleiben Freiwild. Dasselbe gilt für den Ausbau der Straßenbahn nach Harleshausen: Schweigen im Wald. Statt das Projekt mit Hochdruck voran zu treiben, hüllt man sich im Rathaus in Schweigen… Und so zieht sich ein roter Faden seit Jahrzehnten durch die Verkehrspolitik der Kasseler Sozialdemokraten…

Eins steht fest: So wie hier – saisonal – der Schnee auf die wenigen Radwege gepackt und die Gehwege mit Schnee zugeschüttet wurden, so wird es nichts werden mit der viel beschworenen Verkehrswende. Natürlich – der Wind hat sich gedreht – und so redet selbstredend auch die Kasseler SPD von dem, was eigentlich auch hier geschehen müsste, um Kassel zu einer klima- und fahrradfreundlichen Stadt zu machen. Von ausschließlich verbalen Beteuerungen zu einer anderen Klima-, Energie- und Mobilitätspolitik hat aber niemand etwas. Was es braucht, sind auf genau auf diesen Feldern mutige, durchdachte, ernsthafte und konsequente Schritte hin zur Realisierung von Maßnahmen, die niemand mehr erfinden, vielmehr „nur“ finanzieren, bauen und umsetzen muss. Erst dann werden wir uns diesen Zielen nähern. Erst dann können auch die Bewohner*innen dieser Stadt davon träumen, dass auch hier in Kassel – wie in Kopenhagen, Paris und vielen anderen europäischen Städten – die Richtung der städtebaulichen Entwicklung stimmt.

Wer nicht auf seinen Träumen, die eigentlich weniger visionär denn einfach nur dringlich, notwendig und eilig sind, sitzen bleiben möchte, darf nicht auf die SPD hoffen. Die Mobilität der Zukunft in einer umweltfreundlichen Stadt muss gegen sie erkämpft und durchgesetzt werden. Leider nicht mit ihr.

Es steht nur zu hoffen, dass sich die Wähler*innen am 14. März besinnen, den verkehrspolitischen Alptraum in Kassel beenden und den Weg frei machen für eine Stadtplanung der Zukunft. So wie man hoffen darf, dass der miserabelste, inkompetenteste und beSCHEUERtste Verkehrsminister aller Zeiten seinen Sessel nach den Wahlen im Bund räumen muss. Danach kann es nur besser werden.

Mit der notwendigen Klarheit hat sich zum Jahresende 2020 die Vorsitzende des Naturschutzbeirats des Landkreises über einen großen Verteiler mit über 300 Adressen an alle 11 Städte und alle 17 Gemeinden, an die Fraktionen in den Parlamenten und an die jeweiligen Verwaltungen des Landkreises gewandt. Und Frau Dr. Anna Kuntzsch, die Vorsitzende dieses wichtigen, ehrenamtlichen Gremiums, meint es durchaus ernst, wenn sie am Schluss ihres sieben-seitigen engagierten Plädoyers für mehr Ökologie meint: „Wir fordern alle politischen … Entscheidungsträger in den Städten und Gemeinden des Landkreises Kassel auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und unverzüglich und einvernehmlich ins Handeln zu kommen!“

Frau Dr. Kuntzsch spannt den Bogen von der Veröffentlichung des Club of Rome 1972 bis zum Ende des 2. Jahrzehnts des gerade angefangenen 3. Jahrtausends, das sich – wie die drei letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts – vor allem dadurch auszeichnete, dass Wirtschaft, Regierungen, Parteien und Politik von den drohenden Gefahren einer näher rückenden Klimaveränderung zuungunsten für uns Menschen nicht viel wissen wollten: Denn für uns wäre, wie man an vielen sich längst abzeichnenden Klimaphänomen überdeutlich ablesen kann, eine zu weitgehende Erwärmung denkbar ungünstig und kritisch. Unter geologischen Zeitmaßstäben betrachtet sind Warmphasen für evolutionäre Prozesse auf unserem Planeten durchaus spannend und interessant, wie uns das vor rund 500 Mio. Jahren zu Ende gegangene Kambrium mit seiner explodierenden Artenvielfalt eindrücklich lehrt. Für die menschlichen Gesellschaften auf dem Planeten Erde jedoch, beim derzeitigen technischen Entwicklungsstand und der Unmöglichkeit, am Ende dieses Jahrhunderts vielleicht 10 Milliarden Individuen auf einen oder mehrere andere Planeten evakuieren zu müssen, wäre eine 2 und mehr Grad übersteigende Klimaerwärmung vermutlich aber nicht nur ungemütlich, sondern mit zahlreichen, mehr oder weniger verheerenden Ereignissen verknüpft. Inzwischen ist das ja alles nicht nur sattsam bekannt, vielmehr Allgemeingut und das Gegenteil von neu…

Falls Sie jetzt meinen, dass Frau Dr. Kuntzsch dazu aufgerufen hätte, den Planeten Erde mit ökologischen Maßnahmen im Landkreis Kassel zu retten, wäre das nicht richtig. Richtig ist vielmehr, dass sie nach einer garantiert unvollständigen Aufzählung der bereits jetzt erkennbaren Folgewirkungen des wesentlich von uns verursachten Klimawandels sehr schnell auf unsere Region zu sprechen kommt. Und hier, so ihre Auffassung, gäbe es viel zu tun. Oder anders gesagt: In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die zum Landkreis gehörenden politischen Körperschaften alles andere als vorbildliche Ökologen hervorgetan. Sie haben viele längst nötige und technisch bzw. finanziell mögliche Maßnahmen, die einen Beitrag zur Verbesserung der Situation hätten leisten können, schlicht unterlassen.

Sie beschreibt sehr plastisch – von der Einstellung von Klimabeauftragten in den Gemeinden, der drastischen Einschränkung des Flächenverbrauchs, einer optimierten Ökostromproduktion, Maßnahmen zur CO2 Reduktion, des verstärkten Ausbaus des Nahverkehrs, mehr Projekten mit ökologischem Vorbildcharakter auf landwirtschaftlich genutztem Gemeindeeigentum bis hin zur Erhöhung der Artenvielfalt und ein größeres Engagement für mehr wirksame Maßnahmen zur Wassereinsparung – was alles auf die ökologische Agenda gehört. Auch wenn diese Aufzählung ebenfalls nicht erschöpfend ist: Eine große Anzahl von Möglichkeiten für kreatives Handeln auf Stadt- und Gemeindeebene wie auch auf der des Landkreises eröffneten sich, würden die Vorschläge und Forderungen, die Frau Dr. Kuntzsch macht bzw. erhebt, ernsthaft angepackt werden.

Werbewirksame Ankündigungen von Maßnahmen unter Benutzung eines positiv klingenden klimakritischen Vokabulars gibt es natürlich inzwischen auch in unserer Region. Genügend. Aber bei Worten soll es ihrer Meinung nach nicht mehr bleiben, vielmehr sollen nun auch, so der Tenor ihres Papiers, Taten folgen.

Wir fügen das erwähnte Papier von Frau Dr. Kuntzsch als PDF diesem kleinen Aufmacher und „Anwärmer“ bei und wollen Sie hiermit zu seiner Lektüre animieren.

Mit dem neuen, ambitionierten Verbandsdirektor Bachmann an der Spitze und mit dem nicht mehr so ganz taufrischen Siedlungsrahmenkonzept 2015 (beschlossen 2006), an dem sich die Aktivitäten des Zweckverbandes Raum Kassel* bislang orientierten, macht sich dieser Verband am Ende des schwierigen Corona-Jahres 2020 auf den Weg, die Weichen für das kommende, ökologisch so entscheidende Jahrzehnt neu zu stellen. Außerdem geht im Landkreis und im Oberzentrum Kassel die Legislaturperiode 2016/2021 zu Ende. Nach den Kommunalwahlen im Frühjahr 2021 ist neben den schon absehbaren personellen Wechseln auch – hoffentlich – mit weiteren politisch-fachlichen Veränderungen zu rechnen. Der Klimawandel, die meisten wissen es hoffentlich inzwischen, lässt nicht mit sich verhandeln…

Weil der Zweckverband* in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger willfährig die Erweiterungs- und Bauland-Wünsche der Umlandgemeinden wie auch des Oberzentrums Kassel in Flächennutzungspläne umgesetzt hat, ist wenig zu sehen gewesen von Impulsen für eine sich an ökologischen Erfordernissen orientierenden Wohn- und Gewerbepolitik. Getragen wurde diese langjährige Entwicklung, bei der eine positive Entwicklung der Region ausschließlich mit der massiven Ausweitung des Flächenverbrauchs gleichgesetzt wurde, von der hiesigen SPD. Die notwendige Stimmenmehrheit dafür hat sie sich mal bei der CDU, mal bei den Grünen beschafft.

Wer die Weichen nach den Wahlen aber richtig stellen will, muss spätestens jetzt eine mehr oder weniger radikale, ökologische Wende einleiten. Nach Jahrzehnten des unbedachten, von nicht hinterfragter Wachstumsphilosophie angetriebenen Wirtschaftens und des oft völlig unnötigen Flächenverbrauchs, gibt es nun auch im Zweckverband erste zarte Anzeichen eines Umdenkens. Vermutlich haben inzwischen auch die engstirnigeren Kommunalpolitiker im Verbands-Vorstand dieses wichtigen Planungsverbandes erkannt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Deshalb kommt fast positive Stimmung auf, wenn in den Erläuterungen zu den neuen Entwicklungsplänen, die der Zweckverband seinem 2030iger Siedlungsrahmenkonzept (SRK) in Sachen Umwelt, Klima und Flächenverbrauch vorausschickt, viele richtige Ansprüche formuliert werden. So ist in einer Aufzählung unter den Begriffen „Leitziele und Strategien“ von Innenentwicklung, Nachverdichtung, Klimaanpassungsmaßnahmen, Nutzung erneuerbarer Energien, Flächeneinsparung etc. die Rede. Auch wenn in der Aufzählung eine ganze Reihe wichtiger Ziele nicht benannt werden, wie z.B. die Nutzungsmischung, die (Grund-)Wasserproblematik, die dringenden Änderungsbedarfe im Bestand der vorhandenen Wohnungs- und Gewerbeareale – so sind dennoch wesentliche Entwicklungsziele durchaus richtig benannt. Es wird deutlich, dass die VerfasserInnen genau wissen, dass auch das planerische Handeln des Zweckverbandes den ökologischen Anforderungen des Kampfes gegen den Klimawandel Rechnung tragen muss. Selbst die planungswissenschaftlich nicht vorbelastete LeserIn wird dem Verfasser dieser Zeilen insofern zustimmen, als der besagte Text – wenn er denn im Frühjahr 2021 so beschlossen und veröffentlicht wird – im Prinzip die erforderlichen Tendenzen und Notwendigkeiten der Zeit in Ansätzen richtig beschreibt. Wenn sich jedoch nach den zitierten Erklärungen und Zielvorgaben im Einleitungstext die konkreten Planungen für Kassel plus Speckgürtel im darauf folgenden Übersichtsplan bzw. in der tabellarischen Übersicht beim Flächenbedarf für die jeweiligen Gemeinden auf über 600 Hektar belaufen, passt was nicht zusammen. Und es hat nichts mit Meinung oder individueller Einschätzung zu tun, wenn ich es hier in aller Diplomatie so formuliere: Trotz der bedrohlichen Anzeichen, die der Klimawandel weltweit wie auch in unserer Region zeitigt, wo die Wälder z.B. massiv unter Trockenheit leiden, bleibt beim Zweckverband letztlich alles beim Alten! Wenn sich der Flächenverbrauch im Zweckverbandsgebiet in den kommenden 10 Jahren auf die besagten mehr als 600 Hektar zusammenaddiert, weil alle Wünsche der Umlandgemeinden und der Stadt Kassel für neue Einfamilien/Doppelhäuser und Stadtvillen bzw. zusätzliche Gewerbegebiete als sakrosankt gelten, werden die vollmundigen Ziele und Notwendigkeiten des Einleitungstextes zur bloßen Karikatur.

Was wir uns als Region planerisch auferlegen sollten, wäre im Prinzip ein Null-Flächenwachstum beim Verbrauch an Boden an den Rändern von Stadt und Umland. Boden ist, wie wir alle wissen, nicht vermehrbar. Also pure Innenentwicklung! Aber eben nicht nur verbal, sondern real!

Abschließend bleibt festzustellen, dass den vollmundig getroffenen Aussagen im Einleitungstext keine neue Planung folgt, sondern vielmehr das gleiche Prozedere wie in den vergangenen Jahren, also nur neuer Wein in alten Schläuchen. Die Enttäuschung ist perfekt. Hatte man beim ersten Lesen noch den Eindruck, dass sich auch unsere Region aufmachen will, um ihren Teil dazu beizutragen, den Ansprüchen, die Klimawandel, Artensterben und Wasserproblematik an die räumliche Planung stellen, Genüge zu tun, so zeigt die folgende Planübersicht überdeutlich, wohin die Reise wirklich geht: in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft. Anstelle eine Offensive zu starten mit neuen Techniken, einfallsreichen Innovationen und (fachlich ausgereiften) grünen Ideen, die es ja längst gibt und die als Grundlage einer flächenextensiven Planung bestens geeignet wären, wird erneut das Heil nahezu allein im Flächenverbrauch für Wohnungsbau und Gewerbeentwicklung gesucht.

Grundlage dafür sind offensichtlich unterschiedliche Interpretationen der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung. Eigentlich kann es aber, bei Unsicherheiten in kleinerem Rahmen, gar keine zwei Meinungen dazu geben: Selbst das Land Hessen prognostiziert für den Landkreis Kassel für die kommenden Jahrzehnte einen mehr oder weniger dramatischen Absturz bei den Einwohnerzahlen. An diesen im Prinzip unumstrittenen Fakten kommt niemand vorbei. Dennoch wird weiter geplant, als gäbe es diese Zahlen nicht. Worauf sich die Planer beim Zweckverband letztlich stützen, ist die Behauptung, dass der lauthals reklamierte Bedarf an Einfamilienhäusern und hochwertigem Wohneigentum in Stadtvillen dringend, unbedingt und rasch gedeckt werden muss. Außerdem wird genauso unhinterfragt der Tendenz Vorschub geleistet, dass pro EinwohnerIn sowohl in gemieteten als auch in Eigentum befindlichen Wohnungen ständig mehr Fläche zur Verfügung stehen müsse. Denn die Wohnfläche pro Person steigt in der Tat seit den 50iger Jahren permanent an. Das jedoch ist weder ein Naturgesetz, noch gibt es gesetzlich verbriefte Rechte auf ansteigenden Wohnflächenbedarf.

Der kritische Hinweis auf die oben beschriebene, drohende Fehlausrichtung bei den planerischen Vorgaben im Zweckverband für das kommende Jahrzehnt ist alles andere als eine unwichtige Kleinigkeit oder Petitesse, die man so oder so sehen kann. Hier scheiden sich vielmehr die Geister: ideologisch, planungs-philosophisch und kommunalpolitisch! Bleibt nur die Hoffnung, dass die Ewiggestrigen auf diesem Gebiet bei den anstehenden Wahlen im kommenden Frühjahr die Nase nicht vorn haben!

*Was ist der Zweckverband Raum Kassel eigentlich genau?

Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) ist eine durchaus bedeutsame kommunalpolitische Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe, für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören – als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar – den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifende Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehört z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich des alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK, meist über die Flächennutzungsplanung, mit im „Geschäft“ ist. Neben den beiden Ausschüssen, Finanzen und Planung, in denen zu fassende Beschlüsse vorbereitet werden, ist die Verbandsversammlung der Ort, quasi die Legislative, in der die Entscheidungen über die Inanspruchnahme bestimmter Flächen letztlich fallen. Der Vorstand bereitet viele dieser Beschlüsse vor und hat letztendlich das Sagen… Ein neues Aufgabenfeld, der sog. Landschaftspflegeverband für den Landkreis Kassel, wird im kommenden Jahr vermutlich auch beim ZRK mit angedockt, was sicherlich zu einem weiteren Bedeutungszuwachs führen wird…

Was für eine Chance, aber welch – bis heute zumindest – klägliches Ergebnis: Das documenta Institut ist zwar noch nicht in den Sand gesetzt, aber als verfahren darf man die Situation schon bezeichnen. Nach einer eindeutig dilettantischen Vorauswahl geht das Baudezernat mit einer Liste potentieller Standorte ins Rennen um die Realisierung dieses wichtigen, von nahezu allen befürworteten großen Zukunftsprojekts. Es hat das Zeug, vor allem anderen, die Marke documenta im Interesse der Stadt zu stärken. Im Falle einer richtigen Standortwahl kommt hinzu, dass so ein Projekt das Potential hat, dem ausgewählten Standort und seiner Umgebung langfristig positive Impulse zu geben und entsprechenden Glanz zu verleihen. Vor allem und nicht zuletzt: Eine professionelle und erfolgreiche Realisierung eines solchen Projekts birgt erhebliche Potentiale für die Stadt als Ganzes. Soweit gibt es sicherlich Einvernehmen.

Die politisch Verantwortlichen der Stadt, allen voran die SPD, tun sich aber mal wieder schwer, das – zugegeben – komplexe städtebaulich-architektonische Problem zu lösen: elegant, fachlich einwandfrei und transparent, unter Einbeziehung der politisch und fachlich interessierten Bürgerschaft. Und natürlich unter Einhaltung der demokratischen und parlamentarischen Spielregeln, d.h. auch unter Würdigung und bei Mitsprache der kleineren Oppositionsfraktionen.

Was mich im Moment am meisten stört, ich habe mich zu dem Themenkomplex ja schon geäußert,

http://kassel-zeitung.de/cms1/index.php?/archives/18681-Ein-Inserat-mit-einem-lauten-Plaedoyer-fuer-einen-Karlsplatz-mit-Documenta-Institut.html

SPD und Grüne in Kassel bis zu den Neuwahlen 2021 ohne Mehrheit

ist die erneut aufscheinende Arroganz der Macht im Kleinformat, also auf kommunaler Ebene, mit der nun, in den berühmt-berüchtigten Hinterzimmern, mit nicht legitimierten Beraterinnen und Beratern, der einzig wahre und richtige Standort für das Institut aus dem Hut gezaubert werden soll.

Wir kennen das, auf allen Ebenen der Politik. Und nun soll auch in Kassel mal wieder, ganz offen und mit Ankündigung eines Planes B, demonstriert werden, wo der Hammer hängt und wie die Kuh vom Eis kommen soll: durch Kungelei in eben diesem Zimmer! Denn nichts anderes ist es, wenn demokratisch nicht legitimierte Beraterinnen und Berater dem OB den Ausweg aus dem hausgemachten Debakel weisen sollen… Auch wenn zum Schluss die Stadtverordnetenversammlung das letzte Wort hat, es bleibt dennoch ein intransparenter, undemokratischer Prozess.

Vermutlich wird es zur Einbeziehung der parlamentarischen Gremien ohnehin erst nach den Neuwahlen kommen. Wobei das letzte Wort dann ja nur noch eine Absegnung besagter Ergebnisse sein wird, also eher eine Art Abgesang!

Kleiner Hinweis am Rande: Wenn sich der OB dabei mal nicht verkalkuliert, falls er sich Wahlergebnisse vorstellen sollte, die ihm neue Handlungsspielräume bringen, nachdem ihm die Kasseler Grünen von der Fahne gegangen sind bzw. er die Fahne woanders hingestellt hat… Vielleicht hat Geselle ja am Ende gar keine Pole–Position mehr im Rathaus? Und dann? Aber das ist eine andere Frage.

So viel steht fest: Statt aus den Fehlern zu lernen, die es auch in diesem Verfahren wieder zur Genüge gegeben hat, statt die beiden ungeeigneten Standorte (Holländischer Platz und Parkplatz bei der Karlskirche) offenherzig zurück zu nehmen und nun, ob der großen Chancen, die in diesem Projekt immer noch stecken, eine Art Ideenwettbewerb der engagierten Bürgerschaft anzuregen, wird die ganze Angelegenheit zur Chefsache erklärt und privatissime gelöst.

Ich finde: So sollte man es nicht machen. Das wird, wie schon bei anderen großen Planungsaufgaben, die zur Chefsache wurden – es muss nur an die Multifunktionshalle im Süden der Stadt erinnert werden wie an das Technische Rathaus bei Salzmann – eher nichts werden. Aus dem Debakel mit den beiden wenig geeigneten Standorten an der Uni und dem Karlsplatz müssten ganz andere Konsequenzen gezogen werden. Denn statt der Selbstermächtigung des Oberbürgermeisters bzw. statt einer Delegation aller Funktionen eines documenta Instituts mit Archiv in die Cloud (wie Harald Kimpel es nun resignierend vorschlägt), wäre eben dieser Ideenwettbewerb der Kasseler Bürgerschaft anzusetzen. Dafür braucht es natürlich eine professionelle Vorbereitung, transparente Strukturen und ein ebensolches Regelwerk. Am Ende läge vielleicht im Dezember 2021 ein stadtweit akzeptiertes und anerkanntes Resultat vor, welches einen von den drei noch in der engeren Wahl befindlichen Standorten

1. Die Wilhelmshöher Allee 2 – 4 (offensichtlich der neue Favorit der Kasseler Grünen)
2. Der Parkplatz beim RP in der Nähe des Schauspielhauses und
3. Die documenta Halle

als am Ende besten zur Bebauung empfiehlt. Während meine Nummer eins, besagter Parkplatz beim RP, mit leichten Vorteilen noch vor der Willi Allee läge (positive Nähe zum Fridericianum als Herzkammer der documenta und freie architektonische Entfaltungsmöglichkeit für einen auch spektakulären Gebäudetypus), ist die zum Schluss ins Gespräch gekommene documenta Halle ein eher problematischer Vorschlag. Zum einen ist vermutlich die Größe der Halle schwierig, der Zuschnitt der Räume ist sicherlich alles andere als ideal für ein Archiv und eigentlich sprechen auch Sinn und Zweck gegen eine Umnutzung: Aus einem bundesweiten Wettbewerb Ende 1989 ging die Halle als ein Gebäude hervor, das alle 5 Jahre von der documenta in je besonderer Weise bespielt wird…

Es wäre zu wünschen, dass die Beraterinnen und Berater in Sachen very best solution für das Institut dem OB gar keinen ultimativen Standort einflüstern, sondern ihm schlicht raten, in Offenheit und Transparenz, mit Parlament, Bürgerschaft, Universität und Fachwelt, einen demokratischen Findungsprozess für das am besten oder ehesten geeignete Gelände auszulösen…

Das bringt dem OB möglicherweise ein gutes Ergebnis und sicherlich Sympathie bei der Bürgerschaft, gepaart mit guten Wahlergebnissen… Vor allem jedoch würde sich die Stadt der berühmten Weltkunstausstellung documenta mit einem solchen ideenreichen, Bürgerschaft und Demokratie gleichermaßen stärkenden Prozess weithin sichtbar auszeichnen. In Zeiten der vielfältigen gesellschaftlichen Spaltungen wäre das eine gute Sache…

Mit dem folgenden Schreiben hat sich das Bündnis gegen Antisemitismus heute, am 16. November 2020, an die Ortsbeiratsvorsitzende des Ortsbeirats Unterneustadt, Frau Linne, gewandt …

Sehr geehrte Frau Linne,

mit Freude haben wir den Artikel am 10. November 2020 in der HNA gelesen, wo von einer wichtigen Straßenumbenennung in der Unterneustadt die Rede war: Die Ernst Moritz Arndt Straße soll in Ilse Arndtstraße umbenannt werden. Der eine – neben anderem – ein glühender Juden- und Franzosenhasser, die andere jüdische Zeitzeugin und Auschwitz-Überlebende. Größer könnten die Unterschiede kaum sein…

Wie die Dinge nun mal sind, werden eine ganze Reihe von Leuten hier in Kassel der Meinung sein, dass diese Umwidmung nicht in Ordnung ist, handelt es sich doch bei E. M. Arndt (1769/1860) um einen anerkannten Lyriker der sog. Befreiungskriege, einen nationalen Demokraten und Historiker. Andere – wie z.B. unser Bündnis gegen Antisemitismus – sind mit dieser veränderten Namensgebung nicht nur einverstanden, sondern vielmehr der Meinung, dass sie längst überfällig war. E. M. Arndt hat sich mit seinem ausgeprägten Hass auf die Franzosen und seinem ungehemmten Judenhass, heute würde man es als Antisemitismus bezeichnen, eher zum Vorbild für die neue deutsche Rechte gemacht, denn zu einer historischen Person, die es bis heute – z.B. mit der Benennung einer Straße – zu ehren gilt. Auch mit seinem gelobten Eintreten für die Demokratie ist es nicht allzu weit her, vielmehr ist es eher als Plädoyer für eine Art der konstitutionellen Monarchie einzustufen. Dass der Ortsbeirat die Initiative der Stadt Kassel positiv eingeschätzt und entsprechend unterstützt hat, ist sehr zu begrüßen.

Unser Bündnis hat, der Zeit insofern voraus, aber genau genommen auch zu spät, schon 2015 weitergehende Vorschläge für Straßenumbenennungen in der Unterneustadt unterbreitet. In Zusammenhang mit den Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung haben wir uns mit einem Flugblatt an die Bürgerinnen und Bürger der Unterneustadt gewandt, um zu problematisieren, dass die in der Unterneustadt geehrten Vertreter des deutschen Vormärzes alles andere als „unbescholten“ oder „ehrenwert“ sind. Sie sind, so haben wir uns in besagtem Flugblatt ausgedrückt, „…alle … Akteure des sogenannten Vormärzes, der im deutschen Geschichtsbewusstsein als eine Art Vorläuferbewegung der deutschen Nation und Demokratie gilt. Jahn und Arndt formulierten einen extremen Judenhass und einen aggressiven Nationalismus und Körner ist ein völkisch denkender und gewaltverherrlichender nationalistischer Barde der Volksgemeinschaft. Ihre Ablehnung der Aufklärung, ihr Antisemitismus und die germanophilen Konstrukte waren integraler Bestandteil ihres Werkes und Wirkens…“. Zitiert aus unserem Flugblatt vom November 2015 für besagte symbolische Umbenennungsaktion und für eine Einladung zu einer Diskussion mit Dr. Martin Blumentritt im Café Kurbad Jungborn. Beides hat am 3. Dezember 2015 stattgefunden.

Statt mit ehrenden Straßenbenennungen den aus unserer Sicht „Falschen“ zu gedenken, wollten wir zweierlei an diesem kühlen Herbst-Abend erreichen: Zum einen wollten wir mit dieser Aktion statt der oben erwähnten Herrschaften „… mit Moses Hess, Saul Ascher, Rudolf Hallo und Israel Jacobsohn vier Vertreter des kosmopolitischen Denkens in Erinnerung rufen, die im weitesten Sinne der hier problematisierten Tradition entgegenstehen. Saul Ashers Schriften wurden von den Anhängern Jahns auf dem Wartburgfest dem Feuer übergeben. Alle vier setzten sich für die Emanzipation der Juden ein, agitierten gegen Antisemitismus und Deutschtümelei und kämpften für die Teilhabe der Juden an der deutschen Gesellschaft…“. Auch das ist wieder ein Zitat aus dem Flugblatt vom November 2015. Zum anderen wollten wir in die zu diesem Zeitpunkt virulente Debatte um eine Umbenennung der Karl Branner Brücke eingreifen und auch dafür einen gut begründeten Vorschlag unterbreiten.

Während die Veranstaltung am Abend des 3. Dezember im Café Jungborn erfolgreich und recht gut besucht war, haben wir mit der symbolischen Straßen-Umbenennung eher eine Bauchlandung hingelegt. Sie war ja vielleicht geistreich, aber auf jeden Fall nicht gut genug vorbereitet. Zwar gut begründet, aber dilettantisch insofern, als wir vergaßen, die Aktion beim zuständigen Amt der Stadt Kassel korrekt anzumelden.

Wie die beigefügten, die „glorreiche“ Aktion dokumentierenden Fotos belegen, haben wir durchaus den einen oder anderen Straßennamen resp. das entsprechende Schild erfolgreich mit den von uns kreativ angefertigten provisorischen „neuen“ Straßennamen überhängt – dann jedoch machten zwei freundliche Polizisten der Aktion ein Ende. Herbeigerufen offensichtlich von irritierten BewohnerInnen der Unterneustadt ob des seltsamen Treibens im Blücherviertel… Und bevor wir unser Werk vollenden konnten, waren wir auch schon wieder auf dem Rückweg, d.h. die schon überhängten Straßenschilder mussten wir gleich wieder von den neuen, wohlklingenden Namen befreien!

Die Kollegen von der Polizei, sicher auch weil wir uns einsichtig und zurückhaltend zeigten, sahen von einer Anzeige ab.

Nun hat sich unsere Aktion zwar nicht in die Annalen der Unterneustadt eingegraben, aber es hat sich dennoch etwas bewegt: Die neue Unterneustadtbrücke verliert den Namen des nationalsozialistisch belasteten (dennoch sehr beliebten) ehemaligen Oberbürgermeisters, Karl Branner, auch wenn der Anlass das Gegenteil von erfreulich ist und – wie oben schon beschrieben – die Arndtstraße wird zur Arndtstraße. Klingt als Überschrift in der Zeitung und als Betreff in diesem Brief irritierend, ist aber erfreulich und überaus begrüßenswert.

Ich möchte zum Schluss noch auf zwei Artikel resp. Links in unserem Blog zum Thema Vormärz verweisen, die das Thema etwas gründlicher behandeln. Ich habe daraus ja schon zitiert. Dazu die beiden Links am Ende des Briefes. Außerdem einen weiteren Link zu unserem damaligen Flugblatt. Sowie abschließend das eine oder andere Foto zur Dokumentation.

Ansonsten möchten wir Sie alle, die für diese bedeutsame Umbenennung gestimmt haben, darin bekräftigen, dieses Ansinnen, die Namen berühmter Antisemiten durch verdiente Jüdinnen und Juden zu ersetzen, konsequent weiter zu verfolgen. Vielleicht ist es Ihnen ja möglich, mein Schreiben an die anderen Mitglieder des Unterneustädter Ortsbeirats weiter zu geben?

Vielen Dank dafür im Voraus.

Es bleibt noch viel zu tun in Sachen Straßenumbenennungen in Kassel…

E. Jochum
Für das Bündnis gegen Antisemitismus

Die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge – Oder die unvollständige Debatte um Straßennamen in Kassel
Antisemiten als Namensgeber Kasseler Straßen
https://bgakasselblog.files.wordpress.com/2014/06/an-die-bewohnerinnen-des-blc3bccherviertels-okt-15-c3a4nd-12.pdf

Im Frühjahr werden in Hessen die Kommunalparlamente neu gewählt. Wie in den letzten Jahren schon fleißig eingeübt, lädt der BUND im Vorfeld solcher Wahlen KandidatInnen aller Parteien ein, um mit ihnen wichtige ökologische Fragestellungen und die jeweiligen Positionen der verschiedenen Parteien zu diskutieren. So auch am vergangenen Donnerstag, den 29. Oktober 2020. Thema war: Der viel zu große Flächenverbrauch allüberall für Wohnhäuser, Verkehr und Gewerbe. Nach Calden haben wir eingeladen, weil gerade in dieser Gemeinde der Flächenverbrauch gerade zur unsinnigen Flächenvergeudung hochgeschraubt werden soll. Obwohl, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, Calden zwischen 2018 und 2035 ungefähr 18 Prozent an Einwohnern verlieren wird (Quelle: Hessen Agentur, Stand 31.10.2018), gibt es hochfahrende Pläne sowohl für den Bau eines neuen Sportplatzes und als auch für ein weiteres neues Baugebiet – natürlich am Rand und nicht im Ortsinneren!!

Damit ist die Gemeinde Calden ein Beispiel genau dafür, wie man es nicht machen sollte. Aber sie steht damit in gewisser Weise symbolisch für eine grundfalsche Entwicklung, die wir auch hier in der Region schnellstens überdenken sollten: Statt dauernd den Weg des vermeintlich geringsten Widerstandes zu gehen und dauernd und allüberall wertvolle, nicht vermehrbare landwirtschaftliche Flächen zu vergeuden, sollte endlich – was längst bekannt ist und von allen Dächern gepfiffen wird – Innenentwicklung betrieben, die Wende in der Mobilität ohne weiteren Straßenausbau angestrebt und die Gewerbeflächenentwicklung nur noch koordiniert, minimiert und ausschließlich in Kooperation aller Gemeinden des Landkreises zusammen mit der Stadt Kassel geplant und vorgenommen werden.

Dass das so sein soll(te), wissen nicht nur die Experten seit Langem, sondern natürlich auch die Politiker. Nur so lässt sich erklären, dass seit geraumer Zeit auf allen Ebenen davon gesprochen wird, dass der Flächenverbrauch rasch und drastisch nach unten gefahren werden muss:

• So will die Bundesregierung im Rahmen der sog. Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie bis 2030 den Flächenverbrauch auf unter 30 ha/Tag verringern,
• so hat sich auch die schwarz/grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, bis 2020 unter die 2,5 ha/Tag-Grenze zu kommen und
• auch der Zweckverband Raum Kassel (ZRK), der u.a. die Flächennutzungsplanung für die Stadt Kassel und die Umlandgemeinden im „Speckgürtel“ des Oberzentrums koordinieren soll, beschwört in allen seinen verbindlichen Planungsdokumenten und –grundlagen die Innenentwicklung.

Dass das Handeln aber auch beim ZRK trotz Vorhandensein guter Plangrundlagen oft und bedauerlicherweise in die falsche Richtung geht, hat im vergangenen Jahr die Stadt Vellmar vorexerziert, mit professioneller Schützenhilfe des ZRK: So werden jetzt am Ortsrand von Vellmar erneut 17 Hektar wertvoller Ackerflächen in Einfamilien- und Reihenhäuser verwandelt, obwohl drei innenliegende Areale mit ökologisch, verkehrlich und ökonomisch besser geeigneten Flächen vorhanden waren…

Um 2000 lag der Flächenverbrauch in der Bundesrepublik noch bei 129 ha/Tag, 2017 noch bei über 56 ha/Tag. Zur Verdeutlichung: 2010 haben wir damit den bis dahin meist landwirtschaftlich genutzten Boden mit 182 Sportplätzen, 2017 noch mit 78 Sportplätzen pro Tag (!!!) zugepflastert. Auch ohne Fachmann oder Fachfrau zu sein, erkennt man: Es besteht Handlungsbedarf!

Beim o.a. Treffen waren nun allerdings, vielleicht auch Corona-bedingt, nur TeilnehmerInnen von den Grünen und der Linkspartei anwesend. Erfreulicher Weise waren außerdem 3 Mitglieder einer in der Gemeinde Habichtswald aktiven Bürgerinitiative dabei, die sich gerade in einer Auseinandersetzung mit ihrer Gemeinde befinden, die ebenfalls – trotz mittelfristig sinkender Einwohnerzahlen – weitere Wohngebiete am Ortsrand in der Mache haben. So waren wir quasi unter uns und konnten einander versichern, dass wir mit unserem Ansinnen, als Planungsziel den NETTONULLFLÄCHENVERBRAUCH anzustreben, genau richtig liegen. Aber wenn es am 29. Oktober tatsächlich keine Gegenstimme dazu gab, so war uns dennoch klar, dass zukünftig noch große Felsbrocken den Berg hoch gewälzt werden müssen, um eben dahin zu gelangen. Und dass wir mit dem sperrigen Wort NETTONULLFLÄCHENVERBRAUCH keinen Preis gewinnen würden, wenn es im neuen Jahr um die Auslobung des schönsten Wortes geht, war uns auch klar.

Auch wenn der sozialdemokratische Hochadel Kassels, für die o.a. Anzeige ein wenig an- und eingegrünt, zusammen mit denjenigen, die stets in seinem Dunstkreis sich befinden, nun die Entscheidung der aktuellen politischen Führung der Stadt für den Parkplatz an der Oberen Karlsstraße als zukünftigen Standort des Documenta Instituts abgesegnet hat, muss dieser Standort deswegen noch lange nicht der Richtige oder gar Beste sein. Auch wenn diese Absegnung mit einer ganzseitigen, um nicht zu sagen „einseitigen“ Anzeige in der HNA am 27. Juni 2020 den Eindruck erwecken soll, dass angesichts der Wucht an Kompetenz, die mit den Namen ganz offensichtlich demonstriert und transportiert werden soll, nun alles gesagt sei, so tritt dennoch bei anders denkenden Fachleuten und Historikern eher Irritation auf. Warum, das soll hier kurz erläutert werden.

Inserat in der HNA vom 27. Juni 2020

Inserat in der HNA vom 27. Juni 2020

 

Damit keine Missverständnisse entstehen, soll zuerst kurz aufgezählt werden, worum es hier nicht geht:

1. Es geht nicht um eine Unterstützung der Argumente der Anwohner und Geschäftsinhaber, die das Parken auf dem Platz an der Oberen Karlsstraße wegen unverstandenen Eigeninteresses mehr oder weniger beibehalten wollen. Dass dieser Parkplatz schon lange keiner mehr ist, weiß der Unterzeichner so gut wie jede interessierte Leserin. Seine Existenzberechtigung hat er seit langen Jahren verloren. Er ist nur noch da, weil die Verantwortlichen und Zuständigen sich unfähig zeigten, eine adäquate Lösung für diesen bedeutsamen Ort in der Oberneustadt zu entwickeln. Nur so ist zu erklären, dass dieser spannende und historisch positiv aufgeladene Platz bis heute ein Hinterhof zum Abstellen von Autos ist…
2. Es geht auch nicht um eine Verfahrenskritik, die auf das ausgesprochen ungeschickte Projektmanagement insgesamt reagiert. Diese Kritik von verschiedenen Seiten führte dazu, dass der erste Standortvorschlag am Holländischen Platz zuerst als Non plus Ultra-Standort gefeiert und erbittert gegen jede Kritik verteidigt wurde, dann aber peinlicher Weise recht schnell und geräuschlos zurückgezogen werden musste, weil dort nichts zusammen passte…
3. Es geht auch nicht um die geradezu unglaublichen Defizite in der Einbindung interessierter Kreise der Stadtgesellschaft und um die Nichtbeachtung der Rechte und Informationsbedürfnisse der oppositionellen in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteien. Man muss in diesem Fall von Durchregieren sprechen, weil sich das Verhalten der beiden Fraktionen in Regierungsverantwortung nicht anders bezeichnen lässt. In der KasselZeitung habe ich darüber im Januar d.J. schon einmal geschrieben:  SPD und Grüne in Kassel bis zu den Neuwahlen 2021 ohne Mehrheit

Der nun ausgewählte und mit knapper Mehrheit beschlossene Standortvorschlag wird durch die Weihen und Segnungen des sozialdemokratischen Hochadels allerdings nicht besser, auch wenn er nun Kritik an der getroffenen Entscheidung quasi abtöten soll: Wenn so viel geballte sozialdemokratische Prominenz für den Karlsplatz votiert und derart viele, namhafte Architekten und Stadtplaner sich für das Documenta Institut eben dort aussprechen, wer sollte da noch wagen, seine Stimme kritisch zu erheben?

Um aber genau das zu tun, gibt es drei gute Gründe:

1. Das Gebäude mit seinen aktuellen bzw. künftigen Flächenansprüchen ist – unabhängig von der über einen Wettbewerb noch zu findenden architektonischen Ausprägung und Form – für den Bereich des Karlsplatzes und seine Umgebung schlicht zu groß. Der Respekt der ehemaligen Oberneustadt gegenüber, schon vielfältig mit Füßen getreten und missachtet, wird ein weiteres Mal sträflich vernachlässigt. Und es darf davon ausgegangen werden, dass ein abermals zu groß geratenes ‚Ufo‘ die Situation mit der eh schon bedrängten Karlskirche nicht nur nicht optimiert, sondern zusätzlich bedroht, wenn das Documenta Institut mit seinen mehr als 6000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche dort landet…

2. Das Gebäude ist, auch wenn jetzt im Nachhinein für Lebendigkeit, Offenheit, Transparenz und gut frequentierte Nutzungsarten im Erdgeschoss gesorgt werden soll, für diesen Ort und Raum ungeeignet, weil ein Archiv ein Archiv ist. Damit ist gemeint, dass das Zuschauen beim Archivieren und den damit verbundenen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten kaum geeignet sein wird, das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken und den Ort mit urbaner Vielfalt zu bereichern… Von der einen oder anderen Tagung abgesehen, wird dort gearbeitet und abends geht das Licht aus. Eine dringend gebotene Aufwertung dieses Bereichs der Innenstadt wird damit eher nicht verbunden sein.

3. Für das begehrte und natürlich überaus zu begrüßende Gebäude gibt es bessere Standorte. Das Gebäude gehört, weil Kassel zum Glück hochgradig geeignete Alternativen für den Bereich des Karlplatzes aufzuweisen hat, entweder an den Brüder Grimm Platz am Beginn der Wilhelmshöher Allee oder auf den Parkplatz zwischen RP und Theater. Beide Standorte haben neben der günstigen städtebaulichen Anbindung außerdem etwas, was der heutige Parkplatz an der Oberen Karlsstraße definitiv nicht bieten kann, nämlich Erweiterungschancen… Es könnte durchaus sein, dass solche Erweiterungen in nicht allzu ferner Zukunft erforderlich werden könnten. Und das ließe sich dann auf dem nun mit Verve beworbenen Areal in der Oberneustadt beim besten Willen nicht mehr realisieren…

 

...ob im und nach dem Wettbewerb das neue documenta Institut auf diesen Stadtgrundriss vom Ende des 19. Jahrhunderts Bezug nehmen wird, darf bezweifelt werden...

…ob im und nach dem Wettbewerb das neue documenta Institut auf diesen Stadtgrundriss vom Ende des 19. Jahrhunderts Bezug nehmen wird, darf bezweifelt werden…

Warum, das fragt der Autor, um nur eine konkrete Alternative für die Bebauung des besagten Autoabstellplatzes im Herzen der Oberneustadt konkret zu benennen, erweitert man nicht das Rathaus an dieser Stelle? Es platzt aus allen Nähten. Und das schon seit Jahren. Die vielen über die Stadt verteilten Verwaltungsstandorte könnten endlich reduziert werden, wenn sich das Rathaus zu einer genialen, kritisch rekonstruierten und gleichzeitig mutigen architektonischen Lösung entschlösse. Mit Kritischer Rekonstruktion, nur falls man/frau das schon wieder vergessen haben sollte, ist das Bauen orientiert am alten Stadtgrundriss, modern interpretiert, gemeint. Dafür wurden die Stadt und ihre für den Wiederaufbau des Kerns der Unterneustadt gegründete Entwicklungsgesellschaft, die PEG, 2002 mehrfach hochkarätig geehrt. So könnte man in der Oberneustadt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Nicht nur – auch wenn das abstrakt klingt – der Oberneustadt den gebührenden Respekt zuteilwerden lassen, nein, man könnte damit auch den Spiritus Rector für den Bau der Oberneustadt im Auftrag des Landgrafen Karl, Paul du Ry, nachträglich ehren.

Das stünde der Stadt Kassel gut zu Gesicht, die mit einem hastigen Wiederaufbau so viele schmerzhafte Fehler begangen hat. Hier bestünde die Chance einer Wiedergutmachung.